Index
001 Verwaltungsrecht allgemein;Norm
AVG §18;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bernard und die Hofräte Dr. Hargassner, Dr. Fuchs, Dr. Büsser und Dr. Mairinger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Seidl LL.M., über die Beschwerde des S in L, vertreten durch Dr. Walter Rinner, Rechtsanwalt in 4040 Linz, Freistädter Straße 3, gegen den Bescheid der Finanzlandesdirektion für Oberösterreich vom 7. Jänner 1999, Zl. RV487/1-10/1999, betreffend Haftung nach § 9 Abs. 1 BAO, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.172,88 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer war mit Wirksamkeit vom 13. April 1996 zum Geschäftsführer der S. GmbH bestellt worden, die zu diesem Zeitpunkt mit der Begleichung von Abgaben in Rückstand geraten war.
In einem Rechenschaftsbericht vom 14. April 1996 berichtete das abgabenbehördliche Vollzugsorgan (der Vollstrecker) dem Finanzamt, dass die S. GmbH "nicht mehr existent" sei. Das Geschäftslokal sei Ende März 1996 geschlossen worden; nach Mitteilung des Ehemannes der (vormaligen) Geschäftsführerin werde diese umgehend das Finanzamt aufsuchen, um den Rückstand zu begleichen.
In einem weiteren Bericht vom 26. Juni 1996 teilte der Vollstrecker dem Finanzamt mit, dass der Beschwerdeführer angeblich neuer Geschäftsführer der S. GmbH sei. Diese GmbH habe derzeit kein verwertbares Vermögen mehr.
Nachdem der Beschwerdeführer am 3. Juli 1996 beim Bezirksgericht Linz-Land die Eröffnung des Schuldenregulierungsverfahrens über sein Vermögen beantragt hatte, wurde dieses Verfahren mit Beschluss des Bezirksgerichtes Linz-Land vom 5. Juli 1996 eröffnet und ein Masseverwalter bestellt. Mit Beschluss vom 23. Juli 1996 wies dasselbe Bezirksgericht den Antrag des Beschwerdeführers auf Eröffnung des Schuldenregulierungsverfahrens unter Aufhebung des bisherigen Verfahrens als nichtig mit der Begründung zurück, dass es sich bei dem vom Beschwerdeführer in seinem Antrag angegebenen Wohnsitz um eine "Scheinadresse" handle und sein tatsächlicher Wohnsitz nach wie vor unbekannt sei.
Das Finanzamt richtete nach Kenntnis von der Eröffnung des Schuldenregulierungsverfahrens an den Beschwerdeführer in seiner Eigenschaft als Geschäftsführer der S. GmbH am 9. Juli 1996 folgendes Auskunftsersuchen:
"1) Warum wurden die Abgabenschuldigkeiten nicht entrichtet?
2) Ist die gegenständliche Firma zahlungsunfähig und wenn ja, ab welchem Zeitpunkt? Sie werden ersucht, den Zeitraum der Zahlungsunfähigkeit mit entsprechenden Unterlagen nachzuweisen.
3) Wurden Löhne und Gehälter ab Eintritt der Zahlungsunfähigkeit ausbezahlt? Wenn ja: Wurden die Löhne und Gehälter in voller Höhe ausbezahlt? In welchem Verhältnis wurden sie ausbezahlt? Um eine genaue Aufstellung der Beträge und Zeiträume wird ersucht.
4) Liegen außer den Abgabenverbindlichkeiten noch andere Schulden vor? Wenn ja: Bei wem? In welcher Höhe? Sie werden um umfassende Darstellung ersucht.
5) Auch werden Sie ersucht, eine genaue Aufstellung der Eingangsrechnungen ab dem Zeitpunkt der Zahlungsunfähigkeit nach folgendem Muster beizubringen: ER vom: Lieferant: Betrag: Bezahlt am: Bezahlter Betrag:
6) Sie werden im eigenen Interesse um möglichst detaillierte Auskünfte ersucht, da ein Haftungsbescheid gegen Sie erwogen wird."
