TE Vwgh Erkenntnis 2004/1/29 2001/20/0673

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Veröffentlicht am 29.01.2004
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Index

41/02 Passrecht Fremdenrecht;
49/01 Flüchtlinge;

Norm

AsylG 1997 §7;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Giendl und die Hofräte Dr. Nowakowski und Dr. Berger als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Trefil, über die Beschwerde des K in W, geboren 1966, vertreten durch Mag. Georg Bürstmayr, Rechtsanwalt in 1090 Wien, Hahngasse 25, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 6. August 2001, Zl. 210.711/0-IX/26/99, betreffend §§ 7 und 8 AsylG (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein der kurdischen Volksgruppe zugehöriger Staatsangehöriger des Irak, reiste am 14. Jänner 1999 in das Bundesgebiet ein und beantragte Asyl. Er gab an, mit seiner Familie in Arbil im Nordirak gelebt zu haben. Von dort sei er geflüchtet, weil er im Zuge der Auseinandersetzungen zwischen den beiden kurdischen Parteien KDP und PUK als Mitglied der PUK von Anhängern der KDP bedroht worden sei; andererseits sei er "von religiöser Seite bedroht" worden, weil die Mutter seiner Ehefrau jüdischer Abstammung sei und zwei Brüder seiner Schwiegermutter 1995 nach Israel ausgewandert seien. Man habe ihm unbegründeter Weise vorgehalten, dass er für den israelischen Geheimdienst tätig sei. Weiters brachte der Beschwerdeführer vor, er sei 1990 vom Militärdienst bei der irakischen Armee desertiert.

Das Bundesasylamt wies den Asylantrag des Beschwerdeführers gemäß § 7 AsylG ab und erklärte dessen Zurückweisung, Zurückschiebung und Abschiebung "in den Irak, jedoch ausschließlich in den Nordirak" gemäß § 8 AsylG für zulässig.

Der Berufungswerber erhob Berufung, in der er unter anderem vorbrachte, er habe den Irak illegal verlassen. Schon deshalb und wegen seiner Asylantragstellung müsse er im Falle einer Rückkehr mit Verfolgung seitens des Irak rechnen.

Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung des Beschwerdeführers nach Durchführung einer mündlichen Berufungsverhandlung gemäß §§ 7, 8 AsylG ab. Die belangte Behörde stellte fest, dass der Beschwerdeführer aus Arbil im Nordirak stamme. Aus im angefochtenen Bescheid näher dargestellten Gründen erachtete die belangte Behörde sein Vorbringen über die Bedrohung seiner Familie wegen der jüdischen Abstammung seiner Schwiegermutter, die Bedrohung seiner Person wegen einer ihm unterstellten Tätigkeit für den israelischen Geheimdienst sowie eine Bedrohung durch Angehörige der KDP oder andere Personen wegen seiner behaupteten Mitgliedschaft bei der PUK als nicht glaubwürdig. Ob der Beschwerdeführer tatsächlich im Jahr 1990 nach zehnmonatigem Militärdienst von der irakischen Armee desertiert sei, könne dahingestellt bleiben, weil er während seines Aufenthaltes im Nordirak wegen dieser angeblichen Desertion keine Probleme gehabt habe. Weiters traf die belangte Behörde ausführliche Feststellungen zur Situation im Irak, darunter unter anderem zur Situation der jüdischen Gemeinde, zur Lage im Nordirak und zur Vorgangsweise der irakischen Behörden im Falle der Abschiebung eines Irakers in den Nordirak. Im Zusammenhang mit der illegalen Ausreise des Beschwerdeführers komme dem Umstand, dass dieser Kurde sei und aus dem Nordirak stamme, besondere Bedeutung zu; das Risiko für solche Kurden, wegen illegaler Ausreise oder langjährigem Auslandsaufenthalt bestraft zu werden, sei gering, weil der Zentralirak keine oder nur eine auf Agententätigkeit eingeschränkte Handlungsmacht im Nordirak habe. Dass der Beschwerdeführer im Fall der Rückkehr in den Nordirak deswegen vom zentralirakischen Regime asylrelevant verfolgt würde oder mit scharfen Verhören wegen des illegalen Auslandsaufenthaltes zu rechnen habe, sei nicht der Fall, weil der Zentralirak kein besonderes Interesse am Beschwerdeführer habe. Solange der Beschwerdeführer daher nicht in den Machtbereich des Zentralirak gelange, drohe ihm wegen der in Österreich erfolgten Asylantragstellung "grundsätzlich keine Gefahr". Weiters führte die belangte Behörde aus:

