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E000 EU- Recht allgemein;Norm
31979L0112 Etikettierungs-RL Art2 Abs1 litb;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Präsident Dr. Jabloner und die Hofräte Dr. Novak, Dr. Mizner, Dr. Stöberl und Dr. Köhler als Richter, im Beisein des Schriftführers MMag. Zavadil, über die Beschwerde der A GmbH in Graz, vertreten durch Dr. Ruth Hütthaler-Brandauer, Rechtsanwalt in 1060 Wien, Otto Bauer-Gasse 4, gegen den Bescheid des Bundesministers für soziale Sicherheit und Generationen vom 3. Dezember 2002, Zl. 334.935/0-VII/13/02, betreffend Untersagung des Inverkehrbringens als Verzehrprodukt nach dem Lebensmittelgesetz 1975, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Die beschwerdeführende Partei hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 51,50 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem angefochtenen Bescheid untersagte die belangte Behörde gemäß § 18 Abs. 2 des Lebensmittelgesetzes 1975 (LMG) das Inverkehrbringen des von der beschwerdeführenden Gesellschaft mit Eingabe vom 12. November 2002 angemeldeten Produktes "Dr. Böhm Verdauungs-Dragees, pflanzliches Verzehrprodukt/Gewürz-Dragees" als Verzehrprodukt.
Nach der Begründung solle das genannte Produkt mit der gesundheitsbezogenen Angabe "Verdauungs-Dragees" in Verkehr gelangen. Diese Angabe erwecke den Eindruck, dass dem Produkt eine besondere physiologische Wirkung (günstiger Einfluss auf die Verdauung) zukomme. Da ein Zulassungsbescheid gemäß § 9 Abs. 3 LMG nicht vorliege, handle es sich dabei um eine verbotene gesundheitsbezogene Angabe gemäß § 9 Abs. 1 LMG. Nach der Rechtsprechung sei es Aufgabe des Anmelders, sich vor Anmeldung einer Ware dahingehend zu vergewissern, ob auf der Verpackung bzw. einem allfälligen Beipackzettel gemäß § 9 Abs. 1 LMG verbotene gesundheitsbezogene Angaben aufschienen. Für diesen Fall sei vorerst ein dementsprechender Antrag auf Zulassung zu stellen und dessen bescheidmäßige Erledigung abzuwarten. Das Aufscheinen der verbotenen gesundheitsbezogenen Angabe bei der Anmeldung des in Rede stehenden Erzeugnisses als Verzehrprodukt stelle jedenfalls einen Untersagungsgrund gemäß § 18 Abs. 2 LMG dar, weil dieses gemäß § 8 lit. f LMG als falsch bezeichnet anzusehen sei, wodurch es den Bestimmungen des Lebensmittelgesetzes nicht entspreche.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften erhobene Beschwerde.
Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt, jedoch von der Erstattung einer Gegenschrift Abstand genommen.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Nach § 3 LMG sind Verzehrprodukte Stoffe, die dazu bestimmt sind, von Menschen gegessen, gekaut oder getrunken zu werden, ohne überwiegend Ernährungs- oder Genusszwecken zu dienen oder Arzneimittel zu sein.
Gemäß § 18 Abs. 1 LMG ist es verboten, Verzehrprodukte vor ihrer Anmeldung (nunmehr) beim Bundesministerium für Gesundheit und Frauen in Verkehr zu bringen.
Nach Abs. 2 der genannten Gesetzesstelle hat die Bundesministerin für Gesundheit und Frauen das Inverkehrbringen einer als Verzehrprodukt angemeldeten Ware mit Bescheid unverzüglich, längstens binnen drei Monaten zu untersagen, wenn sie den Vorschriften des Lebensmittelgesetzes oder seinen Verordnungen nicht entspricht.
Gemäß § 18 Abs. 3 LMG sind mit der Anmeldung Warenmuster und je eine Unterlage vorzulegen, die eine Beurteilung im Sinne des Abs. 2 ermöglichen.
