TE Vfgh Erkenntnis 2000/10/4 B858/00

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Veröffentlicht am 04.10.2000
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Index

27 Rechtspflege
27/01 Rechtsanwälte

Norm

B-VG Art7 Abs1 / Gesetz
B-VG Art7 Abs1 / Verwaltungsakt
B-VG Art18 Abs1
B-VG Art83 Abs2
StGG Art6 Abs1 / Erwerbsausübung
DSt 1990 §19
DSt 1990 §19 Abs1 Z1
DSt 1990 §19 Abs3 Z1 litb
StPO §281 Abs1 Z1a

Leitsatz

Keine Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte durch die einstweilige Entziehung des Vertretungsrechts des beschwerdeführenden Rechtsanwalts in allen Rechtssachen vor bestimmten Gerichten bis zur Beendigung des gegen ihn anhängigen Strafverfahrens wegen Geldwäscherei

Spruch

Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid weder in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht noch wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in seinen Rechten verletzt worden.

Die Beschwerde wird abgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Mit Beschluß des Disziplinarrats der Salzburger Rechtsanwaltskammer (im folgenden: Disziplinarrat) vom 16. Dezember 1999 wurde dem Beschwerdeführer mit einstweiliger Maßnahme gemäß §19 Abs1 Z1 und Abs3 Z1 litb Disziplinarstatut 1990, BGBl. 1990/474 (im folgenden: DSt 1990; auch die in weiterer Folge vorgenommenen Bezugnahmen auf das DSt 1990 betreffen die hier maßgebliche Stammfassung), das Vertretungsrecht in Strafsachen vor dem Oberlandesgericht Linz, den Landesgerichten im Sprengel des Oberlandesgerichtes Linz und den diesen nachgeordneten Bezirksgerichten bis zur rechtskräftigen Beendigung des gegen ihn zu 52 EVr 1587/97 (52 EHv 87/99) des Landesgerichtes Salzburg wegen eines nach §165 Abs2 und 3 1. Fall StGB anhängigen Strafverfahrens (Vorwurf des Verbrechens der Geldwäscherei) entzogen. Dem Disziplinarverfahren lag ein Strafantrag der Staatsanwaltschaft Salzburg vom 22. November 1999 zugrunde, worin dem Beschwerdeführer vorgeworfen wurde,

"er habe in Salzburg wissentlich unten angeführte Vermögensbestandteile, die aus dem Verbrechen anderer herrührten, nämlich von den abgesondert verfolgten D B, H S, A R und H B durch gewerbsmäßigen Betrug erlangte Gelder bzw. Vermögenswerte an sich gebracht, wobei der Wert ATS 500.000,- übersteigt, und zwar

1. durch Entgegennahme von Bargeldzahlungen als Honorar: im Juni 1994 ATS 2,6 Mio., am 3.6.1994 ATS 8,4 Mio. und im September 1994 ATS 8,4 Mio.;

2. am 3.2.1995 durch Annahme der Liegenschaft EZ (...) Grundbuch 56502 Anif bestehend aus dem Grundstück Nr. (...) mit einer Grundstücksfläche von 12065 m2 samt Villa mit der Anschrift Anif (...) im Wert von ca. ATS 17 Mio. unter der Vorgabe einer Schenkung, in Wahrheit als Honorar.

Er habe hiedurch das Verbrechen der Geldwäscherei nach §165 Abs2 und 3, 1. Fall StGB begangen ...".

