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40/01 Verwaltungsverfahren;Norm
AsylG 1997 §32 Abs2;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Giendl und die Hofräte Dr. Nowakowski, Dr. Sulzbacher, Dr. Berger und Mag. Nedwed als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Trefil, über die Beschwerde der K in W, geboren 1974, vertreten durch Dr. Thomas Rabl, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Ebendorferstraße 3, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 22. März 2002, Zl. 217.963/7-VI/17/02, betreffend § 6 Z 1 und § 8 AsylG (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Die Beschwerdeführerin, eine irakische Staatsangehörige, reiste am 24. Juni 2000 unter Umgehung der Grenzkontrolle in das Bundesgebiet ein und stellte am selben Tag einen Asylantrag, den sie lediglich damit begründete, im Irak keine Familienangehörigen mehr zu haben und nach Amerika auswandern zu wollen. Sollte sie in ihr Heimatland wieder abgeschoben werden, so habe sie dort keine Probleme zu befürchten. Sie sei nur des öfteren vom Geheimdienst gefragt worden, wo sich ihre Familienangehörigen befänden.
Mit Bescheid vom 4. September 2001 wies das Bundesasylamt den Asylantrag der Beschwerdeführerin gemäß § 6 Z 1 AsylG als offensichtlich unbegründet ab und stellte gemäß § 8 AsylG fest, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung der Beschwerdeführerin in den Irak zulässig sei. In der gegen diesen Bescheid erhobenen Berufung brachte die Beschwerdeführerin vor, sie sei Angehörige der assyrischen Volksgruppe, die im Irak verfolgt werde. Im Falle einer Abschiebung liefe sie Gefahr, einer unmenschlichen Behandlung und/oder Folter, die bis zum Tod führen könne, ausgesetzt zu sein.
Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung der Beschwerdeführerin ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung "gemäß § 6 Z 1 und § 8 AsylG" ab. Begründend führte sie aus, dem Vorbringen der Beschwerdeführerin ließe sich "ganz eindeutig" nicht die Behauptung entnehmen, dass ihr im Irak Verfolgung drohe. In diesem Sinne sei die Beschwerdeführerin auch nicht in der Lage gewesen, in ihrer Berufung auch nur einen Verfolgungsgrund substanziiert darzulegen.
Über die gegen diesen Bescheid gerichtete Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof erwogen:
Vorweg ist festzuhalten, dass der Verwaltungsgerichtshof den angefochtenen Bescheid anhand der Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt seiner Erlassung zu überprüfen hat (vgl. etwa aus jüngerer Zeit das hg. Erkenntnis vom 26. November 2003, Zl. 2000/20/0258, mwN).
Gemäß § 6 AsylG sind Asylanträge als offensichtlich unbegründet abzuweisen, wenn sie eindeutig jeder Grundlage entbehren. Dies ist nach der von der belangten Behörde herangezogenen Z 1 dieser Bestimmung der Fall, wenn sich ohne sonstigen Hinweis auf Verfolgungsgefahr im Herkunftsstaat dem Vorbringen der Asylwerber offensichtlich nicht die Behauptung entnehmen lässt, dass ihnen im Herkunftsstaat Verfolgung droht. Bei der Prüfung, ob ein unter § 6 Z 1 AsylG zu subsumierender Fall vorliegt, ist demnach von den Angaben des Asylwerbers auszugehen und auf deren Grundlage zu beurteilen, ob sich diesem Vorbringen mit der erforderlichern Eindeutigkeit keine Behauptungen im Sinne einer im Herkunftsstaat drohenden Verfolgung entnehmen lassen. Auf die - von der belangten Behörde auch angesprochene - Frage der Glaubwürdigkeit der Angaben im Asylverfahren kommt es in diesem Zusammenhang nicht an. Unter "Verfolgung" im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention ist nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen. Die Anwendung des § 6 Z 1 AsylG setzt im Sinne dieses Verständnisses des Verfolgungsbegriffes voraus, dass dem Vorbringen des Asylwerbers offensichtlich keine Behauptungen zu einer ihm drohenden Verfolgung, also eines ungerechtfertigten Eingriffes der genannten Art, zu entnehmen sind. Im Hinblick auf das "Offensichtlichkeitskalkül" kann dabei auch die unzureichende Intensität des drohenden Eingriffes nur zur Subsumtion des Vorbringens unter diesen Tatbestand führen, wenn der Fall in dieser Hinsicht völlig eindeutig ist und keine Abgrenzungsfragen aufwirft (vgl. dazu das hg. Erkenntnisse vom 3. Juli 2003, Zl. 2000/20/0071, mit weiteren Nachweisen; zuletzt etwa das hg. Erkenntnis vom 17. Dezember 2003, Zl. 2000/20/0526).
Ob das erstinstanzliche Vorbringen der Beschwerdeführerin, der irakische Geheimdienst habe sich bei ihr nach dem Verbleib von Familienangehörigen erkundigt, die bereits vor ihr den Irak verlassen hatten, und die in der Berufung - ohne konkrete Bezugnahme auf eine individuelle Betroffenheit der Beschwerdeführerin - vorgebrachte Neuerung, sie sei Angehörige der assyrischen Volksgruppe, die im Irak verfolgt werde, im Hinblick auf das im § 6 AsylG geforderte "Offensichtlichkeitskalkül" völlig eindeutig als unzureichend eingestuft und damit vom Vorliegen des Tatbestandes des § 6 Z 1 AsylG ausgegangen werden durfte, braucht nicht weiter untersucht zu werden.