Nach § 9 Abs. 1 LMG ist es verboten, beim Inverkehrbringen von Lebensmitteln, Verzehrprodukten oder Zusatzstoffen
a) sich auf die Verhütung, Linderung oder Heilung von Krankheiten oder Krankheitssymptomen oder auf physiologische oder pharmakologische, insbesondere jung erhaltende, Alterserscheinungen hemmende, schlankmachende oder gesunderhaltende Wirkungen zu beziehen oder den Eindruck einer derartigen Wirkung zu erwecken;
b) auf Krankengeschichten, ärztliche Empfehlungen oder auf Gutachten hinzuweisen;
c) gesundheitsbezogene, bildliche oder stilisierte Darstellungen von Organen des menschlichen Körpers, Abbildungen von Angehörigen der Heilberufe oder Kuranstalten oder sonstige auf Heiltätigkeiten hinweisende Abbildungen zu verwenden.
Gemäß § 9 Abs. 3 LMG hat die Bundesministerin für Gesundheit und Frauen auf Antrag für bestimmte Lebensmittel oder Verzehrprodukte gesundheitsbezogene Angaben mit Bescheid zuzulassen, wenn dies mit dem Schutz der Verbraucher vor Täuschung vereinbar ist. Der Bescheid ist aufzuheben, wenn die Voraussetzungen für die Zulassung nicht mehr gegeben sind.
Enthält das angemeldete Produkt "gesundheitsbezogene" Angaben (§ 9 Abs. 1 LMG), die noch nicht im Sinne des § 9 Abs. 3 genehmigt wurden, so stellt dies nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes einen Untersagungsgrund nach § 18 Abs. 2 LMG dar (vgl. etwa das Erkenntnis vom 25. September 1979, Zl. 2128/78).
Nach dem Urteil des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaften vom 23. Jänner 2003, C-421/00, C-426/00 und C- 16/01, sind allerdings jene Bestimmungen des Österreichischen Lebensmittelgesetzes 1975, die jede gesundheitsbezogene Angabe auf der Etikettierung und der Aufmachung von Lebensmitteln vorbehaltlich besonderer Genehmigung generell verbieten, mit Gemeinschaftsrecht unvereinbar.
In der Begründung dieses Urteils hat der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften dazu ausgeführt, dass die Richtlinie 79/112 (Etikettierungsrichtlinie) alle Angaben verbietet, die sich auf eine menschliche Krankheit beziehen, unabhängig von ihrer Eignung, den Verbraucher irrezuführen, sowie diejenigen Angaben, die, obzwar sie sich nicht auf eine Krankheit, sondern etwa auf die Gesundheit beziehen, irreführend sind (Rz 28).
Weiters hat der Gerichtshof ausgesprochen, dass Lebensmittel mit einer Etikettierung, die nicht irreführende gesundheitsbezogene Angaben enthält, als den Vorschriften der Richtlinie 79/112 entsprechend anzusehen sind und dass die Mitgliedsstaaten ihren Vertrieb nicht mit der Begründung untersagen können, diese Etikettierung sei möglicherweise nicht ordnungsgemäß (Rz 30).
Im Zusammenhang mit der Frage, "ob Artikel 15 Absatz 2 der Richtlinie 79/112, soweit danach nichtharmonisierte einzelstaatliche Vorschriften, die zum Schutz der Gesundheit und vor Täuschung gerechtfertigt sind, ein Erfordernis der vorherigen Genehmigung wie das des § 9 Absatz 3 LMG zulässt" (Rn 36), hat der Gerichtshof Folgendes dargelegt:
"37. Zwar verbietet Artikel 2 Absatz 1 der Richtlinie 79/112 zum einen alle Angaben, die sich auf die Vorbeugung, Behandlung oder Heilung einer menschlichen Krankheit beziehen, auch wenn sie nicht geeignet sind, den Käufer irrezuführen, und zum anderen irreführende gesundheitsbezogene Angaben, doch lässt sich mit dem Schutz der Gesundheit, falls in einer bestimmten Situation überhaupt von Gesundheitsrisiken ausgegangen werden kann, nicht eine den freien Warenverkehr so beschränkende Regelung rechtfertigen, wie sie sich aus einem vorherigen Genehmigungsverfahren für sämtliche gesundheitsbezogenen Angaben auf Lebensmitteln ergibt, und zwar auch solchen, die in anderen Mitgliedstaaten rechtmäßig hergestellt wurden und sich dort im freien Verkehr befinden.