2. Der Beschwerde gegen diesen Beschluß des Disziplinarrats gab die Oberste Berufungs- und Disziplinarkommission für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter (im folgenden: OBDK) keine Folge. Hingegen wurde der Beschwerde des Kammeranwaltes teilweise Folge gegeben und der angefochtene Beschluß dahin abgeändert, daß gemäß §19 Abs1 Z1 und Abs3 Z1 litb DSt 1990 dem Beschwerdeführer bis zur rechtskräftigen Beendigung des gegen ihn zu 52 EVr 1587/97 (52 EHv 87/99) des Landesgerichtes Salzburg wegen des Vorwurfes des Verbrechens der Geldwäscherei nach §165 Abs2 und 3 1. Fall StGB anhängigen Strafverfahrens das Vertretungsrecht in allen Rechtssachen vor dem Oberlandesgericht Linz, den Landesgerichten im Sprengel des Oberlandesgerichtes Linz und den diesen nachgeordneten Bezirksgerichten entzogen wurde. Zum Zeitpunkt der Beschlußfassung war die OBDK bereits in Kenntnis der (noch nicht rechtskräftigen) strafgerichtlichen Verurteilung des Beschwerdeführers wegen des Verbrechens der Geldwäscherei nach §165 Abs2 und 3 1. Fall StGB, wonach über den Beschwerdeführer eine Freiheitsstrafe von 18 Monaten ausgesprochen wurde und er gemäß §20 StGB zu einer Zahlung von S 10 Mio. als Abschöpfung der Bereicherung verpflichtet wurde (LG Salzburg 2.2.2000, 52 EVr 1587/97, 52 EHv 87/99).

3. Gegen den als Bescheid zu wertenden Beschluß der OBDK richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung in Rechten wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes sowie die Verletzung der verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz, auf Freiheit der Erwerbsausübung und auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter geltend gemacht und die kostenpflichtige Aufhebung des bekämpften Bescheides begehrt wird.

4. Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor und erstattete eine Gegenschrift, worin sie beantragt, die Beschwerde ab- bzw. zurückzuweisen.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige -

Beschwerde erwogen:

Zu den aufgeworfenen Normbedenken:

1.1. Der Beschwerdeführer bringt zunächst vor, §19 DSt 1990 räume den Disziplinarbehörden einen dem Legalitätsprinzip des Art18 B-VG widersprechenden Ermessensspielraum ein. Des weiteren würden die dem Bescheid zugrundeliegenden Bestimmungen des §19 leg.cit. gegen den Gleichheitsgrundsatz und gegen das auch den Gesetzgeber bindende verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf Erwerbsausübungsfreiheit verstoßen.

1.2. Die Bestimmung des §19 DSt 1990 verstößt nach ständiger Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes weder gegen das Legalitätsprinzip (vgl. VfSlg. 13148/1992, VfGH 4.10.1999, B2598/97, B997/98, VfGH 21.6.2000, B537/98; vgl. zur Vorläuferbestimmung des §19 DSt 1990 - §17 DSt 1872 idF des BG BGBl. 1933/346 - VfSlg. 7440/1974) noch gegen das Sachlichkeitsgebot des Gleichheitsgrundsatzes (vgl. VfSlg. 13148/1992, VfGH 4.10.1999, B2598/97, B997/98, VfGH 21.6.2000, B537/98). Im Erkenntnis vom 21. Juni 2000, B537/98, wurde vom Gerichtshof auch ausführlich dargelegt, daß die dem hier angefochtenen Bescheid zugrundeliegende Bestimmung des §19 Abs3 Z1 litb DSt 1990 iVm. §19 Abs1 Z1 DSt 1990 nicht gegen Art6 StGG verstoße. Der Verfassungsgerichtshof sieht anläßlich des vorliegenden Beschwerdefalles keine Veranlassung, von dieser Rechtsprechung abzugehen.

1.3. Der Beschwerdeführer wurde daher nicht wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes in seinen Rechten verletzt.

Zu den behaupteten Vollzugsfehlern:

2.1.1. Der Beschwerdeführer vermeint, daß sich die im Bescheid ausgesprochene Entziehung des Vertretungsrechts "in allen Rechtssachen" nicht nur auf seine Tätigkeit als Rechtsanwalt erstrecke, sondern sich auch auf seine Befugnis, in seiner Eigenschaft als Verteidiger in Strafsachen einzuschreiten, beziehe. Der Beschwerdeführer wirft der belangten Behörde vor, über ihn auch in Angelegenheiten der Führung der "Verteidigerliste" abgesprochen zu haben - in Angelegenheiten, die die Strafprozeßordnung dem Präsidenten des Oberlandesgerichtes zuweise. Die belangte Behörde habe sich nach dieser Auffassung sohin eine Entscheidungskompetenz angemaßt, die ihr nicht zukomme, sodaß sich der Beschwerdeführer im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt erachtet.

