TE Vwgh Erkenntnis 2004/4/1 2002/20/0364

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Veröffentlicht am 01.04.2004
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof;
40/01 Verwaltungsverfahren;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;
49/01 Flüchtlinge;

Norm

AsylG 1997 §23;
AsylG 1997 §7;
AsylG 1997 §8;
AVG §67d;
EGVG 1991 Anlage Art2 Abs2 Z43a;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Giendl und die Hofräte Dr. Nowakowski, Dr. Sulzbacher, Dr. Berger und Mag. Nedwed als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Trefil, über die Beschwerde des A in Y, geboren 1961, vertreten durch Dr. Rainer Mutenthaler, Rechtsanwalt in 3370 Ybbs, Herrengasse 23, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 24. April 2002, Zl. 227.048/0-XI/38/02, betreffend §§ 7 und 8 Asylgesetz (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger der Türkei, stellte am 23. Jänner 2002 einen Asylantrag und führte dazu bei seiner Ersteinvernahme vor dem Bundesasylamt am 22. Februar 2002 aus, er sei ein Kurde der alevitischen Glaubensrichtung. Bereits vor fünf Jahren habe er sein Heimatdorf Yalintas in Ostanatolien, in dem er sich nicht mehr wohlgefühlt habe, gemeinsam mit seiner Familie verlassen und sei nach Istanbul gezogen. Die Bewohner der anderen Dörfer hätten ihn "gestört". Aleviten seien von ihnen belästigt und erniedrigt worden; zeitweise sei es auch zu Misshandlungen gekommen. Istanbul habe er schließlich verlassen, weil es auch dort nicht leicht gewesen sei, als Alevit Arbeit zu finden. Aleviten würden immer schlecht behandelt und seien keine vollwertigen Mitglieder der Gesellschaft. Sein Sohn sei in Istanbul von der Schule verwiesen worden, weil er mit einem Mitschüler kurdisch gesprochen habe. Der Beschwerdeführer habe "nie Probleme mit dem heimatstaatlichen Behörden" gehabt. Im Falle einer Rückkehr in die Türkei befürchte er "wieder wirtschaftliche Probleme"; er hätte "es schwer, Arbeit zu finden". Auf den Vorhalt, sein Vorbringen sei nicht asylrelevant und er werde "offensichtlich" nicht aus asylrelevanten Gründen verfolgt, antwortete der Beschwerdeführer nach dem Inhalt der Niederschrift, er habe die Wahrheit angegeben und wolle nicht lügen, um in Österreich Asyl zu erhalten.

Mit Bescheid vom 28. Februar 2002 wies das Bundesasylamt den Asylantrag des Beschwerdeführers gemäß § 7 Asylgesetz ab und stellte gemäß § 8 Asylgesetz fest, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers in die Türkei zulässig sei. Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass die vom Beschwerdeführer angegebenen Animositäten zwischen den in der Türkei ansässigen Volksgruppen keine asylrelevante Verfolgung darstellten.

Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer fristgerecht Berufung und präzisierte sein Berufungsvorbringen in einem ergänzenden Schriftsatz vom 15. März 2002 zunächst - in den einleitenden Ausführungen der Berufungsergänzung - dahingehend, dass er bei seiner Ersteinvernahme keine Möglichkeit gehabt habe, die in der Türkei erlittene Verfolgung vollständig zu schildern. Als der Beschwerdeführer nämlich näher auf die an ihm verübten Misshandlungen und die Verfolgung der Kurden in der Türkei eingehen habe wollen, sei ihm vom Dolmetscher sinngemäß erklärt worden, dass es in der Türkei kein Kurdenproblem gebe. Die Berufungsinstanz werde diese Äußerung des Dolmetschers zu bewerten haben. Der Beschwerdeführer habe auf die erlittenen Misshandlungen nicht genauer eingehen können, weil der Dolmetscher seinen Aufgabenbereich in unqualifizierter Art und Weise weit überschritten habe. Der Beschwerdeführer habe dadurch keine Möglichkeit gehabt, seine in der Türkei erlittene Verfolgung zu schildern.

In einem der Verletzung von Verfahrensvorschriften durch das Bundesasylamt gewidmeten Abschnitt der Berufungsergänzung wiederholte der Beschwerdeführer, sein Vorbringen zu den von ihm erlittenen Misshandlungen sei "durch den Dolmetscher in der Einvernahme rechtswidrig unterbunden" worden.

