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27 RechtspflegeNorm
B-VG Art7 Abs1 / VerwaltungsaktLeitsatz
Keine Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte durch Verhängung einer Disziplinarstrafe über einen Rechtsanwalt wegen Verletzung der Sorgfaltspflicht bei Erstattung einer Strafanzeige gegen einen BerufskollegenSpruch
Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid weder in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht noch wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in seinen Rechten verletzt worden.
Die Beschwerde wird abgewiesen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. 1. Der Disziplinarrat der Rechtsanwaltskammer Wien sprach mit Erkenntnis vom 25. Februar 1998 den Beschwerdeführer schuldig, er habe über Auftrag seines Mandanten MK gegen Rechtsanwalt Dr. RR am 30. Jänner 1995 Strafanzeige wegen des Verdachtes des schweren Betruges gemäß §§146 ff. StGB bei der Staatsanwaltschaft Krems leichtfertig erstattet, ohne vorher die Information des MK durch die von ihm angeforderten Urkunden zu überprüfen. Er habe hiedurch die Disziplinarvergehen der Berufspflichtenverletzung und der Beeinträchtigung von Ehre und Ansehen des Standes begangen, wofür er als Disziplinarstrafe zu einer Geldbuße und zum Kostenersatz verurteilt werde.
Der gegen diesen Bescheid erhobenen Berufung wurde mit Erkenntnis der Obersten Berufungs- und Disziplinarkommission für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter (im folgenden: OBDK) vom 26. Juli 1999 - soweit sie sich gegen den Schuldspruch richtete - keine Folge gegeben.
2. Gegen diesen Bescheid wendet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung der verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz, des durch Art7 EMRK garantierten Rechtes sowie die Verletzung in Rechten wegen Anwendung rechtswidriger genereller Normen behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des bekämpften Bescheides begehrt wird.
2.1. Begründend wird folgendes ausgeführt: §1 des Disziplinarstatuts für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter 1990 (im folgenden: DSt 1990) sei verfassungswidrig, da es diese Bestimmung mangels konkreter Tatbestände ermögliche, daß durch die Rechtsprechung des Disziplinarrates und der OBDK eine sich selbst verfestigende Standesauffassung geschaffen werde, auf deren Grundlage Disziplinarrecht gesprochen werde. Es bestehe weder ein Tatbestandskatalog noch ein festgelegtes Strafausmaß, sodaß "kraft der schrankenlosen Befugnis des Disziplinarrates und der OBDK jegliches Verhalten disziplinär werden kann".
2.2. Weiters wird vorgebracht, der Bescheid verletze den Grundsatz "keine Strafe ohne Gesetz" (Art7 EMRK), da bezüglich des Vorwurfes der "Leichtfertigkeit" keine verfestigte Standesauffassung bestehe, zumindest nicht mit einer dem Klarheitsgebot entsprechenden Bestimmtheit.
2.3. Darüber hinaus behauptet der Beschwerdeführer, die belangte Behörde habe Willkür geübt und dadurch den Gleichheitsgrundsatz verletzt: Sie schaffe ohne Rechtsgrundlage ein Entscheidungsmonopol über die Frage, "wer einen Rechtsanwalt unter welchen Voraussetzungen anzeigen dürfe".
2.4. Das Erkenntnis der belangten Behörde sei außerdem insofern unzulässig, als es von einem anderen Sachverhaltsvorwurf ausgehe als der Einleitungsbeschluß.
3. Die OBDK als belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der sie beantragt, der Beschwerde keine Folge zu geben.
II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige -
Beschwerde erwogen:
1. Die Beschwerde behauptet die Verfassungswidrigkeit des §1
DSt 1990. Dieser lautet wie folgt:
"§1. (1) Ein Rechtsanwalt, der schuldhaft die Pflichten seines Berufes verletzt oder inner- oder außerhalb seines Berufes durch sein Verhalten die Ehre oder das Ansehen des Standes beeinträchtigt, begeht ein Disziplinarvergehen.
(2) Disziplinarvergehen sind vom Disziplinarrat zu behandeln.
(3) Im übrigen obliegt die standesrechtliche Aufsicht dem Ausschuß der Rechtsanwaltskammer (§23 der Rechtsanwaltsordnung)."