Ohne die für die Beantwortung dieses Auskunftsersuchens gesetzte Frist abzuwarten, erließ das Finanzamt am 7. August 1996 gegen den Beschwerdeführer einen Haftungsbescheid über aushaftende Abgabenschuldigkeiten der S. GmbH im Gesamtbetrag von S 493.477,-- , welcher damit begründet wurde, dass die näher angeführten Abgabenschuldigkeiten bisher nicht entrichtet worden seien und sich die Geltendmachung der Haftung darauf gründe, dass der Beschwerdeführer als Geschäftsführer verpflichtet gewesen sei, für die Entrichtung der Abgaben zu sorgen. Da er dieser Verpflichtung und auch anderen Verpflichtungen gegenüber der Abgabenbehörde (z.B.: Abgabe von Umsatzsteuervoranmeldungen) nicht nachgekommen sei, liege eine schuldhafte Pflichtverletzung vor, derzufolge der Beschwerdeführer gemäß § 9 BAO hafte. Feststellungen zur Uneinbringlichkeit der Abgabenschuldigkeiten bei der S. GmbH finden sich in der Begründung dieses Bescheides nicht.
In seiner gegen den Haftungsbescheid erhobenen Berufung verwies der Beschwerdeführer zunächst darauf, erst seit 13. April 1996 Geschäftsführer der S. GmbH zu sein, während in den Haftungsbescheid auch Abgaben aufgenommen worden seien, die schon vor dem Zeitpunkt seiner Geschäftsführung fällig gewesen seien; für solche Abgaben könne keine Haftung bestehen. Die vormalige Geschäftsführerin habe Überweisungsaufträge erteilt, welchen von der Bank jedoch nur in eingeschränktem Umfang entsprochen worden sei. Auf Grund der Einstellung des Betriebes habe der Beschwerdeführer über keine nennenswerten Einnahmen der Gesellschaft mehr verfügen können. Trotz einer positiven Entwicklung des Bankkontos sei die Bank nicht mehr bereit gewesen, aus den umfangreichen Einnahmen der letzten Monate fällige Überweisungen an das Finanzamt durchzuführen. Dies habe der Beschwerdeführer nicht verhindern können. Eine schuldhafte Pflichtverletzung liege nicht vor.
Mit Schreiben vom 9. Dezember 1996 hielt das Finanzamt dem Beschwerdeführer vor, dass ein Geschäftsführer auch für solche Abgaben zur Haftung herangezogen werden könne, über deren Aushaften er sich bei Antritt seiner Tätigkeit nicht informiert oder die er im Falle der Kenntnis vom Bestehen der Abgabenschuldigkeiten nicht in einer Weise entrichtet habe, mit welcher die Abgabenbehörde im Vergleich zu anderen Schuldnern nicht schlechter als andere Gläubiger gestellt worden sei. Aus dem Vorbringen der Berufung, dass am betrieblichen Bankkonto Eingänge stattgefunden hätten, die Bank jedoch keine Überweisungen mehr durchgeführt habe, sei abzuleiten, dass das Finanzamt im Vergleich zur Bank schlechter gestellt worden sei, weil die offenen Abgabenschuldigkeiten zumindest anteilig hätten beglichen werden müssen. Der Beschwerdeführer möge hiezu Stellung nehmen und mitteilen, weshalb die Überweisungen durch die Bank nicht mehr durchgeführt worden seien, ob eine Forderungszession erfolgt sei und welche Maßnahmen der Beschwerdeführer getroffen habe, um die Bank zur Überweisung der offenen Beträge zu bewegen.
