Index
40/01 Verwaltungsverfahren;Norm
AVG §64;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Gruber und die Hofräte Dr. Robl, Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher und Dr. Grünstäudl als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Wechner, über die Beschwerde des E, vertreten durch Ing. Mag. Dr. Roland Hansely, Rechtsanwalt in 1090 Wien, Garnisongasse 22/5, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich vom 15. April 2003, Zl. Fr 8296/02, betreffend Erlassung eines befristeten Aufenthaltsverbotes, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 51,50 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer, ein seinen Angaben zufolge am 5. November 1985 geborener Staatsangehöriger von Nigeria, reiste nach seinen Behauptungen am 8. April 2002 (an anderer Stelle: im März 2002) illegal in das Bundesgebiet ein. Aufgrund eines in der Folge gestellten Asylantrages verfügte der Beschwerdeführer über eine vorläufige Aufenthaltsberechtigung nach dem Asylgesetz 1997.
Mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid der belangten Behörde vom 15. April 2003 wurde gegen den Beschwerdeführer gemäß § 36 Abs. 1 des Fremdengesetzes 1997 - FrG, BGBl. I Nr. 75, ein bis 30. November 2012 befristetes Aufenthaltsverbot erlassen. Diese Maßnahme stützte die belangte Behörde darauf, dass der Beschwerdeführer mit rechtskräftigem Urteil des Jugendgerichtshofes Wien vom 5. November 2002 wegen des teils versuchten, teils vollendeten Vergehens nach § 27 Abs. 1 und 2 Z 2 erster Fall Suchtmittelgesetz (SMG) und § 15 Strafgesetzbuch (StGB) zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von 3 Monaten verurteilt worden sei. Danach sei der Beschwerdeführer schuldig erkannt worden, im Zeitraum April bis August 2002 in Wien in einer Vielzahl von Angriffen eine nicht mehr feststellbare Menge Heroin und Kokain gewerbsmäßig verkauft zu haben. Unter anderem habe er mehrere Male Kokain an Edwin S. verkauft und am 5. August in Wien am Westbahnhof eine große Kugel Heroin oder Kokain "zum Verkauf bereit" im Mund mit sich geführt. Weiters habe der Beschwerdeführer im genannten Zeitraum Heroin und Kokain zum Eigengebrauch erworben und besessen.
Rechtlich führte die belangte Behörde aus, ein Aufenthaltsverbot könne ausschließlich auf § 36 Abs. 1 FrG gestützt werden, wenn zwar keiner der demonstrativ aufgezählten Tatbestände des Abs. 2 verwirklicht sei, wohl aber das Gesamt(fehl)verhalten des betreffenden Fremden die im § 36 Abs. 1 FrG umschriebene Annahme rechtfertige. Im vorliegenden Fall lägen zwar gerade noch nicht die Voraussetzungen des § 36 Abs. 2 FrG vor, weil dafür nach der Z 1 (erster Fall) die Verurteilung zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von mehr als drei Monaten erforderlich wäre. Trotzdem sei aufgrund des vom Beschwerdeführer "gezeigten Gesamtfehlverhaltens (versuchter bzw. vollendeter gewerbsmäßiger Verkauf von Suchtgiften - Heroin und Kokain sowie Erwerb und Besitz der vorangeführten Suchtstoffe zum Eigengebrauch, illegale Einreise sowie Ihre Mittellosigkeit)" die Annahme im Sinne des § 36 Abs. 1 FrG gerechtfertigt, der weitere Aufenthalt des Beschwerdeführers gefährde die öffentliche Ruhe, Ordnung und Sicherheit. In diesem Zusammenhang hob die belangte Behörde hervor, dass der Beschwerdeführer unmittelbar nach seiner Einreise nach Österreich seine Suchtgiftgeschäfte aufgenommen habe, um sich durch den gewinnbringenden Verkauf zu bereichern, und sie erachtete für die Prognosebeurteilung auch dessen "Eigenkonsum", die unrechtmäßige Einreise und die Mittellosigkeit, "auch wenn diese Tatsachen für sich alleinstehend keinen Grund für ein Aufenthaltsverbot darstellen", als maßgebend. Verstärkt werde diese Annahme noch dadurch, dass der Beschwerdeführer erst anlässlich seiner Verhaftung, somit nicht freiwillig, vom Suchtgifthandel Abstand genommen habe.
