TE Vwgh Erkenntnis 2004/2/18 2000/08/0208

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Veröffentlicht am 18.02.2004
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Index

001 Verwaltungsrecht allgemein;
40/01 Verwaltungsverfahren;
62 Arbeitsmarktverwaltung;
66/02 Andere Sozialversicherungsgesetze;

Norm

AlVG 1977 §35 Abs1;
AlVG 1977 §38;
AVG §66 Abs4;
VwRallg;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bernard und die Hofräte Dr. Müller, Dr. Sulyok, Dr. Strohmayer und Dr. Köller als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Müller, über die Beschwerde des Mag. Dr. A in W, vertreten durch Dr. Walter Riedl, Dr. Peter Ringhofer, Dr. Martin Riedl und Dr. Georg Riedl, Rechtsanwälte in 1010 Wien, Franz-Josefs-Kai 5, gegen den auf Grund eines Beschlusses des Ausschusses für Leistungsangelegenheiten ausgefertigten Bescheid der Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Wien vom 24. Oktober 2000, Zl. LGSW/Abt. 10- AlV/1218/56/2000-4794, betreffend Notstandshilfe, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund (Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit) hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.172,88 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer bezieht seit 13. Oktober 1994 Geldleistungen aus der Arbeitslosenversicherung, zuletzt seit 1. Jänner 2000 Notstandshilfe vom Arbeitsmarktservice Tulln. Er beantragte nach einer Übersiedlung nach Wien mit einem am 26. Juli 2000 ausgegebenen Antragsformular beim AMS Versicherungsdienste Wien für die Bezirke 9 und 17 bis 19 die Gewährung von Notstandshilfe. Nach dem Inhalt des Antragsformulars lebt der Beschwerdeführer mit seiner Ehefrau und seinen drei ehelichen Kindern im gemeinsamen Haushalt und ist für seinen Vater und seine Mutter sorgepflichtig. Die Frage 13 (In meinem Haushalt liegen erhöhte Aufwendungen aus Anlass und Krankheit in der Familie, Schwangerschaft, Todesfall, Rückzahlungsverpflichtungen, Hausstandsgründungen usw. vor. Wenn ja, welcher Art?) beantwortete er mit: "a) behinderter Sohn - Raoul, b) Kreditraten, c) Pension, Versicherungen, d) Eltern-Unterhaltszahlungen".

Dem Antrag legte der Beschwerdeführer Kreditbestätigungen vom 7. August 2000 betreffend Bauspardarlehen bei. Demnach wurde dem Beschwerdeführer und seiner Ehefrau ein Betrag von S 1,500.000,-- für den Verwendungszweck "Bau Wohnhaus" gewährt; Beginn der Tilgung 1. September 1999, monatliche Rate S 9.081,--. Für den Verwendungszweck "Grundkauf" wurden Beträge von S 540.000,-- und S 360.000,-- gewährt, der Beginn der Tilgung ist im ersten Fall mit 1. August 1994, im zweiten Fall mit 1. September 1994 angegeben, die monatliche Rate beträgt S 4.590,-- bzw. S 3.120,--.

Weiters wurde ein Kaufvertrag vom 7. Juli 1994 über den Ankauf einer unbebauten im Bauland liegenden Liegenschaft vorgelegt.

Mit Bescheid vom 5. September 2000 wies die regionale Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice den Antrag auf Gewährung der Notstandshilfe mangels Notlage ab. In der Begründung ist nach Gesetzeszitaten ausgeführt, das anrechenbare Einkommen des Beschwerdeführers übersteige trotz Berücksichtigung der gesetzlichen Freigrenzen den Anspruch auf Notstandshilfe.

Der Beschwerdeführer erhob Berufung. Darin führte er aus, er habe in seinem Antrag auf Gewährung von Notstandshilfe Belastungen durch ein behindertes Kind, einen Grundkauf, Unterhaltsleistungen für die Eltern, den Hausbau und Lebensversicherungen angegeben. In Niederösterreich (gemeint: von der zuständigen regionalen Geschäftsstelle des AMS Niederösterreich in Tulln) seien die Belastungen durch den Grundkauf, die Unterhaltsleistungen für die Eltern sowie durch das behinderte Kind mit Bescheid vom 21. Juni 2000 anerkannt worden. Er begehre daher die Anerkennung der Belastungen zumindest im gleichen Umfang. Ferner ersuche er, auch die Prämien für die Lebensversicherungen sowie die Kreditraten für den Hausbau, der schon mit dem Grundkauf vor fünf Jahren, also zu einer Zeit, als er noch erwerbstätig gewesen sei, geplant worden war, zu berücksichtigen.

