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L46109 Tierhaltung Wien;Norm
TierschutzG Wr 1987 §1 Abs2 idF 2002/013;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident DDr. Jakusch und die Hofräte Dr. Pallitsch und Dr. Moritz als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. König, über die Beschwerde des Magistrates der Stadt Wien gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates Wien vom 25. April 2003, Zl. UVS-06/48/11054/2002/14, betreffend eine Übertretung des Wiener Tierschutz- und Tierhaltegesetzes (mitbeteiligte Partei: Dr. A, vertreten durch Dr. K, Rechtsanwalt; weitere Partei: Wiener Landesregierung), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Begründung
Mit Straferkenntnis des Magistrates der Stadt Wien vom 28. November 2002 wurde dem Mitbeteiligten angelastet, von 7. September 2002, 23.00 Uhr, bis 8. September 2002, 06.00 Uhr, im Innenhof einer näher bezeichneten Liegenschaft seine beiden Hunde derart verwahrt zu haben, dass Menschen, die nicht im selben Haushalt leben, durch ungebührlich lautes Bellen der Tiere unzumutbar belästigt worden seien. Der Mitbeteiligte habe dadurch § 28 Abs. 2 Z 1 iVm § 11 Abs. 4 Z 2 Wiener Tierschutz- und Tierhaltegesetz verletzt. Wegen dieser Verwaltungsübertretung wurde über den Mitbeteiligten eine Geldstrafe von EUR 1.120,--, im Falle der Uneinbringlichkeit eine Ersatzfreiheitsstrafe von einer Woche und einem Tag verhängt. Ferner wurde dem Mitbeteiligten auferlegt, gemäß § 64 VStG EUR 112,-- als Beitrag zu den Kosten des Strafverfahrens zu zahlen.
Begründend wurde im Wesentlichen dargelegt, aus der Aktenlage gehe hervor, dass laut unabhängig von einander (beim Bezirkspolizeikommissariat) eingebrachten Anzeigen die beiden Hunde des Beschuldigten im Innenhof des näher genannten Hauses am 7. September 2002 eingesperrt gewesen seien und um 23.00 Uhr wieder zu bellen begonnen hätten. Auch sei den Angaben in den Anzeigen zu entnehmen, dass die beiden Hunde bis etwa 06.00 Uhr gebellt hätten, weshalb sie die Anzeigeleger auch an diesem Tag durch ihr Gebell aus dem Schlaf gerissen hätten. Eine Anzeigelegerin habe auf die für sie durch das laute Bellen nicht zu ertragende Situation verwiesen. Den Anzeigelegern sei Glauben zu schenken, da es durch die beiden Hunde des Mitbeteiligten immer wieder zu Lärmbelästigungen komme. Beim Tatort handle es sich um eine "normale" Wohngegend. Es brauche nicht näher erörtert zu werden, dass ein Gebell in verschiedenen Zeitabständen - und zwar zu einer Zeit, wo Anrainer Anspruch auf Nachtruhe hätten, diese jedoch durch das oftmalige Bellen nicht gegeben und somit gestört sei - zu einer unzumutbaren Belästigung von Anrainern führe. Im konkreten Fall habe das Hundegebell jedenfalls zur Schlafstörungen der Anzeigeleger geführt. Das mehr(oft)malige Gebell von zwei Hunden in der Nachtzeit sei nach dem objektiven Maßstab eines normal empfindenden Menschen geeignet, das Wohlbefinden von nicht im selben Haus lebenden Personen zu beeinträchtigen. Auf Grund der bereits vorangegangenen zahlreichen, unabhängig voneinander eingebrachten Anzeigen verschiedenster Anrainer sei es auch insbesondere im Hinblick auf die örtlichen Verhältnisse als ortsunüblich zu betrachten.
In seiner Berufung gegen dieses Straferkenntnis führte der Mitbeteiligte im Wesentlichen aus, er habe seine Hunde so verwahrt, dass Menschen, die nicht im selben Haushalt leben, durch ungebührlich lautes Bellen hätten nicht zumutbar belästigt werden können. Laut mehrerer Gutachten von Amtstierärzten seien die Hunde ordnungsgemäß und in einem gesunden Umfeld untergebracht.