Diesen Vorhalt beantwortete der Beschwerdeführer mit Schreiben vom 17. Dezember 1996 dahin, dass zwischen 16. April und 22. April 1996 Beträge in Summe von S 249.707,66 am Bankkonto der S. GmbH eingegangen seien. Von diesen Eingängen sei am 17. April 1996 eine Zahlung an das Finanzamt in Höhe von S 40.000,-
- und weitere, im Einzelnen angeführte Zahlungen an andere Gläubiger in einem Gesamtbetrag geleistet worden, mit welchem "der Rahmen von S 300.000,--" zur Gänze ausgeschöpft gewesen sei. Rund 20 % des Betrages der Überweisungen resultiere aus der Zahlung an das Finanzamt "in Höhe von S 65.700,--", welche durch Umbuchung eines Steuerguthabens des Beschwerdeführers im Betrag von S 25.700,-- erfolgt sei. Das Finanzamt sei im Vergleich zur Bank und zu den sonstigen Gläubigern damit nicht schlechter gestellt worden.
Mit Schreiben vom 30. Dezember 1996 erinnerte das Finanzamt den Beschwerdeführer daran, auch danach gefragt zu haben, weshalb die Überweisungen durch die Bank nicht mehr durchgeführt worden seien, ob eine Forderungszession erfolgt sei und welche Maßnahmen der Beschwerdeführer getroffen habe, um die Bank zur Überweisung der offenen Beträge zu bewegen. Aus den Darlegungen der Vorhaltsbeantwortung über die Leistung von Zahlungen von S 300.000,-- gehe nicht hervor, ob die Gläubiger allesamt nur anteilsmäßig befriedigt worden seien. Diese Darlegungen seien dahin zu ergänzen, dass die Höhe der aushaftenden Forderungen der einzelnen Gläubiger zum Zeitpunkt der getätigten Überweisungen dargelegt werde.
Mit Schreiben vom 30. Jänner 1997 teilte der Beschwerdeführer hiezu mit, dass die Überweisungen durch die Bank nicht mehr durchgeführt worden seien, weil der Kontokorrentrahmen ausgeschöpft gewesen sei, dass keine Forderungszession erfolgt sei und dass nach Ausschöpfung des Kontokorrentrahmens mangels zusätzlicher Eingänge die Bank nicht mehr dazu habe angehalten werden können, Überweisungen durchzuführen. Eine weit gehende Aufgliederung der geleisteten Beträge sei ohnehin bereits erfolgt, die verlangte Liste der offenen Kreditoren könne erst nach Erstellung der Jahresabschlüsse 1995 und 1996 endgültig übermittelt werden. Bei den geleisteten Zahlungen an die Lieferanten habe es sich nur um solche gehandelt, die schon vor der Übernahme der Geschäftsführung durch den Beschwerdeführer fällig gewesen seien, während die "Verbindlichkeiten an das Finanzamt" erst nach der Übernahme der Geschäftsführung fällig gewesen seien. Für die Vorlage der Kreditorenliste werde um Fristerstreckung bis 30. Juni 1997 gebeten.
Nachdem der Beschwerdeführer am 10. März 1997 beim Bezirksgericht Neufelden die Eröffnung des Schuldenregulierungsverfahrens beantragt hatte, wurde mit Beschluss dieses Bezirksgerichtes vom 13. März 1997 das Schuldenregulierungsverfahren eröffnet und ein Masseverwalter bestellt. Mit Beschluss desselben Gerichtes vom 26. Juni 1997 wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf Durchführung des Schuldenregulierungsverfahrens wiederum unter Aufhebung des bisherigen Verfahrens als nichtig mit der Begründung zurückgewiesen, dass es sich bei der vom Beschwerdeführer angegebenen Anschrift seines behaupteten Wohnsitzes um eine "Scheinadresse" gehandelt habe.
Mit einem an den Beschwerdeführer zu Handen des vom Bezirksgericht Neufelden bestellten Masseverwalters gerichteten Berufungsbescheid vom 25. September 1997 wies die belangte Behörde unter Einschränkung des Haftungsbetrages auf S 445.698,-- die Berufung des Beschwerdeführers gegen den Haftungsbescheid des Finanzamtes vom 7. August 1996 als unbegründet ab.