Die belangte Behörde nahm mit dem Beschwerdeführer am 11. Oktober 2000 eine Niederschrift auf. Darin führte er, soweit für das Beschwerdeverfahren von Bedeutung, aus:

"Zu dem Grundkauf gebe ich an, dass meine Ehefrau und ich mit dem in Kopie im Versicherungsakt befindlichen Kaufvertrag vom 07.07.1994 ein Grundstück in S, mit der Grundstücksanschrift A...gasse 4 oder 6 - genau kann ich das im Moment nicht angeben - gekauft haben. Den ausgewiesenen Kaufpreis von S 1,5 Mio. haben wir mit einem Wüstenrot-Bauspardarlehen über S 540.000,-- (Tilgungsbeginn 01.08.1994; Rate S 4.590,--) und einem weiteren über S 360.000,-- (Tilgungsbeginn 01.09.1994; Rate S 3.120,--) und einem Barbetrag finanziert. Urkunden davon befinden sich im Versicherungsakt. Das Wüstenrot-Bauspardarlehen in der Höhe von S 1,5 Mio. benötigten wir für den Hausbau; auf dieses sind seit 01.09.1999 monatlich S 9.081,-- zurückzuzahlen. Davon befindet sich ebenfalls eine Kopie im Versicherungsakt. Das Wüstenrot-Bauspardarlehen ist im Juni oder Juli 1999 aufgenommen worden; die Genehmigung laut Schuldschein- und Pfandurkunde, die heute vorgelegt, eingesehen und sofort wieder retourniert wird, stammt vom 27.07.1999. Auf diesem Grundstück wird ein Haus gebaut, das sich derzeit im Rohbau befindet.

Derzeit wohnen meine Familie und ich (das sind meine Ehefrau und die drei Kinder) in Wien, B...straße 1/1/4; meine Ehefrau hatte dort schon länger ihren Hauptwohnsitz, während ich dort meinen Zweitwohnsitz hatte und ich in K, D...straße 41, im Hause meiner Schwiegereltern hauptwohnhaft war; nunmehr habe ich auch in der B...gasse meinen Hauptwohnsitz und es handelt sich dabei um eine Genossenschaftswohnung. Auch die Kinder haben teilweise bei meinen Schwiegereltern gewohnt und haben wir beispielsweise auch im Sommer dort gewohnt, je nachdem, wie es mit den Schwiegereltern vereinbart wurde.

Meine Eltern C und R habe ich in meinem Antrag als haushaltszugehörig angegeben. Meine Eltern leben aber in Indien. Ich unterstütze sie mit S 5.000,-- bis S 6.000,-- im Monat, wobei ich Überweisungen nicht regelmäßig, sondern nach der Verfügbarkeit von Geldmitteln tätige und ich auch Geld persönlich übergebe. Nachweise dafür habe ich heute nicht mit. ...

Insgesamt möchte ich nochmals deponieren, dass meine Aufwendungen (außer der Lebensversicherung) von dem Arbeitsmarktservice Niederösterreich anerkannt wurden und möchte ich, dass diese Aufwendungen und die Lebensversicherung weiterhin anerkannt werden. Früher war ich in Tulln zuständig, nunmehr in Wien. Nach Wien bin ich gekommen, weil es hier eine spezielle Akademikerbetreuung gibt, was in Klosterneuburg nicht der Fall war und weswegen ich in den letzten fünf Jahren auch mit Hilfsarbeiterangeboten konfrontiert wurde; außerdem gab es familiäre Gründe und waren es insgesamt verschiedene Überlegungen, die zu dem Wohnsitzwechsel geführt haben."