Bei der mündlichen Verhandlung vor der belangten Behörde am 7. April 2003 führte eine Anzeigelegerin, deren Anzeige dem Verwaltungsstrafverfahren zu Grunde gelegen war, zeugenschaftlich aus, die Hunde seien bis Anfang 2002 des öfteren in der Nacht laut gewesen. Auch die erste Woche im September 2002 hätten sich die Hunde in der Nacht laut verhalten. Momentan verhielten sie sich ruhig. Das Bellen, welches der Anzeige zu Grunde gelegen sei, sei so verlaufen, dass ca. jede Stunde für zehn Minuten gebellt und man daher aufgeweckt worden sei. Weshalb die Hunde gebellt hätten, könne die Zeugin nur annehmen. Vermutlich hätten sich Tiere in der Nachbarschaft befunden, weshalb die Hunde angeschlagen hätten. Der Mitbeteiligte legte bei der mündlichen Verhandlung dar, die Hunde würden in einem Garten gehalten, zumindest tagsüber. Am Abend, spätestens um 22.00 Uhr, nehme der Beschwerdeführer die Hunde in das Haus. Im Haus würden die Hunde auch das eine oder andere Mal bellen, nämlich dann, wenn sie andere Hunde vor dem Haus wahrnehmen. Das Haus habe eine große Glastür. Keinesfalls bellten die Hunde ununterbrochen, auch nicht zur angelasteten Tatzeit. Laut einem von einem Tierpsychologen/Tierarzt des Magistrates erstellten Gutachten seien die Hunde in gutem Zustand, insbesondere seien sie nicht psychisch gestört. Sie hätten einen entsprechenden Auslauf. Im Haus sei im Übrigen ganztägig jemand anwesend. Hunde könnten auch nicht ununterbrochen bellen, schon gar nicht fünf Stunden lang. Wenn sie sehr unruhig sind, nehme der Mitbeteiligte sie sogar in die Wohnung.
Die vom Mitbeteiligten bei der mündlichen Verhandlung zitierten Gutachten des Magistrates der Stadt Wien - Magistratsabteilung 60, Veterinäramt, vom 26. April 2002 und 7. Oktober 2002 legte er in der Folge der belangten Behörde vor.
Mit dem in Beschwerde gezogenen Bescheid gab die belangte Behörde der Berufung gemäß § 66 Abs. 4 AVG Folge, hob das Straferkenntnis auf und stellte das Verfahren gemäß § 45 Abs. 1 Z 3 VStG ein. Begründend führte die belangte Behörde im Wesentlichen aus, das angelastete Verhalten sei unter § 11 Abs. 4 Z 2 des Wiener Tierschutz- und Tierhaltegesetzes subsumiert worden. Somit stehe fest, dass im vorliegenden Fall auf eine "artgerechte Tierhaltung ("Verwahrung" verba legalia)" abgestellt werde, die eine unzumutbare Belästigung nicht im selben Haushalt lebender Menschen hintanhalten solle. Aus den zusammenfassenden Stellungnahmen der Veterinäramtsabteilung vom 26. April 2002 und 7. Oktober 2002 sei ersichtlich, dass die "Verwahrung" der Hunde im Sinne des Gesetzes erfolgt sei. Das Vorbringen des Mitbeteiligten, wonach das ihm vorgeworfene Verhalten keinen Verstoß gegen das Wiener Tierschutz- und Tierhaltegesetz darstelle, sei daher zutreffend. Es könne damit im vorliegenden Verfahren dahingestellt bleiben, ob eine Lärmbelästigung durch das Bellen erfolgt und dadurch das Tatbild einer anderen Strafnorm erfüllt worden sei, da dem Mitbeteiligten innerhalb der Verjährungsfrist des § 31 Abs. 2 VStG ein strafbares Verhalten nach einem anderen Gesetz nicht vorgeworfen worden sei.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Amtsbeschwerde mit dem Antrag, ihn wegen Rechtswidrigkeit in vollem Umfang aufzuheben.
Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor, begehrte die Zuerkennung des Vorlageaufwandes und verzichtete auf die Erstattung einer Gegenschrift. Der Mitbeteiligte erstattete eine Gegenschrift, in der er beantragt, die Beschwerde kostenpflichtig abzuweisen.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
In der Beschwerde wird im Wesentlichen ausgeführt, dass dem Mitbeteiligten eine Übertretung des § 11 Abs. 4 Z 2 des Wiener Tierschutz- und Tierhaltegesetzes angelastet worden sei. Diese Bestimmung sei ausschließlich sicherheitspolizeilicher Natur und diene dem Schutz von Menschen vor Belästigungen durch Tiere. Die Voraussetzungen für eine artgerechte Tierhaltung seien hingegen im § 11 Abs. 1 bis 3 des Wiener Tierschutz- und Tierhaltegesetzes festgeschrieben. Die Anwendbarkeit des § 11 Abs. 4 des Wiener Tierschutz- und Tierhaltegesetzes sei jedoch unabhängig von einer artgerechten Haltung. Auch wenn Tiere artgerecht verwahrt oder gehalten werden, sei eine Belästigung von Menschen möglich.
