TE Vfgh Erkenntnis 2000/9/30 B2623/97

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Veröffentlicht am 30.09.2000
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Index

L8 Boden- und Verkehrsrecht
L8000 Raumordnung

Norm

B-VG Art144 Abs1 / Anlaßfall

Leitsatz

Anlaßfallwirkung der Aufhebung des 2.0 Flächenwidmungsplanes der Stadt Graz, rechtswirksam seit 18.12.92, soweit damit ein Grundstück als "reines Wohngebiet" ausgewiesen ist, mit E v 30.09.00, V50/00.

Spruch

Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid wegen Anwendung einer gesetzwidrigen Verordnung in seinen Rechten verletzt worden.

Der Bescheid wird aufgehoben.

Die Landeshauptstadt Graz ist schuldig, dem Beschwerdeführer zu Handen seines Rechtsvertreters die mit S 15.000,- bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei Exekution zu bezahlen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1.1. Mit Bescheid des Stadtsenates der Landeshauptstadt Graz vom 22. Juli 1982 wurde dem Beschwerdeführer gemäß den §§2 und 3 der Steiermärkischen Bauordnung 1968, LGBl. Nr. 149 idF LGBl. Nr. 55/1977, die Widmung des Grundstückes Nr. 183/3, EZ 2239, KG Waltendorf, als Baugrund bewilligt. Unter Punkt 7. der Bebauungsgrundlagen (zulässige Bauten - Verwendungszweck) wurde festgelegt:

"Betriebsstätte (Gaststätte) mit einer Wohnung. Keine Anlagen, die durch Verbreitung schädlicher oder übler Dünste oder Gerüche, durch Entwicklung von starkem Rauch, durch Bildung von schädlichen oder lästigen Niederschlägen aus Dämpfen und Abgasen oder durch starke Geräusche oder Erschütterungen Gefahren, Nachteile oder häufige Belästigungen der Nachbarschaft herbeizuführen geeignet sind. Nebengebäude, ausgenommen Kleingaragen, sind nicht zulässig."

Die Auflage unter Punkt 13. dieses Bescheides lautet:

"Errichtung von Abstellflächen oder Garagen:

Ein Abstellplatz je Wohneinheit, ein Abstellplatz je 10 Besucherplätze auf Abstellfläche oder in freistehender Garage oder im Hauptgebäude. Situierung der Abstellflächen: Nordseitig der Rudolfstraße bzw. westseitig des Gaststättenobjektes."

1.2. Mit Bescheid vom 11. August 1982 wurde dem Beschwerdeführer die Baubewilligung für die Errichtung eines ganz unterkellerten, eingeschossigen Betriebsgebäudes mit einer Wohnung und teilweise ausgebautem Dachgeschoss in massiver Ausführung auf dem von der Widmungsbewilligung erfassten Grundstück Nr. 183/3 der KG Waltendorf unter zahlreichen Auflagen erteilt. Mit Bescheid vom 27. September 1987 wurde die Benützungsbewilligung erteilt. In diesen bewilligten Räumlichkeiten betreibt der Beschwerdeführer seither ein "Heurigenlokal" (bzw. Heurigen-Restaurant).

1.3. Am 5. Jänner 1990 beantragte der Beschwerdeführer die Erteilung einer Baubewilligung für einen Umbau und einen Zubau zum bestehenden Objekt. Mit Bescheid vom 17. Mai 1990 wurde dem Beschwerdeführer die beantragte Baubewilligung unter mehreren Auflagen erteilt. Gegen diesen Bescheid haben Nachbarn Berufung erhoben. Mit Bescheid der Berufungsbehörde vom 17. Jänner 1991 wurde der Berufung der Nachbarn keine Folge gegeben und dies - im Wesentlichen - damit begründet, durch die rechtskräftige Widmungsbewilligung vom 22. Juli 1982, in deren Rahmen sich das Bauprojekt halte, sei verbindlich ausgesprochen worden, dass die von der Widmung erfasste Grundfläche nach Maßgabe dieser Widmungsbewilligung zur Bebauung geeignet sei. Eine Änderung der bei Erlassung dieses Bescheides zu beachtenden raumordnungsrechtlichen Vorschriften sei seither nicht erfolgt, weil infolge der (im Zeitpunkt der Erteilung der Widmungsbewilligung bereits in Kraft gestandenen) Bausperrenverordnung III vom 11. Dezember 1980 bereits die geplante Ausweisung "reines Wohngebiet" im Flächenwidmungsplan 1982 zu berücksichtigen gewesen sei. Es sei daher mit dem Widmungsbescheid verbindlich ausgesprochen worden, dass der Betrieb einer Gaststätte mit dem Flächenwidmungsplan vereinbar sei.

