TE Vwgh Erkenntnis 2004/2/19 2001/20/0614

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Veröffentlicht am 19.02.2004
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof;
40/01 Verwaltungsverfahren;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;
49/01 Flüchtlinge;

Norm

AsylG 1997 §7;
AVG §37;
EGVG 1991 Anlage Art2 Abs2 Z43a;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Giendl und die Hofräte Dr. Nowakowski und Dr. Grünstäudl als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Trefil, über die Beschwerde des S (auch: A), geboren 1947, vertreten durch Mag. Georg Bürstmayr, Rechtsanwalt in 1090 Wien, Hahngasse 25, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 28. Juni 2001, Zl. 222.448/0-IV/10/01, betreffend §§ 7 und 8 AsylG (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger von Afghanistan, begründete seinen Asylantrag vor dem Bundesasylamt am 24. April 2001 mit der ihm in seinem Heimatstaat drohenden Verfolgungsgefahr wegen der Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Hazara. Angehörige dieser Volksgruppe würden in Afghanistan von den Taliban schon alleine wegen der Abstammung und der Religion verfolgt und ermordet, unabhängig davon, ob sie gegen die Taliban gekämpft hätten. Auch der Bruder des Beschwerdeführers sei deshalb ermordet worden. Im Übrigen besäßen die Taliban Unterlagen, aus denen ersichtlich sei, dass der Beschwerdeführer die Hezb-e Wahdat in verschiedenen Formen unterstützt habe. Der Beschwerdeführer habe sich deswegen in den Jahren 1999 und 2000 nur noch selten zu Hause aufgehalten und sei tagsüber in den Bergen gewesen. Als er eines Nachts nach Hause gekommen sei, habe ihm seine Ehefrau mitgeteilt, dass die Taliban das Haus durchsucht und sie ausgepeitscht hätten. Dabei hätten die Taliban auch zwei Waffen und Munition gefunden und wissen wollen, wo sich der Beschwerdeführer aufhalte. Bei seiner letzten Rückkehr habe der Beschwerdeführer beobachtet, wie die Taliban sein Haus umstellt hätten. Das habe ihn zur sofortigen Flucht veranlasst.

Mit Bescheid vom 30. April 2001 wies das Bundesasylamt den Asylantrag des Beschwerdeführers gemäß § 7 AsylG ab und stellte gemäß § 8 AsylG fest, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Afghanistan zulässig sei. In der Begründung sprach die Erstbehörde den Angaben des Beschwerdeführers, was das "Vorbringen zum Fluchtgrund" betrifft, die Glaubwürdigkeit zur Gänze ab. Feststellungen zur allgemeinen Lage in Afghanistan oder zur behaupteten Verfolgungsgefahr von Angehörigen der Hazara finden sich in diesem Bescheid nicht.

Dagegen erhob der Beschwerdeführer Berufung und wies darauf hin, dass die Erstbehörde in ihrem Bescheid zumindest von seiner Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Hazara ausgehe. Der Beschwerdeführer verwies auf ein im Auftrag der belangten Behörde erstelltes Gutachten über die Verfolgung der Hazara durch die Taliban und zitierte einen Bericht von UNHCR vom Jänner 2001. Demnach würden männliche Hazara im wehrtauglichen Alter unter dem Vorwand vermeintlicher Unterstützung der oppositionellen Hezb-e Wahdat von den Taliban willkürlich verhaftet.

Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung unter Abstandnahme von der Durchführung einer Berufungsverhandlung als unbegründet ab. In der Begründung dieses Bescheides bezeichnete sie die wörtlich wiedergegebene Berufung als "inhaltsleer", weshalb die Sache "sofort spruchreif" gewesen sei. Die Berufung stelle "die (ausführlichen) Feststellungen der Behörde erster Instanz zur allgemeinen Lage in Afghanistan nicht in Frage". Da das Bundesasylamt seine Tatsachenfeststellungen "auf Grund neuester Dokumentation" getroffen habe und hiebei "alle verfügbaren Dokumentationen" zu Grunde gelegt habe, seien weitere amtswegige Erhebungen "nicht in Betracht zu ziehen". Die Berufungsbehörde schließe sich daher der Begründung des Erstbescheides in Bezug auf die dortigen Tatsachenfeststellungen, Würdigungen und die rechtliche Begründung an.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Senat erwogen hat:

1. Was die Frage der Rechtzeitigkeit der vorliegenden, am 15. Oktober 2001 zur Post gegebenen Beschwerde betrifft, so hat der Beschwerdeführer in seinem an den Verwaltungsgerichtshof gerichteten (am 16. August 2001 zur Post gegebenen) Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe (allerdings nur hinsichtlich der Gebühr nach § 24 Abs. 3 VwGG) darauf hingewiesen, dass die Hinterlegung des angefochtenen Bescheides gemäß § 8 iVm § 23 Zustellgesetz am 5. Juli 2001 bei der belangten Behörde nicht rechtswirksam gewesen sei. Entgegen der Ansicht der belangten Behörde habe der Beschwerdeführer seine Abgabestelle nicht geändert, sondern sei zum letztgenannten Zeitpunkt weiterhin an der der Behörde bekannten Zustelladresse bei der Betreuungsstelle Traiskirchen wohnhaft gewesen. An der Richtigkeit dieses Vorbringens bestehen beim Verwaltungsgerichtshof schon deshalb keine Zweifel, weil auch die belangte Behörde in einem aktenkundigen Vermerk auf einem Steckzettel festgehalten hat, dass der Beschwerdeführer (erst) "am 13.10.01 von Betreuungsstelle entlassen" worden sei. Weitere Zustellversuche bezüglich des angefochtenen (gegenüber der Erstbehörde allerdings rechtswirksam erlassenen) Bescheides an den Beschwerdeführer bis zum Zeitpunkt der Postaufgabe der vorliegenden Beschwerde finden sich im Verwaltungsakt nicht. Die vorliegende, auch sonst mängelfreie Beschwerde erweist sich somit als zulässig (vgl. dazu auch Walter-Mayer, Bundesverfassungsrecht, 9. Aufl., Rz 977 und die dort wiedergegebene hg. Judikatur zur Erhebung einer Beschwerde vor der Zustellung des angefochtenen Bescheides).

2. In der Sache ist festzuhalten, dass der Verwaltungsgerichtshof den angefochtenen Bescheid anhand der Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt seiner Erlassung zu überprüfen hat (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 26. November 2003, Zl. 2001/20/0659).

Indem die belangte Behörde auf die Begründung des Erstbescheides verwiesen hat, ist sie mit dem Bundesasylamt von der Richtigkeit der Angaben des Beschwerdeführers zumindest in Bezug auf dessen Volkszugehörigkeit ausgegangen. Die Beurteilung der vom Beschwerdeführer behaupteten Verfolgungsgefahr erforderte daher Feststellungen über das Vorgehen der Taliban gegen die Volksgruppe der Hazara (vgl. auch in diesem Zusammenhang das bereits zitierte Erkenntnis Zl. 2001/20/0659). Die Begründung des angefochtenen Bescheides, solche Feststellungen fänden sich bereits im Erstbescheid, ist allerdings aktenwidrig. Vor diesem Hintergrund wäre es Aufgabe der belangten Behörde gewesen, nach durchgeführter Berufungsverhandlung entsprechende Sachverhaltsfeststellungen selbst zu treffen.

Da die belangte Behörde dies unterließ, hat sie den angefochtenen Bescheid mit einem wesentlichen Verfahrensmangel belastet, sodass dieser gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG wegen Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben war.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003.

Wien, am 19. Februar 2004

Schlagworte

Besondere Rechtsgebiete Sachverhalt Sachverhaltsfeststellung Verfahrensmangel

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2004:2001200614.X00

Im RIS seit

16.03.2004
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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