Mit dem nunmehr vor dem Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Bescheid gab die belangte Behörde der Berufung keine Folge und bestätigte den bekämpften Bescheid. In der Begründung stellte die belangte Behörde nach Gesetzeszitaten zunächst das Verwaltungsgeschehen dar. Sodann führte sie aus, der Beschwerdeführer habe bis 10. August 2000 Notstandshilfe von S 277,10 täglich bezogen. Auf Grund des Wohnsitzes des Beschwerdeführers in K sei die Zuständigkeit des Arbeitsmarktservice Niederösterreich gegeben gewesen. Nunmehr habe der Beschwerdeführer seinen Wohnsitz in Wien ..., in einer Genossenschaftswohnung, die seiner Familie zumindest seit 1994 (Grundstückskaufvertrag) zur Verfügung stehe. Die mit dem Beschwerdeführer im gemeinsamen Haushalt lebende Ehefrau sei als Lehrerin beschäftigt; sie habe von Mai bis Juli 2000 einschließlich Zulagen im Durchschnitt monatlich netto S 29.282,33 verdient. Im gemeinsamen Haushalt lebten auch die beiden 1987 geborenen Söhne und der 1983 geborene Sohn, für welchen erhöhte Familienbeihilfe bezogen werde.

Die Eltern des Beschwerdeführers lebten in Indien. Er stelle ihnen unregelmäßig, nach Maßgabe vorhandener finanzieller Mittel solche zur Verfügung. Mit Kaufvertrag vom 7. Juli 1994 hätten der Beschwerdeführer und seine Ehefrau ein Grundstück in S gekauft. Den Kaufpreis von S 1,5 Mio. habe er mit einem Bauspardarlehen über S 540.000,-- und einem weiteren über S 360.000,-- sowie einem Barbetrag finanziert. Für das erstgenannte Darlehen seien beginnend mit 1. August 1994 monatlich S 4.590,-- und für das letztgenannte beginnend mit 1. September 1994 monatlich S 3.120,-- zurückzuzahlen. Für ein weiteres Bauspardarlehen aus dem Jahre 1999 über S 1,5 Mio., das zum Hausbau verwendet werde, habe der Beschwerdeführer beginnend mit 1. September 1999 monatlich S 9.081,-- zu leisten.

Der Beschwerdeführer bezahle nach eigener Angabe für eine Er/Ablebensversicherung "unnachgewiesen monatlich S 3.300,--".

Der mögliche Notstandshilfeanspruch betrage "S 428,20, unter Berücksichtigung der Deckelung auf die zuletzt bezogene Höhe von S 277,10".

Der Beschwerdeführer sei bis 30. September 1994 in Beschäftigung gestanden, vom 2. Februar bis 18. Juni 1998, vom 3. Juli bis 30. August 1998 und ab 1. September 1999 sei er geringfügig beschäftigt gewesen. Seit 1. Oktober 2000 gehe er einer vollversicherungspflichtigen Beschäftigung nach.

Im Rahmen der rechtlichen Beurteilung führte die belangte Behörde aus, das Einkommen der Ehefrau des Beschwerdeführers sei auf seinen Anspruch auf Notstandshilfe anzurechnen. Es sei vom Durchschnittseinkommen der Ehefrau des Beschwerdeführers in den Monaten Mai bis Juli 2000 ausgegangen worden.

Die Behinderung seines Sohnes sei nach den geltenden Richtlinien mit S 800,-- berücksichtigt worden.

Die Möglichkeit, Zahlungsverpflichtungen zu berücksichtigen, bestehe nur grundsätzlich. Nicht zu berücksichtigen seien Versicherungszahlungen wie die hier geltend gemachten Zahlungen für eine Er/Ablebensversicherung. Die Notstandshilfe sei darüber hinaus vom Charakter her eine subsidiäre, also nachrangige Leistung, die dazu diene, das Notwendigste abzudecken, wozu finanzielle Lasten im Zusammenhang mit einem Grundstückskauf (eher vermögensbildend) und eines Jahre später begonnenen Hausbaues (bei vorhandener, wählbarer Wohnmöglichkeit) nicht zählten. Dazu gehörten aber auch nicht nach Maßgabe vorhandener Mittel geleistete, unnachgewiesene Unterstützungszahlungen an Eltern.

