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40/01 Verwaltungsverfahren;Norm
AsylG 1997 §23;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Giendl und die Hofräte Dr. Nowakowski, Dr. Grünstäudl, Dr. Sulzbacher und Dr. Berger als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Trefil, über die Beschwerde des K in W, geboren 1959, vertreten durch Dr. Mario Schiavon, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Biberstraße 9, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 10. September 2001, Zl. 221.182/0-IX/27/01, betreffend §§ 7 und 8 AsylG (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der im ehemaligen Staatsgebiet der UdSSR geborene Beschwerdeführer reiste am 9. September 2000 in das Bundesgebiet ein und ersuchte um Asyl. Vor dem Bundesasylamt gab er an, er stamme aus jenem Gebiet, das heute zu Russland gehöre. Als die Sowjetunion zerfallen sei, habe er sich aber in der Ukraine aufgehalten und sei "deswegen kein russischer Staatsbürger". In der Zeit von 1988 bis 1996 sei er Dirigent beim Militär, und zwar zunächst bei der sowjetischen und dann bei der ukrainischen Armee gewesen. Die ukrainische Staatsbürgerschaft habe der Beschwerdeführer nicht annehmen wollen. Weil er "nicht auf die Ukraine geschworen" habe, sei er auch kein ukrainischer Staatsangehöriger. Der Beschwerdeführer habe einen alten sowjetischen Pass gehabt. Über eine dritte Person habe er auf Grund dieses Passes einen ukrainischen "Auslandsreisepass" erhalten, mit dem er nach Österreich eingereist sei.
Als Verfolgungsgrund machte der Beschwerdeführer vor dem Bundesasylamt geltend, er habe nach seiner Zeit beim Militär bei einer Firma gearbeitet, die 1998 "bankrott" gegangen sei. Er glaube, dass die Firmenchefs das Unternehmen bewusst ruiniert hätten. Ein Polizeimajor habe den Beschwerdeführer und andere Mitarbeiter gezwungen, eine hohe Geldsumme zu bezahlen. Man habe dem Beschwerdeführer gesagt, er solle, um sein Leben zu retten, die Schulden abzahlen. Befragt, weshalb man das Geld von ihm verlangt habe, gab der Beschwerdeführer an, er sei für die Produktionsschulden verantwortlich gemacht worden, man habe einfach "einen Menschen, der sich nicht an die Behörden wenden konnte", gesucht. Es seien offizielle staatliche Organe gewesen, die ihn bedroht hätten. Für den Fall der Rückkehr in die Ukraine befürchte er, umgebracht zu werden, da er nur zweimal 500 US-Dollar bezahlt habe.
Mit Bescheid vom 29. Jänner 2001 wies das Bundesasylamt den Asylantrag des Beschwerdeführers gemäß § 7 AsylG ab und stellte in einem weiteren Spruchteil gemäß § 8 AsylG fest, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers in die Ukraine zulässig sei. Begründend hielt die Erstbehörde zur Rechtslage in der Ukraine fest, dass als ukrainischer Staatsangehöriger gelte, wer zum Stichtag 14. November 1991 den Wohnsitz auf dem Gebiet der Ukraine gehabt habe. Daher sei der Beschwerdeführer, der in dieser Zeit beim Militär in der Ukraine gearbeitet habe, Angehöriger dieses Staates und die Ukraine somit als Herkunftsstaat im Sinn des § 1 Z 4 AsylG anzusehen. Den Behauptungen des Beschwerdeführers zur Verfolgungsgefahr sprach das Bundesasylamt die Glaubwürdigkeit ab, weil zwischen dem angeblichen Firmenkonkurs und den Geldforderungen des Polizeimajors kein plausibler Zusammenhang bestehe. Dem Beschwerdeführer könne nicht gefolgt werden, wenn er einerseits behaupte, mangels ukrainischen Personalausweises "besonders" gefährdet gewesen zu sein, andererseits aber angebe, einen "ukrainischen Reisepass" besessen zu haben.
Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer Berufung. Er bestritt weiterhin, ukrainischer Staatsbürger zu sein, gab nun aber an, die russische Staatsbürgerschaft zu besitzen. Es treffe zwar zu, dass Zivilisten, die beim Zerfall der Sowjetunion in der Ukraine wohnhaft gewesen seien, automatisch Staatsbürger dieses Landes geworden seien. Dies gelte aber nicht für Militärangehörige, die einen Eid auf die Ukraine hätten ablegen müssen, was der Beschwerdeführer aber verweigert habe. Weil der Beschwerdeführer nicht Staatsangehöriger der Ukraine und daher in diesem Staat "am wehrlosesten" sei, habe man ihn als "Hauptzielperson bei der dubiosen Geldrückholaktion" ausgesucht.
Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde unter Abstandnahme von der Durchführung einer Verhandlung die Berufung des Beschwerdeführers gemäß §§ 7 und 8 AsylG ab. Begründend stellte sie fest, der Beschwerdeführer sei ukrainischer Staatsbürger russischer Volksgruppenzugehörigkeit, weil er, wie schon das Bundesasylamt ausgeführt habe, einen ukrainischen Auslandsreisepass besessen und bis 1996 beim ukrainischen Militär gearbeitet habe. Das Feststehen der ukrainischen Staatsbürgerschaft entziehe dem Vorbringen des Beschwerdeführers, er sei als Nichtukrainer am wehrlosesten und daher Hauptziel der genannten Bedrohung, den Boden. Der Beweiswürdigung des Bundesasylamtes - den "Argumenten für die mangelnde Substanziiertheit und Unnachvollziehbarkeit des Vorbringens des Beschwerdeführers" - seien aber auch noch weitere (zwei im angefochtenen Bescheid näher angeführte) Argumente gegen die Glaubwürdigkeit der vom Beschwerdeführer behaupteten Verfolgungsgefahr "hinzuzufügen".
In rechtlicher Hinsicht verwies die belangte Behörde primär auf die festgestellte Unglaubwürdigkeit der Behauptungen des Beschwerdeführers zur Verfolgungsgefahr. Selbst wenn man aber, so die belangte Behörde weiter, dem (ursprünglichen) Vorbringen des Beschwerdeführers folgte, dass er weder die ukrainische noch die russische Staatsbürgerschaft besitze und daher staatenlos sei, so wäre die Ukraine als Staat des früheren Aufenthaltes des Beschwerdeführers der für die Beurteilung einer Bedrohung des Beschwerdeführers maßgebende Herkunftsstaat. Auch in diesem Fall wäre das Vorbringen des Beschwerdeführers über die von ihm behauptete Verfolgungsgefahr nicht glaubwürdig, was sich aus den von der belangten Behörde nachgetragenen Argumenten zur Beweiswürdigung ergebe. Ginge man hingegen, so die belangte Behörde in einer weiteren Alternativbegründung, von der russischen Staatsangehörigkeit des Beschwerdeführers aus, so wäre "Objekt der asylrechtlichen Prüfung" die Russische Föderation, hinsichtlich der der Beschwerdeführer eine Verfolgungsgefahr jedoch nicht behauptet habe.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:
Die belangte Behörde geht in der primären Begründung des angefochtenen Bescheides von der ukrainischen Staatsbürgerschaft des Beschwerdeführers aus. Sie schließt sich in diesem Zusammenhang den Argumenten der Erstbehörde, der Beschwerdeführer habe einen ukrainischen Auslandsreisepass besessen und sei bis 1996 Angehöriger des Militärs in der Ukraine gewesen, an. Weil daher das vom Beschwerdeführer behauptete Verfolgungsmotiv, nämlich das Fehlen der ukrainischen Staatsbürgerschaft, nicht bestehe, sei seinen Angaben zur Verfolgungsgefahr der Boden entzogen.
Mit diesen Ausführungen übergeht die belangte Behörde das Vorbringen in der Berufung. Dort hat der Beschwerdeführer gegen die Staatsangehörigkeit der Ukraine vorgebracht, Angehörige des Militärs der Ukraine seien nicht automatisch mit dem Zerfall der Sowjetunion, sondern erst mit der Ablegung eines Eides auf die Ukraine zu Staatsbürgern dieses Staates geworden. Einen solchen Eid habe der Beschwerdeführer verweigert. Indem sich die belangte Behörde mit diesem (auch die diesbezügliche Beweiswürdigung bekämpfenden) Berufungsvorbringen unter Beachtung ihrer Verhandlungspflicht in keiner Weise auseinander gesetzt, hat sie den angefochtenen Bescheid, wie die Beschwerde im Ergebnis zutreffend einwendet, mit einem Verfahrensmangel belastet. Dieser ist wesentlich, weil auch die Argumente der Hilfsbegründung die angefochtene Entscheidung nicht zu tragen imstande sind:
Ausgehend vom ursprünglichen Vorbringen des Beschwerdeführers, er habe weder die ukrainische noch die russische Staatsbürgerschaft, wäre das Verfahren mangelhaft, weil die belangte Behörde sich für diesen Fall ohne mündliche Berufungsverhandlung ausschließlich auf Argumente zur Beweiswürdigung stützt, die das Bundesasylamt noch nicht ins Spiel gebracht hatte (vgl. in diesem Zusammenhang die hg. Erkenntnisse vom 16. April 2002, Zl. 2002/20/0003 und darauf verweisend Zl. 2001/20/0337, und in weiterer Folge etwa die Erkenntnisse vom 17. September 2002, Zl. 2001/01/0597, vom 17. Oktober 2002, Zl. 2000/20/0270, und vom 24. Juni 2003, Zl. 2002/01/0579).
Von der Wahrunterstellung der in der Berufung erhobenen Behauptung, der Beschwerdeführer sei nicht nur (wie schon vor dem Bundesasylamt angegeben) "Russe", sondern auch russischer Staatsangehöriger, konnte die belangte Behörde bei ihrer Entscheidung aber schon deshalb nicht ausgehen, weil diesfalls ein auf Russland und nicht auf die Ukraine bezogener Ausspruch gemäß § 8 AsylG zu fällen gewesen wäre.
Nach dem Gesagten war der angefochtene Bescheid daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003. Wien, am 1. April 2004
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2004:2001200652.X00Im RIS seit
13.05.2004