"Auch die mögliche Zurückeroberung des unter kurdischer Verwaltung stehenden Gebietes durch die irakische Zentralregierung, welche nach den zitierten Berichten auf Grund des nie aufgegebenen Rechtsanspruches der irakischen Zentralregierung auf dieses Territorium denkbar ist, bewirkt aus derzeitiger Sicht keine im Fall der Rückkehr des Berufungswerbers aussichtslose Situation im Nordirak, weil den vorliegenden Berichten keine Anzeichen dafür zu entnehmen sind, dass eine irakische Invasion im Nordirak unmittelbar bevorsteht, weshalb Aktualität und Maßgeblichkeit einer solchen Gefährdung zu verneinen sind."

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

Vorweg ist festzuhalten, dass der Verwaltungsgerichtshof den angefochtenen Bescheid anhand der Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt seiner Erlassung zu überprüfen hat (vgl. in diesem Zusammenhang zuletzt etwa das Erkenntnis vom 26. November 2003, Zl. 2000/20/0258, mwN).

Der Verwaltungsgerichtshof vertritt in zahlreichen Erkenntnissen in Bezug auf die hier maßgeblichen Umstände zur Zeit der Erlassung des angefochtenen Bescheides die Auffassung, den einem irakischen Staatsbürger wegen illegaler Ausreise und Asylantragstellung im Ausland drohenden Sanktionen könne gerade unter den besonderen politischen Verhältnissen im Irak Asylrelevanz zukommen (vgl. die im Erkenntnis vom 22. Mai 2003, Zl. 2001/20/0268, und im Erkenntnis vom 21. März 2002, Zl. 99/20/0401, referierte Rechtsprechung). Im angefochtenen Bescheid spricht die belangte Behörde selbst von der nach den von ihr herangezogenen Länderberichten bestehenden Gefahr der Bestrafung illegal aus dem Irak Ausgereister und in diesem Zusammenhang auch von unverhältnismäßig harten Strafen bis hin zur Todesstrafe.

Die belangte Behörde hat aber eine dem Beschwerdeführer aus diesem Grund drohende Verfolgungsgefahr verneint und dies damit begründet, dass der Beschwerdeführer aus dem Nordirak stamme und bei Personen, die in die von der KDP und PUK beherrschten Gebiete im Nordirak zurückkehrten, nicht mit Repressionen seitens der irakischen Zentralregierung "allein wegen eines längeren Auslandsaufenthaltes oder Asylantragstellung" zu rechnen sei, weil das irakische Regime im Nordirak keine Gebietsgewalt habe. An anderer Stelle im angefochtenen Bescheid heißt es, dass "das Risiko für solche Kurden (die aus dem Nordirak stammen), wegen illegaler Ausreise oder langjährigem Auslandsaufenthalt bestraft zu werden, gering ist, weil der Zentralirak keine oder nur auf Agententätigkeit eingeschränkte Handlungsmacht im Nordirak hat". Eine maßgebliche Wahrscheinlichkeit für eine Verfolgung des Beschwerdeführers wegen dieser Umstände sei im Nordirak nicht gegeben, "zumal nicht hervorgekommen ist, dass der Zentralirak ein besonderes Interesse am Berufungswerber hätte".

Die belangte Behörde stützte ihre Entscheidung daher in Bezug auf die in Rede stehende Verfolgungsgefahr wegen illegaler Ausreise und Asylantragstellung im Wesentlichen auf die Rechtsansicht, der Beschwerdeführer könne in einer "De-facto-Schutzzone" nördlich des 36. Breitengrades, somit (bloß) in einem Teil des irakischen Staatsgebietes, Schutz finden.

