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62 Arbeitsmarktverwaltung;Norm
AlVG 1977 §10 Abs2;Beachte
Serie (erledigt im gleichen Sinn): 2003/08/0260 E 21. April 2004Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bernard und die Hofräte Dr. Müller, Dr. Sulyok, Dr. Strohmayer und Dr. Köller als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Müller, über die Beschwerde des T in S, vertreten durch Mag. Alexander Ortner, Rechtsanwalt in 4810 Gmunden, Kirchengasse 6, gegen den auf Grund eines Beschlusses des Ausschusses für Leistungsangelegenheiten ausgefertigten Bescheid der Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Oberösterreich vom 8. Juli 2003, LGSOÖ/Abs. 4/12830527/2003-1, betreffend Verlust des Anspruchs auf Notstandshilfe gemäß § 10 iVm § 38 AlVG vom 5. Mai bis 29. Juni 2003, zu Recht erkannt:
Spruch
Der Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufgehoben.
Der Bund (Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit) ist schuldig, dem Beschwerdeführer Aufwendungen von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem im Instanzenzug ergangenen angefochtenen Bescheid wurde gegenüber dem Beschwerdeführer der Verlust des Anspruchs auf Notstandshilfe für den Zeitraum vom 5. Mai bis 29. Juni 2003 ausgesprochen. Nach der Begründung habe das AMS Gmunden dem Beschwerdeführer am 5. März 2003 eine "Beschäftigung als Transitarbeitskraft beim Dienstgeber Bildungszentrum Salzkammergut, Projekt Pisa ... mit einer Entlohnung von brutto EUR 927,-- pro Monat, möglicher Arbeitsantritt am 5.5.2003, verbindlich angeboten". Das Beschäftigungsverhältnis sei nicht zustande gekommen, weil der Beschwerdeführer mit der Entlohnung nicht einverstanden gewesen sei. Der Beschwerdeführer sei zuletzt vom 27. November 1989 bis 11. Februar 1990 beschäftigt und vom 1. April 1991 bis 31. Jänner 1995 selbständig erwerbstätig gewesen. "Zuvor" (ersichtlich gemeint: vor der streitgegenständlichen Zuweisung) sei ihm bereits vier Mal der Leistungsbezug wegen Arbeitsverweigerung bzw. -vereitelung gemäß § 10 AlVG versagt worden. Weiters sei "ersichtlich", dass der Beschwerdeführer gar "nicht gewillt" sei, "eine vollversicherungspflichtige Beschäftigung aufzunehmen", dass er hohe Schulden und eine monatliche Unterhaltsverpflichtung habe. Dies habe er "schon mehrmals selbst vor seinen BeraterInnen angedeutet".
Nach Wiedergabe seines Berufungsvorbringens wies die belangte Behörde zunächst den Vorwurf des Beschwerdeführers zurück, er werde (ergänze: in einer seinen Grundrechten widersprechenden Weise) zu "Zwangsarbeit" verpflichtet. Hinsichtlich der Zuweisung selbst stellte die belangte Behörde fest, beim "Projekt Pisa" im Bildungszentrum Salzkammergut handle es sich um einen gemeinnützigen Verein, der keinem Kollektivvertrag unterliege; das Projekt arbeite mit sozial benachteiligten Gruppen von Arbeitslosen und bewirke durch seinen professionellen Anspruch bei diesen Personen, sofern sie gewillt seien, "sich wieder in den Regelarbeitsmarkt einzugliedern", sehr rasch eine Hebung des Selbstwertgefühls, welche sich positiv auf die Integration in diesen Regelarbeitsmarkt auswirke. Diese schwer benachteiligten Personen erhielten so die Möglichkeit, in einem "zeitlich befristeten Dienstverhältnis" berufliche Qualifikationen zu erwerben und soziale und/oder persönliche Arbeitshemmnisse zu verarbeiten und somit abzubauen. Die Projektteilnehmer würden während ihrer Teilnahme laufend durch qualifizierte Trainer und Trainerinnen betreut "(Einzel- und Gruppengespräche, fachliche Qualifikation, Alkoholprogramm, Schuldnerberatung usw.)". In der Anfangsphase würden sie "für einen neuen Arbeitsbereich eingeschult (Anlernphase)" und es würden dabei auch "Berufsorientierungsphasen" eingebaut, um mögliche berufliche Veränderungen abzuklären. Die Entlohnung sei angemessen, da es sich um ein Ausbildungsverhältnis handle. Der "Probant" (Schreibweise im Original) befinde sich "zu Beginn in einer Einschulungsphase, er ist nicht vollwertig beschäftigt, verrichtet anfangs nur Hilfstätigkeiten ..unter Aufsicht eines Trainers". Dazwischen lägen Tage von Schulungen und Betreuungsgesprächen hinsichtlich seiner individuellen sozialen oder auch psychischen Probleme bzw. zur Reflexion. Es bestehe auch die Möglichkeit einer beruflichen Ausbildung, wie Führerschein, Stapler- oder Baggerschein, EDV-Ausbildung usw., die ebenfalls vom AMS finanziert würde. Der Beschwerdeführer gehöre auf Grund seiner langen Arbeitslosigkeit "eindeutig zur Zielgruppe des Projekts Pisa" mit der Chance, das Problem der Langzeitarbeitslosigkeit in den Griff zu bekommen. Der Beschwerdeführer habe die "Annahme einer zumutbaren Beschäftigung" verweigert.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde.
Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Die Beschwerde behauptet der Sache nach die Unzulässigkeit der Zuweisung zur in Rede stehenden Wiedereingliederungsmaßnahme wegen unterkollektivvertraglicher, jedenfalls aber unangemessen niedriger Entlohnung. Es sei völlig unklar, ob der Beschwerdeführer zu einer Beschäftigung oder zu einer Schulungsmaßnahme zugewiesen worden sei.
Zu einer Anfrage des Verwaltungsgerichtshofes im Vorverfahren, ob es sich bei der Zuweisung um eine solche zu einer Schulungsmaßnahme oder zu einer Beschäftigung gehandelt habe, vertritt die belangte Behörde in ihrer Gegenschrift die Auffassung, es habe sich um eine Beschäftigung gehandelt, wobei "auch ein Sonderarbeitsvertrag" abgeschlossen werde, "da die Art der Beschäftigung an die Leistungsfähigkeit, die bestehenden Arbeitshemmnisse und sonstigen persönlichen Defizite angepasst" sei. Das Beschäftigungsverhältnis gliedere sich in eine Erprobungsphase, eine Einarbeitungsphase zur Linderung psychosozialer Notlagen, wie Geldregelungen, Entschuldungsplan, Klärung der Wohnsituation, Führerschein. Durch "learning by doing" würden wichtige Arbeitsfertigkeiten und grundlegende Rahmenbedingungen einer Arbeitssituation, wie Pünktlichkeit, Belastbarkeit, Umgang mit Kollegen "erkennbar und bearbeitbar gemacht". In einer "Orientierungsphase" stünde das Herausarbeiten von beruflichen und privaten Zielen und Vorstellungen durch entsprechende persönlichkeitsfördernde Maßnahmen im Vordergrund. Es bestünde auch die Möglichkeit zur Freistellung zwecks Fortbildung. Daran schließe sich in der vierten Phase die aktive Arbeitsuche mit laufenden Bewerbungstrainings in der Gruppe und in Einzelarbeit, das Üben von Vorstellungsgesprächen in Rollenspielen, Inseratenanalyse, Telefonkommunikation, das Erstellen von Bewerbungsunterlagen, die Vermittlung einfachster EDV-Grundkenntnisse. Zusätzlich zu diesen Maßnahmen bestehe die Möglichkeit durch "bestimmte Betriebspraktika" Arbeitserfahrungen zu sammeln, persönliche Neigungen zu entdecken und zielgerichtete Arbeitssuche zu betreiben. Für "Erledigung von Aufträgen im Bereich Bau- und Bauhilfsgewerbe, Baunebengewerbe, Holzbe- und - verarbeitung, Landschaftspflege und -gestaltung, sonstige Dienstleistung der Bereiche Umwelt/Tourismus/Ökologie" verbleibe wenig Zeit. Es sei zu mehr als 50 % eine Verwendung "in einer für einen Kollektivvertrag typischen Form nicht gegeben".
