TE Vfgh Beschluss 2000/10/11 V35/00 ua

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 11.10.2000
beobachten
merken

Index

L8 Boden- und Verkehrsrecht
L8000 Raumordnung

Norm

B-VG Art139 Abs1 / Individualantrag

Leitsatz

Zurückweisung der Individualanträge auf Aufhebung von Änderungen des Flächenwidmungsplanes und des Bebauungsplanes der Gemeinde Perchtoldsdorf mangels aktueller Betroffenheit des Erstantragstellers bzw mangels Eigentümereigenschaft des Zweitantragstellers

Spruch

Die Anträge werden zurückgewiesen.

Begründung

Begründung:

I. 1. Mit ihrem auf Art139 B-VG gestützten Antrag begehren die Antragsteller die Aufhebung der 22. Flächenwidmungsplanänderung (Verordnung des Gemeinderates der Marktgemeinde Perchtoldsdorf vom 16. Dezember 1999) zur Gänze, in eventu hinsichtlich der Anordnung der Grenze zwischen Verkehrsflächen und Bauland hinsichtlich der an das Grundstück Nr. 421/1 anliegenden Verkehrsfläche, die sich bis zum Grundstück Nr. 419/5 erstreckt und auch zur Brunner Gasse zugänglich ist; hinsichtlich der Festlegung einer Verkehrsfläche an der Latschkagasse ab Brunner Gasse sowie hinsichtlich der Festlegung der Wohndichte mit 175 EW/ha.

Weiters beantragen sie die Aufhebung der

21. Bebauungsplanänderung (Verordnung des Gemeinderates der Marktgemeinde Perchtoldsdorf vom 16. Dezember 1999 zur Gänze, in eventu soweit eine Baufluchtlinie auf der Parzelle 419/5 neu eingezogen wird und das erhaltenswerte Altortgebiet in dem durch die Straßenzüge Brunner Gasse - Latschkagasse - Franz-Josef-Straße - Gluckgasse umschriebenen Gebiet verkleinert wird.

2. Zur Antragslegitimation wird Folgendes vorgebracht:

2.1. Der Zweitantragsteller sei Eigentümer der Parzelle 419/5, EZ 4247, Grundbuch Perchtoldsdorf; das Eigentumsrecht des Erstantragstellers sei ob dieser EZ vorgemerkt. Die Liegenschaft liege im Planungsgebiet und sei daher unmittelbar von der Änderung des örtlichen Raumordnungsprogramms betroffen. Dem in Rede stehenden Grundstück komme die Eigenschaft als Bauplatz gemäß §11 Abs1 Z2 NÖ Bauordnung (sowie gemäß §§11 Abs1 Z3 und Z4 leg. cit.) zu. Die Änderungen des Flächenwidmungsplanes seien wesentlich und beträfen die Antragsteller.

2.2. Durch die Verschiebung der Wohndichteklasse A in Wohndichteklasse C werde auf der Gesamtfläche im Planungsgebiet die mögliche Einwohnerzahl von bisher ca. 74 auf das 3,5-fache, nämlich auf 257,25 erhöht. Schon diese Erhöhung der Wohndichte bedeute einen erheblichen Eingriff in die Rechte der Antragsteller. Außerdem werde westlich der in Rede stehenden Liegenschaft auf der Parzelle 421/1 die Widmung Verkehrsfläche (Parkplatz) geschaffen. Durch die Schaffung neuer Verkehrsflächen zwischen dem Grundstück 421/1 und 419/5 werde das Bauland aufgeteilt und durch Verkehrsströme gestört, "während bisher dort Ruhe" bestanden habe, - all dies entgegen der Bestimmung des §14 Abs1 Z11 leg. cit., wonach Wohnbauland und Sondergebiete mit besonderem Schutzbedürfnis und Erholungsgebiete nicht durch Störungseinflüsse beeinträchtigt werden dürften.

2.3. Durch die Anordnung von Verkehrsflächen an der West/Süd/Westseite des Grundstückes 419/5 würden die Antragsteller in ihren Rechten verletzt, da bisher das Grundstück nur an einer Seite von einer - wegen ihrer Enge kaum befahrenen - Verkehrsfläche gesäumt gewesen sei und nunmehr auch an einer zweiten Seite eine Verkehrsfläche geschaffen worden sei.

