TE Vwgh Erkenntnis 2004/1/29 2000/20/0325

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Veröffentlicht am 29.01.2004
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Index

41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

AsylG 1997 §6 Z3;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Giendl und die Hofräte Dr. Nowakowski und Dr. Sulzbacher als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Trefil, über die Beschwerde des M, geboren 1959, vertreten durch Dr. Gerhard O. Mory, Rechtsanwalt in 5020 Salzburg, Wolf-Dietrich-Straße 19, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 2. August 2000, Zl. 217.896/0-IX/27/00, betreffend § 6 Z 3 AsylG (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein armenischer Christ und iranischer Staatsangehöriger, stellte am 22. Juni 1999 einen Asylantrag. Zu seinen Fluchtgründen gab er bei der Vernehmung vor dem Bundesasylamt am 3. August 1999 an, er sei Maler und eine "offiziell" genehmigte Ausstellung seiner Bilder in einer Galerie in Teheran sei am 3. Juni 1999 eröffnet worden. Nach etwa zweieinhalb Stunden seien "zivile Polizisten" gekommen, die an jenen Bildern, auf denen Kirchen dargestellt gewesen seien, Anstoß genommen hätten, weil sie "gegen das Gesetz" seien. Die Bilder seien beschlagnahmt, der Beschwerdeführer sei festgenommen und auf einer (näher bezeichneten und beschriebenen) Polizeistation inhaftiert worden. Beim Verhör sei dem Beschwerdeführer vorgeworfen worden, für seinen (christlichen) Glauben zu werben, was im Iran verboten sei. Der Beschwerdeführer sei am 5. Juni 1999 enthaftet worden, nachdem sein Schwiegervater durch Hinterlegung der "Besitzurkunde" seines Hauses eine Kaution gestellt habe. Der Beschwerdeführer habe "für den 15. Juni 1999" einen Gerichtstermin gehabt. Auf die Frage, woher er von diesem Termin gewusst habe, antwortete der Beschwerdeführer, das sei ihm und seinem Schwiegervater bei der Kautionshinterlegung mitgeteilt worden. Er habe Teheran aber schon am 9. Juni 1999 (an anderer Stelle: am 10. Juni 1999) verlassen und sei - auf dem Landweg über die Türkei - gemeinsam mit seiner Ehefrau mit Hilfe eines Schleppers geflüchtet, weil er Angst vor einem Gefängnisaufenthalt gehabt habe. Bei einer Rückkehr in den Iran komme er ins Gefängnis; einerseits weil er "weggelaufen" sei und andererseits "wegen der Ausstellung". Der Beschwerdeführer und seine Frau seien am 22. Juni 1999 nach Österreich gekommen; sie hätten die Absicht, in die USA auszuwandern. Mit Schreiben vom 4. Februar 2000 erklärte der Beschwerdeführer, dass er den Asylantrag zurückziehe, weil er beim "US-Konsulat" einen Auswanderungsantrag gestellt habe.

Mit Schreiben vom 10. Mai 2000 beantragten der Beschwerdeführer und seine Frau neuerlich Asyl, weil sie "von der amerikanischen Botschaft negativ entschieden wurden". Bei der Vernehmung vor dem Bundesasylamt am 21. Juni 2000 verwies der Beschwerdeführer auf die im ersten Verfahren vorgebrachten Fluchtgründe. Nur die Angaben zum Fluchtweg seien nicht richtig gewesen. Tatsächlich sei der Beschwerdeführer nämlich am 22. Juni 1999 mit einem vom Schlepper besorgten griechischen Visum unter Verwendung des eigenen Reisepasses (gemeinsam mit seiner Frau) von Teheran nach Frankfurt geflogen. Von dort seien sie nach Österreich weitergereist, weil ein Auswanderungsantrag in die USA nach den ihnen erteilten Informationen nur in Wien gestellt werden könne. Dass der Beschwerdeführer ursprünglich einen anderen Reiseweg geschildert habe, rechtfertigte er auf entsprechenden Vorhalt damit, "weil alle anderen Asylwerber uns dies in Traiskirchen empfohlen haben."

