Index
001 Verwaltungsrecht allgemein;Norm
AVG §37;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Giendl und die Hofräte Dr. Händschke, Dr. Bernegger, Dr. Waldstätten und Dr. Rosenmayr als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Hofer, über die Beschwerde des Dr. K F in B, vertreten durch Mag. Heinz Kupferschmid, Rechtsanwalt in 8010 Graz, A. Kolpinggasse 2, gegen den Bescheid des Ausschusses der Steiermärkischen Rechtsanwaltskammer vom 11. November 2002, Zl. 2002/0101, betreffend Gewährung einer Berufsunfähigkeitsrente, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Die Steiermärkische Rechtsanwaltskammer hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.171,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit Eingabe vom 21. Januar 2002 beantragte der (1949 geborene) Beschwerdeführer die Zuerkennung einer Berufsunfähigkeitsrente mit der Begründung, er sei infolge geistiger Gebrechen voraussichtlich mehr als 3 Monate andauernd unfähig, den Rechtsanwaltsberuf auszuüben. Er leide bereits seit geraumer Zeit an schweren Depressionen und am sog. Burn-Out-Syndrom. Diese Krankheiten manifestierten sich darin, dass er an Bulimie leide, als suizidgefährdet anzusehen sei und schon einmal einen Selbstmordversuch unternommen habe. Er sei nicht in der Lage, ganz geläufige Tätigkeiten, die zur Ausübung des Berufes als Rechtsanwalt gehörten, wie etwa Klientenkontakt, Aktenstudium, Telefonate, Unterredungen etc. auszuüben. Termine seien vermieden oder abgesagt worden. Er erkläre sich zu einer jederzeitigen Untersuchung bereit.
Mit Eingabe vom 28. März 2002 teilte der Beschwerdeführer mit, er sei bei Prof. W in Behandlung, der auch - nach dessen Wiedergenesung - ein Gutachten über seinen Zustand erstatten könne. Um Verzögerungen zu vermeiden, sei er aber auch bereit, sich einer Untersuchung durch einen Vertrauensarzt der Rechtsanwaltskammer zu unterziehen.
Mit - offenbar dem Beschwerdeführer nicht zugestelltem - Schreiben des Ausschusses der Steiermärkischen Rechtsanwaltskammer vom 23. Mai 2002 wurde Dr. P H als Vertrauensarzt der Steiermärkischen Rechtsanwaltskammer ersucht, den Beschwerdeführer zu der behaupteten Berufsunfähigkeit infolge körperlicher oder geistiger Gebrechen zu begutachten und die gutachterliche Stellungnahme binnen einer Frist von 10 Wochen der Rechtsanwaltskammer zu übermitteln. Dabei wurde um direkte Kontaktaufnahme zum Beschwerdeführer ersucht.
Mit Beschluss des Landesgerichtes Leoben vom 7. Juni 2002 wurde über das Vermögen des Beschwerdeführers der Konkurs eröffnet; mit Bescheid des Ausschusses der Steiermärkischen Rechtsanwaltskammer vom 27. Juni 2002 wurde festgestellt, dass infolge rechtskräftiger Eröffnung des Konkurses über das Vermögen des Beschwerdeführers dessen Berechtigung zur Ausübung der Rechtsanwaltschaft erloschen, er daher aus der Liste der Rechtsanwälte zu streichen gewesen sei.
Nach erfolgloser Ablehnung des Vertrauensarztes Dr. H (dieser war auch als Gutachter in dem gegen den Beschwerdeführer anhängig gemachten Strafverfahren zur Frage der Dispositions- und Diskretionsfähigkeit des Beschuldigten bestellt worden) wurde dieser mit Schreiben des Ausschusses 10. Juli 2002 aufgefordert, ohne Berücksichtigung des gegen ihn geltend gemachten Einwandes die Begutachtung des Beschwerdeführers durchzuführen.
Mit Eingabe vom 22. August 2002 teilte der Beschwerdeführer der Behörde mit, dass der Sachverständige ihn für den 17. August 2002 zur Untersuchung geladen habe, er an diesem Tage aber verhindert gewesen sei; eine neue Terminvereinbarung sei vorerst an dem bis 23. September 2002 währenden Urlaub des Vertrauensarztes gescheitert.
Mit Eingabe vom 1. Oktober 2002 teilte der Vertrauensarzt der Behörde mit, dass es ihm bisher nicht möglich gewesen sei, den Beschwerdeführer zu untersuchen, da dieser "keinen von mir vorgeschlagenen Ladungstermin wahrgenommen" habe.
Mit Bescheid der Abteilung 3 des Ausschusses der Steiermärkischen Rechtsanwaltskammer vom 8. Oktober 2002 wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf Gewährung einer Berufsunfähigkeitsrente mit der Begründung abgewiesen, er sei trotz mehrfacher Ladung zur Befundung nicht erschienen und sei daher seiner Mitwirkungspflicht nicht nachgekommen; die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Berufsunfähigkeitsrente könnten daher nicht festgestellt werden.
Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer Vorstellung.
Mit dem nunmehr vor dem Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Bescheid vom 11. November 2002 gab die belangte Behörde dieser Vorstellung keine Folge. Sie führte nach Darstellung des Verfahrensganges begründend aus, seit dem 23. September 2002 (Urlaubsende des Vertrauensarztes) bzw. bis Erlassung des erstinstanzlichen Bescheides habe sich der Beschwerdeführer um keinen anderen Untersuchungstermin bemüht. Der Beschwerdeführer sei aufgefordert worden, Atteste, Gutachten und andere Urkunden zwecks Bescheinigung seiner allfälligen Berufsunfähigkeit vorzulegen, der Einladung zum Untersuchungstermin 17. August 2002 habe der Beschwerdeführer unbegründet keine Folge geleistet. Auch für das Nichterscheinen des Beschwerdeführers zum zweiten Untersuchungstermin (von der belangten Behörde offenbar irrtümlich wieder mit 17. August 2002 angegeben) habe er keine Gründe angegeben. Wären diese in körperlichen oder geistigen Gebrechen gelegen, hätte er dies sicherlich zum aktuellen Zeitpunkt als Entschuldigungsgründe angegeben. Sein Verhalten stehe im Widerspruch zu seiner Versicherung, sich jederzeit einer Untersuchung unterziehen zu wollen. Die erst in der Vorstellung geltend gemachten Verhinderungsgründe bildeten keinen tauglichen Entschuldigungsgrund. Er habe sich auch nach dem Urlaubsende des Vertrauensarztes nicht um einen weiteren Termin bemüht.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, in welcher inhaltliche Rechtswidrigkeit sowie Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht werden.
Die belangte Behörde erstattete eine Gegenschrift, in welcher die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt wird, und legte die Verwaltungsakten vor.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Der Beschwerdeführer macht im Wesentlichen geltend, erst mit Schreiben vom 31. Juli 2002 sei der Beschwerdevertreter davon verständigt worden, dass Beschwerdeführer einen Untersuchungstermin am 28. Juli 2002 nicht wahrgenommen habe. Gleichzeitig wurde ein Termin 17. August 2002 vorgeschlagen und für den Fall der Verhinderung telefonischen Kontakt erbeten. Am 16. August 2002 habe sich der Beschwerdeführer entschuldigt, anlässlich der vom Beschwerdevertreter versuchten neuerlichen Terminvereinbarung sei ihm mitgeteilt worden, dass sich eine Untersuchung vor Urlaubsantritt des Vertrauensarztes nicht mehr ausgehe und dies erst nach Urlaubsende am 23. September 2002 möglich sein werde. Noch bevor er dies habe tun können sei der erstinstanzliche Bescheid erlassen worden. Es habe weder eine Fristsetzung noch eine Rechtsfolgenbelehrung gegeben. Insbesondere sei auch das Krankheitsbild unberücksichtigt geblieben. Der Beschwerdeführer sei in seinem Recht auf Parteiengehör verletzt worden, weil er lediglich einmal geladen worden sei. Die Behörden hätten ihre Pflicht zur Erforschung der materiellen Wahrheit verletzt; die Mitwirkungspflicht einer Partei gehe nicht soweit, dass sich die Behörde ein ordnungsgemäßes Verfahren ersparen könne.
Mit diesem Vorbringen ist der Beschwerdeführer im Ergebnis im Recht.
Im Beschwerdefall stellte sich die Behörde erkennbar auf den Standpunkt, den Beschwerdeführer treffe nicht nur die Behauptungs- , sondern auch die Beweislast für die Annahme seiner Berufsunfähigkeit; es treffe ihn diesbezüglich eine erhöhte Mitwirkungspflicht.
Gemäß § 37 AVG ist es der Zweck des Ermittlungsverfahrens, den für die Erledigung einer Verwaltungssache maßgebenden Sachverhalt festzustellen und den Parteien Gelegenheit zur Geltendmachung ihrer Rechte und rechtlichen Interessen zu geben.
Nach § 39 Abs. 2 erster Satz AVG hat die Behörde dabei, soweit die Verwaltungsvorschriften hierüber keine Anordnungen enthalten, von Amts wegen vorzugehen und unter Beobachtung der in diesem Teil enthaltenen Vorschriften den Gang des Ermittlungsverfahrens zu bestimmen.