Mangels familiärer Anknüpfungspunkte und aufgrund des noch relativ kurzen Aufenthaltes in Österreich könne - so die belangte Behörde unter dem Gesichtspunkt der Abwägung nach § 37 FrG - von "keiner sehr tiefgreifenden Integration" des Beschwerdeführers ausgegangen werden. Es sei für die Behörde nicht verantwortbar, dem Beschwerdeführer die Möglichkeit zu bieten, seine "kriminellen Machenschaften" in Österreich "möglicherweise" fortzuführen. Im Übrigen wäre die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes aufgrund der besonderen Gefährlichkeit der Suchtgiftkriminalität auch bei völliger Integration eines Fremden nicht unzulässig. Aus den gleichen Überlegungen sah sich die belangte Behörde schließlich auch nicht zu einer Ermessensübung zu Gunsten des Beschwerdeführers veranlasst.
Abschließend erachtete die belangte Behörde die Dauer des Aufenthaltsverbotes von zehn Jahren "jedenfalls als angemessen", zumal - insbesondere deshalb, weil der Beschwerdeführer unmittelbar nach seiner Einreise nach Österreich die Suchtgiftgeschäfte aufgenommen habe - "keinesfalls" angenommen werden könne, dass die vom Beschwerdeführer ausgehenden Gefahren "vorher" wegfallen werden.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Verwaltungsakten erwogen hat:
Voraussetzung für die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes ist gemäß § 36 Abs. 1 FrG die auf bestimmte Tatsachen gegründete Prognose, dass der (weitere) Aufenthalt des Fremden die öffentliche Ruhe, Ordnung und Sicherheit gefährdet (Z 1) oder anderen im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen zuwiderläuft (Z 2). Gemäß § 36 Abs. 2 Z 1 FrG gilt als bestimmte Tatsache im Sinne des Abs. 1, wenn ein Fremder von einem inländischen Gericht zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von mehr als drei Monaten, zu einer teilbedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe, zu einer bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von mehr als sechs Monaten oder mehr als einmal wegen auf der gleichen schädlichen Neigung beruhender strafbarer Handlungen rechtskräftig verurteilt worden ist.
Der Beschwerdeführer stellt die eingangs erwähnte strafgerichtliche Verurteilung ebenso wenig in Abrede wie die dazu getroffenen Feststellungen zum Inhalt des Schuldspruches. Die belangte Behörde hat zutreffend erkannt, dass angesichts der Verurteilung des Beschwerdeführers zu einer Freiheitsstrafe von drei Monaten der Tatbestand des § 36 Abs. 2 Z 1 erster Fall FrG gerade noch nicht erfüllt wurde. Die belangte Behörde ging aber - in Übereinstimmung mit der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. die Erkenntnisse vom 25. April 2003, Zl. 2003/21/0040, mit dem Hinweis auf das Erkenntnis vom 27. April 2001, Zl. 99/18/0454, und vom 26. März 1999, Zl. 98/18/0344, denen jeweils ein "Suchtgiftfall" zugrunde lag) - davon aus, dass ein Aufenthaltsverbot rechtens direkt auf § 36 Abs. 1 FrG gestützt werden könne, wenn zwar keiner der Tatbestände des § 36 Abs. 2 FrG erfüllt sei, wohl aber triftige Gründe vorlägen, die in ihrer Gesamtheit die im § 36 Abs. 1 FrG umschriebene Annahme rechtfertigten. Dass die Behörde Letzteres bejahte, begegnet vor dem Hintergrund der zitierten Erkenntnisse im Hinblick auf die der Verurteilung des Beschwerdeführers zugrundeliegenden Tathandlungen des Erwerbs, Besitzes und gewerbsmäßigen Verkaufes von Heroin und Kokain keinen Bedenken. In diesem Zusammenhang ist auf die mit der Suchtgiftkriminalität im Allgemeinen verbundene große Wiederholungsgefahr hinzuweisen, von der auch im vorliegenden Fall angesichts der (auch in der Beschwerde nicht in Abrede gestellten) Mittellosigkeit des Beschwerdeführers in Verbindung mit dem in der Vergangenheit gezeigten Verhalten - gewerbsmäßiger Heroin- und Kokainhandel während eines unmittelbar nach der Einreise beginnenden, bis zu seiner Betretung nicht unbeträchtlichen Zeitraumes - ausgegangen werden durfte. Eigener Drogenkonsum und ein dadurch gegebener zusätzlicher finanzieller Bedarf tragen im Übrigen noch zur Verstärkung dieser Prognosebeurteilung bei (siehe dazu zuletzt das hg. Erkenntnis vom 27. Jänner 2004, Zl. 2003/21/0221).