Eine gegen diesen Berufungsbescheid erhobene Beschwerde wurde vom Verwaltungsgerichtshof mit Beschluss vom 24. März 1998, 97/14/0151, mit der Begründung zurückgewiesen, dass der angefochtene Bescheid vom 25. September 1997 rechtlich nicht existent geworden sei. Die Zustellung des Berufungsbescheides an den seiner Funktion bereits enthobenen Masseverwalter stellte nach der Adressierung des Bescheides zwar einen heilbaren Zustellmangel dar; es sei eine solche Heilung aber nicht erfolgt.
In den vorgelegten Verwaltungsakten finden sich erfolglos verlaufene Versuche des Finanzamtes vom 6. Juli 1998, 4. September 1998 und 5. Oktober 1998, den Beschwerdeführer zu einer persönlichen Vorsprache beim Finanzamt zu bewegen. In einem Rechenschaftsbericht des Vollstreckers an das Finanzamt vom 3. September 1998 heißt es, dass der Beschwerdeführer an der angegebenen Adresse im Arbeiterwohnheim eines näher genannten Unternehmens wohne, laut Auskunft von Nachbarn aber fast nie anzutreffen sei.
Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid vom 7. Jänner 1999 gab die belangte Behörde der Berufung des Beschwerdeführers gegen den Haftungsbescheid des Finanzamtes vom 7. August 1996 durch Einschränkung des Haftungsbetrages auf S 445.698,-- statt, während die Berufung im Übrigen als unbegründet abgewiesen wurde. Nach Wiedergabe des Verfahrensganges führte die belangte Behörde in der Begründung des angefochtenen Bescheides aus, dass der Beschwerdeführer entgegen seiner Ankündigung bis 30. Juni 1997 nicht eine Kreditorenliste vorgelegt und auch sonst nicht die Höhe der aushaftenden Forderungen der einzelnen Gläubiger zum Zeitpunkt der getätigten Überweisungen bekannt gegeben habe. Ein Betrag von S 445.698,-- hafte an Abgaben der S. GmbH noch aus. "Unbestritten" sei, dass der Beschwerdeführer seit 13. April 1996 Geschäftsführer der Primärschuldnerin sei und dass die haftungsgegenständlichen Abgaben bei dieser uneinbringlich seien. Die vom Beschwerdeführer behauptete Gleichbehandlung aller Gläubiger bei der Verfügung über die vorhandenen Mittel habe er nicht glaubhaft gemacht, weshalb bereits aus diesem Grund vom Vorliegen einer schuldhaften Pflichtverletzung im Sinne des § 9 BAO auszugehen sei. Hinsichtlich der haftungsgegenständlichen Lohnsteuer ergebe sich im Grunde des § 78 EStG 1988 eine schuldhafte Pflichtverletzung schon aus einer ungekürzten Auszahlung von Löhnen. Wenn gegenüber der Hausbank ein derartiges Abhängigkeitsverhältnis bestanden habe, dass der Beschwerdeführer diese nicht zur Durchführung von Zahlungen an das Finanzamt habe bewegen können, dann wäre es an ihm gelegen, eine solche Behinderung in seiner Funktion entweder umgehend abzustellen oder als Geschäftsführer auszuscheiden. Hätte dieses Abhängigkeitsverhältnis zur Bank seinen Grund in einer von der vorigen Geschäftsführerin geschlossenen Vereinbarung gehabt, dann hätte der Beschwerdeführer die Funktion als Geschäftsführer gar nicht antreten dürfen, weil er hätte erkennen müssen, dass ihm die Wahrnehmung der abgabenrechtlichen Pflichten mangels freier Verfügung über die vorhandenen Mittel nicht möglich sein würde. In der weiteren Begründung näher dargelegte Erwägungen zur Ermessensübung hätten für die Inanspruchnahme des Beschwerdeführers zur Haftung gesprochen.
