TE Vwgh Erkenntnis 2004/2/26 2001/21/0033

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Veröffentlicht am 26.02.2004
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof;
19/05 Menschenrechte;
24/01 Strafgesetzbuch;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

FrG 1997 §35 Abs3;
FrG 1997 §35;
FrG 1997 §36 Abs1;
FrG 1997 §36 Abs2 Z1;
FrG 1997 §37 Abs2;
FrG 1997 §37;
MRK Art8 Abs2;
StGB §146;
StGB §147 Abs1 Z1;
StGB §147 Abs3;
StGB §15;
StGB §169 Abs1;
VwGG §42 Abs2 Z1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Gruber und die Hofräte Dr. Robl, Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher und Dr. Grünstäudl als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Wechner, über die Beschwerde des H, vertreten durch Dr. Peter Philipp, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Graben 17, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich vom 8. Jänner 2001, Zl. Fr 3601/00, betreffend Erlassung eines befristeten Aufenthaltsverbotes, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.172,88 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem vor dem Verwaltungsgerichtshof angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid erließ die belangte Behörde gegen den Beschwerdeführer, einen Staatsangehörigen von Bosnien-Herzegowina, gemäß § 36 Abs. 1 und Abs. 2 Z. 1 des Fremdengesetzes 1997 - FrG, BGBl. I Nr. 75, ein auf zehn Jahre befristetes Aufenthaltsverbot.

Zur Begründung dieser Maßnahme verwies sie auf die rechtskräftigen Verurteilungen des Beschwerdeführers vom 14. November 1998 wegen des Vergehens des fahrlässigen Inverkehrbringens verdorbener Lebensmittel nach § 64 iVm § 63 Abs. 1 Z. 1 Lebensmittelgesetz zu einer Geldstrafe und vom 22. Juli 1999 wegen des Verbrechens der Brandstiftung nach § 169 Abs. 1 StGB und des Verbrechens des versuchten schweren Betruges nach den §§ 15, 146, 147 Abs. 1 Z. 1 und Abs. 3 StGB zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren. Zur letztgenannten Verurteilung stellte die belangte Behörde fest, der Beschwerdeführer habe am 13. Mai 1999 an einer fremden Sache ohne Einwilligung des Eigentümers dadurch eine Feuersbrunst verursacht, dass er das im Eigentum seiner Ehefrau stehende Gasthaus unter Zuhilfenahme von Benzin in Brand gesteckt habe. Weiters habe er am 14. Mai 1999 Verfügungsberechtigte von Versicherungen durch Übermittlung von inhaltlich unrichtigen Schadensmeldungen zur Auszahlung von Versicherungssummen zu verleiten versucht, wobei die beiden Versicherungen in einem S 500.000,-- übersteigenden Betrag hätten geschädigt werden sollen.

Außerdem führte die belangte Behörde sechs verwaltungsbehördliche Bestrafungen des Beschwerdeführers nach dem Sicherheitspolizeigesetz, dem Niederösterreichischen Polizeistrafgesetz, dem Ausländerbeschäftigungsgesetz und dem Meldegesetz an, ohne hiezu jedoch konkrete Feststellungen zu treffen. Aus dem strafrechtlichen Fehlverhalten schloss sie auf eine sozialschädliche Neigung des Beschwerdeführers zur Missachtung österreichischer Rechtsvorschriften, die der Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und dem Schutz des Eigentums und der Gesundheit anderer Personen dienten, und meinte, dass er ein Gefährdungspotential nach § 36 Abs. 1 FrG im Hinblick auf die vermögensrechtliche und gesundheitliche Integrität anderer Personen darstelle.

Es seien - so die belangte Behörde weiter - keine Umstände vorgebracht worden, die eine Ermessensentscheidung zu Gunsten des Beschwerdeführers gerechtfertigt hätten.

Eine Aufenthaltsverfestigung komme weder nach § 38 (Abs. 1 Z. 4 iVm) Abs. 2 FrG noch nach § 35 Abs. 3 (iVm § 38 Abs. 1 Z. 2) FrG in Betracht, weil der Beschwerdeführer zwar bereits seit 22 Jahren, nicht jedoch von klein auf in Österreich aufhältig sei und weiters der Ausnahmefall des § 35 Abs. 3 Z. 1 erster Fall FrG eindeutig gegeben sei. Der Beschwerdeführer sei nämlich wegen einer Vorsatztat zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt worden.

Der Beschwerdeführer sei seit 1977 in Österreich aufhältig. Da seine Ehefrau und drei Kinder sowie sein Vater, seine Brüder und deren Familien in Österreich wohnten, habe er ein "nicht unerhebliches privates Interesse" an einem Verbleib in Österreich. Wegen der massiven Gewichtung seines Unrechtverhaltens und der damit skizzierten Gefahren für die öffentliche Ruhe, Ordnung und Sicherheit, insbesondere die vermögensrechtliche "Komponente" anderer Personen, lägen das "Dringend-geboten-Sein" seiner Außerlandesschaffung und die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gemäß § 37 (gemeint offenbar: Abs. 2) FrG eindeutig auf der Hand.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde nach Vorlage der Verwaltungsakten und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde erwogen:

Der Beschwerdeführer bestreitet weder die genannten strafrechtlichen Verurteilungen noch die Feststellungen der belangten Behörde über das der letztgenannten Verurteilung zu Grunde liegende Fehlverhalten. Es kann daher keinem Zweifel unterliegen, dass sowohl der Tatbestand des § 36 Abs. 2 Z. 1 FrG verwirklicht als auch die Gefährlichkeitsprognose nach § 36 Abs. 1 FrG gerechtfertigt ist.

