TE Vwgh Erkenntnis 2004/3/31 2003/18/0217

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Veröffentlicht am 31.03.2004
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof;
19/05 Menschenrechte;
24/01 Strafgesetzbuch;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

FrG 1997 §36 Abs1;
FrG 1997 §36 Abs2 Z1;
FrG 1997 §37 Abs1;
FrG 1997 §37 Abs2;
MRK Art8 Abs2;
StGB §127;
StGB §83 Abs1;
StGB §83 Abs2;
StGB §88 Abs1;
StGB §88 Abs4;
VwGG §42 Abs2 Z1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zeizinger und die Hofräte Dr. Rigler, Dr. Handstanger, Dr. Enzenhofer und Dr. Strohmayer als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Stummer, über die Beschwerde des B, geboren 1974, vertreten durch Dr. Patrick Ruth, Rechtsanwalt in 6020 Innsbruck, Kapuzinergasse 8/4, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Tirol vom 17. Juni 2003, Zl. III 4033-64/03, betreffend Erlassung eines befristeten Aufenthaltsverbots, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.171,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

I.

1. Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Tirol (der belangten Behörde) vom 17. Juni 2003 wurde gegen den Beschwerdeführer, einen Staatsangehörigen von Bosnien-Herzegowina, gemäß § 36 Abs. 1 Z. 1 und Abs. 2 Z. 1 iVm §§ 37, 38 und 39 Fremdengesetz 1997 - FrG, BGBl. I Nr. 75, ein Aufenthaltsverbot für die Dauer von fünf Jahren erlassen.

Der Beschwerdeführer sei am 30. Jänner 1995 wegen des Vergehens der Körperverletzung nach § 83 Abs. 1 StGB zu einer bedingt nachgesehenen Geldstrafe rechtskräftig verurteilt worden, weil er am 7. Dezember 1994 eine andere Person durch Faustschläge gegen das Gesicht und den Oberkörper, die eine Verstauchung der Halswirbelsäule und eine Schädelprellung zur Folge gehabt hätten, am Körper verletzt habe.

Am 24. Juni 1997 sei er wegen des Vergehens der Diebstahls gemäß § 127 StGB rechtskräftig zu einer Geldstrafe verurteilt worden, weil er am 11. Juni 1997 aus einem Lebensmittelmarkt eine Getränkedose im Wert von S 8,50 (EUR 0,62) gestohlen habe.

Am 28. Oktober 1997 sei er wegen Diebstahls gemäß § 127 StGB zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von 14 Tagen rechtskräftig verurteilt worden, weil er am 22. Oktober 1997 mit einem unbekannt gebliebenen Mittäter ein Mobiltelefon im Wert von S 8.990,-- (EUR 653,33) gestohlen habe.

Am 19. September 2002 sei der Beschwerdeführer wegen

fahrlässiger Körperverletzung gemäß § 88 Abs. 4 erster Fall StGB,

fahrlässiger Körperverletzung gemäß § 88 Abs. 1 leg. cit. und Körperverletzung gemäß § 83 Abs. 2 leg. cit. zu einer Geldstrafe rechtskräftig verurteilt worden. Diesem Urteil liege zu Grunde, dass der Beschwerdeführer am 8. Dezember 2001 aus Furcht das gerechtfertigte Maß der Verteidigung überschritten und dadurch andere Personen fahrlässig verletzt habe. Einer Person habe er einen Schlag oder einen Tritt zugefügt, wobei die Tat ein schweres Schädel-Hirntrauma mit ausgedehntem Schädelbruch mit Beteiligung der Schädelbasis, Hirnprellungsareale, ein diffuses posttraumatisches Hirnödem sowie eine Rissquetschwunde an der linken Schläfen-Scheitelregion, sohin eine an sich schwere Verletzung und für lange Zeit ein schweres Leiden und Berufsunfähigkeit zur Folge gehabt habe. Einer weiteren Person habe er bei diesem Vorfall durch Versetzen eines Schlages eine Platzwunde an der Oberlippe zugefügt. Weiters liege dieser Verurteilung zu Grunde, dass der Beschwerdeführer am 2. September 2001 eine andere Person durch Versetzen eines Schlages in das Gesicht misshandelt und dadurch fahrlässig am Körper verletzt habe, wobei die Tat einen Bluterguss am linken Auge und eine Schwellung der Oberlippe zur Folge gehabt habe.

Das gesamte Fehlverhalten zeige die negative Einstellung des Beschwerdeführers zur Rechtsordnung. Es entstehe dadurch der Eindruck, dass er nicht gewillt sei, Rechtsvorschriften in erforderlicher Weise zu achten und sein Verhalten den Gesetzen anzupassen. Der Aufenthalt des Beschwerdeführers stelle daher eine Gefahr für die öffentliche Ruhe, Ordnung und Sicherheit dar (§ 36 Abs. 1 Z. 1 FrG). Auf Grund der rechtskräftigen Verurteilungen sei auch der Tatbestand des § 36 Abs. 2 Z. 1 FrG erfüllt.

Das Aufenthaltsverbot sei mit einem Eingriff in das Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers verbunden. Dieser Eingriff mache das Aufenthaltsverbot jedoch im Grund des § 37 Abs. 1 FrG nicht unzulässig. Die sich im Gesamtfehlverhalten manifestierende Neigung, sich über die Rechtsordnung hinwegzusetzen, mache die Erlassung des Aufenthaltsverbots zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele (Verhinderung strafbarer Handlungen, Schutz der Rechte Dritter) dringend geboten.

