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41/04 Sprengmittel Waffen Munition;Norm
WaffG 1996 §25 Abs3;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Giendl und die Hofräte Dr. Nowakowski, Dr. Sulzbacher, Dr. Berger und Dr. Zehetner als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Trefil, über die Beschwerde des I in W, vertreten durch Dr. Michael Hiller, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Stubenring 6, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 23. April 2001, Zl. SD 782/00, betreffend Entziehung des Waffenpasses, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid entzog die belangte Behörde dem Beschwerdeführer den am 9. November 1995 ausgestellten Waffenpass. Zur Begründung dieser Entscheidung führte sie - zusammengefasst - im Wesentlichen aus, bei der periodischen Überprüfung der waffenrechtlichen Verlässlichkeit des Beschwerdeführers am 26. Juni 2000 sei festgehalten worden, dass der Beschwerdeführer - der seine Wohnung zusammen mit seiner Ehefrau und zwei Kindern im Alter von 10 und 15 Jahren bewohne - seine Faustfeuerwaffe "in einer versperrbaren Schreibtischlade im Wohnzimmer" verwahrt habe. Ein im Berufungsverfahren eingeholter ergänzender Bericht des Kriminalbeamten, der die Überprüfung vorgenommen habe, habe ergeben, dass "die Schreibtischlade bzw. die Türe", hinter der die Waffe verwahrt worden sei, ein "simples Kunststoffschloss" aufweise. Sowohl der Schlossriegel wie auch die "Sperrnase", in die er nur ca. 1 mm einraste, bestünden aus Kunststoff. Nach Ansicht des Kriminalbeamten, der dies allerdings -
wie die belangte Behörde erkennbar einräumt - wegen der Gefahr einer Beschädigung nicht versucht habe, könne die Türe des Schreibtischs "ohne große Kraftanstrengung aufgezogen werden". Es treffe zwar zu, dass die im dritten Stock gelegene, mit einer massiven Holzeingangstüre ausgestattete Wohnung des Beschwerdeführers vor fremdem Zugriff (nicht dem Haushalt angehörender Personen) durch Gewalt gegen Sachen ausreichend Schutz biete. Auf Grund des "extrem geringfügigen Ineinandergreifens der aus keinem massiven Material bestehenden mechanischen Bauteile des Schlosses" am Schreibtisch fehle aber in Bezug auf die Mitbewohner, von denen insbesondere auch das Wohnzimmer mitbenützt werde, bzw. gegenüber "eventuellen Besuchern" eine "zumutbare, ausreichende Sicherung". Die Lade des "an sich massiven" Schreibtisches könne "ohne Werkzeug und ohne intensiverer Gewalt gegen Sachen geöffnet werden", womit das Erfordernis, die Waffe in zumutbarer und wirksamer Weise vor unberechtigtem, auf Aneignung oder unbefugte Verwendung gerichteten Zugriff zu schützen, nicht erfüllt sei. Die waffenrechtliche Verlässlichkeit des Beschwerdeführers sei daher zu verneinen, wenngleich sich aus dem ergänzenden Bericht auch ergeben habe, dass der Schreibtisch nicht nur versperrbar, sondern bei der Überprüfung am 26. Juni 2000 auch versperrt gewesen sei und der Beschwerdeführer den Schlüssel bei sich verwahrt habe.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:
Gemäß § 25 Abs. 3 WaffG hat die Behörde waffenrechtliche Urkunden zu entziehen, wenn sich aus Anlass einer Überprüfung der Verlässlichkeit gemäß § 25 Abs. 1 oder 2 WaffG ergibt, dass der Berechtigte nicht mehr verlässlich ist. Verlässlich ist ein Mensch gemäß § 8 Abs. 1 Z 2 zweiter Fall WaffG unter anderem nur dann, wenn keine Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass er Waffen nicht sorgfältig verwahren werde.