Für die Berücksichtigung einer Darlehens- bzw. Kreditverpflichtung genüge nicht allein die Verpflichtungsform, sondern es sei auch die Verwendung der Kreditmittel sowie der Zeitpunkt des Eingehens der Verpflichtungen beachtlich. Insgesamt lägen somit nur Belastungen vor, die einer Freigrenzenerhöhung um S 800,-- zugänglich seien. Folgende Berechnung sei anzustellen gewesen:

Monatlicher Durchschnittsverdienst der Ehefrau netto

S

29.282,33

minus Pauschbetrag für Werbungskosten

S

483,--

minus Freigrenze für die Einkommensbezieherin

S

5.816,--

minus Freigrenze für die drei Kinder zu je S 2.930,--

S

8.790,--

minus Freigrenzenerhöhungsbetrag

S

800,--

verbleibt anzurechnender Betrag monatlich

S

13.393,33

ergibt anzurechnenden Betrag täglich

S

439,12

theoretisch mögliche Notstandshilfe täglich

S

428,20.

Diese Berechnung zeige, dass der anzurechnende Betrag höher sei als die überhaupt mögliche Notstandshilfe. Ein Anspruch auf Notstandshilfe bestehe daher nicht.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde mit dem Begehren, ihn kostenpflichtig aufzuheben.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde als unbegründet beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Der Beschwerdeführer macht zunächst geltend, vor seiner Übersiedlung nach Wien sei durch das Arbeitsmarktservice Tulln eine 50 %ige Erhöhung der Freibeträge zuerkannt worden. Insoweit sei keine Änderung eingetreten. Die belangte Behörde hätte daher von dieser Erhöhung der Freibeträge nicht abgehen dürfen.

Mit diesem Vorbringen zeigt der Beschwerdeführer keine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides auf. Bei der Zuerkennung von Notstandshilfe handelt es sich um einen zeitraumbezogenen Abspruch. Die Behörde hat daher die Sach- und Rechtslage ab Antragstellung bis zur Erlassung des Bescheides - gemäß § 66 Abs. 4 AVG bis zur Erlassung des Berufungsbescheides - zu berücksichtigen. Der Abspruch darf aber zufolge des § 35 Abs. 1 AlVG den Zeitraum von 52 Wochen nicht übersteigen. Bei neuerlicher Antragstellung nach Ablauf dieses Zeitraumes ist der Anspruch auf Grund der bestehenden Sach- und Rechtslage neuerlich einer Überprüfung zu unterziehen und zwar ohne Rücksicht auf die vorhergegangenen rechtskräftigen Absprüche. Aus solchen Absprüchen kann daher der Beschwerdeführer entgegen seiner Meinung keine Rechte für einen neuerlichen Antrag ableiten (vgl. etwa die hg. Erkenntnisse vom 31. Mai 2000, 98/08/0280, und vom 7. Juni 2000, 99/03/0470). Im Übrigen ist nicht erkennbar, dass die belangte Behörde die Bestimmungen des § 6 der Notstandshilfeverordnung über die Freigrenzen unrichtig angewendet hätte.

Der Beschwerdeführer macht unter den Gesichtspunkten sowohl einer Rechtswidrigkeit des Inhaltes als auch einer Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend, die belangte Behörde habe zu Unrecht seine Unterhaltsleistungen an seine Eltern sowie seine finanziellen Verpflichtungen im Zusammenhang mit dem Grundstückskauf und dem Hausbau nicht berücksichtigt.

