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10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG);Norm
AVG §19;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Waldner und die Hofräte Dr. Gall, Dr. Pallitsch, Dr. Schick und Dr. Grünstäudl als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Runge, über die Beschwerde des K in B, vertreten durch Winkler-Heinzle, Rechtsanwaltspartnerschaft in 6900 Bregenz, Gerberstraße 4, gegen den Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Bludenz vom 4. Februar 2002, Zl. VI-13/4- 2002, betreffend Ladung in einer Angelegenheit nach dem Suchtmittelgesetz, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben
Der Bund ist schuldig, dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem angefochtenen Ladungsbescheid der Bezirkshauptmannschaft Bludenz vom 4. Februar 2002 wurde der Beschwerdeführer (unter Verwendung des Formulars 2 zu § 19 AVG) unter Angabe des Gegenstandes "amtsärztliche Untersuchung wegen Übertretung des Suchtmittelgesetzes gemäß § 12 SMG bzw. § 35 SMG" für den 27. Februar 2002 um 9.30 Uhr zur belangten Behörde vorgeladen. Es wurde ihm mitgeteilt, dass er persönlich kommen müsse, für den Fall der Nichtbefolgung der Ladung wurde die zwangsweise Vorführung angedroht.
Diesem Ladungsbescheid gemäß § 19 AVG lag zu Grunde, dass der Gendarmerieposten Götzis eine mit 4. Jänner 2002 datierte Strafanzeige gegen den Beschwerdeführer erstattet hatte, worin angeführt wird, dass dieser dringend verdächtig sei, im Sommer 2001 auf dem Balkon seiner Wohnung in B mehrere Cannabispflanzen - für die Gewinnung von Marihuana - angepflanzt zu haben. Am 2. August 2001 seien die Pflanzen sichergestellt und in der Folge daraus Cannabiskraut mit einem THC-Reingehalt von 1,49 Gramm behördlicherseits gewonnen worden. In der Anzeige findet sich der Vermerk, dass gegen den Beschwerdeführer "in den früheren Jahren" mehrere Anzeigen nach dem Suchtgiftgesetz - Konsum und Handel mit Heroin - erstattet worden seien. Derzeit scheine in den EKIS-Anfragen "aufgrund der Tilgungsfristen" keine Vormerkung mehr auf.
Gegen den genannten Ladungsbescheid der belangten Behörde richtet sich die vorliegende Beschwerde, mit der der Beschwerdeführer die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides beantragt.
Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor und beantragt in ihrer Gegenschrift die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde.
Hierauf hat der Beschwerdeführer mit Schriftsatz vom 16. Mai 2002 repliziert.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Die im Beschwerdefall maßgebenden Bestimmungen des Suchmittelgesetzes (SMG) lauten auszugsweise:
"2. Abschnitt
Gesundheitsbezogene Maßnahmen bei Suchtgiftmissbrauch
§ 11. (1) Personen, die wegen Suchtgiftmissbrauchs oder der Gewöhnung an Suchtgift gesundheitsbezogener Maßnahmen gemäß Abs. 2 bedürfen, haben sich den notwendigen und zweckmäßigen, ihnen nach den Umständen möglichen und zumutbaren und nicht offenbar aussichtslosen gesundheitsbezogenen Maßnahmen zu unterziehen. ...
(2) Gesundheitsbezogene Maßnahmen sind
1.
die ärztliche Überwachung des Geisteszustandes,
2.
die ärztliche Behandlung einschließlich der Entzugs- und Substitutionsbehandlung,
3.
die klinisch-psychologische Beratung und Betreuung,
4.
die Psychotherapie sowie
5.
die psychosoziale Beratung und Betreuung
durch qualifizierte und mit Fragen des Suchtgiftmissbrauchs hinreichend vertraute Personen.
...