Der Verfassungsgerichtshof hegte in seiner bisherigen Judikatur keine Bedenken ob der Verfassungsmäßigkeit des §1 DSt 1990 (vgl. hiezu ausführlich VfSlg. 12915/1991, 13260/1992, 13526/1993, 13762/1994, 14237/1995, 14905/1997; VfGH 4.10.1999, B2347/1997; VfGH 21.6.2000, B578/00, sowie zu der mit dieser Norm vergleichbaren Bestimmung des §2 DSt 1872 VfSlg. 3290/1957, 5643/1967, 5967/1969, 7494/1975, 7905/1976, 9160/1981, 11007/1986, 11350/1987, 11776/1988, 11840/1988 und 12032/1989) und sieht sich auch durch das Beschwerdevorbringen nicht veranlaßt, in eine Prüfung dieser Bestimmung einzutreten.
Eine Verletzung des Beschwerdeführers in Rechten wegen Anwendung verfassungswidriger Gesetzesbestimmungen hat sohin nicht stattgefunden.
2. Der Beschwerdeführer stützt seine Behauptung, durch den angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht "keine Strafe ohne Gesetz" (Art7 EMRK) verletzt zu sein, darauf, daß die belangte Behörde §1 DSt 1990 ohne Bezugnahme auf eine verfestigte Standesauffassung und lediglich unter Hinweis auf eine mehr als 20 Jahre zurückliegende Rechtsprechung angewandt habe.
Wie der Verfassungsgerichtshof bereits wiederholt ausgeführt hat, muß einer Verurteilung nach §1 DSt 1990 zugrundeliegen, daß sie wegen einer Verletzung von Berufspflichten oder wegen eines Verstoßes gegen Ehre und Ansehen des Standes erfolgt, welche sich aus gesetzlichen Regelungen oder aus verfestigten Standesauffassungen ergeben, die in einer dem Klarheitsgebot entsprechenden Bestimmtheit feststehen (vgl. zu Art7 EMRK in bezug auf §2 DSt 1872 VfSlg. 11776/1988, weiters allgemein zu Art7 EMRK VfSlg. 12962/1992, 13233/1992, 13526/1993, 13580/1993, 13606/1993, 14219/1995, 14327/1995, 14699/1996, 14809/1997, 14813/1997, 14900/1997; VfGH 30.11.1998, B1267/1997).
Entgegen der Ansicht des Beschwerdeführers kommt die belangte Behörde diesem Erfordernis nach, indem sie das inkriminierte Verhalten als Verletzung einer durch verfestigte Standesauffassung festgelegten Berufspflicht, nämlich einer besonderen Erkundigungs- und Prüfungspflicht beim Erstatten einer Strafanzeige, qualifiziert. Weiters sieht die belangte Behörde §9 Abs1 Rechtsanwaltsordnung, wonach der Rechtsanwalt die Angriffs- und Verteidigungsmittel seiner Partei nur in einer Weise gebrauchen darf, "welche seinem Auftrag, seinem Gewissen und den Gesetzen nicht widerstreiten", als verletzt an: Dem Beschwerdeführer falle zur Last, daß er die Strafanzeige verfrüht, nämlich ohne Untermauerung durch den unzweifelhaften Inhalt einer unbedenklichen - und beschaffbaren - Urkunde erstattet habe. Aus diesen Gründen hat die OBDK das Verhalten des Beschwerdeführers '1 Abs1 DSt unterstellt und damit dem Klarheitsgebot des Art7 EMRK entsprochen.
3. Der Beschwerdeführer behauptet, weiters durch den angefochtenen Bescheid im Gleichheitsrecht verletzt worden zu sein.
3.1. Das angefochtene Erkenntnis stehe mit der Judikatur des Verfassungsgerichtshofes (VfSlg. 12096/1989) und mit einschlägigen Disziplinarerkenntnissen in Widerspruch und verletze elementare verfassungsgesetzlich gewährleistete "Schutzgrundsätze im Verfahren". Die belangte Behörde habe ihren Ermessensspielraum dadurch überschritten, daß sie dem Beschwerdeführer willkürlich Prüfpflichten unterstelle, die nur den staatlichen Strafverfolgungsbehörden zustünden.
3.2. Bei der Unbedenklichkeit der angewandten Rechtsvorschriften käme eine Gleichheitsverletzung nur dann in Frage, wenn den Rechtsgrundlagen fälschlicherweise ein gleichheitswidriger Inhalt unterstellt worden wäre - derartiges wird gar nicht behauptet - oder wenn die Behörde bei Erlassung des Bescheides Willkür geübt hätte.
Ein willkürliches Verhalten der Behörde, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt ua. in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außerachtlassen des konkreten Sachverhalts (zB VfSlg. 8808/1980 und die dort angeführte Rechtsprechung; VfSlg. 10338/1985, 11213/1987).
