TE Vwgh Erkenntnis 2004/3/23 2003/01/0481

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Veröffentlicht am 23.03.2004
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Index

41/02 Staatsbürgerschaft;

Norm

StbG 1985 §10 Abs1 idF 1998/I/124;
StbG 1985 §10 Abs6 idF 1998/I/124;
StbG 1985 §10a idF 1998/I/124;
StbG 1985 §11 idF 1998/I/124;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Gruber und die Hofräte Dr. Blaschek, Dr. Nowakowski, Dr. Pelant und Mag. Nedwed als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Lier, über die Beschwerde des Y in L, geboren 1939, vertreten durch Dr. Hubert F. Kinz, Rechtsanwalt in 6901 Bregenz, Kirchstraße 10, gegen den Bescheid der Vorarlberger Landesregierung vom 14. April 2003, Zl. Ia 370-272/2003, betreffend Verleihung und Erstreckung der Staatsbürgerschaft, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Das Land Vorarlberg hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 908,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde den Antrag des Beschwerdeführers, eines Staatsangehörigen der Türkei, auf Verleihung der Staatsbürgerschaft "gemäß §§ 10, 11a, 12, 13 und 14 in Verbindung mit 10a" StbG ab. In einem zweiten Spruchpunkt wurde der Antrag, die Verleihung der Staatsbürgerschaft auf die Ehegattin des Beschwerdeführers zu erstrecken, abgewiesen.

Begründend führte die belangte Behörde im Wesentlichen aus, der 1939 geborene Beschwerdeführer habe seinen Hauptwohnsitz seit 1976 ununterbrochen in Österreich, habe hier bei verschiedenen Firmen gearbeitet und sei jetzt in Pension. "Erhebungen des Amtes der Vorarlberger Landesregierung" hätten ergeben, dass eine Verständigung mit dem Beschwerdeführer "nicht möglich" sei. Es sei ihm "nicht möglich, an ihn gerichtete Fragen zu beantworten, die über seine persönlichsten Verhältnisse hinausgehen. Darüber hinaus gehende Fragen wurden nicht mehr folgerichtig beantwortet". In einer Stellungnahme vom 2. April 2003 (zu ergänzen: zum schriftlichen Vorhalt vom 25. März 2003, "Erhebungen der Behörde" hätten ergeben, dass eine "Verständigung in deutscher Sprache mit Ihnen nicht möglich" sei) habe "der Antragsteller" mitgeteilt, er sei "bekennender Analphabet" in türkischer Schrift und "beherrsche auch die deutsche Sprache nicht".

In rechtlicher Hinsicht sei nach Ansicht der belangten Behörde unter anderem darauf Bedacht zu nehmen, dass sich für den in Pension befindlichen Beschwerdeführer auf Grund seiner persönlichen Verhältnisse die Notwendigkeit einer Verständigung nicht nur im Familienkreis, sondern auch darüber hinaus, etwa bei Behördengängen, Arztbesuchen oder ähnlichen Gelegenheiten ergebe. Die über den Familienkreis hinaus gehenden Kontakte erforderten Kenntnisse der deutschen Sprache zumindest in einem Ausmaß, das eine Verständigung in alltäglichen Lebenssituationen ermögliche. Der Stellungnahme des Beschwerdeführers sei entgegen zu halten, dass die Minimalvoraussetzungen des § 10a StbG auf eine mündliche Verständigung abstellten und Analphabetismus weder eine den Lebensverhältnissen entsprechende Fähigkeit, sich zu verständigen, entbehrlich mache noch daran hindere, die deutsche Sprache zu lernen und zu sprechen. Mangels Vorliegens der für alle Verleihungstatbestände maßgebenden Voraussetzung des § 10a StbG sei der Antrag des Beschwerdeführers daher abzuweisen gewesen. Gemäß § 18 StbG seien aus diesem Grund auch die Voraussetzungen für die beantragte Erstreckung der Verleihung der Staatsbürgerschaft auf die Ehegattin des Beschwerdeführers nicht gegeben.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:

§ 10a StbG lautet:

"Voraussetzungen jeglicher Verleihung sind unter Bedachtnahme auf die Lebensumstände des Fremden jedenfalls entsprechende Kenntnisse der deutschen Sprache."