In den vorgelegten Verwaltungsakten liegt ein am 13. Jänner 1999 (sechs Tage nach Unterfertigung des angefochtenen Bescheides) gestellter Exekutionsantrag des Finanzamtes an das Bezirksgericht Urfahr-Umgebung gegen die S. GmbH, in dessen Entsprechung auf einer im Eigentum der S. GmbH stehenden Liegenschaft ein Pfandrecht für Abgabenforderungen des Bundes im Umfang von S 550.841,-- zur Sicherstellung grundbücherlich vorgemerkt wurde, wie sich einem in den vorgelegten Verwaltungsakten enthaltenen Grundbuchausdruck entnehmen lässt.
Über die gegen den Bescheid der belangten Behörde vom 7. Jänner 1999 erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof nach Erstattung einer Gegenschrift und Vorlage der Verwaltungsakten durch die belangte Behörde erwogen:
Der Beschwerdeführer wendet sich gegen die Ansicht der belangten Behörde, die haftungsgegenständlichen Abgaben wären bei der Primärschuldnerin uneinbringlich. Uneinbringlichkeit bedeute das Fehlen ausreichend verwertbarer Vermögensgegenstände; mit Liquidät habe das Vorhandensein verwertbarer Vermögensgegenstände nichts zu tun. Uneinbringlichkeit könne nicht schon dann angenommen werden, wenn nur der Bericht eines Vollzugsorganes vorliege, der von Amts wegen erkennbar offensichtlich unrichtig sei. Der Bericht habe ausgeführt, dass die S. GmbH nicht mehr existiere und dass kein verwertbares Vermögen mehr vorhanden sei. Das Gegenteil sei bei der belangten Behörde aktenkundig gewesen. Verwertbares Vermögen sei vorhanden gewesen, bringt der Beschwerdeführer unter Hinweis auf die ihm bekannt gewordene Einverleibung des Zwangspfandrechtes nach Erlassung des angefochtenen Bescheides vor, und die S. GmbH existiere noch heute. Sache der belangten Behörde wäre es gewesen, die Frage der Uneinbringlichkeit der Abgabenforderungen bei der Primärschuldnerin von Amts wegen zu prüfen, von welcher Obliegenheit die belangte Behörde durch das Unterbleiben einer Bestreitung dieser Uneinbringlichkeit durch den Beschwerdeführer nicht habe entbunden werden können. Zur Klärung dieser primären Rechtsfrage für die Erlassung eines Haftungsbescheides hätte die belangte Behörde die erforderlichen Tatsachenfeststellungen treffen müssen. Die Vorgangsweise der Finanzbehörden sei insoferne auffällig, als kurze Zeit nach Erlassung des angefochtenen Haftungsbescheides gegenüber dem Beschwerdeführer ein Zwangspfandrecht auf einer Liegenschaft der Primärschuldnerin eingeräumt worden sei. Die Möglichkeit der jederzeitigen Einverleibung eines Zwangspfandrechtes auf einer Liegenschaft der Primärschuldnerin müsse als amtsbekannte Tatsache angesehen werden, welche von der belangten Behörde in ihre Entscheidungsfindung hätte einbezogen werden müssen. Eines gesonderten ausdrücklichen Hinweises des Beschwerdeführers habe es dazu nicht bedurft. Der angefochtene Bescheid sei auch "insofern rechtsunwirksam", als eine "Fortsetzung des Verfahrens" nach Erlassung des Bescheides vom 25. September 1997 "unzulässig gewesen und eine neuerliche Zustellung eines abgeänderten Bescheides in einem solchen Fall nicht möglich" sei, weil dem "die materielle Rechtskraft des ersten Bescheides" entgegen gestanden sei.