38. Solche Restrisiken für die Gesundheit lassen sich nämlich durch weniger beschränkende Maßnahmen vermeiden, so insbesondere die Verpflichtung des Herstellers oder des Vertreibers des betreffenden Erzeugnisses, in Zweifelsfällen die Richtigkeit der auf der Etikettierung enthaltenen Tatsachenbehauptungen nachzuweisen (vgl. in diesem Sinne Urteil Kommission/Österreich, Randnr. 49).
39. Dem Vorbringen der österreichischen Regierung zum Verbraucherschutz kann ebenfalls nicht gefolgt werden.
40. Die durch § 9 Absätze 1 und 3 LMG aufgestellte Regelung, die auf ein Verbot irreführender gesundheitsbezogener Angaben abzielt, führt nämlich in Wirklichkeit dazu, dass Lebensmittel mit gesundheitsbezogenen Angaben in Österreich selbst dann nicht frei vermarktet werden können, wenn sie nicht geeignet sind, den Verbraucher irrezuführen.
41. ... Das allgemeine Verbot des § 9 Absätze 1 und 3 LMG kann daher nicht als gegenüber dem angestrebten Zweck verhältnismäßig angesehen werden.
42. Überdies hat der Gerichtshof in ähnlichen, Angaben auf der Verpackung bestimmter kosmetischer Mittel betreffenden Rechtssachen, in denen sich die österreichischen Behörden ebenfalls auf den Schutz der Gesundheit der Verbraucher und den Schutz vor Täuschung beriefen, entschieden, dass die Zulassungspflichtigkeit nach § 9 Absatz 3 LMG ein ungerechtfertigtes Hindernis für den freien Verkehr mit dem betreffenden Erzeugnis darstellt (Urteile vom 28.Januar 1999 in der Rechtssache C-77/97, Unilever, Slg. 1999, I-431, Randnr. 34, und Linhart und Biffl, Randnr. 45).
43. Schließlich ist zum Vorbringen der österreichischen Regierung, der täuschende Charakter einer gesundheitsbezogenen Angabe könne in bestimmten Fällen schwer nachzuweisen sein, festzustellen, dass es Sache der nationalen Gerichte ist, in Zweifelsfällen unter Berücksichtigung der mutmaßlichen Erwartung eines durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbrauchers zu einer Überzeugung zu gelangen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 4. April 2000 in der Rechtssache C-465/98, Darbo, Slg. 2000, I-2297, Randnr. 20)."
Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes besitzt das Gemeinschaftsrecht Vorrang gegenüber innerstaatlichem Recht. Dieser "Anwendungsvorrang" hat zur Folge, dass entgegenstehendes innerstaatliches Recht ohne weiteres unanwendbar wird (vgl. EuGH Rs 106/77 (Simmenthal II(, Slg. 1978, 629, Rz 17/18, u.a.).
Auf den Beschwerdefall bezogen bedeutet dies, dass die Bestimmungen des Lebensmittelgesetzes 1975, soweit sie jede gesundheitsbezogene Angabe auf der Etikettierung und der Aufmachung von Lebensmitteln vorbehaltlich besonderer Genehmigung generell verbieten, also unabhängig davon, ob sie irreführend sind oder nicht, nicht mehr anwendbar sind. Daraus folgt zum einen eine Einschränkung des alle gesundheitsbezogenen Angaben erfassenden Verbotstatbestandes des § 9 Abs. 1 leg. cit. Verboten sind gesundheitsbezogene Angaben demnach nur, wenn sie
a)
sich auf eine menschliche Krankheit beziehen, oder
b)
irreführend sind (vgl. das Erkenntnis vom 25. Februar 2003, Zl. 2003/10/0025).
Unter anderem ergibt sich daraus die Unanwendbarkeit der Regelung des Lebensmittelgesetzes 1975, soweit die Verwendung einer bestimmten Aufmachung oder Bezeichnung beim Inverkehrbringen von Lebensmitteln und Verzehrprodukten nur nach einem "vorherigen Genehmigungsverfahren für sämtliche gesundheitsbezogenen Angaben" (Randnummer 37) zulässig ist. Daraus folgt, dass einer Bestrafung oder der Erlassung einer einschränkenden administrativen Maßnahme, die allein an dem Umstand des Fehlens einer "vorherigen Genehmigung" der gesundheitsbezogenen Bezeichnung anknüpft, Gemeinschaftsrecht entgegen steht.