§ 11 Abs. 1 bis 4 des Wiener Tierschutz- und Tierhaltegesetzes (in der hier maßgeblichen Stammfassung LGBl. Nr. 39/1987) lautet:
"Grundsätze der Tierhaltung
§ 11. (1) Wer ein Tier in seine Obhut nimmt, hat ihm art-, rasse- und altersgerechte Nahrung und Pflege sowie art-, rasse- und verhaltensgerechte Unterbringung zu gewähren und bei Erkrankung oder Verletzung erforderlichenfalls ehestmögliche tierärztliche Betreuung zu verschaffen.
(2) Das art-, rasse- und altersspezifische Bewegungsbedürfnis eines Tieres darf nicht dauernd oder unnötig eingeschränkt werden, wenn ihm damit Schmerzen, Qualen, Verletzungen oder sonstige Schäden zugefügt werden, oder das Tier in schwere Angst versetzt wird.
(3) Tiere sind so zu halten, daß ihre Körperfunktionen und ihr Verhalten nicht gestört sowie ihre Anpassungsfähigkeit nicht überfordert werden.
(4) Tiere sind so zu halten oder zu verwahren, daß
1.
Menschen nicht gefährdet,
2.
Menschen, die nicht im selben Haushalt leben, nicht unzumutbar belästigt und
3. fremde Sachen nicht beschädigt
werden.
Ob Belästigungen im Sinne der Z 2 zumutbar sind, ist nach den Maßstäben eines normal empfindenden Menschen und auch auf Grund der örtlichen Verhältnisse zu beurteilen."
Gemäß § 28 Abs. 3 Z 7 des Wiener Tierschutz- und Tierhaltegesetzes (in der hier maßgebenden Fassung LGBl. Nr. 13/2002) begeht, wer ein Tier nicht so hält oder verwahrt, dass Menschen nicht gefährdet, Menschen, die nicht im selben Haushalt leben, nicht unzumutbar belästigt und fremde Sachen nicht beschädigt werden (§ 11 Abs. 4), eine Verwaltungsübertretung und ist mit Geldstrafe bis zu EUR 14.000,-- zu bestrafen.
Der Eigentümer eines Tieres ist gemäß § 1 Abs. 2 Wiener Tierschutz- und Tierhaltegesetz (in der hier maßgebenden Fassung LGBl. Nr. 13/2002) verpflichtet, bei der Haltung für die Beachtung dieses Gesetzes, der darauf gegründeten Verordnungen sowie der in Bescheiden enthaltenen Aufträge und Auflagen zu sorgen. Ist ihm dies nicht möglich, hat er das Tier - sofern nach fachkundiger Ansicht eine Entlassung in die freie Natur mangels Überlebensfähigkeit nicht möglich ist - an Institute, Vereinigungen oder Personen zu übergeben, die eine Einhaltung dieser Vorschriften gewährleisten.
Gemäß § 3 Abs. 5 Wiener Tierschutz- und Tierhaltegesetz (in der hier maßgebenden Stammfassung LGBl. Nr. 39/1987) ist Halter, wer im eigenen Namen zu entscheiden hat, wie ein Tier zu betreuen und zu beaufsichtigen ist. Verwahrer ist gemäß § 3 Abs. 6 Wiener Tierschutz- und Tierhaltegesetz (ebenfalls in der hier maßgebenden Stammfassung LGBl. Nr. 39/1987), wer die unmittelbare Herrschaft über das Verhalten eines Tieres ausübt.
Aus den genannten Bestimmungen ergibt sich, dass bei der Haltung eines Tieres sämtliche im § 11 Wiener Tierschutz- und Tierhaltegesetz genannten Grundsätze zu befolgen sind. Dies bedeutet, dass Tiere nicht nur artgerecht gehalten werden müssen, sondern dass sie auch so zu halten sind, dass keines der durch § 11 Abs. 4 Wiener Tierschutz- und Tierhaltegesetz geschützten Rechtsgüter verletzt wird.
Die belangte Behörde hat aus der artgerechten Tierhaltung geschlossen, dass die Verwahrung im Sinne des Gesetzes erfolgt ist. Damit hat sie nicht nur verkannt, dass artgerechte Tierhaltung nicht alleine schon gesetzeskonforme Tierhaltung bewirkt, sondern auch, dass eine im Übrigen gesetzmäßige Haltung eine im konkreten Fall gegen § 11 Abs. 4 Z 2 des Wiener Tierschutz- und Tierhaltegesetzes verstoßende Verwahrung nicht ausschließt. Der dem Mitbeteiligten zur Last gelegte Vorwurf, die Hunde entgegen der genannten Vorschrift verwahrt zu haben, kann somit nicht dadurch entkräftet werden, dass die Haltung artgerecht erfolgte.
Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
Wien, am 18. März 2004
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2004:2003050092.X00Im RIS seit
26.04.2004