TE Vwgh Erkenntnis 2004/4/27 2003/18/0352

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Veröffentlicht am 27.04.2004
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof;
19/05 Menschenrechte;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

FrG 1997 §36 Abs1;
FrG 1997 §36 Abs2 Z1;
FrG 1997 §36 Abs2 Z2;
MRK Art8 Abs2;
VwGG §42 Abs2 Z1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zeizinger und die Hofräte Dr. Rigler, Dr. Handstanger, Dr. Enzenhofer und Dr. Strohmayer als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Stummer, über die Beschwerde des E, geboren 1983, vertreten durch Waltl & Partner, Rechsanwälte in 5700 Zell am See, Seb. Hörlstraße 7, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Salzburg vom 1. Dezember 2003, Zl. Fr-22/6/02, betreffend Erlassung eines befristeten Aufenthaltsverbots, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.171,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

I.

1. Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Salzburg (der belangten Behörde) vom 1. Dezember 2003 wurde gegen den Beschwerdeführer, einen Staatsangehörigen von Bosnien-Herzegowina, gemäß § 36 Abs. 1 Z. 1 und Z. 2 iVm §§ 37 und 38 Fremdengesetz 1997 - FrG, BGBl. I Nr. 75, ein Aufenthaltsverbot für die Dauer von fünf Jahren erlassen.

In der Bescheidbegründung wird zunächst das Berufungsvorbringen des Beschwerdeführers wiedergegeben und die Rechtslage dargestellt. Weiters führt die belangte Behörde aus, dass sich der Beschwerdeführer seit Juni 1992 in Österreich aufhalte und über einen Wiedereinreisesichtvermerk verfüge. Erstmals sei er im Dezember 1998, also nach sechsjährigem Aufenthalt, mit der österreichischen Rechtsordnung in Konflikt geraten.

In folgenden Fällen seien gerichtliche bzw. verwaltungsbehördliche Strafverfahren gegen den Beschwerdeführer

eingeleitet worden:

"1) Strafanzeige an das Bezirksgericht Saalfelden am 10.12.1998 wegen Raufhandel mit Verletzung

2) Strafanzeige an die Bezirkshauptmannschaft Zell am See am 24.07.1999 wegen einer Übertretung nach dem Salzburger Jugendschutz

3) Strafanzeige und rechtskräftige Bestrafung durch die Bezirkshauptmannschaft Zell am See am 20.12.2000 wegen Art. III

(1) und 5a der 3. Kraftfahrgesetznovelle

4) Strafanzeige an das Bezirksgericht Saalfelden am 02.03.2001 wegen Widerstandes gegen die Staatsgewalt und wegen Vergehens nach dem Suchtmittelgesetz

5) Strafanzeige an die Bezirkshauptmannschaft Zell am See wegen Übertretungen nach dem Fremdengesetz am 15.03.2001, 10.05.2001 und 22.05.2001

6) Strafanzeige an das Bezirksgericht Saalfelden am 20.06.2001 wegen Diebstahls

7) Strafanzeige an das BG Saalfelden am 12.06.2001 wegen Körperverletzung

8) Strafanzeige an das Bezirksgericht Saalfelden am 02.10.2001 wegen schwerer Körperverletzung und gefährlicher Drohung

9) Strafanzeige an das Bezirksgericht Saalfelden am 23.11.2001 wegen Übertretung nach dem Suchtmittelgesetz

10) Strafanzeige und rechtskräftige Bestrafung durch die Bezirkshauptmannschaft Zell am See wegen Übertretungen nach § 2

(1) Salzburger Landespolizeistrafgesetz und § 18 (1) Sicherheitspolizeigesetz."

Überdies sei der Beschwerdeführer am 6. August 2001 wegen Diebstahles und Körperverletzung zu einer einmonatigen Freiheitsstrafe rechtskräftig verurteilt worden.

Die Straftaten, die zu den Strafanzeigen, zu den verwaltungsbehördlichen Bestrafungen und zur gerichtlichen Verurteilung geführt hätten, seien für sich jeweils nicht geeignet, die Erlassung eines Aufenthaltsverbots zu rechtfertigen. Bei der Erlassung einer derartigen Maßnahme sei jedoch nicht nur auf "bestimmte Tatsachen" im Sinn von § 36 Abs. 2 FrG abzustellen, sondern das Gesamtverhalten des Fremden in Betracht zu ziehen. Bei der Beurteilung des bisherigen Verhaltens des Beschwerdeführers lasse sich eine positive Prognose nicht erstellen. Die Voraussetzungen zur Erlassung des Aufenthaltsverbots gemäß § 36 Abs. 1 FrG lägen daher vor. Dazu werde ausgeführt:

"Auf Grund Ihrer zahlreichen gerichtlichen und verwaltungsrechtlichen Strafverfahren aufgrund Ihrer zahlreichen gerichtlichen bzw. verwaltungsrechtlichen Verurteilungen, aufgrund der verschiedenen Rechtsgutverletzungen, so gegen die öffentliche Ruhe, Ordnung und Sicherheit, gegen die körperliche Integrität von Personen, Widerstand gegen die Staatsgewalt, mehrere Vergehen nach dem Suchtmittelgesetz sowie Rechtsgutverletzung gegen fremdes Vermögen, auf Grund all dieser Rechtsgutverletzungen bzw. Anzeigen, die den bloßen Verdacht der Täterschaft begründen, wird das Aufenthaltsverbot gemäß § 36 Abs. 1 FrG erlassen, da auf Grund dieser Tatsachen die Annahme gerechtfertigt ist, dass Ihr weiterer Aufenthalt im Bundesgebiet zumindest die öffentliche Ordnung und Ruhe gefährdet."