1.4. Der Verwaltungsgerichtshof (Zl. 91/06/0030) gab einer Beschwerde der Nachbarn gegen den Berufungsbescheid mit Erkenntnis vom 28. November 1991 statt und begründete seine Entscheidung im Wesentlichen damit, dass zwar ein Gastgewerbebetrieb im weitesten Sinne, soferne er keine Belästigung der Wohnbevölkerung verursacht, im reinen Wohngebiet nicht schlechthin unzulässig sei; daraus sei jedoch nicht abzuleiten, dass gastgewerbliche Betriebe jedweder Art im reinen Wohngebiet zulässig wären, weil gemäß §23 Abs5 lita Stmk. ROG 1974 neben Wohnbauten nur Nutzungen, die zur Deckung der täglichen Bedürfnisse der Bewohner des Gebietes dienen, zulässig sind. In Ermangelung geeigneter Feststellungen sei diese Frage jedoch nicht abschließend beurteilbar, weshalb es zur Aufhebung der Entscheidung der Berufungsbehörde kam, wobei der Verwaltungsgerichtshof noch hinzufügte, dass dann, wenn der Gastgewerbebetrieb des Beschwerdeführers nach Art und Umfang auf ein über das reine Wohngebiet hinausgehendes Einzugsgebiet abziele, seine Zulässigkeit nur bei Zutreffen des zweiten Ausnahmegrundes des §23 Abs5 lita Stmk. ROG 1974 in Betracht komme, nämlich wenn er dem Gebietscharakter nicht widerspricht.

1.5. Die Berufungsbehörde holte weitere Gutachten ein, worin festgehalten ist, dass das bewilligte und bereits durchgeführte Bauvorhaben (Umbau und Zubau) im Verhältnis zum bereits konsentierten Bestand als geringfügig zu bezeichnen ist und dem Gebietscharakter nicht widerspreche. Mit Bescheid vom 19. Oktober 1995 wurden daher die Berufungen der Nachbarn ein weiteres Mal abgewiesen.

1.6. Diesen Bescheid behob der Verwaltungsgerichtshof mit seinem Erkenntnis vom 7. November 1996, Zl. 95/06/0256, nach nochmaliger Beschwerde der Nachbarn. Begründet wurde dieses Erkenntnis im Wesentlichen damit, dass das Gutachten des Stadtplanungsamtes nicht schlüssig sei, da nicht davon gesprochen werden könne, dass der Gebietscharakter in der unmittelbaren Umgebung von "vergleichbaren Betrieben" geprägt sei.

1.7. Mit Bescheid vom 10. September 1997 gab die Berufungsbehörde nunmehr der Berufung der Nachbarn Folge und wies das Bauansuchen des Beschwerdeführers vom 5. Jänner 1990 ab. Begründet wurde diese Entscheidung damit, dass der Betrieb des Beschwerdeführers nicht ein Betrieb sei, der den täglichen Bedürfnissen der Bewohner dient; außerdem könne nicht davon gesprochen werden, dass der Gebietscharakter in der unmittelbaren Umgebung von vergleichbaren Betrieben geprägt werde; daher sei der beantragte Um- und Zubau im "reinen Wohngebiet" unzulässig.

