TE Vwgh Erkenntnis 2004/4/1 2001/20/0291

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Veröffentlicht am 01.04.2004
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Index

40/01 Verwaltungsverfahren;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

AsylG 1997 §23;
AsylG 1997 §38;
AVG §67d;
EGVG 1991 Anlage Art2 Abs2 Z43a;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Giendl und die Hofräte Dr. Nowakowski und Dr. Sulzbacher als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Trefil, über die Beschwerde des H in Wien, geboren 1976, vertreten durch Dr. Philipp Wahl, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Parkring 2, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 28. Februar 2001, Zl. 220.994/0-IX/27/01, betreffend §§ 7, 8 AsylG (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Anfang 1976 geborene Beschwerdeführer, ein syrischer Staatsangehöriger, reiste seinen Angaben zufolge am 24. November 2000 nach Österreich ein und stellte am 5. Dezember 2000 einen Asylantrag. Bei seiner Einvernahme zu den Fluchtgründen gab er vor dem Bundesasylamt am 19. Dezember 2000 im Wesentlichen an, er sei Kurde und seit seiner Kindheit - so wie sein Vater - Mitglied der PKK, für die er die "verschiedensten Aktivitäten" ausgeübt habe. Ab seinem 17. Lebensjahr habe er Flugblätter verteilt, an "parteiinternen Sitzungen" teilgenommen und (von 1996 bis 1998) PKK-Angehörige über die syrisch/türkische Grenze geschmuggelt. Er sei auch Mitglied einer Musikkapelle der PKK gewesen. Deshalb sei er nach einer musikalischen Darbietung anlässlich des kurdischen Neujahrsfestes im März 1993 vom syrischen Geheimdienst verhaftet, eine Woche lang festgehalten, verhört und auch geschlagen worden. Aus der Haft sei er gegen Zahlung von "Schmiergeld" durch seinen Vater entlassen worden. Sein Vater habe schriftlich erklären müssen, dass er für alle zukünftigen Aktivitäten des Beschwerdeführers hafte, sollte dieser für die PKK aktiv tätig werden. Außerdem sei der Beschwerdeführer aufgefordert worden, mit dem Geheimdienst zusammenzuarbeiten und ihn insbesondere über "Schmuggeltransporte" zu informieren.

Trotzdem habe der Beschwerdeführer die beschriebenen Aktivitäten für die PKK fortgesetzt, was bis ins Jahr 1999 "gut gegangen" sei. Seine Kapelle habe am 21. März 1999 beim kurdischen Neujahrsfest in einer näher genannten Ortschaft gespielt. Vier Tage später sei der Beschwerdeführer zu Hause von Geheimdienstmitarbeitern abgeholt und zunächst 48 Stunden unter dem Vorwurf festgehalten worden, er arbeite gegen die Regierung und hetze mit der Musik die Kurden auf. Danach sei er in die Geheimdienststelle nach Kamischli überstellt worden und dort wegen des Verdachtes der PKK-Mitgliedschaft festgehalten und gefoltert worden. Nachdem der Beschwerdeführer eine schriftliche Erklärung abgegeben habe, er werde in Zukunft nie mehr als Musiker an den kurdischen Neujahrsfeierlichkeiten teilnehmen, sei er enthaftet worden. Im Zuge der weiteren Befragung erwähnte der Beschwerdeführer noch, es sei ihm bei den Verhören auch angeboten worden, im örtlichen Kulturzentrum Musikunterricht zu geben, was er aber abgelehnt habe. Nach seiner Entlassung habe er sich bis zu seiner Ausreise im April 2000 bei seinem Onkel auf dessen Landwirtschaft aufgehalten. Für den Fall der Rückkehr nach Syrien befürchte er, "aus den bereits erwähnten Gründen" entweder lebenslänglich inhaftiert oder hingerichtet zu werden.

Das Bundesasylamt wies den Asylantrag des Beschwerdeführers mit Bescheid vom 18. Jänner 2001 gemäß § 7 AsylG ab und stellte gemäß § 8 AsylG die Zulässigkeit seiner Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Syrien fest. Es erachtete das Vorbringen des Beschwerdeführers "in keinster Weise" für glaubwürdig. Die insoweit wesentlichen Begründungsteile lauten wie folgt:

"Hätten die syrischen Behörden wirklich den Verdacht gehabt, dass Sie ein aktives Mitglied der verbotenen PKK sind, so wären Sie sicherlich nicht beide Male nach kurzer Zeit aus der Haft entlassen worden. Es wurde auch niemals ein Strafverfahren gegen Sie eingeleitet.

Die jeweiligen Haftentlassungen sprechen dafür, dass der syrische Staat kein weiteres Interesse an der Verfolgung Ihrer Person hatte. Auch kann ein begründeter Verdacht zur Mitgliedschaft der PKK nicht vorgelegen haben, da Sie ansonsten niemals das Angebot bekommen hätten, im Kulturzentrum einen öffentlich zugänglichen Musikunterricht anbieten zu dürfen. Auch ist es einfach nicht glaubwürdig, dass die syrischen Behörden ihnen einerseits verbieten, weiterhin für die Kapelle Musik zu machen, Sie aber andererseits auffordern, ihr Können allen syrischen Leuten beizubringen.