Die privaten und familiären Interessen des Beschwerdeführers am weiteren Aufenthalt im Bundesgebiet wögen schwer, jedoch höchstens gleich schwer wie die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von der Erlassung des Aufenthaltsverbots, weshalb diese Maßnahme auch im Grund des § 37 Abs. 2 FrG zulässig sei. Der Beschwerdeführer sei 1974 in Tirol geboren worden und habe bis 1980 in Österreich gelebt. Von 1980 bis 1991 habe er in Jugoslawien gelebt, wobei er die Pflichtschule und eine Hotelfachschule besucht und erfolgreich abgeschlossen habe. Seit 1991 lebe er wieder in Tirol. Bis 1998 habe er an verschiedenen Arbeitsplätzen als Kellner gearbeitet. Seit 1998 übe er Thai-Boxen als seinen Beruf aus. Er sei Thai-Box-Trainer. Weiters arbeite er als Security-Mann in Nachtlokalen. So habe er auch in der Nacht von 7. auf 8. Dezember 2001 - als er Personen in Notwehrüberschreitung fahrlässig verletzt habe - als Security-Mann gearbeitet. Eine intensive Bindung habe der Beschwerdeführer zu seiner Freundin, mit der er seit neun Jahren "zusammen" sei (nach dem Akteninhalt wohnt der Beschwerdeführer mit seiner Freundin zusammen). Die Eltern und Geschwister des Beschwerdeführers lebten ebenfalls in Tirol. Die soziale Komponente der Integration des Beschwerdeführers werde durch die Neigung zu Körperverletzungs- und Vermögensdelikten beeinträchtigt. Die Verhinderung solcher Delikte habe einen großen öffentlichen Stellenwert, großes öffentliches Gewicht.

2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Begehren, ihn wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts aufzuheben.

3. Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift mit dem Antrag, die Beschwerde als unbegründet abzuweisen.

II.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1. Der Beschwerdeführer bestreitet nicht, die festgestellten Straftaten begangen und deswegen in der festgestellten Weise rechtskräftig verurteilt worden zu sein. Auf Grundlage dieser Feststellungen begegnet die Auffassung der belangten Behörde, der Tatbestand des § 36 Abs. 2 Z. 1 FrG sei verwirklicht und die in § 36 Abs. 1 leg. cit. umschriebene Annahme sei gerechtfertigt, keinen Bedenken.

2. Bei der Interessenabwägung gemäß § 37 Abs. 1 und Abs. 2 FrG hat die belangte Behörde folgende - unstrittig feststehende - Umstände zu Gunsten des Beschwerdeführers berücksichtigt:

Der Beschwerdeführer ist in Österreich geboren und hat hier bis 1980 gelebt. Nach positivem Schulabschluss in Jugoslawien lebt er seit 1991 wieder in Österreich und geht hier einer Arbeit, zuletzt als Boxtrainer, nach. Seit neun Jahren lebt er im Bundesgebiet mit einer Freundin zusammen. Seine Eltern und Geschwister befinden sich ebenfalls im Inland.

Auf Grund dieser Gegebenheiten kommt den privaten und familiären Interessen des Beschwerdeführers am Verbleib im Bundesgebiet ein sehr großes Gewicht zu.

Den persönlichen Interessen steht die aus den Straftaten des Beschwerdeführers resultierende Gefährdung öffentlicher Interessen gegenüber.

Der Beschwerdeführer hat am 7. Dezember 1994 eine andere Person durch Faustschläge vorsätzlich leicht am Körper verletzt. Am 11. Juni 1997 hat er eine Getränkedose und am 28. Oktober desselben Jahres ein Handy gestohlen. Am 2. September 2001 hat er eine andere Person mit Misshandlungsvorsatz fahrlässig leicht am Körper verletzt. Schließlich hat er am 8. Dezember 2001 als Security-Mann das gerechtfertigte Maß der Verteidigung aus Furcht überschritten und dabei zwei Personen durch Versetzen eines Schlages oder Trittes fahrlässig am Körper verletzt.

Die Diebstähle des Beschwerdeführers erfolgten im Juni und Oktober 1997 und liegen somit bereits sechs Jahre bzw. fünfeinhalb Jahre zurück. Bei einer dieser Straftaten hat der Beschwerdeführer nur eine Getränkedose geringen Wertes erbeutet. Die vorsätzliche Körperverletzung vom Dezember 1994 liegt bereits lange, nämlich achteinhalb Jahre zurück. Die aus den im Jahr 2001 begangenen Körperverletzungen resultierende Gefährdung öffentlicher Interessen wird dadurch erheblich gemindert, dass der Beschwerdeführer in zwei Fällen lediglich aus Furcht das gerechtfertigte Maß der Verteidigung überschritten hat. Die - in einem Fall überaus schweren - Verletzungen wurden dabei jeweils nur fahrlässig zugefügt.

Unter Berücksichtigung all dieser Umstände vermag der Verwaltungsgerichtshof der Ansicht der belangten Behörde, dass das Aufenthaltsverbot zur Erreichung von im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Zielen dringend geboten sei (§ 37 Abs. 1 FrG) und die Auswirkungen dieser Maßnahme auf die Lebenssituation des Beschwerdeführers und seiner Familie höchstens gleich schwer wögen als die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von ihrer Erlassung (§ 37 Abs. 2 leg. cit.), nicht beizupflichten.

3. Da die belangte Behörde somit die Rechtslage verkannt hat, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts aufzuheben.

4. Der Spruch über den Aufwandersatz gründet auf den §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. II Nr. 333/2003. Das Mehrbegehren war abzuweisen, weil neben dem pauschalierten Schriftsatzaufwand weder ein Einheitssatz noch ein gesonderter Ersatz von Umsatzsteuer gebührt.

Wien, am 31. März 2004

Schlagworte

Besondere Rechtsgebiete

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2004:2003180217.X00

Im RIS seit

07.05.2004
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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