Gemäß § 3 Abs. 1 der 2. Waffengesetz-Durchführungsverordnung, BGBl. II Nr. 313/1998 (2. WaffV), ist eine Schusswaffe sicher verwahrt, wenn ihr Besitzer sie "in zumutbarer Weise vor unberechtigtem - auf Aneignung oder unbefugte Verwendung gerichteten - Zugriff schützt". Nach § 3 Abs. 2 Z 2 bis 4 der 2. WaffV gehört zu den maßgeblichen Umständen für die Beurteilung der Sicherheit der Verwahrung unter anderem der Schutz vor fremdem Zugriff durch Gewalt gegen Sachen, insbesondere eine der Anzahl und der Gefährlichkeit von Waffen und Munition entsprechende Ein- oder Aufbruchsicherheit des Behältnisses oder der Räumlichkeit (Z 2), der Schutz von Waffen und Munition vor dem Zugriff von Mitbewohnern, die zu deren Verwendung nicht befugt sind (Z 3), und der Schutz vor Zufallszugriffen rechtmäßig Anwesender (Z 4).
Im vorliegenden Fall ist die belangte Behörde nicht davon ausgegangen, dass der Schutz vor fremdem Zugriff im Sinne des § 3 Abs. 2 Z 2 der 2. WaffV unzureichend gewesen sei. Auf "eventuelle Besucher" wird zwar an einer Stelle der Bescheidbegründung Bezug genommen, doch lassen sich die Ausführungen der belangten Behörde -
vor dem Hintergrund des von ihr festgestellten Sachverhaltes - insgesamt nicht so deuten, dass "Zufallszugriffe rechtmäßig Anwesender" im Sinne des § 3 Abs. 2 Z 4 der 2. WaffV zu befürchten gewesen seien. Entscheidend ist daher die Frage nach der Berechtigung der dem angefochtenen Bescheid zugrunde liegenden Annahme, die Verwahrung der Waffe sei im Sinne des § 3 Abs. 1 i. V.m. Abs. 2 Z 3 der 2. WaffV gegenüber den Mitbewohnern des Beschwerdeführers mangelhaft gewesen.
Zu den Verwahrungspflichten des Besitzers einer Waffe gegenüber dem Zugriff von Personen aus seinem persönlichen Nahebereich ist gemäß § 43 Abs. 2 VwGG auf das Erkenntnis vom 12. September 2002, Zl. 2000/20/0070, zu verweisen (vgl. daran anknüpfend auch das Erkenntnis vom selben Tag, Zl. 2000/20/0374, und das Erkenntnis vom 23. Jänner 2003, Zl. 2000/20/0054; aus der Vorjudikatur zum geltenden Gesetz die Erkenntnisse vom 7. Mai 1998, Zl. 98/20/0083, vom 17. Juni 1999, Zl. 99/20/0158, vom 8. Juni 2000, Zl. 2000/20/0155, vom 21. September 2000, Zl. 98/20/0394, vom 25. Jänner 2001, Zl. 99/20/0476 und Zl. 2000/20/0520, und vom 18. Juli 2002, Zlen. 99/20/0043, 0044; die Judikatur zu früheren Waffengesetzen zusammenfassend das Erkenntnis vom 9. Oktober 1997, Zl. 95/20/0421, mit Hinweis u. a. auf Gaisbauer, ÖJZ 1989, 72 f; ergänzend das bei Gaisbauer zum Erfordernis besonderer Sorgfalt gegenüber Jugendlichen zitierte Erkenntnis vom 17. März 1982, Zl. 01/1270/80).
Nach den Maßstäben der im Erkenntnis vom 12. September 2002, Zl. 2000/20/0070, zusammengefassten Vorjudikatur sind genehmigungspflichtige Waffen - sofern nicht Anlass zu erhöhter, darüber hinaus gehender Vorsicht besteht - jedenfalls so zu verwahren, dass ein Ehepartner (oder Lebensgefährte), der nicht seinerseits über die erforderliche waffenrechtliche Bewilligung verfügt, nicht jederzeit und ohne Notwendigkeit der Überwindung eines Hindernisses auf die Waffen zugreifen kann. Wurde eine Waffe aber etwa in einer versperrten Lade im Schlafzimmer verwahrt und führte der Berechtigte den Schlüssel zu dieser Lade bei sich, so reicht es für die Verneinung der Verlässlichkeit nicht aus, dass der Ehepartner dieses Hindernis überwinden und an die Waffe gelangen konnte; mehr als die Verwahrung in einer versperrten Lade, deren Schlüssel der Berechtigte bei sich trägt, ist gegenüber dem Ehepartner - ohne Vorliegen besonderer Umstände - nicht geboten, wenn eine Anwendung überspitzter Maßstäbe vermieden werden soll (vgl. dazu das zitierte Erkenntnis vom 21. September 2000, Zl. 98/20/0394). Dass etwa das Versperren eines Kastens "angesichts der verhältnismäßigen Einfachheit des Lösens der Sperre sinnlos" sei, ließ der Verwaltungsgerichtshof - als Argument gegen das Erfordernis, ein derartiges Behältnis zu versperren - schon im Erkenntnis vom 22. Juni 1976, Zlen. 1055, 1056/76, nicht gelten. In den in der Vorjudikatur entschiedenen Fällen, in denen die Verwahrung der Waffe gegenüber dem Ehepartner als unzureichend erachtet wurde, war jeweils - im Sinne des erwähnten Fehlens eines Hindernisses für den jederzeitigen Zugriff - das Behältnis unversperrt, der Schlüssel angesteckt oder der Aufbewahrungsort des Schlüssels (oder die Nummernkombination des Tresors) dem Ehepartner bekannt (vgl. dazu die Judikaturdarstellung bei Gaisbauer, a.a.O., und die zuvor erwähnten, neueren Erkenntnisse).