Diesen Asylantrag wies das Bundesasylamt mit Bescheid vom 27. Juni 2000 im Spruchpunkt I. gemäß § 6 Z 3 AsylG als offensichtlich unbegründet ab und stellte im Spruchpunkt II. gemäß § 8 AsylG fest, die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers in den Iran sei zulässig.

Die gegen beide Spruchpunkte dieses Bescheides erhobene Berufung wurde nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 31. Juli 2000 mit Bescheid der belangten Behörde vom 2. August 2000 - allerdings nur soweit sie den Asylteil betrifft - "gemäß § 6 Z 3 AsylG" abgewiesen. Über die Berufung, soweit sie sich gegen die Nichtgewährung von Abschiebungsschutz richtet, erging ein gesonderter Bescheid der belangten Behörde, der am 18. August 2000 ausgefertigt und dem Beschwerdeführer am 24. August 2000 zugestellt wurde.

Den erstangeführten, mit der vorliegenden Beschwerde angefochtenen Bescheid begründete die belangte Behörde nach zusammenfassender Wiedergabe des bisherigen Verfahrensganges und Darstellung der Rechtslage wie folgt:

"Dem Bundesasylamt kann nicht entgegen getreten werden, wenn es das Vorbringen des Berufungswerbers zu seinen Fluchtgründen als offensichtlich nicht den Tatsachen (§ 6 Z 3 AsylG) entsprechend qualifiziert:

Hatte er bei seiner Einvernahme beim Bundesasylamt am 3.8.1999 angegeben, dass ihm und seinem Schwiegervater bei der Kautionshinterlegung mitgeteilt worden sei, dass er am 15.6.1999 eine Gerichtsverhandlung haben werde, dass er an dieser aber nicht habe teilnehmen können, da er bereits am 10.6.1999 aus dem Iran geflüchtet sei, gab er am 21.6.2000 beim Bundesasylamt an, am 22.6.1999 mit einem griechischen Schengenvisum nach Frankfurt geflogen zu sein. Bei der Berufungsverhandlung zu diesem Widerspruch befragt, gab der Berufungswerber an, es sei nicht fix gewesen, dass dieser Termin am 15.6.1999 stattfinden würde, er hätte dies nur angenommen, da man ihm vor seiner Freilassung mitgeteilt habe, dass die Ladung in zehn Tagen kommen werde.

Durch dieses Vorbringen gelingt es dem Berufungswerber nicht, den Widerspruch aufzuklären:

Zum einen ist darauf hinzuweisen, dass er die Richtigkeit der Angaben, die er beim Bundesasylamt am 3.8.1999 gemacht hat, durch seine Unterschrift bestätigt hat. Seinem Einwand, dass ihm das Protokoll seiner niederschriftlichen Einvernahme am 3.8.1999 nicht zur Gänze rückübersetzt worden sei, ist entgegenzuhalten, dass in der Berufung Derartiges nicht gerügt wird.

Zum anderen ist auch aufgrund des Umstandes, dass die Ehefrau des Berufungswerbers in der Berufungsverhandlung vom 15. Juni 1999 als dem Termin der Gerichtsverhandlung und nicht von einem zehntägigen Zeitraum, nach dem der Berufungswerber eine Ladung erhalten werde, gesprochen hat, eindeutig davon auszugehen, dass die in der Berufungsverhandlung erfolgte Modifikation des Sachvorbringens des Berufungswerbers einzig und allein den Zweck hatte, den sich aus der - durch die Aufdeckung seines tatsächlichen Reiseweges erfolgten - "Verschiebung" seines Ausreisetages gegenüber seinem ursprünglichen Vorbringen um fast zwei Wochen ergebenden Widerspruch zu seinem Vorbringen, er habe an der Gerichtsverhandlung deswegen nicht teilgenommen, da er zu diesem Zeitpunkt den Iran bereits verlassen hatte, auszuräumen.