§ 12. (1) Ist auf Grund bestimmter Tatsachen anzunehmen, dass eine Person Suchtgift missbraucht, so hat sie die Bezirksverwaltungsbehörde als Gesundheitsbehörde der Begutachtung durch einen mit Fragen des Suchtgiftmissbrauchs hinreichend vertrauten Arzt, der erforderlichenfalls mit zur selbstständigen Berufsausübung berechtigten Angehörigen des klinischpsychologischen oder psychotherapeutischen Berufes zusammen zu arbeiten hat, zuzuführen. Die Person hat sich den hiefür notwendigen Untersuchungen zu unterziehen.
(2) Ergibt die Begutachtung, dass eine gesundheitsbezogene Maßnahme gemäß § 11 Abs. 2 notwendig ist, so hat die Bezirksverwaltungsbehörde als Gesundheitsbehörde darauf hinzuwirken, dass sich die Person einer solchen zweckmäßigen, ihr nach den Umständen möglichen und zumutbaren und nicht offenbar aussichtslosen Maßnahme unterzieht. ... .
...
§ 14. (1) Steht eine Person, die Suchtgift missbraucht, im Verdacht, eine nach § 27 Abs. 1 mit Strafe bedrohte Handlung begangen zu haben, so hat die Bezirksverwaltungsbehörde nur dann Strafanzeige zu erstatten, wenn sich die Person den notwendigen, zweckmäßigen, ihr nach den Umständen möglichen und zumutbaren und nicht offenbar aussichtslosen gesundheitsbezogenen Maßnahmen gemäß § 11 Abs. 2 nicht unterzieht.
...
(2) Die Sicherheitsbehörden haben der Bezirksverwaltungsbehörde als Gesundheitsbehörde die von ihnen wegen des Verdachts einer nach den §§ 27 oder 28 mit Strafe bedrohten Handlung an die Staatsanwaltschaft erstatteten Anzeige unverzüglich mitzuteilen.
...
§ 35 ...
(5) Die Bezirksverwaltungsbehörde hat vor Abgabe ihrer Stellungnahme die Begutachtung des Angezeigten durch einen mit Fragen des Suchtgiftmissbrauchs hinreichend vertrauten Arzt, der erforderlichenfalls mit zur selbständigen Berufsausübung berechtigten Angehörigen des klinisch-psychologischen oder psychotherapeutischen Berufes zusammenzuarbeiten hat, zu veranlassen."
§ 19 AVG lautet (auszugsweise):
"§ 19. (1) Die Behörde ist berechtigt, Personen, die in ihrem Amtsbereich ihren Aufenthalt (Sitz) haben und deren Erscheinen nötig ist, vorzuladen. ... .
(2) In der Ladung ist außer Ort und Zeit der Amtshandlung auch anzugeben, was den Gegenstand der Amtshandlung bildet, in welcher Eigenschaft der Geladene vor der Behörde erscheinen soll (als Beteiligter, Zeuge usw.) und welche Behelfe und Beweismittel mitzubringen sind. In der Ladung ist ferner bekannt zu geben, ob der Geladene persönlich zu erscheinen hat oder ob die Entsendung eines Vertreters genügt und welche Folgen an ein Ausbleiben geknüpft sind.
(3) Wer nicht durch Krankheit, Gebrechlichkeit oder sonstige begründete Hindernisse vom Erscheinen abgehalten ist, hat die Verpflichtung, der Ladung Folge zu leisten und kann zur Erfüllung dieser Pflicht durch Zwangsstrafen verhalten oder vorgeführt werden. Die Anwendung dieser Zwangsmittel ist nur zulässig, wenn sie in der Ladung angedroht waren und die Ladung zu eigenen Handen zugestellt war; sie obliegt den Vollstreckungsbehörden.
(4) Gegen die Ladung oder die Vorführung ist kein Rechtsmittel zulässig."