Dies bedeutet jedoch nicht, dass § 9 Abs. 3 LMG in vollem Umfang unanwendbar geworden wäre. Einer (mit Bescheid ausgesprochenen) Zulassung von Angaben im Sinne des § 9 Abs. 3 LMG auf Antrag desjenigen, der die Verwendung der Angabe beabsichtigt, steht Gemeinschaftsrecht ebenso wenig entgegen, wie der in einem solchen über Antrag eingeleiteten Verfahren (in Form der "Nichtzulassung") getroffenen Feststellung, dass die beantragte Angabe nach § 9 Abs. 1 LMG in der oben dargelegten, durch Gemeinschaftsrecht modifizierten Fassung verboten sei. Das Gemeinschaftsrecht vermittelt nämlich keinen Anspruch auf über Antrag erfolgende bescheidmäßige Zulassung solcher Angaben, die nach Art. 2 Abs. 1 der Richtlinie 79/112 verboten sind.
Nach Auffassung der belangten Behörde handelt es sich bei der Angabe "Verdauungs-Dragees" um eine gesundheitsbezogene Angabe gemäß § 9 Abs. 1 lit. a LMG, da die Angabe den Eindruck erwecke, dass dem Produkt eine besondere physiologische Wirkung (günstiger Einfluss auf die Verdauung) zukomme. Da ein Zulassungsbescheid gemäß § 9 Abs. 3 nicht vorliege, handle es sich um eine verbotene gesundheitsbezogene Angabe. Diese Auffassung wäre nach dem oben Gesagten nur dann zutreffend, wenn im Beschwerdefall ein Verstoß gegen das durch das Gemeinschaftsrecht modifizierte (inhaltlich dem Artikel 2 Abs. 1 der Richtlinie 79/112 entsprechendes) Verbot des § 9 Abs. 1 LMG vorläge, also eine gesundheitsbezogene Angabe gegeben wäre, die sich auf eine menschliche Krankheit bezieht oder irreführend ist.
Zur Frage der Unterscheidung von im dargelegten Sinn "krankheitsbezogenen" von (schlicht) "gesundheitsbezogenen" Angaben kommt nach Auffassung des Verwaltungsgerichtshofes den Darlegungen des Generalanwaltes L.A. Gelhoeed in seinen Schlussanträgen vom 4. Juli 2002 zu der im Verfahren vorgetragenen Auffassung, Art. 2 Abs. 1 der Richtlinie 79/112 differenziere nicht zwischen "gesundheitsbezogenen" und "krankheitsbezogenen" Behauptungen, besondere Bedeutung zu (vgl. dazu das Erkenntnis vom 31. März 2003, Zl. 2003/10/0029). Der Generalanwalt hat dabei Folgendes dargelegt:
"53. Ich schließe mich der Auffassung an, dass hier zu differenzieren ist, .... Aus Artikel 2 Absatz 1 Buchstabe b geht unzweideutig hervor, dass Gegenstand des Verbots eine Etikettierung ist, in der unmittelbar oder mittelbar auf eine menschliche Krankheit Bezug genommen wird. Krankheit ist ein Zustand, bei dem menschliche Organe und Lebensprozesse nicht ordnungsgemäß und ungestört funktionieren. Der Krankheit wird der Zustand des Gesundseins gegenübergestellt, bei dem eine Person eben frei von physischen oder gegebenenfalls psychischen Leiden ist. Es gibt daher einen fundamentalen Unterschied zwischen Angaben, die sich auf die Vorbeugung, Behandlung oder Heilung einer Krankheit beziehen, und Angaben, die sich auf die Förderung des menschlichen Wohlbefindens beziehen. Bei krankheitsbezogenen Behauptungen liegt die Betonung auf der Behandlung bzw. Heilung von einer bestimmten Krankheit oder deren Vorbeugung. Gesundheitsbezogene Behauptungen gehen von einer positiven Grundidee aus, nämlich der Erhaltung bzw. Förderung der Gesundheit. In Extremfällen kann die Abgrenzung von gesundheitsbezogenen und krankheitsbezogenen Angaben tatsächlich schwierig sein, da bestimmte gesundheitsbezogene Angaben beim Verbraucher den Eindruck erwecken können, das Produkt habe eine heilende Wirkung. Z. B. wird mit der ausdrücklichen Angabe, ein bestimmtes Lebensmittel hält Dich gesund, implizit der Eindruck erweckt, dass das Produkt Krankheiten vorbeugen kann. Dies ändert jedoch nichts daran, dass sich die beiden Kategorien von Behauptungen grundsätzlich unterscheiden. Es muss im Einzelfall festgestellt werden, um welche Art von Angabe es sich handelt.