2. Die Beschwerde behauptet die Gesetzwidrigkeit der Flächenwidmung des Grundstückes Nr. 183/3 sowohl im Flächenwidmungsplan 1982 als auch im 2.0 Flächenwidmungsplan 1992. Bei der Ausweisung des Grundstückes in "reines Wohngebiet" habe die Landeshauptstadt Graz nicht hinreichend bedacht, dass der auf diesem Grundstück geführte Gastgewerbebetrieb des Beschwerdeführers nicht der Deckung der täglichen Bedürfnisse der Bewohner des Gebietes diene. Das bestehende Gasthaus diene schon seit dem Jahre 1850 vor allem Wanderern und Ausflüglern als Ausflugsziel. Die Landeshauptstadt Graz habe daher die sich aus den §§4 und 18 Stmk. ROG 1974 ergebende Pflicht, nämlich bei der örtlichen Raumordnung die jeweils hiefür bedeutsamen natürlichen, wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Gegebenheiten zu erheben, verletzt. Nachdem es für dieses Grundstück schon seit 22. Juli 1982 eine Widmungsbewilligung und seit 11. August 1982 eine Baubewilligung gab, sei es gesetzwidrig, ein derartiges Grundstück als "reines Wohngebiet" auszuweisen. Vielmehr wäre das Grundstück als "allgemeine Wohngebiete" iSd §23 Abs5 litb Stmk. ROG 1974 auszuweisen gewesen.

Die Beschwerde behauptet weiters die Verletzung in den verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten auf Unverletzlichkeit des Eigentums und auf Freiheit der Erwerbstätigkeit.

Die Beschränkung eines Betreibers eines Ausflugsgasthofes auf einen Versorgungsbetrieb für die Bewohner des unmittelbar umgebenden Gebietes sei ein unerlaubter Eingriff in die Unverletzlichkeit des Eigentums und komme einer teilweisen Enteignung gleich. Darüber hinaus sei die Freiheit der Erwerbstätigkeit eingeschränkt, wenn schon dann ein Widerspruch gegen den Gebietscharakter im Sinne des §23 Abs5 lita Stmk. ROG 1974 vorliege, wenn die unmittelbare Umgebung nicht von vergleichbaren Betrieben geprägt werde; es könne nicht angehen, die Zulässigkeit der Errichtung eines Betriebes dann, wenn dieser nicht der Deckung der täglichen Bedürfnisse der Bewohner des Gebietes diene, davon abhängig zu machen, dass es bereits gleichartige Betriebe in diesem Gebiet gibt.

Schließlich wird die Verfassungswidrigkeit des §23 Abs5 lita Stmk. ROG 1974 behauptet, allerdings nicht näher begründet.

3. Die belangte Behörde erstattete eine Gegenschrift und legte die Verwaltungsakten vor. Sie weist darauf hin, dass bei Erlassung des Berufungsbescheides der geltende Flächenwidmungsplan der Landeshauptstadt Graz anzuwenden gewesen sei. Der belangten Behörde sei es verwehrt gewesen, den Flächenwidmungsplan inhaltlich zu überprüfen, weshalb sie auf Ausführungen dazu verzichtet.

II. Aus Anlass dieser Beschwerde hat der Verfassungsgerichtshof von Amts wegen gemäß Art139 Abs1 B-VG mit Beschluss vom 8. März 2000 ein Verfahren zur Prüfung der Gesetzmäßigkeit der Verordnung der Stadt Graz, rechtswirksam seit 18. Dezember 1992,

2.0 Flächenwidmungsplan, soweit damit das Grundstück Nr. 183/3, KG Waltendorf, als "reines Wohngebiet" ausgewiesen ist, eingeleitet.

Mit Erkenntnis vom 30. September 2000, V50/00, hat der Verfassungsgerichtshof die in Prüfung gezogene Verordnung aufgehoben.

Der angefochtene Bescheid stützt sich auf die gesetzwidrige Verordnung. Es ist nach der Lage des Falles offenkundig, dass ihre Anwendung für die Rechtsposition des Beschwerdeführers nachteilig war.

Der Beschwerdeführer wurde durch den angefochtenen Bescheid wegen Anwendung einer gesetzwidrigen Verordnung in seinen Rechten verletzt (vgl. VfSlg. 10.404/1985).

Der Bescheid war daher aufzuheben.

Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VerfGG 1953. In den zugesprochenen Kosten ist eine Eingabegebühr von S 2.500,- enthalten. Umsatzsteuer wurde keine beantragt.

Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 Z3 VerfGG 1953 ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

Schlagworte

VfGH / Anlaßfall

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2000:B2623.1997

Dokumentnummer

JFT_09999070_97B02623_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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