Index
001 Verwaltungsrecht allgemein;Norm
AVG §56;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. W. Pesendorfer und die Hofräte Dr. Stöberl, Dr. Rigler, Dr. Bayjones und Dr. Kleiser, im Beisein der Schriftführerin Mag. Weiss, über die Beschwerde der I in G, vertreten durch Dr. Gerold Hirn und Dr. Burkhard Hirn, Rechtsanwälte in 6800 Feldkirch, Gilmstraße 2, gegen den Bescheid des Bundesministers für Wirtschaft und Arbeit vom 28. November 2000, Zl. 310.516/1-III/A/9/00, betreffend Zurückweisung eines Antrages in einer Gewerberechtsangelegenheit (mitbeteiligte Partei: A Transporte Gesellschaft mbH, G) zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Die Beschwerdeführerin hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 381,90 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Feldkirch (im Folgenden: BH) vom 28. Juni 1978 wurde A, dem Rechtsvorgänger der nunmehr mitbeteiligten Partei, die gewerbepolizeiliche Genehmigung für die Anlegung eines LKW-Abstellplatzes für vier LKWs auf dem Grundstück Nr. 2947/4 KG G. erteilt.
Mit Schreiben vom 21. Februar 1985 beantragte er die "gewerbepolizeiliche Abstellgenehmigung" für sechs LKWs auf dem ostseitig angrenzenden Grundstück Nr. 2877/2 KG G. (im Folgenden: Betriebsgrundstück). Die Projektunterlagen enthielten u.a. eine Skizze über die beabsichtigte Anordnung der Abstellplätze.
Die Beschwerdeführerin als Eigentümerin des nördlich an das Betriebsgrundstück angrenzenden Grundstückes Nr. 2877/1 KG G. erhob mit Schreiben vom 1. August 1986 Einwendungen und brachte u. a. vor, das Betriebsgrundstück sei zu Gunsten ihrer Liegenschaft mit einer Dienstbarkeit (Geh- und Fahrrecht) belastet.
Die BH versagte mit Bescheid vom 9. Oktober 1986 die gewerbebehördliche Genehmigung für die Erweiterung des LKW Abstellplatzes auf dem Grundstück Nr. 2877/2 KG G. Der gegen die Bestätigung dieser Entscheidung mit Bescheid des Landeshauptmannes von Vorarlberg vom 6. Mai 1987 erhobenen Berufung gab der Bundesminister für wirtschaftliche Angelegenheiten gemäß § 66 Abs. 4 AVG in Verbindung mit § 74 Abs. 2 Z. 1 GewO 1973 keine Folge. Nach der Begründung dieses Bescheides vom 4. September 1991 ging der Bundesminister davon aus, dass nach dem vorgelegten Lageplan vier LKW-Abstellplätze an der Grenze zum Grundstück Nr. 2826/4 (gemeint wohl: 2886/4) und zwei LKW-Abstellplätze an der Grenze zum Grundstück Nr. 2947/4, alle jeweils im südlichen Teil des Grundstücks, errichtet werden sollten. Diese Änderung der (bereits bestehenden) Betriebsanlage beeinträchtige das mit rechtskräftigem Urteil des Landesgerichts Feldkirch vom 27. Dezember 1990, Zl. 1a R 348/90, festgestellte Geh- und Fahrrecht der Beschwerdeführerin, zumal die Ausübung dieses Geh- und Fahrrechtes bei Verwendung dieser Flächen als LKW-Abstellplatz nicht möglich sei.
Mit dem nunmehrigen Antrag vom 14. Mai 1992 suchte die mitbeteiligte Partei - unter Vorlage des Planes eines Sachverständigen für das Kraftfahrzeugwesen über die beabsichtigte Abstellplatzanordnung - neuerlich um eine Betriebsanlagengenehmigung an und brachte (zusammengefasst) vor, durch die nunmehrige Anordnung der sechs LKW-Abstellplätze im nordöstlichen Teil des Betriebsgrundstücks werde das Geh- und Fahrrecht der Beschwerdeführerin nicht eingeschränkt.
Die BH wies - soweit für das vorliegende Beschwerdeverfahren von Bedeutung - mit Bescheid vom 19. November 1993 den Antrag betreffend die "Erstellung des Abstellplatzes" gemäß § 58 bis 60 AVG 1991 wegen entschiedener Sache zurück. Dieser Bescheid wurde vom Landeshauptmann von Vorarlberg mit Bescheid vom 21. Februar 1994 "gemäß § 66 Abs. 4 AVG iVm § 68 Abs. 1 AVG sowie §§ 71 und 81 GewO 1973 idgF" bestätigt. Die mitbeteiligte Partei erhob auch gegen diesen Bescheid Berufung.