Bei der Abwägung gemäß § 37 FrG sei zu berücksichtigen, dass sich die Eltern des Beschwerdeführers in Österreich aufhielten und der Beschwerdeführer seit kurzem einer Beschäftigung nachgehe. Das Aufenthaltsverbot greife daher sehr gravierend in das Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers ein. Diese Maßnahme sei jedoch zur Erreichung von im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Zielen dringend geboten. Auf Grund der vielen verwaltungsbehördlichen und gerichtlichen Strafverfahren, des geringen Zeitabstandes zwischen den Einzeltaten, der wahllosen und verschiedenen Rechtsgutverletzungen und vor allem auf Grund des negativen Gesamtverhaltens des Beschwerdeführers stehe § 37 FrG der Erlassung des Aufenthaltsverbots nicht entgegen.

2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Begehren, ihn wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes oder Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

3. Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift mit dem Antrag, die Beschwerde als unbegründet abzuweisen.

II.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1. Unter Zugrundelegung der unbestrittenen Sachverhaltsfeststellungen über die Bestrafungen und die Verurteilung des Beschwerdeführers hat die belangte Behörde zutreffend keinen Tatbestand des § 36 Abs. 2 FrG als erfüllt erachtet.

Nach der hg. Rechtsprechung setzt die Erlassung eines Aufenthaltsverbots jedoch - wie die belangte Behörde richtig erkannt hat - nicht zwingend voraus, dass eine in § 36 Abs. 2 FrG näher genannte bestimmte Tatsache gegeben ist; vielmehr kann ein Aufenthaltsverbot gemäß § 36 Abs. 1 FrG auch dann erlassen werden, wenn triftige Gründe - ohne die Voraussetzungen der in § 36 Abs. 2 FrG angeführten Fälle aufzuweisen - die in § 36 Abs. 1 leg. cit. umschriebene Annahme rechtfertigen (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 13. März 2001, Zl. 2000/18/0061).

Bei der Beurteilung des Gerechtfertigtseins dieser Annahme ist zu prüfen, ob sich aus dem gesamten Fehlverhalten des Fremden ableiten lässt, dass sein weiterer Aufenthalt die öffentliche Ruhe, Ordnung und Sicherheit oder andere in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannte öffentliche Interessen gefährdet. Dabei ist - anders als bei der Frage, ob einer der Tatbestände des § 36 Abs. 2 Z. 1 oder Z. 2 FrG erfüllt ist - nicht auf die bloße Tatsache der Verurteilung bzw. Bestrafung des Fremden, sondern auf die Art und Schwere der zu Grunde liegenden Straftaten und das sich daraus ergebende Persönlichkeitsbild abzustellen (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 3. August 2000, Zl. 99/18/0446).

Da die Fremdenpolizeibehörde die Frage, ob gegen einen Fremden auf Grund seines Fehlverhaltens ein Aufenthaltsverbot zu erlassen ist, eigenständig zu lösen hat, kann sie auch ein Fehlverhalten, für das der Beschwerdeführer nicht verurteilt bzw. bestraft worden ist, feststellen und ihrer Beurteilung nach § 36 Abs. 1 FrG zu Grunde legen (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 20. Februar 2001, Zl. 2000/18/0089).

2. Die belangte Behörde hat lediglich festgestellt, dass und auf Grund welcher Deliktstypen Anzeigen, verwaltungsbehördliche Bestrafungen und eine gerichtliche Verurteilung ergingen. Sie vertrat in Verkennung der oben 1. dargestellten Rechtslage die Ansicht, dass bereits auf Grund der Verurteilung, der verwaltungsbehördlichen Bestrafungen und der den Verdacht der Täterschaft begründenden Anzeigen die in § 36 Abs. 1 FrG umschriebene Annahme gerechtfertigt sei. Sie traf daher keine Feststellungen zum Fehlverhalten des Beschwerdeführers. Der angefochtene Bescheid enthält auch keinen Verweis auf die im Bescheid der Erstbehörde zum Teil enthaltenen diesbezüglichen Feststellungen.

Damit belastete die belangte Behörde ihren Bescheid mit einem sekundären Verfahrensmangel.

3. Im fortgesetzten Verfahren wird die belangte Behörde sohin Feststellungen zum Fehlverhalten des Beschwerdeführers zu treffen haben, wobei sie bei jenem Fehlverhalten, das nicht durch rechtskräftige Verurteilungen oder Bestrafungen bindend feststeht, auch beweiswürdigend auszuführen haben wird, warum sie zu dieser Feststellung gelangt.

4. Da der angefochtene Bescheid somit auf einer Verkennung der Rechtslage beruht, war er gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

5. Der Spruch über den Aufwandersatz gründet auf den §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. II Nr. 333/2003.

Wien, am 27. April 2004

Schlagworte

Besondere Rechtsgebiete

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2004:2003180352.X00

Im RIS seit

07.06.2004
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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