Strittig ist demnach, ob einerseits bei der Anrechnung des Einkommens der Ehefrau des Beschwerdeführers Freigrenzen gemäß § 6 Abs. 2 Notstandshilfeverordnung (i.d.F. BGBl. 329/1995) zu berücksichtigen sind bzw. in welchem Ausmaß dem Beschwerdeführer in Bezug auf die Anrechnung des Einkommens seiner Ehefrau eine Freigrenzenerhöhung gemäß § 36 Abs. 5 AlVG infolge seiner Zahlungen an seine Eltern und seiner Kreditverbindlichkeiten für den Grundstückskauf und den Hausbau zu gewähren war. Eine Erhöhung des - im Sinne des § 36 Abs. 3 lit. b lit. a AlVG in § 6 Abs. 2 bis 4 Notstandshilfeverordnung jeweils nach der Größe der Familie bemessenen - Freibetrages kann nach § 36 Abs. 5 AlVG in berücksichtigungswürdigen Fällen, wie z.B. Krankheit, Schwangerschaft, Niederkunft, Todesfall, Hausstandsgründung udgl. nach Anhörung des Regionalbeirates im Rahmen der vom Arbeitsmarktservice festgelegten Richtlinien erfolgen. Trifft der Regionalbeirat keine einhellige Feststellung, so ist das Landesdirektorium anzuhören. Die in der Folge vom Arbeitsmarktservice Österreich (im Sinne des § 4 Abs. 3 AMSG) erlassene, in der Wiener Zeitung kundgemachte (und bei Dirschmied, AlVG, 3. Auflage, 487 ff, wiedergegebene) Richtlinie zur Freigrenzenerhöhung, die eine Rechtsverordnung ist, bringt in ihrem Abschnitt "I. Allgemeines" zunächst zum Ausdruck, die Berücksichtigungswürdigkeit freigrenzenerhöhender Umstände gestatte keine Ermessensentscheidung. Bei Vorliegen von Berücksichtigungswürdigkeit sei die Freigrenze zu erhöhen, wobei es erst hier im Ermessen des Arbeitsmarktservice liege, in welchem Ausmaß (bis zu dem in der Richtlinie, früher in § 6 Abs. 4 Notstandshilfeverordnung, vorgesehenen Höchstausmaß von 50 %) die Freigrenze erhöht werde. In Abschnitt

"II. Berücksichtigungswürdige Umstände im Sinne des § 36 Abs. 5 AlVG" sind als Umstände, die zur Freigrenzenerhöhung führen können, unter anderem angeführt:

"6.

Unterhaltsverpflichtungen

7.

Darlehen für Hausstandsgründung bzw. Wohnraumbeschaffung; während des Leistungsbezuges bzw. nach Eintritt der letzten Arbeitslosigkeit aufgenommene Darlehen für Hausstandsgründung bzw. Wohnraumbeschaffung können ausnahmsweise und nur dann berücksichtigt werden, wenn die damit getätigten Anschaffungen (im unbedingt notwendigen Umfang) zur Sicherung einer angemessenen Haushaltsführung im bisherigen Umfang erforderlich sind (z.B. Wohnraumsanierung usw.). ...

In den vorgenannten Fällen kann die Freigrenze im nachgewiesenen Ausmaß der Aufwendungen bis zur Maximalgrenze von 50 % erhöht werden."

Abschnitt "III. Entscheidung über die Freigrenzenerhöhung" ermächtigt den Regionalbeirat, die Entscheidung für bestimmte Fallgruppen an die regionale Geschäftsstelle zu delegieren. Dabei werden - soweit für den Beschwerdefall von Bedeutung - folgende Freigrenzenerhöhungen näher geregelt:

              "4.              Darlehen:

Darlehen, die zum Zweck einer Hausstandsgründung bzw. Wohnraumbeschaffung aufgenommen wurden, können zu einer Erhöhung der Freigrenze führen, wenn auch tatsächlich Rückzahlungen geleistet werden. Es können nur Rückzahlungsverpflichtungen berücksichtigt werden, die vor dem Eintritt der Arbeitslosigkeit entstanden sind. Die tatsächlichen Zahlungen können grundsätzlich zur Hälfte durch eine Freigrenzenerhöhung abgedeckt werden. Aufwendungen, die für Zweitwohnsitze getätigt werden, finden keine Berücksichtigung.

...

5.

Unterhaltsverpflichtungen:

6.

Bei geleisteten Zahlungen auf Grund bestehender Unterhaltsverpflichtungen ist lediglich der den Zusatzbetrag übersteigende Teil bei der Freigrenzenerhöhung zu berücksichtigen.

              7.              Über die unter III. genannten Pauschalsätze hinausgehende Freigrenzenerhöhungen bedürfen jedenfalls der Zustimmung des Regionalbeirates."