54. Das Verbot des Artikels 2 Absatz 1 Buchstabe b der Richtlinie 79/112 ist absolut, d. h., die so genannten krankheitsbezogenen Angaben sind grundsätzlich verboten, unabhängig davon, ob sie zutreffen oder den Verbraucher irreführen. Diese Bestimmung verpflichtet die Mitgliedstaaten, krankheitsbezogene Angaben zu verbieten, erfasst aber umgekehrt nicht gesundheitsbezogene Angaben, die also nicht nach dieser Bestimmung verboten sind. Ist eine Angabe auf einem Lebensmittel sowohl krankheits- als auch gesundheitsbezogen, so fällt sie wegen der besonderen Gefahren krankheitsbezogener Angaben für die Gesundheit unter das Verbot des Artikels 2 Absatz 1 Buchstabe b. Auf Grund dieser besonderen Gefahren kann ein Mitgliedstaat meines Erachtens eine weite Auslegung dieser Bestimmung zu Grunde legen, wobei aber die oben beschriebene grundsätzliche Unterscheidung zwischen gesundheitsbezogenen und krankheitsbezogenen Angaben nicht in Frage gestellt werden darf."
Zum Ausgangsfall (Inverkehrbringen von Kürbiskernkapseln unter der Bezeichnung "Renatura Kürbiskernkapseln mit Vitamin E Blase und Prostata" mit den Angaben "Zum Schutz der Zellmembran vor den freien Radikalen, wichtig für die Funktion vieler Enzyme, wichtig als Baustein für Knochen und Zähne, Regulation des Wasserhaushalts (Blasenfunktion)") hat der Generalanwalt Folgendes ausgeführt:
"92. Zweitens stimme ich mit der Kommission darin überein, dass eine Aussage im Einzelfall unter Berücksichtigung aller maßgeblichen Faktoren zu beurteilen ist. Eine Angabe auf der Etikettierung kann für sich betrachtet wahr sein, und ihr Inhalt ist für einen Durchschnittsverbraucher möglicherweise nicht verwirrend, doch durch eine suggestive Platzierung oder schon durch die bloße Form der Verpackung kann die Angabe irreführende Wirkung haben.
93. Drittens können vorliegend die Behauptungen als funktionsbezogen angesehen werden, d. h., die Angabe bezieht sich darauf, wozu das Produkt oder ein Bestandteil dienen soll. So soll Kalium wichtig sein für die Regulierung des Wasserhaushalts, und durch die Aussage Renatura Kürbiskernkapseln mit Vitamin E Blase und Prostata wird, wie die Kommission zutreffend ausführt, ein Zusammenhang zwischen Vitamin E und der Blasen- und Prostatafunktion hergestellt. In der Angabe, dass die Ölkürbiskerne zusätzlich mit Vitamin E angereichert seien, liegt außerdem eine Bezugnahme auf die Zusammensetzung des Produkts. Durch die Nennung von Prostata und Blase wird ferner auf eine bestimmte Erkrankung angespielt, nämlich Prostata- und Blasenkrebs, meines Erachtens ein Grund, diese Angabe als unzulässige krankheitsbezogene Angabe im Sinne vom Artikel 2 Absatz 1 Buchstabe b der Richtlinie 79/112 anzusehen. Entgegen den Ausführungen der Kommission in ihrem Schriftsatz in der Rechtssache C-221/00 und in den Vorabentscheidungsverfahren kann meines Erachtens das Verbot krankheitsbezogener Angaben in der Richtlinie 79/112 über den bloßen Bezug auf Arzneimittel im Sinne des gemeinschaftlichen Arzneimittelrechts hinausgehen."