Dass der Erlassung des hier angefochtenen Bescheides eine Rechtskraft der Erledigung der belangten Behörde vom 25. September 1997 entgegen gestanden sei, ist eine Rechtsansicht des Beschwerdeführers, die verfehlt ist. Eine Erledigung, die wie jene der belangten Behörde vom 25. September 1997 rechtlich nicht existent geworden ist (siehe den dem Beschwerdeführer gegenüber ergangenen hg. Beschluss vom 24. März 1998, 97/14/0151), kann keine Rechtswirkungen entfalten und einer neuerlichen, wirksam gestalteten Erledigung mit Bescheidqualität demnach auch nicht im Wege stehen.
Gemäß § 9 Abs. 1 BAO haften die in den §§ 80 ff leg. cit. bezeichneten Vertreter neben den durch sie vertretenen Abgabepflichtigen für die diese treffenden Abgaben insoweit, als die Abgaben infolge schuldhafter Verletzung der den Vertretern auferlegten Pflichten nicht eingebracht werden können.
Die Haftung nach § 9 BAO ist eine Ausfallshaftung, die die objektive Uneinbringlichkeit der Abgaben im Zeitpunkt der Inanspruchnahme des Haftenden zur Voraussetzung hat (siehe die bei Ritz, Bundesabgabenordnung, Kommentar2 § 9 Tz 4 ff, angeführten Nachweise).
Uneinbringlichkeit der Abgaben beim Hauptschuldner liegt nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes dann vor, wenn Vollstreckungsmaßnahmen erfolglos waren oder voraussichtlich erfolglos wären (siehe etwa die hg. Erkenntnisse vom 22. Oktober 2002, 2000/14/0083, und vom 29. Mai 2001, 99/14/0277). Wie es der Abgabenbehörde nur zumutbar ist, auf ein im Zeitpunkt der Erlassung des Haftungsbescheides zur Befriedigung der Gläubiger verwertbares Vermögen zu greifen (siehe die hg. Erkenntnisse vom 22. September 2000, 98/15/0148, und vom 27. Jänner 2000, 97/15/0191), so ist die Behörde auch nicht verhalten, mit der vollständigen Abwicklung eines Konkursverfahrens über das Vermögen des Hauptschuldners zuzuwarten (siehe die hg. Erkenntnisse vom 30. Jänner 2003, 2000/15/0086, und vom 28. Mai 2002, 99/14/0233), wobei es jedoch auch im Falle der Eröffnung eines Konkursverfahrens über das Vermögen des Hauptschuldners konkreter Feststellungen der Abgabenbehörde über die Befriedigungsaussichten beim insolventen Hauptschuldner bedarf (siehe das zitierte hg. Erkenntnis vom 28. Mai 2002, 99/14/0233 und das hg. Erkenntnis vom 27. April 2000, 98/15/0129). Allein die Abweisung eines Konkursantrages über das Vermögen des Hauptschuldners mangels kostendeckenden Vermögens und die Aufhebung des Konkurses aus diesem Grund erlauben vorweg schon eine Feststellung der Uneinbringlichkeit der einem Haftungsbescheid zu Grunde liegenden Abgaben beim Hauptschuldner (siehe neben dem bereits zitierten Erkenntnis vom 22. Oktober 2002, 2000/14/0083, auch das hg. Erkenntnis vom 24. Oktober 2000, 95/14/0090). Fehlen der Begründung eines Haftungsbescheides nachvollziehbare Feststellungen zur Uneinbringlichkeit der Abgabenschuld beim Hauptschuldner, dann setzt ein solcher Begründungsmangel des Haftungsbescheides den Gerichtshof außer Stande, den angefochtenen Bescheid auf seine inhaltliche Gesetzmäßigkeit zu überprüfen (siehe das hg. Erkenntnis vom 3. Juli 1996, 96/13/0025).