Auf der Grundlage der Feststellungen im angefochtenen Bescheid, wobei mit der Gegenschrift der belangten Behörde allfällige Zweifel beseitigt wurden, wurde der Beschwerdeführer - entgegen der Bezeichnung durch das AMS - zu keiner Beschäftigung auf dem Arbeitsmarkt, sondern zu einer (nach einem aktenkundigen Informationsfolder offenbar auch vom AMS mit Unterstützung von Fördergeldern der Europäischen Union mitfinanzierten) Maßnahme zur Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt zugewiesen, bei welcher die Leistungserbringung für einen Dienstgeber - soweit überhaupt intendiert - klar im Hintergrund steht. Diese Maßnahme wurde zwar unzulässigerweise in das Kleid eines Arbeitsvertrages gehüllt (vgl. dazu das ebenfalls diesen Beschwerdeführer betreffende Erkenntnis vom heutigen Tage, Zl. 2002/08/0262, auf dessen Begründung insoweit gemäß § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen wird): Eine Wiedereingliederungsmaßnahme unterliegt aber auch dann den in dem zuletzt genannten Erkenntnis dargelegten Anforderungen an eine rechtswirksame Zuweisung, wenn sie gegenüber der arbeitslosen Person als Zuweisung zu einer Beschäftigung deklariert wird.
Diesen Anforderungen hat die Zuweisung aber auch im Übrigen nicht entsprochen:
Eine Zuweisung zu einer Schulungsmaßnahme darf weder auf eine vom Arbeitslosen (auch wiederholt) an den Tag gelegte Arbeitsunwilligkeit, eine ihm durch das Arbeitsamt zugewiesene zumutbare Beschäftigung anzunehmen noch auf die Überlegung, dass der Beschwerdeführer im Verdacht der Schwarzarbeit steht, gestützt werden. Für eine solche Maßnahme ist vielmehr Voraussetzung, dass die Kenntnisse des Arbeitslosen für die Vermittlung einer zumutbaren Beschäftigung nach Lage des in Betracht kommenden Arbeitsmarktes nicht ausreichend sind (vgl. zu Schulungs- und Umschulungsmaßnahmen u.a. die Erkenntnisse vom 21. Dezember 1993, Zl. 93/08/0215, und vom 20. Dezember 1994, Zl. 93/08/0134, zur Anwendung auf Wiedereingliederungsmaßnahmen nach Änderung der Rechtslage durch Art. IV Z. 1 der Beschäftigungssicherungsnovelle 1993, BGBl. Nr. 502/1993, das Erkenntnis vom 26. September 1995, Zl. 94/08/0131).
Die im Gesetz erwähnten Maßnahmen zur beruflichen Ausbildung oder zur Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt dienen nicht dazu, Arbeitsunwilligkeit zu sanktionieren, weil der belangten Behörde hiefür andere Instrumente an die Hand gegeben sind (vgl. die Erkenntnisse vom 6. Mai 1997, Zl. 95/08/0339, sowie vom 26. Jänner 2000, Zl. 99/03/0132).
Abgesehen davon kann von einer ungerechtfertigten Weigerung des Arbeitslosen, an Maßnahmen zur Schulung, Umschulung oder Wiedereingliederung teilzunehmen, nur dann gesprochen werden, wenn sich die Zuweisung auf eine zulässige Maßnahme bezieht (vgl. z.B. die Erkenntnisse vom 26. Jänner 2000, Zl. 99/03/0132, vom 18. Oktober 2000, Zl. 99/08/0027, und vom 22. Februar 2002, Zl. 99/02/0291) und die Weigerung in objektiver Kenntnis des Inhaltes, der Zumutbarkeit und der Erforderlichkeit einer solchen Maßnahme erfolgt. Dazu muss die Behörde die Voraussetzungen für eine solche Zuweisung ermittelt und das Ergebnis ihres Ermittlungsverfahrens dem Beschwerdeführer - unter Hinweis auf die Rechtsfolgen einer Weigerung - zur Kenntnis gebracht haben. Ein Arbeitsloser, dem Maßnahmen im Sinne des § 9 Abs. 1 AlVG ohne nähere Spezifikation und ohne Vorhalt jener Umstände zugewiesen werden, aus denen sich das Arbeitsamt zur Zuweisung berechtigt erachtet, kann im Falle der Weigerung, einer solchen Zuweisung Folge zu leisten, nicht vom Bezug der Geldleistung aus der Arbeitslosenversicherung im Sinne des § 10 Abs. 1 AlVG ausgeschlossen werden (vgl. z.B. zur Zuweisung zu einem "Renovierungsprojekt" ausschließlich unter dem Gesichtspunkt des "Arbeitstrainings" das Erkenntnis vom 26. September 1995, Zl. 94/08/0131).