2.1.2. Dieser Vorwurf trifft nicht zu. Er verkennt offenbar die unterschiedlichen Rechtsfolgen, die einerseits mit einer derartigen einstweiligen Maßnahme und anderseits mit der Eintragung in die "Verteidigerliste" verbunden sind:

Nach §39 Abs1 StPO ist jeder Beschuldigte berechtigt, in allen Strafsachen einen Verteidiger beizuziehen. Als solcher darf dabei jedermann gewählt werden, der in der "Verteidigerliste" eines der Gerichtshöfe zweiter Instanz eingetragen ist. Nach §39 Abs3 StPO ist zur Führung der Verteidigerliste der Präsident jedes Gerichtshofes zweiter Instanz für seinen Sprengel berufen. Im Gegensatz zur von den Rechtsanwaltskammern geführten Liste der Rechtsanwälte sind in die "Verteidigerliste" nicht nur jene Rechtsanwälte aufzunehmen, die im Sprengel des Gerichtshofes zweiter Instanz die Rechtsanwaltschaft wirklich ausüben, sondern können darüber hinaus unter der Voraussetzung der Vertrauenswürdigkeit auf Ansuchen all jene Personen in die "Verteidigerliste" aufgenommen werden, die für die Rechtsanwaltschaft oder das Notariat geprüft sind (§39 Abs3 StPO idF. des Rechtsanwaltsprüfungsgesetzes 1985, BGBl. 1985/556).

Die von den Disziplinarbehörden verhängte einstweilige Maßnahme der Untersagung des Vertretungsrechts vor bestimmten Gerichten entfaltet für sich allein - dh. ohne die hinzutretende Streichung von der "Verteidigerliste" durch den Präsidenten des jeweiligen Oberlandesgerichtes - grundsätzlich nur Rechtswirkungen im Verhältnis zwischen der zuständigen Rechtsanwaltskammer und dem Rechtsanwalt: Hält sich der (noch weiterhin in der Verteidigerliste eingetragene) Rechtsanwalt nicht an die einstweilige Maßnahme, handelt er zwar disziplinär (sog. "Suspensionsbruch", vgl. §17 DSt 1990), seine Vertretungstätigkeit stellt jedoch keinen Nichtigkeitsgrund iS des §281 Abs1 Z1a StPO dar, weil Verteidiger im engeren Sinn der StPO derjenige ist, der bei einem Oberlandesgericht in die "Verteidigerliste" eingetragen ist (vgl. OGH 11.11.1993, 12 Os 134/93). Entgegen der Ansicht des Beschwerdeführers hat die einstweilige Maßnahme der Entziehung des Vertretungsrechts vor bestimmten Gerichten sohin keinen unmittelbaren Einfluß auf Rechtsfolgen, die an die Eintragung in die "Verteidigerliste" geknüpft sind.

Es wäre daher nur dann in die Kompetenz des Präsidenten des zuständigen Oberlandesgerichtes eingegriffen worden, wenn die Disziplinarbehörden - zusätzlich zur einstweiligen Maßnahme - die Streichung von der "Verteidigerliste" ausgesprochen hätten, was jedoch nicht der Fall ist und auch vom Beschwerdeführer nicht behauptet wurde. Der Beschwerdeführer ist sohin nicht im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt worden.