Die Schaffung der Verkehrsfläche auf der südlich an die Parzelle 419/5 anschließenden Parzelle bedinge die Festlegung einer Baufluchtlinie, was in Folge bewirke, dass die Liegenschaft in einem geringeren Ausmaß verbaut werden könne, da es unmöglich werde, an die Parzellengrenze anzubauen. Schon bisher habe geschlossene Bauweise bestanden bzw. hätte §50 NÖ Bauordnung ein näheres Heranrücken an die Liegenschaftsgrenze ermöglicht, bzw. würde §51 NÖ Bauordnung eine wesentlich stärkere Ausnutzung im seitlichen Bauwich als §52 NÖ Bauordnung im vorderen Bauwich zulassen.

3.1. Die Antragsteller behaupten die (inhaltliche) Rechtswidrigkeit des örtlichen Raumordnungsprogrammes (Flächenwidmungsplan). Mit der Flächenwidmungsplanänderung sei die Widmung Bauland-Kerngebiet an drei Stellen in Verkehrsfläche geändert worden. Ein Änderungsanlass im Sinne des NÖ Raumordnungsgesetzes liege nicht vor, da u.a. auch keine Änderung des Raumordnungsprogramms des Landes bzw. anderer rechtswirksamer überörtlicher Planungen erfolgt sei. Der Änderungsanlass der Verwirklichung des Zieles des Entwicklungskonzepts (§§22 Abs1 Z5 NÖ Raumordnungsgesetz) liege ebenfalls nicht vor und sei darüber hinaus im Hinblick auf die Judikatur des Verfassungsgerichtshofes zur erhöhten Bestandskraft von Bebauungs- und Flächenwidmungsplänen verfassungswidrig.

Die Berufung der Gemeinde auf das Ortsmarketingkonzept sei nur eine Schutzbehauptung. Es handle sich nicht um die Anpassung an "irgendein Ortsmarketingkonzept, sondern um eine Anlassänderung, um ein konkretes bekanntes Projekt zu ermöglichen". Das Ortsmarketingkonzept würde die Planungsänderung geradezu ausschließen.

3.2. Die Annahme der Gemeinde, dass die Einwohnerdichteerhöhung im Zentrum der Schonung des Grünlands im Gemeindegebiet diene und dafür nötig sei, sei nicht richtig. Im Zuge der Verhängung der Bausperre habe der Gemeinderat ausgeführt (Sitzung vom 29. Juni 1996), dass eine steigende Einwohnerdichte Infrastrukturmaßnahmen erfordere, die nicht finanziert werden könnten.

Die Antragsteller bringen u.a. auch vor, dass in der

22. Änderung des Flächenwidmungsplanes von einer rechtlich und tatsächlich nicht bestehenden Begrenzungslinie zwischen Latschkagasse und den so genannten "Doller-Gründen" ausgegangen werde, wodurch gleichzeitig auch die Grenze zwischen Bauland und Verkehrsflächen falsch dargestellt werde. Außerdem werde gegen §9 der Planzeichenverordnung verstoßen. Die geplante Erhöhung der Einwohnerdichte habe ein höheres Verkehrsaufkommen zur Folge und die bestehende Latschkagasse sei dafür nicht ausreichend.

4. Die Antragsteller behaupten darüber hinaus die Gesetzwidrigkeit der 21. Änderung des Bebauungsplanes der Marktgemeinde Perchtoldsdorf vom 16. Dezember 1999, womit auf ihrer Liegenschaft eine Baufluchtlinie in Richtung West/Süd/West eingezogen werde, die die Bebaubarkeit des Grundstückes einschränke. Vor Erlassung des Bebauungsplanes sei die Bebaubarkeit des Grundstücks in größerem Umfang gegeben gewesen.

Unter anderem bringen die Antragsteller vor, dass die Flächenwidmungsplanänderung unzulässig sei, weshalb auch kein Anlass für die Änderung des Bebauungsplanes gegeben sei. Die Zielsetzungen der vorangegangenen Bausperre seien nicht erreicht worden. Die Bebauungsplanänderungen seien erfolgt, um ein individuelles Bauansuchen zu ermöglichen.

5. Die bekämpften Verordnungen gingen von falschen Planungsgrundlagen aus und seien daher zur Gänze gesetzwidrig.

6. Die Antragsteller regen eine amtswegige Prüfung der Verfassungsmäßigkeit der Bestimmung des §22 Abs1 Z5 NÖ Raumordnungsgesetz an.