Auch Ihre Behauptung, sich nach dem Vorfall im März 1999 bis zur Ausreise auf der Landwirtschaft Ihres Onkels versteckt gehalten zu haben, kann nicht der Wahrheit entsprechen, da Sie im Laufe der weiteren Einvernahme angaben, selbst von April bis Juli 1999 an einem Musikunterricht im Kulturzentrum in Kamischli teilgenommen zu haben.

Die von Ihnen behauptete Aufforderung zur Zusammenarbeit mit dem Geheimdienst kann nicht der Wahrheit entsprechen. Ihren Angaben zufolge wurden Sie bereits im Jahre 1993, Sie waren damals gerade erst 17 Jahre alt, schon über Schmuggeltransporte, die Sie aber erst ab dem Jahr 1996 angeblich ausführten, befragt. Es kann einfach nicht den Tatsachen entsprechen, dass Sie einige Jahre bevor Sie eine Tätigkeit ausführen, über genau diese schon befragt werden.

Aufgrund obiger Ausführungen kommt die erkennende Behörde zum Schluss, dass Ihre Angaben zum angeblichen Asylgrund keinesfalls den Tatsachen entsprechen, und ist deshalb davon auszugehen, dass Sie nicht Ihren wahren Beweggrund geschildert haben, der Sie zum Verlassen Syriens bewogen hat."

Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer fristgerecht eine Berufung, in der er nur wiederholte, er habe als Mitglied der PKK in Syrien wohlbegründete Furcht vor Verfolgung aus politischen Gründen, was die Erstbehörde zu Unrecht nicht erkannt habe. Eine Berufungsergänzung werde "gegebenenfalls" nachgereicht. Entsprechend dieser Ankündigung übermittelte der Beschwerdeführer am 14. Februar 2001 an die Erstbehörde eine Berufungsergänzung, die der belangten Behörde am 19. Februar 2001 (Datum des Einlangens) vorgelegt wurde.

Mit dem vor dem Verwaltungsgerichtshof angefochtenen - ohne Durchführung einer mündlichen Berufungsverhandlung - erlassenen Bescheid der belangten Behörde vom 28. Februar 2001 wurde die Berufung "gemäß §§ 7, 8 AsylG" abgewiesen. Nach zusammenfassender Wiedergabe des erstinstanzlichen Bescheides und des Berufungsinhaltes stellte die belangte Behörde auf Grund der "diesbezüglich glaubwürdigen Angaben" des Beschwerdeführers fest, er sei syrischer Staatsbürger kurdischer Volksgruppenzugehörigkeit und moslemischen Glaubens. Hingegen könne nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer aus den von ihm angegebenen Gründen Syrien verlassen habe. Das gesamte Vorbringen des Beschwerdeführers sei - wie das Bundesasylamt richtig ausgeführt habe - unglaubwürdig, weil sich die Angaben des Beschwerdeführers in zentralen Punkten widersprechen würden oder nicht nachvollziehbar seien. In den weiteren Ausführungen pflichtete die belangte Behörde der Beweiswürdigung des Bundesasylamtes hinsichtlich der Angaben des Beschwerdeführers zum Auftrag des Geheimdienstes bei der Enthaftung im April 1993 sowie betreffend das Angebot zum öffentlichen Musikunterricht und zum (versteckten) Aufenthalt nach seiner letzten Enthaftung bis zur Ausreise bei. Da der Beschwerdeführer überdies den Argumenten des Bundesasylamtes in der Berufung nicht entgegengetreten sei, gehe die belangte Behörde davon aus, dass das Vorbringen des Beschwerdeführers in seiner Gesamtheit unglaubwürdig sei. In der rechtlichen Beurteilung kam die belangte Behörde daher zu dem Schluss, es lägen keine Asyl- oder Refoulementschutzgründe vor. Abschließend begründete die belangte Behörde, von der Durchführung einer mündlichen Berufungsverhandlung habe abgesehen werden können, weil der Entscheidung ausschließlich der vom Bundesasylamt in schlüssiger Beweiswürdigung festgestellte Sachverhalt zu Grunde gelegt worden sei.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen hat:

Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. zu der hier maßgeblichen Rechtslage vor der Verwaltungsverfahrens-Novelle 2001 das Erkenntnis vom 11. November 1998, Zl. 98/01/0308, und die daran anschließende Judikatur; vgl. auch die Nachweise in dem zur aktuellen Rechtslage ergangenen Erkenntnis vom 23. Jänner 2003, Zl. 2002/20/0533) kann der Sachverhalt im Sinne des Art. II Abs. 2 Z 43a EGVG als "geklärt" angesehen werden, wenn er nach Durchführung eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens und schlüssiger Beweiswürdigung der Behörde erster Instanz festgestellt wurde und in der Berufung kein dem Ergebnis des erstinstanzlichen Ermittlungsverfahrens entgegenstehender oder darüber hinausgehender Sachverhalt - erstmalig und mangels Neuerungsverbotes zulässigerweise - neu und in konkreter Weise behauptet wird. Die Voraussetzung eines aus der Aktenlage in Verbindung mit der Berufung geklärten Sachverhaltes im Sinne der genannten Bestimmung ist auch dann nicht erfüllt, wenn die erstinstanzliche Beweiswürdigung in der Berufung substantiiert bekämpft wird.