Ein solcher Mangel haftet dem angefochtenen Bescheid an, was der Beschwerdeführer zutreffend aufzeigt. Der in der Gegenschrift unternommene Versuch der belangten Behörde, einen Erfolg der Verfahrensrüge mit dem Hinweis auf deren Verstoß gegen das im verwaltungsgerichtlichen Verfahren geltende Neuerungsverbot einerseits und auf die qualifizierte Mitwirkungspflicht eines Haftungspflichtigen andererseits zu verhindern, muss misslingen. Dass der Beschwerdeführer mit dem Hinweis auf die Einräumung eines Zwangspfandrechtes auf einer Liegenschaft der S. GmbH für den Bund nach Erlassung des angefochtenen Bescheides einen Sachverhalt vorträgt, der wegen seines Eintrittes erst nach dem Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides grundsätzlich nicht geeignet sein kann, dessen Rechtswidrigkeit zu begründen, trifft gewiss zu. Ebenso trifft es zu, dass der Beschwerdeführer im Verwaltungsverfahren kein Vorbringen des Inhaltes erstattet hatte, dass die haftungsgegenständlichen Abgaben bei der S. GmbH nicht uneinbringlich wären. Eines solchen Vorbringens des Beschwerdeführers im Verwaltungsverfahren hätte es aber erst dann bedurft, wenn die Frage der Uneinbringlichkeit der Abgaben von der Behörde in der gebotenen Weise zum Thema des Verfahrens gemacht worden wäre, was im Beschwerdefall nicht geschehen ist. Hätte der erstinstanzliche Haftungsbescheid die Feststellung enthalten, dass die haftungsgegenständlichen Abgaben bei der S. GmbH uneinbringlich seien, dann wäre es am Beschwerdeführer gelegen, einer solchen Feststellung durch ein Sachvorbringen entgegen zu treten, dessen Unterlassung ihm eine erfolgreiche Bestreitung der Uneinbringlichkeit der Abgaben erstmals vor dem Verwaltungsgerichtshof verwehrt hätte (siehe hiezu neben dem vom Beschwerdeführer zitierten hg. Erkenntnis vom 20. November 1997, 96/15/0059, auch das hg. Erkenntnis vom 31. Jänner 2001, 95/13/0261). Gleiches hätte zu gelten, wenn dem Beschwerdeführer im Zuge des Haftungsverfahrens vorgehalten worden wäre, dass und weshalb die belangte Behörde von einer Uneinbringlichkeit der Abgaben beim Hauptschuldner ausgehe. Dies ist im Rahmen des Verwaltungsverfahrens aber nicht in einer die gesetzmäßigen Parteienrechte des Beschwerdeführers wahrenden Weise geschehen. Der erstinstanzliche Haftungsbescheid enthielt keine Feststellung einer Uneinbringlichkeit der Abgaben bei der S. GmbH. Auch die im Zuge des Haftungsverfahrens beider Instanzen ergangenen Vorhalte enthielten keinen diesbezüglichen Hinweis. Wenn die belangte Behörde in der Gegenschrift dem Beschwerdeführer vorwirft, auch in der gegen die ins Leere gegangene Erledigung der belangten Behörde vom 25. September 1997 erhobenen Verwaltungsgerichtshofbeschwerde die Uneinbringlichkeit der Abgaben nicht bestritten zu haben, dann eignet sich dieser Vorwurf zur Stützung des behördlichen Standpunktes nicht, weil Begründungsaussagen einer mangels wirksamer Zustellung gegenstandslos gebliebenen Erledigung keine Vorhaltswirkung entfalten konnten und Unterlassungen des Beschwerdeführers in einer mangels Bescheidqualität der angefochtenen Erledigung zurückgewiesenen Beschwerde ihm nicht als Unterlassungen im Rahmen des Verwaltungsverfahrens angelastet werden durften.