Grundsätzlich trifft somit die Behörde die Pflicht zur Feststellung des entscheidungswesentlichen Sachverhaltes; diese kann nicht auf die Partei abgewälzt werden. Eine Verletzung der die Partei treffenden Mitwirkungspflicht enthebt daher die Behörde nicht von der Aufgabe, amtswegig vorzugehen. Diese Pflicht zur amtswegigen Erforschung des Sachverhaltes kann aber dort eine Grenze finden, wo sie der Mitwirkung der Partei bedarf und diese eine solche unterlässt (vgl. dazu die bei Walter/Thienel, Verwaltungsverfahrensgesetze zu § 39 AVG unter E 117 ff abgedruckte Rechtsprechung). Die Mitwirkungspflicht der Partei hat insbesondere dort Bedeutung, wo ein Sachverhalt nur im Zusammenwirken mit der Partei geklärt werden kann, etwa weil die Behörde außerstande ist, sich die Kenntnis von ausschließlich in der Sphäre der Partei liegenden Umstände von amtswegen zu beschaffen. So ist etwa die Verweigerung, sich einer ärztlichen Untersuchung zu unterziehen ohne triftigen Grund als Verletzung der Mitwirkungspflicht der Partei angesehen worden. Die Verweigerung der Mitwirkung an der Feststellung des Sachverhaltes ist nur dann berechtigt, wenn hiefür ausreichende Gründe vorliegen oder dem Antragsteller der Nachweis gelingt, dass die Anordnung dieser Untersuchung den Bestimmungen des § 39 Abs. 2 AVG widerstreitet, also dass sie unbegründet angeordnet worden ist (vgl. die hg. Erkenntnisse vom 15. März 1995, Zl. 93/01/0980 mwN und vom 15. Mai 1997, Zl. 97/20/0070).
Bleibt die unter Androhung der Rechtsfolgen ergangene Aufforderung der Behörde zur Mitwirkung an der Feststellung des entscheidungswesentlichen Sachverhaltes unbeantwortet und hat die Behörde keine andere Möglichkeit, den Sachverhalt festzustellen, so unterliegt die Verweigerung der Mitwirkung im Verfahren der Beweiswürdigung.
Im Beschwerdefall liegen - abgesehen von dem nicht näher konkretisierten Schreiben des Vertrauensarztes vom 1. Oktober 2002 - keine objektiven Anhaltspunkte vor, es sei dem Beschwerdeführer mehr als ein Untersuchungstermin (nämlich jener am 17. August 2002) genannt worden, für welchen er sich entschuldigt hat. Dass ihm davor ein weiterer Untersuchungstermin (28. Juli 2002) gegeben worden sei, ist lediglich der Darstellung des Beschwerdevertreters in der Vorstellung zu entnehmen, wonach diesem vom Vertrauensarzt mitgeteilt worden sei, ein solcher Termin sei nicht eingehalten worden. Dass bzw. in welcher Form den Beschwerdeführer diese Terminbekanntgabe (rechtzeitig) erreicht hat, geht daraus nicht hervor. Diesbezüglich liegen auch keine Erhebungsergebnisse der Behörde vor. Auch wurde der Vertrauensarzt, dessen Schreiben vom 1. Oktober 2002 lediglich pauschal davon spricht, der Beschwerdeführer habe "keinen von mir vorgeschlagenen Ladungstermin wahrgenommen", über die erfolglosen Kontaktversuche mit dem Beschwerdeführer nicht - zumindest ist dies nicht aktenkundig - näher befragt, etwa wie viele solcher Kontaktversuche es insgesamt gegeben habe und in welcher Form diese an den Beschwerdeführer ergangen seien, welcher Art die dem Arzt gegenüber genannten Entschuldigungsgründe gewesen seien etc. In diesem Zusammenhang ist auch zu berücksichtigen, dass zwischen dem Urlaubsende des Vertrauensarztes (23. September 2002) und der Mitteilung des Vertrauensarztes (1. Oktober 2002) nur ein Zeitraum von knapp einer Woche, bis zur Erlassung des erstinstanzlichen Bescheides (8. Oktober 2002) ein solcher von nur etwa zwei Wochen liegt.
Die Behörde hat es aber auch unterlassen, den Beschwerdeführer zur Vorlage anderer, seinen Zustand belegender Urkunden, etwa einer Bestätigung seines behandelnden Arztes, aufzufordern.
Damit erweist sich die Vorgangsweise der belangten Behörde, dem Beschwerdeführer lediglich die mangelnde Befolgung der ihm genannten Untersuchungstermine zum Vorwurf zu machen ohne dazu nähere Feststellungen zu treffen, als mit der Rechtslage nicht in Einklang stehend, weshalb sie den angefochtenen Bescheid mit Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften belastete.
Der angefochtene Bescheid war aus diesem Grunde gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf §§ 47f VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung BGBl. II Nr. 333/2003.
Wien, am 31. März 2004
Schlagworte
Verfahrensgrundsätze im Anwendungsbereich des AVG Offizialmaxime Mitwirkungspflicht Manuduktionspflicht VwRallg10/1/1Sachverhalt Sachverhaltsfeststellung MitwirkungspflichtEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2004:2002060214.X00Im RIS seit
07.05.2004Zuletzt aktualisiert am
17.07.2018