Grund zur Vorsicht besteht aber "in erhöhtem Maße, wenn im gemeinsamen Haushalt minderjährige Kinder leben" (vgl. das Erkenntnis vom 8. Juni 2000, Zl. 2000/20/0155, allerdings einen Fall völlig unversperrt in der Wohnung verwahrter Waffen betreffend; zu den früheren Waffengesetzen den Hinweis im Erkenntnis vom 9. Oktober 1997, Zl. 95/20/0421). Unter diesem Gesichtspunkt wurde in dem bei Gaisbauer, a.a.O., zitierten, zum WaffG 1967 ergangenen Erkenntnis vom 17. März 1982, Zl. 01/1270/80, etwa zum Ausdruck gebracht, auch die Verwahrung der Faustfeuerwaffen in einer fest verschlossenen Truhe sei unzureichend, wenn das "Schlüsselversteck" in einer Schatulle von den minderjährigen Mitbewohnern, denen die Existenz und der Verwahrungsort der Waffen bekannt sei, als Folge einer zufälligen Beobachtung oder als Ergebnis einer gezielten Nachsuche entdeckt und ohne Überwindung einer Sperre geöffnet werden konnte. Der Verwaltungsgerichtshof verband dies mit dem Hinweis, gerade für Jugendliche im Alter der Söhne des damaligen Beschwerdeführers (etwa 9 und 13 Jahre alt) wecke das Wissen um das Vorhandensein von Schusswaffen in der elterlichen Wohnung "häufig den Wunsch ..., sich Zugang zu diesen zu verschaffen. Dass hiebei oft erfinderisch, beharrlich und im Bemühen vorgegangen wird, die eigenen Bestrebungen vor den verantwortlichen Erwachsenen geheim zu halten, ist eine notorische Tatsache".
Vor diesem Hintergrund ist im vorliegenden Fall zu prüfen, ob die bei der Überprüfung festgestellte Verwahrung der Schusswaffe des Beschwerdeführers mit Rücksicht auf dessen 1986 und 1990 geborene, mit ihm im gemeinsamen Haushalt lebende Kinder sorgfaltswidrig war. Träfe zu, was die belangte Behörde in der Gegenschrift behauptet, dass nämlich die Plastikteile des Schreibtischschlosses "auch keinen (ausreichenden) mechanischen Schutz vor neugierigen oder spielenden Kindern bieten können, die durch das einfache Nachvorschieben der Lade unter Anwendung geringer Körperkraft zu dessen Inhalt gelangen (oder einfach nur nachsehen) wollen, ohne dass diese dabei in der Absicht agieren, eine Sperrvorrichtung zu überwinden", so wäre diese Frage wohl zu bejahen. Derartiges hat die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid aber nicht festgestellt. Sie hat - nach der in der Beschwerde vertretenen Ansicht ohne ausreichende Ermittlungen - nur festgestellt, "nach Ansicht des Kriminalbeamten" könne die Türe des Schreibtischs "ohne große Kraftanwendung aufgezogen werden". Das Behältnis lasse sich "ohne Werkzeug und ohne intensiverer Gewalt gegen Sachen" öffnen.
