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41/01 Sicherheitsrecht;Norm
SPG 1991 §65 Abs1 idF 2002/I/104;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Gruber und die Hofräte Dr. Blaschek, Dr. Nowakowski, Dr. Pelant und Dr. Kleiser als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Stieger, über die Beschwerde des W in G, vertreten durch Dr. Franz Hitzenberger, Dr. Otto Urban, Mag. Andreas Meissner und Mag. Thomas Laherstorfer, Rechtsanwälte in 4840 Vöcklabruck, Feldgasse 6, gegen den Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Vöcklabruck vom 7. November 2002, Zl. Sich20-13140-2002, betreffend Verpflichtung zur erkennungsdienstlichen Behandlung und Ladung, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.171,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der (in der Begründung als "Präambel" bezeichnete) Vorspruch des Bescheides der Bezirkshauptmannschaft Vöcklabruck vom 7. November 2002 lautet:
"W wurde vom Gendarmeriepostenkommando T am 26.09.2002 unter der Aktenzahl GZ 1379/02-Sta, dem Bezirksanwalt beim Bezirksgericht V zur Strafanzeige gebracht, verdächtig zu sein, am 25.08.2002 um ca. 20.24 Uhr auf der A, etwa auf Höhe der Gemeindegrenze T mit L im Ortsgebiet von P ohne besonderen Grund den aus dem eigenen Kfz ausgestiegenen und auf sein KFZ zukommenden M geschlagen, gewürgt und quer über die Fahrbahn gegen die angrenzende Hecke gestoßen zu haben. Als M danach seine Freundin, die im KFZ verblieben war, ersuchte, die Gendarmerie zu verständigen, soll W ihn nochmals mit der zur Faust geballten Hand geschlagen haben. M erlitt durch den Angriff Prellungen, Würgemale am Hals sowie Hautabschürfungen und suchte das LKH V auf. W ist daher des Vergehens nach § 83 StGB verdächtig.
Die Bezirkshauptmannschaft Vöcklabruck wurde auf Grund dieser Strafanzeige ersucht, W die Verpflichtung zur erkennungsdienstlichen Behandlung bescheidmäßig aufzuerlegen."
Mit dem angefochtenen Bescheid sprach die Bezirkshauptmannschaft Vöcklabruck (die belangte Behörde) wie folgt ab:
"I. Herr W, geb. 1973, wh. in G, hat an den zur Ermittlung seiner personenbezogenen Daten erforderlichen Handlungen (erkennungsdienstliche Behandlung) mitzuwirken.
Rechtsgrundlage:
§§ 64, 65 Abs. 1 und Abs. 4 sowie 77 Abs. 2 des Sicherheitspolizeigesetzes (SPG), BGBl. Nr. 566/1991 i.d.g.F. II. Herr W, geb. 1973, wird aufgefordert, binnen 8 Tagen ab Erhalt dieses Schreibens am Gendarmeriepostenkommando T als Beteiligter persönlich zu erscheinen, um die erkennungsdienstliche Behandlung durchführen zu lassen. Im Falle des Nichterscheinens wird eine Zwangsstrafe von 500 Euro verhängt.
Rechtsgrundlage:
§ 77 Abs. 3 SPG i.V.m. § 19 AVG und § 5 Abs. 3 VVG" Begründend führte die belangte Behörde - nach Wiedergabe des Wortlautes der §§ 65 Abs. 1 und 16 Abs. 2 SPG - aus, der Beschwerdeführer stehe "durch die in der Präambel des Bescheides angeführten Tathandlungen" im Verdacht, er habe eine gerichtlich strafbare Handlung gemäß § 83 StGB (Körperverletzung) zum Nachteil des M begangen. Das gesamte Verhalten des Beschwerdeführers, nämlich im Straßenverkehr und seine besonders aggressiven Handlungen gegen den "Zweitbeteiligten" (damit gemeint: M) lasse jedenfalls den Schluss zu, dass er "weitere gefährliche Angriffe begehen könnte". Aus diesem Grund würden die gesetzten Tathandlungen "eindeutig die Voraussetzung für eine erkennungsdienstliche Behandlung darstellen". Die zur Strafanzeige gebrachten Tathandlungen des Beschwerdeführers "stellen für die Sicherheitsbehörde zweifellos die Voraussetzung für eine erkennungsdienstliche Behandlung dar". Es sei daher die erkennungsdienstliche Behandlung angeordnet worden, weil der Beschwerdeführer zuerst formlos und nachweislich "auf die Notwendigkeit hingewiesen wurde". Daran könne die vorgetragene gegenteilige Ansicht der rechtsfreundlichen Vertreter des Beschwerdeführers nichts ändern. Die gleichzeitige Ladung im Bescheid sei angesichts der erhobenen Anzeige an den Bezirksanwalt beim Bezirksgericht Vöcklabruck notwendig und gerechtfertigt, um die erkennungsdienstliche Behandlung auch tatsächlich durchführen zu können.