Schließlich wurde zur inhaltlichen Rechtswidrigkeit des erstinstanzlichen Bescheides in der Berufungsergänzung argumentiert, entgegen der Rechtsansicht des Bundesasylamtes habe der Beschwerdeführer in der Türkei bereits Verfolgung erlitten und drohe ihm diese auch für den Fall seiner Rückkehr. Im Einzelnen führte der Beschwerdeführer dazu aus:

"Ich wurde in der Türkei aufgrund meiner Volkszugehörigkeit zu den Kurden mehrfach misshandelt und geschlagen:

Im Regelfall geschah dies durch Angehörige des türkischen Militärs. Ich wurde oft in einem Auto mitgenommen und geschlagen. Man stellte mir Fragen und verdächtigte mich, mit der PKK zu kooperieren. Als ich einmal in aller Öffentlichkeit auf der Straße geschlagen wurde, wurde ich am Kopf dermaßen verletzt, dass ich seither am linken Ohr einen Gehörschaden habe. Auch meine Gattin A N wurde geschlagen und leidet jetzt noch unter Verletzungen.

Das Militär bedient sich auch Täuschungsmethoden, um eine etwaige Sympathie zur PKK herauszufinden. So kamen einige Angehörige des Militärs in Zivil verkleidet zu mir aufs Feld, wo ich arbeitete, und verlangten nach Essen. Sie wollten dadurch wohl testen, ob ich Leuten, die zur PKK gehören könnten, mit Nahrung aushalf.

Wie aus ... Berichten hervorgeht, ist der Gebrauch der kurdischen Sprache in der Öffentlichkeit nach wie vor verboten. Mein Sohn wurde deswegen sogar der Schule verwiesen.

...

Man wird als Kurde ständig verdächtigt, mit der PKK zu kooperieren bzw. diese zu unterstützen. Die türkischen Sicherheitsbehörden und das Militär verwenden diesen Vorwand als Rechtfertigung für Folter und anderen Missbrauch an Kurden."

Dieses Vorbringen verband der Beschwerdeführer u.a. mit dem Antrag, "eine neuerliche Einvernahme mit einem geeigneten Dolmetscher durchzuführen".

Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung des Beschwerdeführers ohne Durchführung einer mündlichen Berufungsverhandlung ab. Zur Begründung führte die belangte Behörde aus, es könne dahingestellt bleiben, ob das Vorbringen des Beschwerdeführers (insbesondere in der Berufungsergänzung) den Tatsachen entspreche, weil ihm nicht zu entnehmen sei, dass der Berufungswerber auch während seines Aufenthaltes in den letzten fünf Jahren vor seiner Ausreise in Istanbul einer konkret und gezielt gegen seine Person gerichteten asylrelevanten Verfolgung, etwa durch Übergriffe seitens des Militärs, ausgesetzt gewesen sei. Die wirtschaftlichen Probleme des Beschwerdeführers sowie sein Vorbringen zum Verweis seines Sohnes aus der Schule, weil er mit einem Mitschüler die kurdische Sprache gesprochen habe, seien nicht geeignet eine Verfolgung in Istanbul darzutun, die unter die Gründe der Genfer Flüchtlingskonvention zu subsumieren sei. Auch sei weder der Berufung noch den sonstigen amtsbekannten Länderberichten über die Türkei zu entnehmen, dass Kurden alevitischen Glaubensbekenntnisses in Istanbul generell eine asylrelevante Verfolgung zu befürchten hätten. Der Beschwerdeführer habe weiters nicht behauptet, als Alevit in Istanbul gar keine Arbeit zu bekommen. Nach seinem Vorbringen habe er bis zu seiner Ausreise aus der Türkei als Textilarbeiter in Istanbul fünf Jahre lang seinen Lebensunterhalt bestritten, weshalb nicht davon ausgegangen werden könne, dass ihm bei einer Rückkehr in die Türkei, etwa konkret nach Istanbul, jegliche Lebensgrundlage entzogen wäre. Von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung habe abgesehen werden können, weil der Sachverhalt im Sinne des Art. II Abs. 2 Z 43a EGVG als geklärt anzusehen sei, wenn er "nach Durchführung eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens unter schlüssiger Beweiswürdigung der Behörde erster Instanz festgestellt" worden sei und in der Berufung kein dem Ergebnis des erstinstanzlichen Ermittlungsverfahrens entgegen stehender oder darüber hinaus gehender Sachverhalt neu und in konkreter Weise behauptet werde. Das von der belangten Behörde "vollständig wiedergegebene" Vorbringen des Beschwerdeführers in der Berufung und deren Ergänzung sei zwar "ein neues, auf Grund des Bestehens einer inländischen Fluchtalternative jedoch nicht asylrelevantes" sowie auch unter dem Gesichtspunkt des § 8 AsylG "nicht relevantes Vorbringen".