Zum Verständnis dieser Vorschrift ist hinsichtlich ihres - im Sinne der Ausführungen im angefochtenen Bescheid - umfassenden Anwendungsbereiches auf das hg. Erkenntnis vom 3. Mai 2000, Zl. 99/01/0272, Slg. Nr. 15.411/A, sowie hinsichtlich des nach ihr erforderlichen Maßes an Sprachbeherrschung vor allem auf die Erkenntnisse vom 12. März 2002, Zl. 2001/01/0018, vom 16. Juli 2003, Zl. 2002/01/0147, sowie - einen teilweise ähnlichen Bescheid der belangten Behörde betreffend - vom 9. September 2003, Zl. 2002/01/0008, zu verweisen. Nach den zuletzt erwähnten Erkenntnissen ist die Anordnung des § 10a StbG dahingehend auszulegen, dass die erforderlichen Sprachkenntnisse - entsprechend den Verhältnissen des Fremden und angepasst an den jeweiligen Verleihungstatbestand - innerhalb seines sozialen Umfeldes eine Verständigung in Deutsch erlauben müssen. Es geht um das Mindestmaß an Sprachbeherrschung, das - je nach den konkreten Lebensumständen des Betroffenen - erforderlich ist, um ein dauerhaftes "Miteinander" im Alltagsleben zu ermöglichen.

Dass die belangte Behörde diese rechtlichen Voraussetzungen verkannt hätte, geht aus dem angefochtenen Bescheid nicht hervor.

In verfahrensrechtlicher Hinsicht hat der Verwaltungsgerichtshof wiederholt zum Ausdruck gebracht, die Grundlagen für die Beurteilung der Sprachkenntnisse des Antragstellers müssten dem Bescheid selbst in einer den Erfordernissen des § 60 AVG genügenden Weise entnehmbar sein (vgl. - im Zusammenhang mit Ermessensentscheidungen - die Erkenntnisse vom 11. Oktober 2000, Zl. 2000/01/0277, und vom 16. Juli 2003, Zl. 2002/01/0143; zu § 10a StbG die teilweise schon zitierten Erkenntnisse vom 12. März 2002, Zl. 2001/01/0018, vom 18. April 2002, Zl. 2000/01/0363, vom 16. Juli 2003, Zl. 2002/01/0170, und vom 9. September 2003, Zl. 2002/01/0008, sowie - als Beispiel für die Offenlegung der Entscheidungsgrundlagen in der Bescheidbegründung - das Erkenntnis vom 16. Juli 2003, Zl. 2002/01/0147). Die Begründungserfordernisse des § 60 AVG schließen u.a. die Verpflichtung der Behörde ein, in der Bescheidbegründung in eindeutiger, einer nachprüfenden Kontrolle zugänglicher Weise darzutun, von welchen konkreten Tatsachenfeststellungen ausgegangen wurde und auf welche Erwägungen zu den einzelnen Ergebnissen des Ermittlungsverfahrens sich diese gründen (vgl. dazu die bei Walter/Thienel, Verwaltungsverfahrensgesetze I2, E 75 ff und E 86 ff zu § 60 AVG, wiedergegebene hg. Rechtsprechung). Der bloße Hinweis auf die "Verfahrensergebnisse" ist in der zuletzt genannten Hinsicht nicht ausreichend (a.a.O., E 91).

Im vorliegenden Fall hat ein Sachbearbeiter der belangten Behörde am 18. März 2003, dem Tag der Überreichung des Antrages, zur Ermittlung der Sprachkenntnisse des Beschwerdeführers ein kurzes Gespräch mit ihm geführt und darüber einen Aktenvermerk angelegt, der den Verlauf des Gespräches und die zu Tage getretenen Verständigungsschwierigkeiten im Einzelnen wiedergibt. Ein solcher Vorgang ist - auch unter Berücksichtigung des zusätzlichen Umstandes, dass der Sohn des Beschwerdeführers, da dieser sich in türkischer Sprache mit ihm zu beraten versuchte, gebeten wurde, vorübergehend den Raum zu verlassen - nicht als "Prüfung" im Sinne der in der Beschwerde zitierten Gesetzesmaterialien (1283 BlgNR 20. GP 8 f, wiedergegeben etwa in den zitierten Erkenntnissen vom 3. Mai 2000 und 12. März 2002) zu beanstanden, zumal ein allgemein gehaltenes Gespräch für die Ermittlung der nach § 10a StbG maßgeblichen Voraussetzungen zweckdienlicher sein kann als entsprechende Vermerke im Zuge einer Niederschrift über andere spezifische Voraussetzungen der Verleihung der Staatsbürgerschaft.