Über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde, zu der die belangte Behörde eine Gegenschrift erstattete, hat der Verwaltungsgerichtshof erwogen:
Die belangte Behörde hat ihrer Entscheidung - wie die Wiedergabe des Gesetzeswortlautes in der Begründung des angefochtenen Bescheides zeigt - die im Zeitpunkt der Erlassung ihres Bescheides (am 11. November 2002) nicht mehr in Geltung stehende Fassung des § 65 Abs. 1 Sicherheitspolizeigesetz, BGBl. I Nr. 85/2000, zugrunde gelegt. Im Bescheidspruch hat die belangte Behörde die angewendete Fassung des § 65 Abs. 1 Sicherheitspolizeigesetz nicht angeben (vgl. "i.d.g.F.").
Die mit Rücksicht auf den Zeitpunkt der Bescheiderlassung im Beschwerdefall maßgebende Fassung des § 65 Abs. 1 Sicherheitspolizeigesetz (SPG; BGBl. I Nr. 104/2002), die gemäß § 94 Abs. 15 leg. cit. mit 1. Oktober 2002 in Kraft getreten ist, lautet:
"Die Sicherheitsbehörden sind ermächtigt, einen Menschen, der im Verdacht steht, eine mit Strafe bedrohte Handlung begangen zu haben, erkennungsdienstlich zu behandeln, wenn er im Rahmen einer kriminellen Verbindung tätig wurde oder dies sonst auf Grund von Umständen in der Person des Betroffenen oder nach der Art der begangenen mit Strafe bedrohten Handlung zur Vorbeugung gefährlicher Angriffe des Betroffenen erforderlich scheint."
Gemäß § 65 Abs. 5 zweiter Satz SPG ist in den Fällen des Abs. 1 der Betroffene außerdem darauf hinzuweisen, dass die erkennungsdienstliche Behandlung deshalb erfolgte, um der Begehung gefährlicher Angriffe durch sein Wissen um die Möglichkeit seiner Wiedererkennung entgegenzuwirken.
Wie der Verwaltungsgerichtshof zur neuen Fassung des § 65 Abs. 1 SPG wiederholt dargelegt hat (vgl. die hg. Erkenntnisse vom 16. Juli 2003, Zl. 2002/01/0592, und vom 7. Oktober 2003, Zl. 2003/01/0191), kommt es - unter anderem - darauf an, dass die erkennungsdienstliche Behandlung "zur Vorbeugung gefährlicher Angriffe des Betroffenen erforderlich scheint". Die erwähnte Anordnung des § 65 Abs. 5 zweiter Satz SPG blieb unverändert aufrecht. Für die Zulässigkeit einer erkennungsdienstlichen Behandlung nach § 65 Abs. 1 SPG ist erforderlich, dass eine konkrete fallbezogene Prognose getroffen wird, wobei sich die Behörde mit den Einzelheiten des von ihr im Sinne der ersten Voraussetzung des § 65 Abs. 1 SPG angenommenen Verdachtes, mit den daraus unter Bedachtnahme auf die Persönlichkeit des Betroffenen zu ziehenden Schlüssen hinsichtlich der Wahrscheinlichkeit, dass er gefährliche Angriffe begehen werde, und mit der Frage des daraus abzuleitenden Erfordernisses einer "Vorbeugung" durch eine erkennungsdienstliche Behandlung auseinander zu setzen hat. Im Rahmen dieser so anzustellenden Überlegungen wird es immer auch auf die Art des Deliktes, dessen der Betroffene verdächtig ist, ankommen. Der neue Wortlaut des § 65 Abs. 1 SPG stellt dies ausdrücklich klar. Auch die aktuelle Textierung des § 65 SPG verbietet eine rein abstrakte Betrachtungsweise.
Im vorliegenden Fall hat die belangte Behörde nicht nur eine nicht mehr in Geltung stehende Fassung des § 65 Abs. 1 SPG angewendet, sondern sie hat - in Verkennung der Rechtslage - vor allem keine den gesetzlichen Anforderungen genügende konkrete fallbezogene Prognose erstellt. Die in der Begründung des angefochtenen Bescheides dargelegte Ansicht, es sei aufgrund der im Verdachtsbereich zugrunde gelegten Tathandlungen alleine zu folgern, dass der Beschwerdeführer "weitere gefährliche Angriffe begehen könnte", erweist sich als nicht tragfähig und diese Begründung stellt auch keine an den dargestellten Maßstäben orientierte Beurteilung dar (vgl. zur Begründungspflicht der Behörde auch das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 25. November 2003, B 762/03; und zu Fallkonstellationen mit tätlichen Auseinandersetzungen nach § 83 StGB etwa die hg. Erkenntnisse vom 18. Februar 2003, Zl. 2001/01/0473, und vom 16. Juli 2003, Zl. 2002/01/0369).
Die belangte Behörde hat demnach den angefochtenen Bescheid mit Rechtswidrigkeit seines Inhaltes belastet, weshalb dieser gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben war.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003, BGBl. II Nr. 333.
Wien, am 24. Februar 2004
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2004:2002010609.X00Im RIS seit
26.03.2004