Mit dem angefochtenen Bescheid vom 28. November 2000 gab der Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit - soweit für das Beschwerdeverfahren von Bedeutung - der Berufung insoweit Folge, als der Bescheid des Landeshauptmannes von Vorarlberg und der diesem zu Grunde liegende Bescheid der BH im Umfang der darin ausgesprochenen Zurückweisung des Antrages vom 14. Mai 1992 auf Erteilung der gewerblichen Genehmigung zur Errichtung und zum Betrieb eines Abstellplatzes wegen entschiedener Sache behoben wurden. Dies wurde von der belangten Behörde wie folgt begründet (auszugsweise):
"Das dem Bescheid aus dem Jahre 1991 zu Grunde liegende Ansuchen beinhaltete ... ein Abstellen zumindest eines LKWs auf der Trasse des Servitutsweges. Das nunmehrige Ansuchen hält jedoch den Servitutsweg von jeglichem Abstellen frei. Da der Begründung des Bescheides aus dem Jahre 1991 eindeutig zu entnehmen ist, dass dieses Ansuchen lediglich wegen Beeinträchtigung des Servitutsrechtes der Beschwerdeführerin zurückgewiesen wurde und dem nunmehrigen Ansuchen eine solche Beeinträchtigung nicht mehr zu entnehmen ist, kann nicht vom Vorliegen einer identen Sache gesprochen werden."
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, mit der Rechtswidrigkeit des Inhalts geltend gemacht wird.
Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.
Die mitbeteiligte Partei hat sich trotz gebotener Gelegenheit am verwaltungsgerichtlichen Verfahren nicht beteiligt.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Die Beschwerdeführerin erachtet sich in ihrem gesetzlich gewährleisteten Recht, "dass auch die Berufungsbehörde die Wirkungen der Rechtskraft bzw. eine 'entschiedene Sache' bei Identität des Sachverhaltes zu berücksichtigt hat", verletzt. Die belangte Behörde sei entgegen den Akten und der vorliegenden Sachverhaltsgrundlage zum Ergebnis gelangt, zwischen dem Gewerbeansuchen vom 21. Februar 1985 und jenem vom 14. Mai 1992 bestehe insoweit ein grundlegender Unterschied, als im Rahmen des seinerzeitigen Ansuchens ein Abstellen zumindest eines LKWs auf der Servitutsfläche vorgesehen gewesen sei, während das gegenständliche Ansuchen den Servitutsweg von jeglichem Abstellen freihalte. Dieser Unterschied sei jedoch - wie bereits in den Bescheiden der BH und des Landeshauptmannes von Vorarlberg vom 19. November 1993 bzw. vom 21. Februar 1994 festgestellt - nicht entscheidungswesentlich. Der Versagungsbescheid der BH vom 9. Oktober 1986 habe sich nicht auf das nicht berücksichtigte Geh- und Fahrrecht zu Gunsten der Beschwerdeführerin im Westen der Grundstücks Nr. 2877/2 gestützt, sondern ausschließlich darauf, dass auf Grund der Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens durch die geplante Erweiterung der Betriebsanlage eine unzumutbare Belästigung, auf Dauer allenfalls auch eine Gesundheitsgefährdung, der Nachbarn zu erwarten sei. Das Zusammenrücken der sechs Abstellplätze im nördlichen Bereich der Betriebsliegenschaft um drei Meter in Richtung Osten im Rahmen des neuerlichen Gewerbeansuchens stelle daher immissionsmäßig keine entscheidungsrelevante Änderung des Sachverhalts dar. Entgegen der Rechtsmeinung der belangten Behörde liege daher eine entschiedene Rechtssache vor.
Mit diesem Vorbringen ist die Beschwerdeführerin nicht im Recht:
Entschiedene Sache liegt vor, wenn sich gegenüber dem früheren Bescheid weder die Rechtslage noch der wesentliche Sachverhalt geändert haben (vgl. z.B. das hg. Erkenntnis vom 26. Juni 1990, Zl. 90/05/0101). Von einer Identität der Sache kann daher nur gesprochen werden, wenn einerseits weder in der Rechtslage noch in den für die Beurteilung des Parteibegehrens maßgeblichen tatsächlichen Umständen eine Änderung eingetreten ist und andererseits sich das neue Parteibegehren im Wesentlichen mit dem früheren deckt (vgl. das hg. Erkenntnis vom 27. April 2000, VwSlg. 15.402/A, mwH). Der Begriff "Identität der Sache" muss in erster Linie aus einer rechtlichen Betrachtungsweise heraus beurteilt werden, was bedeutet, dass den behaupteten geänderten Umständen Entscheidungsrelevanz zukommen muss (vgl. das hg. Erkenntnis vom 23. November 1993, Zl. 91/04/0205).