Entgegen der Auffassung der belangten Behörde liegen die erwähnten Voraussetzungen für das Absehen von einer mündlichen Berufungsverhandlung im gegenständlichen Fall nicht vor, was die Beschwerde zutreffend rügt. Der Beschwerdeführer hat nämlich in einer - im angefochtenen Bescheid überhaupt nicht erwähnten, rechtzeitig vor dessen Erlassung eingebrachten - Berufungsergänzung unter Zitierung von einschlägigen Berichten ein ausführliches Vorbringen zur Situation der Kurden in Syrien erstattet und unter anderem dargelegt, dass die gegen diese Bevölkerungsgruppe ergriffenen Maßnahmen auch darauf abzielten, die kulturelle Identität der Kurden auszulöschen. Wer sich in Syrien als Kurde bekenne oder kulturelle und politische Rechte für Kurden einfordere, werde verfolgt, verhaftet und misshandelt. So gebe es politische Gefangene, lediglich weil sie an (offiziell genehmigten) Feiern des kurdischen Neujahrs (Newroz) teilgenommen oder demonstrativ kurdisch gesprochen hätten. Das entspreche dem Vorbringen des Beschwerdeführers, der behaupte, als Musiker bei solchen Neujahrsfesten aufgetreten zu sein. Diese Berichte - so wurde in der Berufungsergänzung gefolgert - objektivierten somit die Aussage des Beschwerdeführers. Die "Prämissen der Behörde erster Instanz muten dagegen subjektiv an", weil sie durch keine Länderberichte belegt seien. Sie besäßen deshalb nicht die Kraft, dem Beschwerdeführer die Glaubwürdigkeit zu nehmen. Im Übrigen liege das Interesse des syrischen Staates nicht darin, des Beschwerdeführers habhaft zu werden, sondern - im Gegenteil - ihn loszuwerden. So erkläre sich auch seine wiederholte Freilassung. Das seien Schritte einer kalkulierten Politik der ethnischen Vertreibung, was die Erstbehörde verkannt habe. Der Beschwerdeführer habe somit wohlbegründete Furcht vor Verfolgung aus politischen und ethnischen Gründen. Im Übrigen enthält die Berufungsergänzung Ausführungen zur Rückkehrgefährdung, aus denen sich nach Ansicht des Beschwerdeführers ergebe, bei syrischen Kurden wäre die Abschiebung wegen der Gefahr der Inhaftierung und Folterung durch den syrischen Geheimdienst für unzulässig zu erklären.

Angesichts dieser Ausführungen lässt sich nicht sagen, der Beschwerdeführer wäre mit seinem Berufungsvorbringen der erstinstanzlichen Beweiswürdigung nicht entgegengetreten. Darüber hinaus wurden für die Beurteilung des Falles maßgebliche Neuerungen betreffend die kurdische Bevölkerungsgruppe in Syrien vorgetragen, die einer näheren Prüfung zu unterziehen gewesen wären. Schon aus diesen Gründen ist die belangte Behörde nach den dargestellten, in der Judikatur entwickelten Maßstäben zu Unrecht davon ausgegangen, dass die Durchführung einer mündlichen Berufungsverhandlung im vorliegenden Fall nicht geboten gewesen wäre.

Außerdem hätte die belangte Behörde Bedenken gegen die Schlüssigkeit der erstinstanzlichen Beweiswürdigung hegen müssen. Einerseits greift diese nur Teilaspekte der Fluchtgeschichte des Beschwerdeführers heraus, ohne dass die - auf Vorhalt der Unglaubwürdigkeit dieser Aussageteile - zur Entkräftung dieser Meinung vom Beschwerdeführer bei der erstinstanzlichen Vernehmung ergänzend vorgetragenen Angaben (vgl. AS 29 Mitte und AS 33 unten) einer Würdigung unterzogen worden wären. Andererseits hätte die Glaubwürdigkeit der vorgetragenen Fluchtgründe mit Überlegungen, welches Verhalten von den syrischen Behörden im Falle des Zutreffens der Behauptungen des Beschwerdeführers zu erwarten gewesen wären, nicht - wie die Berufungsergänzung zu Recht aufzeigt - ohne Auseinandersetzung mit den politischen Verhältnissen in Syrien, insbesondere betreffend die Bevölkerungsgruppe der Kurden, erfolgen dürfen.

Da nicht auszuschließen ist dass die belangte Behörde bei Durchführung einer mündlichen Berufungsverhandlung zu einem anderen Verfahrensergebnis gelangt wäre, war der angefochtene Bescheid wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.

Der Kostenzuspruch gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003, BGBl. II Nr. 333.

Wien, am 1. April 2004

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2004:2001200291.X00

Im RIS seit

14.05.2004
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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