Diesbezügliche Versäumnisse anlässlich der Zuweisung des Arbeitslosen zur Schulungsmaßnahme können im Rechtsmittelverfahren nicht nachgeholt werden (vgl. neuerlich das Erkenntnis vom 21. Dezember 1993, Zl. 93/08/0215, sowie jene vom 5. September 1995, Zl. 94/08/0246, und vom 13. April 1999, Zl. 97/08/0025).
Den - allerdings nicht vollständig (vgl. dazu die Belehrung in der Berichterverfügung vom 15. Oktober 2003 über die Rechtsfolgen des § 38 Abs. 2 VwGG) - vorgelegten Verwaltungsakten ist nur zu entnehmen, dass mit dem Beschwerdeführer am 5. Mai 2003 eine Niederschrift mit dem "Gegenstand der Verhandlung:
Nichtannahme bzw. Nichtzustandekommen einer zugewiesenen Beschäftigung" aufgenommen wurde, aus der hervorgeht, dass dem Beschwerdeführer vom Arbeitsmarktservice "eine Beschäftigung als Transitarbeitskraft beim Dienstgeber Bildungszentrum Salzkammergut, Projekt Pisa ... zugewiesen" worden sei. Möglicher Arbeitsantritt am 5.5.2003.
Der Beschwerdeführer erklärte dieser Niederschrift zufolge "nach Belehrung über die Rechtsfolgen nach § 10 (AlVG)", dass er gegen die angebotene Entlohnung näher bezeichnete Einwendungen habe, sowie gegen die angebotene berufliche Verwendung, da er nicht gewillt sei, "Zwangsarbeiten" auszuführen. In einer Stellungnahme des Arbeitsmarktservice heißt es, abgesehen vom Hinweis "KV-entlohnte Tätigkeit" dazu, dass bisherige Vermittlungen gescheitert seien und eine "Unterbringung ohne Vorschaltung Projekt nicht möglich" sei. Einem Aktenvermerk der regionalen Geschäftsstelle zufolge sehe der Kollektivvertrag für Landarbeiter einen Bruttomonatslohn vom EUR 884,-- vor. Die Entlohnung für die Projekte orientiere sich daran, da gerade im Sommer die Landschaftspflege einen überwiegenden Teil einnehme und die tatsächlich erbrachten Arbeitsleistungen sehr gering seien, weil die überwiegende Zeit nicht mit Tätigkeiten verbracht würden, sondern mit der Aufarbeitung psychosozialer Probleme des Einzelnen bzw. mit Schulungen. In einem elektronischen Aktenvermerk der regionalen Geschäftsstelle wird der "Arbeitgeber" als "Schulungsträger" bezeichnet und festgehalten, das Ziel der Beihilfengewährung (gemeint offenbar an diesen Verein) sei die Erfüllung der "konzeptmäßigen Integrationsarbeit". Die Betreuung sei so zu gestalten, dass "eine an die Transitdauer anschließende Beschäftigungsaufnahme am Regelarbeitsmarkt" erreicht werden könne.
Einem Aktenvermerk der belangten Behörde zufolge stehe der Beschwerdeführer "im Verdacht der Schwarzarbeit"; die Absicht, sich selbständig zu machen, habe sich "wie erwartet" zerschlagen.
Nach dem Inhalt der Verwaltungsakten steht demnach zwar fest, dass dem Beschwerdeführer der Inhalt der Maßnahme erläutert und er über die bei Nichtannahme drohende Sanktion des § 10 AlVG aufgeklärt wurde, es ist daraus jedoch nicht zu entnehmen, dass die regionale Geschäftsstelle gegenüber dem Beschwerdeführer dargelegt hätte, welche Defizite seiner Vermittlung auf einen Regelarbeitsplatz entgegenstünden und dass sie ihm Gelegenheit gegeben hätte, dazu Stellung zu nehmen.
Der angefochtene Bescheid ist aus all diesen Gründen wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 333/2003.
Wien, am 21. April 2004
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2004:2003080200.X00Im RIS seit
10.06.2004