7. Über Ersuchen des Verfassungsgerichtshofes nahm die Niederösterreichische Landesregierung zu der Frage der Prozessvoraussetzungen Stellung und beantragte die Zurückweisung der vorliegenden Anträge.

7.1. Die Niederösterreichische Landesregierung legte einen Grundbuchsauszug betreffend die in Rede stehende Liegenschaft vor und führt in ihrer Stellungnahme aus, dass daraus hervorgehe, dass nur der Erstantragsteller Eigentümer der Parzelle 419/5 sei.

7.2. Der Erstantragsteller sei durch die erhöhte Wohndichte und die erhöhte mögliche Einwohnerzahl nur in seinen wirtschaftlichen Interessen berührt, nicht aber rechtlich betroffen. Hinsichtlich der neu bestimmten Baufluchtlinie sei keine aktuelle Betroffenheit gegeben, da nicht geltend gemacht werde, dass in absehbarer Zeit Änderungen am bestehenden Wohngebäude beabsichtigt seien. Auch ohne die Baufluchtlinie sei bei offener oder gekuppelter Bebauungsweise ein Bauwich von mindestens 3 m entlang der Grundstücksgrenze zum Grundstück Nr. 421/1 einzuhalten. Die Bebauungsdichte sei mit 25 % unverändert geblieben.

7.3. Im Antrag werde nicht konkret ausgeführt, in welchen Rechten sich der (Erst-)Antragsteller durch die vorgesehene Verkehrsfläche verletzt erachte. Er scheine auf die aufgrund zusätzlich zu erwartenden Verkehrs erhöhten Lärmimmissionen abzustellen. Diese Wirkungen ergäben sich jedoch nicht aufgrund der Flächenwidmungsplanänderung, sondern erst aufgrund einer erst zu errichtenden Verkehrsfläche. Gemäß §13 NÖ Straßengesetz 1999 hätten die Eigentümer der Grundstücke, die an die für den geplanten Straßenbau beanspruchten Flächen angrenzen (Nachbarn), im Bewilligungsverfahren für den Bau und die Umgestaltung einer Straße Parteistellung.

7.4. Die Erhöhung der Wohndichteklasse auf den Nachbargrundstücken bewirke keinen Eingriff in die Rechtssphäre des Antragstellers, denn zu einem solchen könne es erst durch die Erteilung einer Baubewilligung kommen.

8. Die Antragsteller erstatteten eine Replik.

II. Die Anträge sind unzulässig.

1. Voraussetzung der Antragslegitimation ist einerseits, dass der Antragsteller behauptet, unmittelbar durch die angefochtene Verordnung - im Hinblick auf deren Gesetzmäßigkeit - in seinen Rechten verletzt worden zu sein, dann aber auch, dass die Verordnung für den Antragsteller tatsächlich, und zwar ohne Fällung einer gerichtlichen Entscheidung oder ohne Erlassung eines Bescheides wirksam geworden ist. Grundlegende Voraussetzung der Antragslegitimation ist, dass die Verordnung in die Rechtssphäre des Antragstellers nachteilig eingreift und diese - im Falle ihrer Gesetzwidrigkeit - verletzt.

Nicht jedem Normadressaten aber kommt die Anfechtungsbefugnis zu. Es ist darüber hinaus erforderlich, dass die Verordnung selbst tatsächlich in die Rechtssphäre des Antragstellers unmittelbar eingreift. Ein derartiger Eingriff ist jedenfalls nur dann anzunehmen, wenn dieser nach Art und Ausmaß durch die Verordnung selbst eindeutig bestimmt ist, wenn er die (rechtlich geschützten) Interessen des Antragstellers nicht bloß potentiell, sondern aktuell beeinträchtigt und wenn dem Antragsteller kein anderer zumutbarer Weg zur Abwehr des - behaupteterweise - rechtswidrigen Eingriffes zur Verfügung steht (VfSlg. 11.726/1988, 13.944/1994).

Bei Beurteilung der Antragslegitimation ist zu untersuchen, ob die vom Antragsteller ins Treffen geführten Rechtswirkungen vorliegen (VfSlg. 8060/1977, 8587/1979, 10.593/1985, 11.453/1987).