3.3. Insoweit der Beschwerdeführer behauptet, der Bescheid der belangten Behörde widerspreche einem Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes, in dem ausgesprochen wurde, daß es "schlechterdings denkunmöglich sei, einen von der Rechtsordnung eingeräumten Rechtsweg zulässigerweise zum Anlaß von Disziplinarmaßnahmen zu machen" (VfSlg. 12096/1989), ist ihm folgendes entgegenzuhalten: Dem Beschwerdeführer wurde seitens der OBDK nicht zur Last gelegt, daß er überhaupt eine Strafanzeige eingebracht habe, sondern daß er sie "leichtfertig", nämlich bei unklarer Beweis- und Rechtslage erstattet habe. Der Beschwerdeführer hätte nach Ansicht der belangten Behörde mit der Erstattung der Strafanzeige zuwarten müssen, bis ihm eine Überprüfung der Information seines Mandanten MK anhand der von diesem geforderten Urkunden möglich gewesen wäre. Der Hinweis auf das zitierte Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes ist also nicht geeignet, den Vorwurf der Willkür zu erhärten.
3.4. Auch sonst hat keine Verletzung des Gleichheitssatzes stattgefunden: Der Beschwerdeführer bekämpft im einzelnen die Richtigkeit der Tatsachenfeststellungen und die Beweiswürdigung des angefochtenen Bescheides. Diesem Vorbringen ist zu erwidern, daß es allenfalls Verstöße gegen einfachgesetzliche Regelungen aufzeigt, aber nicht geeignet ist, einen in die Verfassungssphäre reichenden Vollzugsfehler zu erweisen.
3.5. Der Beschwerdeführer ist sohin im Gleichheitsrecht nicht verletzt worden.
4. Ohne die Verletzung eines bestimmten verfassungsgesetzlich gewährleisten Rechtes zu behaupten, bringt der Beschwerdeführer folgendes vor: Der Bescheid der OBDK sei insofern unzulässig, als die Verurteilung erfolgte, weil der Beschwerdeführer leichtfertig Strafanzeige erstattet habe, ohne vorher die Information des MK durch die von ihm angeforderten Urkunden zu überprüfen, während der Einleitungsbeschluß dem Beschwerdeführer zur Last lege, leichtfertig Strafanzeige erstattet zu haben, ohne die objektive und allfällig subjektive Tatsache (richtig: Tatseite) zu überprüfen und ohne zu versuchen, den Sachverhalt durch vorherige Kontaktaufnahme mit Rechtsanwalt Dr. RR aufzuklären.
4.1. Mit Erkenntnis des Disziplinarrates und diesem folgend der OBDK wird der Beschwerdeführer schuldig erkannt, leichtfertig Strafanzeige gegen Rechtsanwalt Dr. RR wegen schweren Betruges gemäß den §§146 ff. StGB erstattet zu haben, ohne vorher die Information des MK durch die von ihm angeforderten Urkunden zu überprüfen.
Diese Formulierung ist entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers vom Einleitungsbeschluß gedeckt. Es mußte ihm nämlich auf Grund des Einleitungsbeschlusses klar sein, daß Gegenstand des Disziplinarverfahrens die Verletzung seiner Sorgfaltspflicht bei der Erstattung einer Strafanzeige gegen einen Berufskollegen war. Der Disziplinarbehörde oblag es im Zuge des Disziplinarverfahrens zu untersuchen, ob der im Einleitungsbeschluß erhobene Vorwurf zutreffe, und im Disziplinarerkenntnis zu konkretisieren, inwiefern zutreffendenfalls Ehre und Ansehen des Standes verletzt wurden.
4.2. Der Beschwerdeführer ist dadurch nicht in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht verletzt worden.
5. Das Verfahren hat auch nicht ergeben, daß der Beschwerdeführer in anderen, von ihm nicht geltend gemachten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten verletzt wurde.
Ob der Bescheid in jeder Hinsicht dem Gesetz entspricht, ist vom Verfassungsgerichtshof nicht zu prüfen, und zwar auch dann nicht, wenn sich die Beschwerde - wie im vorliegenden Fall - gegen eine Entscheidung einer Kollegialbehörde nach Art133 Z4 B-VG richtet, die beim Verwaltungsgerichtshof nicht bekämpft werden kann (vgl. etwa VfSlg. 13419/1993, 14408/1996; VfGH 8.6.1999, B788/99).
Die Beschwerde war daher abzuweisen.
6. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VerfGG 1953 ohne vorangegangene mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
Schlagworte
nulla poena sine lege, Rechtsanwälte, Disziplinarrecht RechtsanwälteEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2000:B1658.1999Dokumentnummer
JFT_09999074_99B01658_00