Selbst wenn man davon ausginge, dass die irakischen Behörden am Beschwerdeführer nicht ausreichend interessiert gewesen wären, um ihm unter den hier noch zugrunde zu legenden Verhältnissen im Nordirak nachzustellen, so käme es für eine Verneinung einer maßgeblichen Gefährdung des Beschwerdeführers auch darauf an, durch welche rechtlichen oder tatsächlichen Umstände der irakische Staat nach Ansicht der belangten Behörde daran gehindert gewesen wäre, sich jederzeit und ohne Vorankündigung wieder die volle Gebietsgewalt über die zeitweise "autonomen" Teile seines Territoriums im Nordirak zu verschaffen, oder ob der belangten Behörde Informationen darüber vorlagen, dass die irakische Führung dies in absehbarer Zukunft nicht vorhatte (vgl. dazu die Erkenntnisse vom 21. März 2002, Zl. 99/20/0401, vom 21. November 2002, Zl. 2000/20/0185, und vom 22. Mai 2003, Zl. 2001/20/0268).

Die belangte Behörde hat im angefochtenen Bescheid einerseits ausgeführt, den vorliegenden Berichten seien "keine Anzeichen" dafür zu entnehmen, dass eine irakische Invasion im Nordirak "unmittelbar" bevorstehe, sie hat andererseits aber selbst aufgrund von Berichten festgestellt, dass die irakische Regierung einen Teil ihres Einflusses im Nordirak habe zurückgewinnen können; in bestimmten Teilen des Nordirak werde auch eine verstärkte Geheimdienstaktivität beobachtet (vgl. Seite 8 des angefochtenen Bescheides). In einem der von der belangten Behörde im angefochtenen Bescheid in diesem Zusammenhang zitierten Berichte wird etwa auch ausgeführt, es könne ein erneutes militärisches Vorgehen Bagdads gegen die Kurdenparteien im Nordirak nicht ausgeschlossen werden; die politische Lage im Irak sei durch "unsichere Zukunftsaussichten" gekennzeichnet (Bericht des deutschen Auswärtigen Amtes über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak vom 15. Februar 2001). Das Fehlen von "Anzeichen" dafür, dass eine irakische Invasion im Nordirak "unmittelbar" bevorstehe, ist kein Ersatz für Feststellungen darüber, wodurch die Bagdader Zentralregierung unter den im entscheidungsrelevanten Zeitpunkt gegebenen Verhältnissen faktisch oder rechtlich daran gehindert gewesen sei, dies jederzeit ohne Vorankündigung zu tun, oder darüber, dass die Regierung diese Gebiete zumindest für die nähere Zukunft aufgegeben hatte, sodass von einer gewissen Nachhaltigkeit des Bestandes dieser sogenannten "Schutzzone" auszugehen gewesen wäre. Eine Gefährdung des Beschwerdeführers bei Abschiebung in dieses Gebiet konnte auf Grundlage der von der belangten Behörde getroffenen Feststellungen daher nicht verneint werden.

Indem die belangte Behörde dagegen angenommen hat, das Fehlen einer Verfolgungsgefahr wegen illegaler Ausreise und Asylantragstellung könne schon daraus abgeleitet werden, dass eine irakische Invasion im Nordirak nicht "unmittelbar" bevorstehe, hat sie dem angefochtenen Bescheid eine unrichtige rechtliche Beurteilung zugrunde gelegt.

Da der angefochtene Bescheid schon aus diesem Grund gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben ist, war auf die in der vorliegenden Beschwerde in den Vordergrund gerückten Beschwerdegründe im Hinblick auf eine Verfolgung des Beschwerdeführers wegen der jüdischen Abstammung seiner Gattin nicht mehr einzugehen.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003, BGBl. II Nr. 333.

Wien, am 29. Jänner 2004

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2004:2001200673.X00

Im RIS seit

03.03.2004
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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