Die Abweisung eines Asylantrages als offensichtlich unbegründet kommt nämlich nur dann in Betracht, wenn zusätzlich zu den Voraussetzungen der jeweiligen Ziffer des § 6 AsylG (hier also des § 6 Z 1 AsylG) kein sonstiger Hinweis auf Verfolgungsgefahr im Herkunftsstaat (§ 6 zweiter Satz AsylG) gegeben ist.
Unter diesem Gesichtspunkt wäre die belangte Behörde angesichts der oben wiedergegebenen Ausführungen in der Berufung der Beschwerdeführerin gehalten gewesen, auf die Lage der assyrischen Volksgruppe im Irak einzugehen (vgl. dazu im Allgemeinen etwa die hg. Erkenntnisse vom 15. Mai 2003, Zl. 2002/01/0069, und vom 16. April 2002, Zl. 2002/20/0016). Das greift die Beschwerde im Ergebnis zutreffend auf, wenn sie auf fehlende Ermittlungen der belangten Behörde zu den von ihr behaupteten systematischen Repressalien gegen Angehörige der christlichen Minderheit (gemeint offensichtlich der assyrischen Christen) im Irak hinweist. Die belangte Behörde hat die Notwendigkeit der Prüfung des Berufungsvorbringens dahingehend, ob der Asylantrag mit Rücksicht auf dieses Vorbringen noch eindeutig jeder Grundlage entbehrt (vgl. dazu etwa das hg. Erkenntnis vom 21. Dezember 2000, Zl. 2000/01/0320, mwN) wohl auch erkannt, weil sie es für erforderlich erachtet hat, (negative) Feststellungen über die Verfolgung der Beschwerdeführerin zu treffen - in diesem Zusammenhang hätte es im Übrigen auch der Durchführung einer mündlichen Verhandlung bedurft -, ohne dass sich die belangte Behörde dabei jedoch im Sinne der obigen Rechtsausführungen zur Anwendbarkeit des § 6 AsylG ausreichend mit der Lage der assyrischen Christen im Irak auseinandergesetzt hätte.
Hinzu kommt, dass ein "sonstiger Hinweis auf Verfolgungsgefahr", der einer Abweisung des Asylantrages der Beschwerdeführerin als offensichtlich unbegründet nach § 6 AsylG entgegenstünde, auf Grund des Amtswissens um die allgemeine Lage im Heimatland der Asylwerberin auch in den Umständen ihrer Ausreise und der Asylantragstellung im Ausland liegen kann (vgl. dazu im Allgemeinen etwa das hg. Erkenntnis vom 31. Mai 2001, Zl. 2000/20/0496, und im Zusammenhang mit den Verhältnissen im Irak im Besonderen das hg. Erkenntnis vom 22. Mai 2003, Zl. 2000/20/0420).
Der Verwaltungsgerichtshof hat bereits in zahlreichen Erkenntnissen in Bezug auf die hier maßgeblichen Umstände zur Zeit der Erlassung des angefochtenen Bescheides die Auffassung vertreten, dass den einem irakischen Staatsbürger wegen illegaler Ausreise und Asylantragstellung im Ausland drohenden, unverhältnismäßig harten Sanktionen gerade unter den besonderen politischen Verhältnissen im Irak Asylrelevanz zukommen kann (vgl. dazu insbesondere das hg. Erkenntnis vom 22. Mai 2003, Zl. 2001/20/0268, mwN; vgl. weiters zuletzt die hg. Erkenntnisse jeweils vom 29. Jänner 2004, Zlen. 2001/20/0346, 2001/20/0426, 2001/20/0673, und jeweils vom 19. Februar 2004, Zlen. 2001/20/0309, 2002/20/0075, 2002/20/0458).
Schon von daher durfte die belangte Behörde nicht ohne Weiteres vom Vorliegen der Voraussetzungen des § 6 AsylG ausgehen, sondern wäre gehalten gewesen, - nach Durchführung einer mündlichen Berufungsverhandlung - Feststellungen über die Umstände der Ausreise der Beschwerdeführerin aus dem Irak und über die ihr im Falle der Rückkehr drohenden Sanktionen zu treffen.
Weil die belangte Behörde die für die Anwendung des § 6 Z 1 AsylG erforderliche (weitere) Tatbestandsvoraussetzungen des Fehlens eines sonstigen Hinweises auf Verfolgungsgefahr im Herkunftsstaat im Sinne des Einleitungssatzes des § 6 AsylG außer Acht gelassen und deshalb die zur abschließenden rechtlichen Beurteilung notwendigen Feststellungen - wie zuvor aufgezeigt - nicht getroffen hat, war der angefochtene Bescheid wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003, BGBl. II Nr. 333. Wien, am 1. April 2004
Schlagworte
Besondere verfahrensrechtliche Aufgaben der Berufungsbehörde Spruch des Berufungsbescheides Inhalt der Berufungsentscheidung Maßgebende Rechtslage maßgebender SachverhaltEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2004:2002200347.X00Im RIS seit
11.05.2004