Im Administrativverfahren ist die Berufungsbehörde berechtigt, sowohl im Spruch als auch hinsichtlich der Begründung ihre Anschauung an die Stelle jener der Unterbehörde zu setzen und demgemäß den angefochtenen Bescheid nach jeder Richtung abzuändern (vgl. das hg. Erkenntnis vom 2. Dezember 1976, VwSlg. 9.191/A). Eine Berufungsentscheidung hat die rechtliche Wirkung, dass der erstinstanzliche Bescheid in der Berufungsentscheidung aufgegangen ist und diese, sobald sie erlassen und so lange sie aufrecht ist, der alleinige und ausschließliche Träger des Bescheidinhaltes ist (vgl. das hg. Erkenntnis vom 6. Februar 1990, Zl. 89/04/0113). Dabei sind aber in dem Fall, in dem die für die Berufungsentscheidung maßgebenden Gründe von der Begründung des bekämpften Bescheides der Unterinstanz abweichen (oder über sie hinausgehen), diese in der Begründung des Berufungsbescheides darzulegen. Die Begründung des unterinstanzlichen Bescheides wird damit insoweit gegenstandslos (vgl. das hg. Erkenntnis vom 23. Oktober 1995, Zl. 94/04/0223).
Der der materiellen Rechtskraft fähige Abspruch eines Bescheides besteht zudem nicht nur aus dem Spruch des Bescheides allein, sondern aus dem Spruch in Verbindung mit der Begründung, insoweit sich aus ihr der von der Behörde angenommene maßgebende Sachverhalt, d.h. der als Anknüpfungspunkt für die rechtliche Beurteilung dienende Sachverhalt, ergibt. Der Begründung kommt damit nicht nur für die Auslegung des Spruches Bedeutung zu, sondern auch für die Beantwortung der Frage, wann entschiedene Sache vorliegt (vgl das hg. Erkenntnis vom 21. März 1980, VwSlg. 10.074/A, sowie vom 20. Juni 1995, Zl. 95/05/0152).
Im dem mit Bescheid des Bundesministers für wirtschaftliche Angelegenheiten vom 4. September 1991 abgeschlossenen Verfahren über den Antrag des A auf Genehmigung der Erweiterung des LKW Abstellplatzes vom 21. Februar wurde dessen Berufung "keine Folge" gegeben. Die maßgeblichen Entscheidungsgründe der Vorinstanzen für die Versagung der Betriebsanlagengenehmigung (worauf die Argumentation der Beschwerdeführerin beruht), dass nämlich durch die geplante Erweiterung für die Nachbarn eine unzumutbare Lärmbelästigung zu erwarten wäre, wurden in diesem Bescheid jedoch nicht übernommen. Vielmehr erachtete der Bundesminister für wirtschaftliche Angelegenheiten die Versagung der beantragten Genehmigung schon deshalb als geboten, weil der Beschwerdeführerin die Ausübung der rechtskräftig festgestellten Dienstbarkeit ohne Beeinträchtigung ihr zustehender "sonstiger dinglicher Rechte" im Sinne des § 74 Abs. 2 Z. 1 5. Fall GewO 1973 nicht möglich sei; auf die Frage, ob weitere Gründe der Erteilung der Genehmigung entgegenstünden, ging der Bundesminister in seiner Entscheidung vom 4. September 1991 nicht ein. Andere von den Unterinstanzen herangezogene Versagungsgründe sind daher für die Beurteilung des Vorliegens "entschiedener Sache" i.S. des § 68 Abs. 1 AVG nicht maßgeblich.
Dem nunmehrigen Antrag vom 14. Mai 1992 ist eine Beeinträchtigung des Geh- und Fahrrechtes der Beschwerdeführerin nicht von vornherein zu entnehmen, weil eine Inanspruchnahme entsprechender Liegenschaftsteile durch Abstellplätze nach den Projektunterlagen nicht beabsichtigt ist.
Es kann demnach nicht als rechtswidrig erkannt werden, wenn die belangte Behörde - im Hinblick auf die allein maßgebliche tragende Begründung des Bescheides vom 4. September 1991 - zur Ansicht gelangte, es liege keine "entschiedene Rechtssache" vor.
Die Beschwerde erweist sich somit als unbegründet und war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003, BGBl. II Nr. 333.
Wien, am 21. April 2004
Schlagworte
Individuelle Normen und Parteienrechte Auslegung von Bescheiden und von Parteierklärungen VwRallg9/1 Inhalt der Berufungsentscheidung Maßgebender Bescheidinhalt Inhaltliche und zeitliche Erstreckung des Abspruches und der Rechtskraft Rechtsnatur und Rechtswirkung der Berufungsentscheidung Spruch und Begründung Zurückweisung wegen entschiedener SacheEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2004:2001040008.X00Im RIS seit
28.05.2004