Es obliegt den Gerichten der Mitgliedstaaten, unter Berücksichtigung aller Umstände den Aussagegehalt einer beim Inverkehrbringen eines Lebensmittel oder Verzehrproduktes verwendeten Angabe in Richtung der Bezugnahme auf die Vorbeugung, Behandlung oder Heilung einer menschlichen Krankheit im Sinne von Art. 2 Abs. 1 der Richtlinie 79/112 zu beurteilen. Dabei ist nach den oben wiedergegebenen Darlegungen des Generalanwaltes, die als Hinweise anzusehen sind für das Verständnis von Angaben, das im Hinblick auf das Verbraucherleitbild der Gemeinschaft zu ermitteln ist, zunächst der Kontext hervorzuheben, in dem die Angabe durch die Verwendung beim Inverkehrbringen eines offenbar zur Ergänzung der Nahrung bestimmten Produktes in Tablettenform gestellt wird. Nicht zuletzt hängt der beim Verbraucher durch solche Angaben hervorgerufene Eindruck davon ab, ob die Aussage als allgemeiner Hinweis auf die Bedeutung bestimmter, in Lebensmitteln enthaltener Stoffe für eine ausgewogene Ernährung verstanden werden kann oder der Eindruck erweckt wird, dass die Zufuhr des Stoffes im Wege von Nahrungsergänzung für die ordnungsgemäße Funktion von Organen des menschlichen Körpers von Bedeutung sei. Im Beschwerdefall ist aus folgenden Erwägungen Letzteres gegeben:
Nach der oben wiedergegebenen Auffassung des Generalanwaltes gehe aus Art. 2 Abs. 1 Buchstabe b der Richtlinie unzweideutig hervor, dass Gegenstand des Verbotes eine Etikettierung sei, in der unmittelbar oder mittelbar auf eine menschliche Krankheit Bezug genommen werde. Krankheit sei ein Zustand, bei dem menschliche Organe und Lebensprozesse nicht ordnungsgemäß und ungestört funktionierten. Der Krankheit werde der Zustand des Gesundseins gegenüber gestellt, bei dem eine Person eben frei von physischen oder gegebenenfalls psychischen Leiden sei. Es gebe daher einen fundamentalen Unterschied zwischen Angaben, die sich auf die Vorbeugung, Behandlung oder Heilung einer Krankheit beziehen würden und Angaben, die sich auf die Förderung des menschlichen Wohlbefindens bezögen. Bei krankheitsbezogenen Behauptungen liege die Betonung auf der Behandlung bzw. Heilung von einer bestimmten Krankheit oder deren Vorbeugung. Gesundheitsbezogene Behauptungen gingen dagegen von einer positiven Grundidee aus, nämlich der Erhaltung bzw. Förderung der Gesundheit.
Auf dem Boden dieser Auffassung ist im Beschwerdefall davon auszugehen, dass mit der Bezeichnung "Verdauungs-Dragees" auf einen Zustand Bezug genommen wird, bei dem menschliche Organe (Verdauungsorgane) bzw. Lebensprozesse (Verdauungsprozess) nicht ordnungsgemäß und ungestört funktionieren und deshalb (zumindest) zu deren Behandlung diese Dragees eingenommen werden sollen. Dass die Einnahme in erster Linie der Erhaltung und Förderung der Gesundheit diene, ist der Bezeichnung hingegen nicht zu entnehmen.
Bei der im gegebenen Zusammenhang verwendeten Bezeichnung liegt daher die Betonung auf der Behandlung bestimmter Krankheiten, also auf einem Zustand, bei dem menschliche Organe und Lebensprozesse nicht ordnungsgemäß und ungestört funktionieren, und nicht auf der Erhaltung bzw. Förderung der Gesundheit.
Die Beschwerde erweist sich somit als unbegründet, weshalb sie gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen war.
Der Ausspruch über den Kostenersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 501/2001. Wien, am 5. April 2004
Gerichtsentscheidung
EuGH 61977J0106 Simmenthal 2 VORABSchlagworte
Gemeinschaftsrecht Richtlinie EURallg4Gemeinschaftsrecht Anwendungsvorrang, partielle Nichtanwendung von innerstaatlichem Recht EURallg1European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2004:2002100224.X00Im RIS seit
14.05.2004Zuletzt aktualisiert am
19.12.2011