Über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof erwogen:

Der Beschwerdeführer hat in seiner Berufungsergänzung u. a. geltend gemacht, auf Grund von (unsachlichen) Äußerungen des seiner Einvernahme vor dem Bundesasylamt beigezogenen Dolmetschers an der vollständigen Schilderung der im Herkunftsstaat erlittenen Misshandlungen gehindert worden zu sein. In diesem Zusammenhang hat die belangte Behörde in einem längeren Einschub auf Seite 5 der Bescheidausfertigung "lediglich darauf hingewiesen", der dem Beschwerdeführer rückübersetzten und von ihm unterfertigten Niederschrift über seine erstinstanzliche Einvernahme seien "keineswegs Anhaltspunkte" dafür zu entnehmen, dass er an der Darlegung seiner Fluchtgründe gehindert worden sei, und er habe "im Gegenteil" auf den Vorhalt des Fehlens asylrelevanter Gründe noch geantwortet, er wolle nicht lügen, um in Österreich Asyl zu erhalten. Dessen ungeachtet hat die belangte Behörde davon abgesehen, sich mit den Berufungsbehauptungen beweiswürdigend auseinander zu setzen, was eine mündliche Berufungsverhandlung erfordert hätte. Sie hat stattdessen - trotz des ausdrücklichen Antrages auf neuerliche Einvernahme des Beschwerdeführers mit einem geeigneten Dolmetscher - von einer Berufungsverhandlung abgesehen und ihre Entscheidung ausgehend von einer Kombination eines Teiles der in der erstinstanzlichen Niederschrift festgehaltenen mit den Angaben in der Berufungsergänzung darauf gestützt, dass dem Vorbringen insgesamt "keine Asylrelevanz" beizumessen sei.

Diesem Vorgehen der belangten Behörde tritt die Beschwerde u. a. mit dem Argument entgegen, die in der Berufungsergänzung erhobenen Vorwürfe gegen das Verhalten des Dolmetschers bei der erstinstanzlichen Einvernahme seien unbehandelt geblieben. Damit zeigt die Beschwerde jedenfalls insofern die Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides auf, als der Beschwerdeführer seine erstinstanzlichen Angaben in der Berufungsergänzung in Wahrheit nicht nur ergänzt, sondern in entscheidenden Punkten (keine behördliche Verfolgung, nur wirtschaftliche Probleme bei der Rückkehr) widerrufen und zugleich behauptet hatte, das Fehlen der - mit dem erstinstanzlichen Vorbringen, wie es in der Niederschrift festgehalten wurde, unvereinbaren - Verfolgungsbehauptungen im erstinstanzlichen Vorbringen sei auf das Verhalten des Dolmetschers beim Bundesasylamt zurückzuführen. Wollte die belangte Behörde - im Sinne des von ihr gewählten Begründungsansatzes, und ungeachtet der von ihr selbst geäußerten Zweifel - auch diese Behauptung des Beschwerdeführers als wahr unterstellen, so bedeutete dies die Annahme einer gravierenden Mangelhaftigkeit der erstinstanzlichen Einvernahme.

Davon ausgehend befand sich die belangte Behörde nicht in der Lage, etwa nur in der Berufungsergänzung vorgetragene "Neuerungen" zu beurteilen. Für die Annahme, die beantragte neuerliche Einvernahme des Beschwerdeführers nicht durchführen zu müssen, fehlte vielmehr - ausgehend von dem gewählten Begründungsansatz - die von der belangten Behörde auf der Grundlage der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zutreffend wiedergegebene Voraussetzung eines "ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens" in erster Instanz. Dass eine - nach den Behauptungen des Beschwerdeführers erstmals fehlerfreie - Einvernahme im Berufungsverfahrens keine vom Beschwerdeführer, wie dies nun in der Beschwerde u.a. behauptet wird, auch noch in Istanbul erlittene, der Annahme einer dort gegebenen "Fluchtalternative" entgegen stehende Verfolgung ergeben konnte, war seinen Ausführungen in der Berufungsergänzung jedenfalls nicht zu entnehmen. Hinzu kommt noch, dass auch hinsichtlich der bereits dort beschriebenen Misshandlungen zum Teil weder zeitlich noch örtlich klar erkennbar war, dass sich diese Vorfälle vor der Übersiedlung des Beschwerdeführers nach Istanbul ereignet haben mussten.

Damit erweist sich der von der belangten Behörde gewählte Begründungsansatz aber überhaupt als ungeeignet, weil sich damit eine mündliche Berufungsverhandlung nicht vermeiden lässt. Vielmehr ist eine beweiswürdigende Auseinandersetzung mit der Entwicklung des Vorbringens des Beschwerdeführers geboten.

Der angefochtene Bescheid war daher wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.

Von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z. 3 VwGG abgesehen werden.

Der Ausspruch über den Kostenersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003, BGBl. II Nr. 333.

Wien, am 1. April 2004

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2004:2002200364.X00

Im RIS seit

12.05.2004
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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