Die belangte Behörde hat es aber verabsäumt, auf den Inhalt des über das Gespräch aufgenommenen Aktenvermerkes in der Begründung ihrer Entscheidung näher als in der schon wiedergegebenen Weise einzugehen und ihre zitierten, sehr allgemein gehaltenen Schlussfolgerungen über die Sprachbeherrschung des Beschwerdeführers durch konkrete Bezugnahmen auf die dokumentierten Verständigungsschwierigkeiten nachvollziehbar zu begründen. Der erwähnte Aktenvermerk findet in der Begründung des angefochtenen Bescheides, die sich in sachverhaltsmäßiger Hinsicht nur auf die "vorgelegten Unterlagen und durchgeführten Erhebungen" bzw. auf nicht näher bezeichnete "Erhebungen des Amtes der Vorarlberger Landesregierung" stützt, überhaupt keine Erwähnung. Hinzu kommt noch, dass die Ausführungen im angefochtenen Bescheid - wonach eine Verständigung mit dem Beschwerdeführer einerseits (überhaupt) "nicht möglich" sei, er andererseits aber (nur) über seine persönlichsten Verhältnisse hinaus gehende Fragen "nicht mehr folgerichtig" beantworte - auch nicht frei von Widersprüchen sind.

Der Hinweis der belangten Behörde auf die Stellungnahme des Beschwerdeführers zu dem schriftlichen Vorhalt vom 25. März 2003 - dem im Übrigen schon nicht entnehmbar war, durch welche "Erhebungen" sich die belangte Behörde von den mangelnden Sprachkenntnissen des Beschwerdeführers überzeugt habe - entspricht zum Teil nicht der Aktenlage. Von den zwei Blättern der Stellungnahme besteht eines in einer (hinsichtlich ihrer Echtheit vom Bezirksgericht Bregenz beglaubigten) eidesstattlichen Erklärung des Beschwerdeführers, wonach dieser in der Türkei keine Schule besucht habe und Analphabet sei. Dass er die deutsche Sprache nicht beherrsche, wird in dieser Erklärung nicht zum Ausdruck gebracht. Die diesbezügliche Äußerung ("beherrscht, wie Sie wissen, auch die deutsche Sprache nicht") findet sich im zugleich überreichten Begleitschreiben, das jedoch - ohne Hinweis auf ein Vertretungsverhältnis - von der Ausländerberatung Tirol stammt. Eine derartige Äußerung eines mit der Angelegenheit befassten Dritten trägt nicht dazu bei, die Erfüllung der Voraussetzungen des § 10a StbG nahe zu legen. Sie vermochte die belangte Behörde von einer nachvollziehbaren eigenen Auseinandersetzung mit den Sprachkenntnissen des Beschwerdeführers aber ebenso wenig zu entbinden wie etwa die Äußerung des Ehegatten einer Erstreckungswerberin in dem mit dem hg. Erkenntnis vom 14. Mai 2002, Zl. 2002/01/0040, entschiedenen Fall.

Da die im angefochtenen Bescheid getroffenen Feststellungen nicht ausreichen, um die Erfüllung der Voraussetzungen des § 10a StbG zu überprüfen, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Im fortgesetzten Verfahren wird die belangte Behörde - sofern der Beschwerdeführer nicht geltend macht, seine Sprachkenntnisse hätten sich in der Zwischenzeit gebessert, weil er etwa einen Deutschkurs besucht habe - auf der Grundlage des schon vorliegenden Aktenvermerkes über das mit ihm geführte Gespräch konkret und widerspruchsfrei darzustellen haben, inwieweit eine Verständigung in deutscher Sprache mit ihm möglich bzw. nicht mehr möglich ist. Erst davon ausgehend wird sich beurteilen lassen, ob seine Sprachkenntnisse - gemessen etwa an den als noch "entsprechend" beurteilten in dem mit dem hg. Erkenntnis vom 16. Juli 2003, Zl. 2002/01/0147, entschiedenen Fall - das zuvor umschriebene Mindestmaß noch erreichen oder ob dies hier nicht mehr zutrifft.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz im Umfang des begehrten Betrages gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003.

Wien, am 23. März 2004

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2004:2003010481.X00

Im RIS seit

15.04.2004

Zuletzt aktualisiert am

07.10.2008
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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