Mit dem in der Gegenschrift enthaltenen Vorbringen über die im Haftungsverfahren bestehende qualifizierte Mitwirkungspflicht des Vertreters (wiedergegeben u.a. auch in dem vom Beschwerdeführer zitierten hg. Erkenntnis vom 29. Mai 1996, 95/13/0236) vermengt die belangte Behörde die von ihr nach der Richtschnur der amtswegigen Ermittlungspflicht gemäß § 115 BAO festzustellende Frage der Uneinbringlichkeit der haftungsgegenständlichen Abgaben beim Hauptschuldner mit der Frage, ob der Vertreter seine Pflicht zur Entrichtung der später uneinbringlich gewordenen Abgaben schuldhaft verletzt hat, weil die qualifizierte Mitwirkungspflicht des Vertreters im Haftungsverfahren erst ausgelöst wird, wenn die Uneinbringlichkeit bestimmter Abgabenbeträge beim Hauptschuldner fest steht (siehe das hg. Erkenntnis vom 16. September 2003, 2000/14/0162).
Wie der Begründung des angefochtenen Bescheides zu entnehmen ist, hat die belangte Behörde nachvollziehbare Sachverhaltsfeststellungen zur Uneinbringlichkeit der Abgaben bei der S. GmbH aus der Annahme heraus nicht getroffen, die Uneinbringlichkeit der haftungsgegenständlichen Abgaben beim Hauptschuldner sei "unbestritten". Dass diese behördliche Einschätzung nicht zutrifft, weil weder der erstinstanzliche Bescheid eine Feststellung der Uneinbringlichkeit der Abgaben beim Hauptschuldner enthalten hatte noch diese dem Beschwerdeführer vorgehalten worden war, wurde bereits dargelegt. Ob die bei der Wiedergabe des Verwaltungsgeschehens in der Begründung des angefochtenen Bescheides gegebenen Hinweise auf Berichte des Vollzugsorganes sachlich geeignet gewesen wären, eine Feststellung der (vollständigen) Uneinbringlichkeit der haftungsgegenständlichen Abgaben bei der S. GmbH zu tragen, bedarf keiner Untersuchung, weil diese Sachverhalte dem Beschwerdeführer vor Erlassung des angefochtenen Bescheides nicht zur Kenntnis gebracht worden waren, wobei nicht ausgeschlossen werden kann, dass im Falle der Gewährung von Parteiengehör zu den Bekundungen des Vollzugsorganes der Beschwerdeführer auf das Vorhandensein verwertbaren Vermögens der S. GmbH hätte hinweisen können, wie er dies nunmehr in der Beschwerde tut. Der von der belangten Behörde in der Gegenschrift in diesem Zusammenhang unternommene Versuch, der Liegenschaft der S. GmbH die Eigenschaft als einer Verwertung zugängliches Vermögen mit dem Hinweis auf Vorpfandrechte abzusprechen, wehrt die Verfahrensrüge auch nicht erfolgreich ab, weil der für die Beurteilung der Gesetzmäßigkeit eines angefochtenen Bescheides erforderliche Sachverhalt im Verwaltungsverfahren vor Bescheiderlassung und nicht erst im Rahmen des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens unter dem Prätext einer Prüfung der Relevanz eines geltend gemachten Verfahrensmangels zu ermitteln und festzustellen ist.
Im Grunde des zitierten hg. Erkenntnisses vom 3. Juli 1996, 96/13/0025, war der angefochtene Bescheid somit gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 VwGG aufzuheben, wobei der Verwaltungsgerichtshof von der Durchführung der beantragten mündlichen Verhandlung aus dem in § 39 Abs. 2 Z. 3 VwGG angeführten Grund Abstand genommen hat.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung des Bundeskanzlers BGBl. II Nr. 333/2003.
Wien, am 31. März 2004
Schlagworte
Angenommener Sachverhalt (siehe auch Sachverhalt Neuerungsverbot Allgemein und Sachverhalt Verfahrensmängel) Beschwerdepunkt Beschwerdebegehren Entscheidungsrahmen und Überprüfungsrahmen des VwGH Allgemein Individuelle Normen und Parteienrechte Rechtswirkungen von Bescheiden Rechtskraft VwRallg9/3European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2004:2003130153.X00Im RIS seit
07.05.2004