Schließlich ergibt sich auch daraus, dass der Berufungswerber das Datum des Tages seiner angeblichen Festnahme nur nach gregorianischer, nicht aber nach persischer Zeitrechnung angeben konnte, - obwohl es sich dabei doch um den Eröffnungstag seiner Bilderausstellung gehandelt haben soll, für die er sich bei (der) iranischen Kulturbehörde eine Bewilligung geholt haben will, - dass auch das Vorbringen des Berufungswerbers zu seinen Fluchtgründen - dass seine ursprünglichen Angaben zu seinem Fluchtweg unrichtig waren, hat der Berufungswerber bereits eingeräumt - unzweifelhaft eine konstruierte Geschichte ist. Vor dem Hintergrund der Gesamtumstände des Falles ist vielmehr davon auszugehen, dass der Berufungswerber ausschließlich zur Stellung eines Einwanderungsantrages in die Vereinigten Staaten nach Österreich eingereist (ist).

Es hat sich im Verfahren auch kein sonstiger Hinweis ergeben, dass der Berufungswerber im Iran Verfolgung ausgesetzt wäre.

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden."

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

§ 6 Z 3 AsylG lautet:

"Offensichtlich unbegründete Asylanträge

§ 6. Asylanträge gemäß § 3 sind als offensichtlich unbegründet abzuweisen, wenn sie eindeutig jeder Grundlage entbehren. Dies ist der Fall, wenn ohne sonstigen Hinweis auf Verfolgungsgefahr im Herkunftsstaat

...

3. das Vorbringen der Asylwerber zu einer Bedrohungssituation offensichtlich den Tatsachen nicht entspricht oder

..."

Diese Bestimmung ist dahin zu verstehen, dass nur Fälle qualifizierter (offensichtlicher) Unglaubwürdigkeit erfasst werden und eine schlichte Tatsachenwidrigkeit des Vorbringens die Abweisung eines Asylantrages als offensichtlich unbegründet im Sinne dieser Gesetzesstelle nicht rechtfertigen kann. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes müssen Umstände vorliegen, die besonders deutlich die Unrichtigkeit der erstatteten Angaben vor Augen führen. Es muss "unmittelbar einsichtig" ("eindeutig", "offensichtlich") sein, dass die Schilderung des Asylwerbers wahrheitswidrig ist. Dieses Urteil muss sich "quasi aufdrängen", die dazu führenden Gesichtspunkte müssen "klar auf der Hand liegen" (siehe dazu näher das Erkenntnis vom 21. August 2001, Zl. 2000/01/0214, und die daran anschließende Rechtsprechung, etwa das Erkenntnis vom 24. April 2003, Zl. 2000/20/0326).

Zunächst ist klarzustellen, dass dem angefochtenen Bescheid nicht zu entnehmen ist, die belangte Behörde habe die im erstinstanzlichen Bescheid enthaltenen beweiswürdigenden Argumente übernommen und (durch eine entsprechende Verweisung) zum Inhalt des Berufungsbescheides gemacht, sodass es einer Auseinandersetzung mit der Begründung des Erstbescheides und den diesbezüglichen Beschwerdeausführungen nicht bedarf. Die Beweiswürdigung der belangten Behörde beschränkt sich vielmehr auf die oben wörtlich wiedergegebenen Erwägungen, die jedoch am Maßstab der zitierten Erkenntnisse nicht geeignet sind, die offensichtliche Tatsachenwidrigkeit des gesamten Vorbringens des Beschwerdeführers schlüssig darzutun:

Der belangten Behörde ist zwar zuzugestehen, dass die Entwicklung des Vorbringens des Beschwerdeführers auch dahin gewürdigt werden kann, er habe die Schilderung seiner Fluchtgründe, soweit es den angeblich bei der Entlassung mitgeteilten Gerichtstermin betrifft, "eindeutig" an die geänderte Darstellung zum Fluchtweg und den sich daraus ergebenden späteren Ausreisetag angepasst. Im Sinne der Beschwerdeausführungen ist aber schon an dieser Stelle anzumerken, dass sich die belangte Behörde bei dieser unter dem Offensichtlichkeitsmaßstab vorgenommenen Beurteilung der Abweichungen in den Angaben des Beschwerdeführers zu dem angekündigten Gerichtstermin auch mit der Möglichkeit von Unschärfen bei der Formulierung, Übersetzung und/oder Protokollierung hätte auseinander setzen müssen. Abgesehen von dem unter dem Blickwinkel der "Offensichtlichkeit" nicht nachvollziehbaren Argument, der Beschwerdeführer habe den Termin seiner Ausstellungseröffnung und Verhaftung nur nach der gregorianischen und nicht nach der persischen Zeitrechnung angeben können, hat die belangte Behörde nicht den Versuch unternommen, die übrigen Angaben des Beschwerdeführers zu seinen Fluchtgründen - insbesondere zu den Vorgängen im Zusammenhang mit seiner Ausstellung, zu seiner Inhaftierung, zu dem Vorwurf der unzulässigen "Werbung" für den christlichen Glauben und zu der Entlassung gegen Kaution - einer (dem Offensichtlichkeitskalkül gerecht werdenden) Beweiswürdigung zu unterziehen. Die belangte Behörde bleibt eine schlüssige Begründung dafür schuldig, weshalb diese Angaben vor dem Hintergrund der politischen Verhältnisse im Iran eindeutig jeder Grundlage entbehren sollen. Allein aus dem Umstand, dass es dem Beschwerdeführer nach Ansicht der belangten Behörde nicht gelungen sei, den Widerspruch in seinen Angaben zu dem ihm angeblich mitgeteilten Gerichtstermin aufzuklären, lässt sich aber jedenfalls nicht ohne Weiteres auf die offensichtliche Wahrheitswidrigkeit der gesamten Angaben des Beschwerdeführers schließen. Liegt aber die eindeutige Tatsachenwidrigkeit der "Vorgeschichte" und der Enthaftung des Beschwerdeführers gegen Kaution nicht auf der Hand, reicht im Übrigen auch der von der belangten Behörde gesehene Widerspruch in den Angaben des Beschwerdeführers zum Gerichtstermin nicht aus, um mit der erforderlichen Eindeutigkeit annehmen zu können, der Beschwerdeführer hätte wegen der ihm von den iranischen Behörden unterstellten "Werbung" für den christlichen Glauben überhaupt kein Gerichtsverfahren zu erwarten gehabt und ihm drohten wegen seiner Flucht ins Ausland bei einer Rückkehr keine asylrelevanten Folgen.

Auf die wechselnden Angaben zum Fluchtweg lässt sich die qualifizierte Unglaubwürdigkeit der Fluchtgründe aber schon deshalb nicht stützen, weil sich die belangte Behörde mit dem Einwand des Beschwerdeführers, die ersten Angaben seien nur auf Anraten anderer Asylwerber erfolgt, nicht auseinandergesetzt hat (vgl. das schon erwähnte Erkenntnis vom 21. August 2001, Zl. 2000/01/0214) und weil der Fluchtweg mit den Fluchtgründen im vorliegenden Fall in keinem maßgeblichen Zusammenhang steht (vgl. das ebenfalls schon zitierte Erkenntnis vom 24. April 2003, Zl. 2000/20/0326).

Der angefochtene Bescheid enthält somit keine für die Anwendung des § 6 Z 3 AsylG ausreichende Begründung, weshalb er gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben war.

Der Kostenzuspruch gründet sich auf die §§ 47ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003, BGBl. II Nr. 333.

Wien, am 29. Jänner 2004

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2004:2000200325.X00

Im RIS seit

03.03.2004
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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