Keine Berechtigung kommt der Beschwerde zu, soweit eine dem Aufenthaltsverbot entgegen stehende Aufenthaltsverfestigung angesprochen wird. Gemäß § 38 Abs. 1 Z. 4 FrG darf ein Aufenthaltsverbot nicht erlassen werden, wenn der Fremde von klein auf im Inland aufgewachsen und hier langjährig rechtmäßig niedergelassen ist. Abs. 2 legt fest, dass Fremde jedenfalls langjährig im Bundesgebiet niedergelassen sind, wenn sie die Hälfte ihres Lebens im Bundesgebiet verbracht haben und zuletzt seit mindestens drei Jahren hier niedergelassen sind. Entgegen der Beschwerdeansicht präzisiert der genannte zweite Absatz des § 38 FrG (lediglich) den Tatbestand der langjährigen Niederlassung. Für die Erfüllung des Verfestigungstatbestandes des § 38 Abs. 1 Z. 4 FrG ist aber auch erforderlich, dass der Fremde von klein auf im Inland aufgewachsen ist. Diese Wendung "von klein auf" ist nach ständiger hg. Rechtsprechung (vgl. etwa das Erkenntnis vom 8. November 2001, Zl. 2001/21/0039) so zu deuten, dass sie für eine Person, die erst im Alter von vier Jahren oder später nach Österreich eingereist ist, nicht zum Tragen kommen kann. Da der Beschwerdeführer (erst) im Alter von 16 Jahren nach Österreich gereist ist, kommt ihm der genannte Tatbestand nicht zu Gute.

Verfehlt ist auch der Beschwerdehinweis auf § 35 Abs. 3 iVm § 38 Abs. 1 Z. 2 FrG. Demnach darf gegen Fremde, die vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhalts bereits zehn Jahre ununterbrochen und rechtmäßig im Bundesgebiet auf Dauer niedergelassen waren, ein Aufenthaltsverbot nicht erlassen werden, es sei denn, sie wären von einem inländischen Gericht wegen eines Verbrechens oder wegen Schlepperei oder gemäß der §§ 27 Abs. 2, 28 Abs. 1 und 32 Abs. 1 des Suchtmittelgesetzes oder nach einem Tatbestand des 16. oder 20. Abschnitts des Besonderen Teils des StGB zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von mehr als einem Jahr verurteilt worden. Gemäß dieser Bestimmung schließt die - hier vorliegende - Verurteilung wegen eines Verbrechens zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von drei Jahren die Anwendung des genannten Verbotstatbestandes aus.

Der Beschwerde kommt aber Berechtigung zu, soweit sie die Beurteilung nach § 37 FrG anspricht. Gemäß dieser Bestimmung ist, würde durch ein Aufenthaltsverbot in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, eine solche Maßnahme nur zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist; ein Aufenthaltsverbot darf jedenfalls nicht erlassen werden, wenn die Auswirkungen auf die Lebenssituation des Fremden und seiner Familie schwerer wiegen als die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von seiner Erlassung. Bei dieser Abwägung ist insbesondere auf die Dauer des Aufenthaltes und das Ausmaß der Integration des Fremden oder seiner Familienangehörigen sowie die Intensität der familiären oder sonstigen Bindungen Bedacht zu nehmen. Es ist zwar der belangten Behörde zuzustimmen, dass ein beträchtliches öffentliches Interesse an der Verhinderung eines "groß angelegten Versicherungsbetrugs" im Zusammenhang mit Brandstiftung besteht; ausschlaggebend ist im vorliegenden Fall jedoch nicht nur der sehr lange Aufenthalt des Beschwerdeführers im Bundesgebiet bis zur Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhalts, sondern auch der Umstand, dass er hier mit seiner gesamten Familie (Ehefrau und drei Kinder) lebt und auch sein Vater, seine Brüder und deren Familien in Österreich aufhältig sind. Die belangte Behörde stellte keinen dieses Familienleben relativierenden Umstand fest. Gemäß dem von der belangten Behörde nicht in Zweifel gezogenen Berufungsvorbringen sind die beiden Töchter des Beschwerdeführers schulpflichtig und daher auf die Obsorge auch durch den Beschwerdeführer angewiesen. Der Beschwerdeführer hat zwar die Grenze für die Anwendung des Verfestigungstatbestandes des § 35 Abs. 3 FrG durch seine einmalig gebliebene - der Verurteilung nach dem Lebensmittelgesetz kommt hier keine fremdenrechtliche Relevanz zu - Verurteilung überschritten; maßgeblich ist aber, dass diese Verbotstatbestände kein Familienleben fordern, das im Fall des Beschwerdeführers jedoch sehr massiv gegeben ist. Die aus § 35 FrG hervorgehende Wertung des Gesetzgebers steht daher zu einer durch den äußerst gravierenden Eingriff in das Familienleben bedingten Unzulässigkeit des Aufenthaltsverbotes nicht im Widerspruch.

Da somit die belangte Behörde dem mit dem Aufenthaltsverbot verbundenen Eingriff in das Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers einzelfallbezogen nicht das gebührende Gewicht beigemessen hat, hat sie die Rechtslage verkannt und war der Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit aufzuheben.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003.

Wien, am 26. Februar 2004

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2004:2001210033.X00

Im RIS seit

01.04.2004
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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