Zu den Unterhaltsleistungen des Beschwerdeführers an seine Eltern:

Dafür, dass bei der Anrechnung des Einkommens der Ehefrau des Beschwerdeführers Freigrenzen gemäß § 6 Abs. 2 Notstandshilfeverordnung für die Eltern des Beschwerdeführers zu berücksichtigen sind, ist maßgeblich, ob die Ehefrau des Beschwerdeführers zum "Unterhalt" der Eltern des Beschwerdeführers "auf Grund einer rechtlichen oder sittlichen Pflicht tatsächlich wesentlich beiträgt". Die Wortfolge "rechtliche Pflicht" verweist auf das Unterhaltsrecht. Die zu einer Erhöhung der Freigrenze führenden Unterhaltsverpflichtungen im Sinne des Abschnittes II.6. der Freigrenzenerhöhungsrichtlinie können dem gegenüber sowohl den Arbeitslosen selbst als auch den einkommenbeziehenden Ehepartner betreffen. Jedenfalls muss eine gesetzliche Unterhaltsverpflichtung bestehen. Die belangte Behörde hat dazu lediglich ausgeführt, "die nach Maßgabe vorhandener Mittel geleisteten, unnachgewiesenen Unterstützungszahlungen an Eltern" könnten weder bei der Anrechnung des Einkommens des Ehepartners noch bei der Freigrenzenerhöhung berücksichtigt werden. Damit hat sich die belangte Behörde aber weder mit dem Vorliegen einer gesetzlichen Unterhaltspflicht des Beschwerdeführers bzw. seiner Ehefrau noch mit den behaupteten tatsächlichen Zahlungen auseinander gesetzt (vgl. hiezu das ebenfalls den Beschwerdeführer betreffende Erkenntnis vom 24. Jänner 2001, 97/08/0610).

Da die belangte Behörde die für die Prüfung dieser Voraussetzungen erforderlichen Tatsachenfeststellungen nicht getroffen hat, belastete sie ihren Bescheid mit Rechtswidrigkeit seines Inhaltes.

Darlehen zum Zwecke der Wohnraumbeschaffung:

Die belangte Behörde beurteilte den Grundstückskauf als "vermögensbildend". Die Belastungen durch den Hausbau könnten nach dem Bescheid auf Grund vorhandener wählbarer Wohnmöglichkeit zu keiner Freigrenzenerhöhung führen.

Nach den oben wiedergegebenen Grundsätzen der Freigrenzenerhöhungsrichtlinie sind sowohl Rückzahlungsverpflichtungen zu berücksichtigen, die vor dem Eintritt der Arbeitslosigkeit entstanden sind (Abschnitt III Pkt. 4.), als auch - wenn auch ausnahmsweise - solche für Darlehen, die nach Eintritt der letzten Arbeitslosigkeit aufgenommen worden sind (Abschnitt II Pkt. 7). Ob die vom Beschwerdeführer aufgenommenen Bauspardarlehen der Wohnraumbeschaffung für seine Familie auf Grund deren Größe und der besonderen Umstände dienen oder ob es sich um die Schaffung eines Zweitwohnsitzes handelt, kann auf Grund der Feststellungen im angefochtenen Bescheid nicht beurteilt werden. Es fehlen Feststellungen sowohl über die Wohnverhältnisse des Beschwerdeführers und seiner Familie als auch über einen allenfalls darüber hinausgehenden - durch die Behinderung eines Familienmitgliedes verursachten - Wohnbedarf.

Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG i. V.m. der Verordnung BGBl. II Nr. 333/2003. Die Umrechnung der entrichteten Gebühr nach § 24 Abs. 3 VwGG beruht auf § 3 Abs. 2 Z. 2 Eurogesetz, BGBl. I Nr. 72/2000.

Wien, am 18. Februar 2004

Schlagworte

Anzuwendendes Recht Maßgebende Rechtslage VwRallg2 Maßgebende Rechtslage maßgebender Sachverhalt Beachtung einer Änderung der Rechtslage sowie neuer Tatsachen und Beweise

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2004:2000080208.X00

Im RIS seit

01.04.2004
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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