Aus diesen Ausführungen ergibt sich einerseits, dass der Hinweis in der Beschwerde auf die Höhe der wegen des Suchtgiftdeliktes verhängten Strafe und auf die mangelnde Erfüllung eines Tatbestandes nach § 36 Abs. 2 FrG für sich genommen ins Leere geht und daraus angesichts der im vorliegenden Fall gegebenen Tatumstände für die Gefährlichkeitsprognose nichts zu gewinnen ist. Aber auch der Einwand, gegen den Beschwerdeführer könne nach § 21 Abs. 1 AsylG kein auf § 36 Abs. 1 Z 7 FrG wegen Mittellosigkeit gestütztes Aufenthaltsverbot erlassen werden und deshalb dürfte auch das vorliegende Aufenthaltsverbot nicht mit der Mittellosigkeit des Beschwerdeführers begründet werden, ist in dieser Allgemeinheit nicht stichhältig. Die erwähnte Bestimmung hinderte die belangte Behörde nämlich nicht, im Rahmen der Prognosebeurteilung nach § 36 Abs. 1 FrG auf die Mittellosigkeit des Beschwerdeführers insofern Bedacht zu nehmen, als dies die Wiederholungsgefahr in Bezug auf illegalen Suchtgifthandel erhöht, zumal sich im Hinblick auf den Beschwerdeführer die sich aus der Mittellosigkeit (unter anderem) ergebende Gefahr der Begehung strafbarer Handlungen zur Einkommenserzielung bereits in der Vergangenheit verwirklicht hat.
Soweit sich die Beschwerde noch gegen die Verwertung der illegalen Einreise des Beschwerdeführers als weiteres Begründungselement für das Aufenthaltsverbot wendet, können diese Ausführungen auf sich beruhen, weil es darauf im vorliegenden Fall nicht entscheidungswesentlich ankommt.
Die unter dem Gesichtspunkt des § 37 FrG vorgenommene Beurteilung der belangten Behörde wird in der Beschwerde nicht in Frage gestellt. Dagegen hegt der Verwaltungsgerichtshof angesichts des Fehlens einer maßgeblichen Integration des Beschwerdeführers und des als besonders hoch zu bewertenden öffentlichen Interesses an der Verhinderung der äußerst sozialschädlichen Suchtgiftkriminalität, auch wenn im maßgeblichen Beurteilungszeitpunkt nur eine diesbezügliche Verurteilung vorlag, keine Bedenken.
Schließlich zeigt die Beschwerde auch keine Aspekte auf, welche die belangte Behörde im Rahmen des ihr eingeräumten Ermessens zu einer Abstandnahme von der Erlassung des Aufenthaltsverbotes hätten veranlassen müssen. Gleiches gilt für die - in Bezug auf die Dauer des Aufenthaltsverbotes wesentliche - Annahme der belangten Behörde, dass der Wegfall des Grundes für diese Maßnahme nicht vor dem Ende der von der Erstbehörde angenommenen Befristung vorhergesehen werden könne. Aus den in der Beschwerde angesprochenen Bestimmungen des Tilgungsgesetzes ist in diesem Zusammenhang nichts zu gewinnen.
Letztlich genügt es, den Beschwerdeausführungen zur Unterlassung einer (begründeten) Entscheidung über die Berufung, soweit sie sich gegen die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung gerichtet hat, zu entgegnen, dass sich aus dieser Rüge jedenfalls nicht die Rechtswidrigkeit der Berufungsentscheidung hinsichtlich des Aufenthaltsverbotes ableiten lässt. (Vgl. zu diesem Beschwerdeeinwand im Übrigen das hg. Erkenntnis vom 3. Dezember 1998, Zl. 98/18/0346, nach dessen Maßstäben im vorliegenden Fall insoweit auch keine Rechtsverletzung zu erkennen wäre.)
Die Beschwerde war somit gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.
Der Kostenzuspruch gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003, BGBl. II Nr. 333.
Wien, am 26. Februar 2004
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2004:2003210144.X00Im RIS seit
31.03.2004