Im Hinblick auf die in der angefochtenen Erledigung enthaltene Androhung einer Zwangsmaßnahme für den Fall des Nichterscheinens vor der Behörde zum angegebenen Zeitpunkt besteht kein Zweifel, dass es sich dabei um einen Ladungsbescheid im Sinne des § 19 AVG handelt. Gemäß § 19 Abs. 4 AVG war dagegen kein Rechtsmittel zulässig. Die Voraussetzungen für die Erhebung einer Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof liegen vor.
Der Verwaltungsgerichtshof hat im Zusammenhang mit § 12 SMG bereits mehrfach die Auffassung vertreten, dass dann, wenn der Verdacht gegeben ist, eine Person missbrauche Sichtgift, im Hinblick auf allenfalls zu setzende ärztliche Maßnahmen Raschheit geboten sei. Im Regelfall könne daher nicht gesagt werden, dass es gleichgültig sei, ob der Betreffende früher oder später bei der Behörde erscheine, weshalb der Behörde eine Überschreitung des Auswahlermessens hinsichtlich der Form der Ladung nicht vorzuwerfen sei, wenn sie sich für einen Ladungsbescheid entscheidet (vgl. die hg. Erkenntnisse vom 28. Juni 2001, Zl. 2001/11/0134, und vom 26. Februar 2001, Zl. 2001/11/0348). Zutreffend führt der Beschwerdeführer in diesem Zusammenhang aus, dass Voraussetzung für die Zulässigkeit eines Ladungsbescheides zur Verfolgung der im § 12 Abs. 1 SMG umschriebenen gesundheitspolizeilichen Zwecke ist, dass bestimmte Tatsachen zur Annahme zwingen, dass "eine Person Suchtgift missbraucht", wobei im Hinblick auf den Regelungsgegenstand als tatbestandsmäßig anzusehen ist, dass der Suchtgiftmissbrauch in der Person des Betreffenden selbst gelegen sein muss. Das Vorhandensein derartiger "bestimmter Tatsachen" muss im Zeitpunkt der Ladung (hier: Erlassung des Ladungsbescheides) gegeben sein (vgl. das bereits zitierte hg. Erkenntnis vom 26. Februar 2002, m. w. N.). Mit dieser Aussage wollte der Gerichtshof zum Ausdruck bringen, dass der Verdacht eines aktuellen Suchtmittelmissbrauchs in einer bestimmten Dichte gegeben sein muss. Diese Voraussetzungen sind im Beschwerdefall jedoch nicht erfüllt.
Die belangte Behörde beruft sich für die Annahme, dass der Beschwerdeführer Suchtgift missbraucht, auf die Anzeige des Gendarmeriepostenkommandos Bludenz vom 4. Jänner 2002, worin auf Vorfälle Bezug genommen wird, die längere Zeit zurückliegen. Der Anbau von Cannabis fand laut Anzeige "im Sommer" (bis 2. August) 2001 statt, lag im Zeitpunkt der Erlassung des Ladungsbescheides somit mehr als ein halbes Jahr zurück. Der Verweis auf "Anzeigen in den früheren Jahren" ist völlig unbestimmt und als Grundlage für die hier bekämpfte Ladung nach der vorgenannten Rechtsprechung ungeeignet.
Bei diesem Sachverhalt durfte daher die belangte Behörde im Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides nicht annehmen, dass ein hinreichender Verdacht auf aktuellen Suchtmittelmissbrauch besteht oder aber nur kurze Zeit zurückliegend Suchtgift missbraucht wurde. Fehlte aber die entscheidende Voraussetzung für einen Ladungsbescheid, so erweist sich die vorgenommene Ladung als rechtswidrig.
Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
Die Kostenentscheidung stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 333/2003, unter Berücksichtigung der dem Beschwerdeführer gewährten Verfahrenshilfe.
Wien, am 29. Jänner 2004
Schlagworte
Ermessen besondere Rechtsgebiete Maßgebende Rechtslage maßgebender SachverhaltEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2004:2002110037.X00Im RIS seit
01.03.2004