2.2.1.1. Der Beschwerdeführer wirft der belangten Behörde vor, ihn im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Freiheit der Erwerbsausübung verletzt zu haben, weil ein öffentliches Interesse an der Verhängung der einstweiligen Maßnahme nicht vorliege. Es gebe keinen Grund, warum erst im Jahre 1999 einstweilige Maßnahmen gegen den Beschwerdeführer verhängt worden seien, sei doch das gerichtliche Strafverfahren bereits seit 1995 anhängig gewesen. Gleichheitsverletzungen erblickt der Beschwerdeführer darin, daß die belangte Behörde zur Rechtfertigung des öffentlichen Interesses an der Verhängung der einstweiligen Maßnahme in der Bescheidbegründung mehrfach vom Inhalt des gerichtlichen Strafaktes abgewichen sei und ihm nicht die Möglichkeit einer Stellungnahme zu diesen aktenwidrigen Feststellungen eingeräumt worden sei.

2.2.1.2. Angesichts der Unbedenklichkeit der dem angefochtenen Bescheid zugrundeliegenden Rechtsvorschriften könnte der Beschwerdeführer im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Freiheit der Erwerbsausübung nur verletzt sein, wenn die Behörde bei der Erlassung des Bescheides die maßgeblichen Rechtsvorschriften in denkunmöglicher Weise angewendet hätte (vgl. VfSlg. 10413/1985).

Dem angefochtenen Bescheid liegt ein zum Zeitpunkt seiner Erlassung noch nicht rechtskräftiges Strafurteil wegen des Verbrechens der Geldwäscherei zugrunde. Daß die Entziehung des Vertretungsrechts in allen Rechtssachen vor den im Spruch des angefochtenen Bescheides genannten Gerichten gemäß §19 Abs1 Z1 DSt 1990 mit Rücksicht auf die Art und das Gewicht des dem Beschwerdeführer zur Last gelegten Disziplinarvergehens wegen zu besorgender schwerer Nachteile, besonders für die Interessen der rechtsuchenden Bevölkerung oder das Ansehen des Standes, erforderlich ist, wurde im angefochtenen Bescheid ausreichend dargetan. Bei dieser Sach- und Rechtslage kann der belangten Behörde kein Vorwurf einer denkunmöglichen Anwendung der maßgeblichen Rechtsvorschriften gemacht werden.

Der Beschwerdeführer wurde daher nicht im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Erwerbsausübungsfreiheit verletzt.

2.2.2.1. Auch die unter dem Titel der Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes vom Beschwerdeführer gerügte vermeintliche Aktenwidrigkeit verschiedentlicher in der Begründung des angefochtenen Bescheides enthaltener Feststellungen, können im vorliegenden Fall schon deshalb nicht einen in die Verfassungssphäre reichenden Verfahrensmangel begründen, weil diese Feststellungen keine tragenden, unverzichtbaren Teile jener Überlegungen der OBDK bilden, die zur Abweisung des Rechtsmittels des Beschwerdeführers führten. Unter diesen Umständen kann auch die behauptete Verletzung des Parteiengehörs keinen Verfahrensmangel bedeuten, der in die Verfassungssphäre reicht.

Der Beschwerdeführer wurde sohin nicht im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz verletzt.

2.3. Ob der angefochtene Bescheid in jeder Hinsicht dem Gesetz entspricht, ist vom Verfassungsgerichtshof nicht zu prüfen, und zwar auch dann nicht, wenn sich die Beschwerde - wie im vorliegenden Fall - gegen eine Entscheidung einer Kollegialbehörde nach Art133 Z4 B-VG richtet, die beim Verwaltungsgerichtshof nicht bekämpft werden kann.

2.4. Das Verfahren hat auch nicht ergeben, daß der Beschwerdeführer in von ihm nicht geltend gemachten sonstigen verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten verletzt wurde.

3. Die Beschwerde war daher abzuweisen.

4. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VerfGG 1953 ohne vorangegangene mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

Schlagworte

Erwerbsausübungsfreiheit, Legalitätsprinzip, Rechtsanwälte, Disziplinarrecht Rechtsanwälte, Strafprozeßrecht, Verteidigung, Parteiengehör

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2000:B858.2000

Dokumentnummer

JFT_09998996_00B00858_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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