Der rechtlichen Würdigung dieser Annahmen auf dem Boden des geltenden Gesetzes und der dazu ergangenen Verordnung ist vorauszuschicken, dass unter dem im zitierten Erkenntnis vom 17. März 1982, Zl. 01/1270/80, ins Treffen geführten Gesichtspunkt des Auffindens in einer Wohnung versteckter Gegenstände (seien dies nun Schlüssel zu einem Behältnis oder die Waffen selbst) gegenüber den ständigen - auch erwachsenen - Mitbewohnern einer Wohnung schon wegen der Unmöglichkeit, sie auch nur annähernd lückenlos zu überwachen, strengere Verwahrungspflichten anzunehmen sind als hinsichtlich bloßer Besucher; es kann daher unmaßgeblich sein, dass dem Mitbewohner der Aufbewahrungsort (oder, wie hinzuzufügen ist, selbst die Existenz einer Waffe) in der Wohnung nicht bekannt ist (vgl. dazu das Erkenntnis vom 12. September 2002, Zl. 2000/20/0070, und als Gegenbeispiel des Fehlens von Mitbewohnern - unter Bezugnahme auf die Unterscheidungen im Text der Verordnung - das Erkenntnis vom 21. Oktober 1999, Zl. 99/20/0321).
Der vorliegende Fall wirft stattdessen die Frage auf, ob entsprechend zu der erhöhten Vorsicht, die in der zuletzt erwähnten Hinsicht - im Sinne der Ausführungen im Erkenntnis vom 17. März 1982 - gegenüber Jugendlichen im Haushalt geboten sein mag, auch anzunehmen ist, dass ihnen gegenüber die Verwahrung von Waffen in versperrten Behältnissen, deren Schlüssel ihnen nicht zugänglich sind, sorgfaltswidrig ist, wenn sich diese Behältnisse "ohne Werkzeug und ohne intensiverer Gewalt" öffnen lassen.
Diese Frage lässt sich nach Ansicht des Verwaltungsgerichtshofes für solche Fälle, in denen nicht feststeht, dass entweder - im Sinne der Ausführungen in der Gegenschrift - eine unbeabsichtigte Überwindung der Sperre zu befürchten ist oder die absichtlich und ohne Beschädigungsgefahr überwundene Sperre sich ohne Zuhilfenahme eines Schließwerkzeuges auch wieder herstellen lässt, nicht von vornherein generell bejahen. Soll die Sorgfaltswidrigkeit der Verwahrung, abgesehen von Extremfällen der zuletzt erwähnten Art, mit der Schwäche des Schlosses an einem Möbelstück begründet werden, in dem die Waffe vor den Mitbewohnern versperrt gehalten wird, so bedarf es auch bei ihnen jeweils im Einzelfall konkreter Gründe dafür, dass mit dem Einsatz "nicht intensiver Gewalt" im Sinne des absichtlichen Aufreißens einer versperrten, ohne Schließwerkzeug nicht wieder versperrbaren Kastentüre, Schublade o. dgl. zu rechnen sei. Wollte man das Vertrauen auf eine diesbezügliche Hemmschwelle bei Mitbewohnern im gemeinsamen Haushalt - etwa im Sinne der hg. Rechtsprechung zum Vertrauen auf die Wirksamkeit bloßer Verbote (vgl. dazu das oben zitierte Erkenntnis vom 18. Juli 2002, Zlen. 99/20/0043, 0044) - in Bezug auf Jugendliche generell für sorgfaltswidrig halten, so wäre kein Grund dafür ersichtlich, dies nicht auch auf alle Behältnisse, die sich mit den in einem Haushalt in der Regel vorhandenen oder auf andere Weise leicht zugänglichen Werkzeugen gewaltsam öffnen lassen, auszudehnen. Eine so weit reichende allgemeine Verschärfung der Verwahrungspflichten gegenüber jugendlichen im Vergleich zu erwachsenen Mitbewohnern ließe sich nur auf konkrete waffenpolizeiliche Erfahrungen stützen, worüber der angefochtene Bescheid aber keine Feststellungen enthält.
Die belangte Behörde hat diese rechtlichen Maßstäbe verkannt und den Fall des Beschwerdeführers ausgehend von ihren Sachverhaltsannahmen zu streng beurteilt, weshalb der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben war.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003.
Wien, am 1. April 2004
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2004:2001200518.X00Im RIS seit
11.05.2004