2. Zur Legitimation des Erstantragstellers:

2.1. Dem Erstantragsteller kommt das Eigentumsrecht am Grundstück Nr. 419/5 zu, wie sich entgegen den Ausführungen im Antrag aus dem Grundbuchsauszug vom 22. Mai 2000 ergibt.

2.2. Beantragt wird zunächst die Aufhebung der Flächenwidmungsplanänderung zur Gänze. Im Antrag wird jedoch nicht ausgeführt, inwieweit durch die gesamte Flächenwidmungsplanänderung in die Rechtsposition des Antragstellers nachteilig eingegriffen wird. In eventu wird beantragt, die Anordnung der Grenze zwischen Verkehrsflächen und Bauland hinsichtlich der an das Grundstück Nr. 421/1 anliegenden Verkehrsfläche, die sich bis zum Grundstück Nr. 419/5 erstreckt und auch zur Brunner Gasse zugänglich ist, die Festlegung einer Verkehrsfläche an der Latschkagasse ab Brunner Gasse und die Festlegung der Wohndichte mit 175 EW/ha als gesetzwidrig aufzuheben.

Dazu ist zu bemerken, dass dem Antragsteller ein Antragsrecht zur Bekämpfung der Widmung des nicht in seinem Eigentum stehenden Nachbargrundstücks hier nicht zukommt. Denn die Widmung der an sein Grundstück angrenzenden Verkehrsflächen greift nicht nachteilig in die Rechtssphäre des Antragstellers ein (vgl. dazu sinngemäß VfGH vom 15. März 2000, V6/00 mwH). Ein Eingriff ist erst durch die Errichtung einer Verkehrsfläche denkbar, wobei dem Nachbarn einer für den geplanten Straßenbau beanspruchten Fläche im Bewilligungsverfahren für den Bau und die Umgestaltung der Straße Parteistellung zukommt (vgl. §13 NÖ Straßengesetz).

2.3. Zur bekämpften erhöhten Einwohnerdichte ist festzustellen, dass diese, soweit sie sich auf das Grundstück des Antragstellers bezieht, vom Antragsteller nicht ausgenützt werden muss, sondern nur einen maximal zulässigen Wert darstellt. Hinsichtlich der benachbarten Liegenschaften bewirkt die Flächenwidmungsplanänderung (noch) keinen Eingriff in die Rechte des Antragstellers; ein allfälliger solcher ist erst durch die Erteilung einer Baubewilligung denkbar.

2.4. Der Erstantragsteller bekämpft die

21. Bebauungsplanänderung (Verordnung des Gemeinderates der Marktgemeinde Perchtoldsdorf vom 16. Dezember 1999) zur Gänze, in eventu soweit eine Baufluchtlinie auf der Parzelle 419/5 neu eingezogen wird und das erhaltenswerte Altortgebiet in dem durch die Straßenzüge Brunner Gasse - Latschkagasse - Franz-Josef-Straße - Gluckgasse umschriebenen Gebiet verkleinert wird.

Eine rechtliche Betroffenheit durch den Bebauungsplan ist nur hinsichtlich der Bebauungsbestimmungen für das im Eigentum des Erstantragstellers stehende Grundstück denkbar; eine Legitimation zur Anfechtung der gesamten Bebauungsplanänderung kommt dem Erstantragsteller daher nicht zu.

Der Erstantragsteller bringt aber nicht vor, inwieweit die Bebauungsplanänderung hinsichtlich des Grundstückes Nr. 419/5 in seine Rechte eingreift bzw. dass er eine Änderung der Bebauung plane, die durch die neu festgelegte Baufluchtlinie nicht möglich sei.

Daher mangelt es dem Erstantragsteller an der vom Verfassungsgerichtshof geforderten aktuellen Betroffenheit durch den bekämpften Bebauungsplan (vgl. VfSlg. 15.466/1999).

2.5. Die Anträge des Erstantragstellers waren aus den genannten Gründen mangels Legitimation zurückzuweisen.

3. Zur Legitimation des Zweitantragstellers:

3.1. Aus dem Grundbuchsauszug vom 22. Mai 2000, den die Niederösterreichische Landesregierung ihrer Äußerung beigelegt hat, ergibt sich, dass der Erstantragsteller - entgegen den Ausführungen des Antrags - Alleineigentümer des Grundstückes Nr. 419/5 ist (Schenkungsvertrag vom 16. September 1999).

Soweit sich die Regelungen eines örtlichen Raumordnungsprogrammes oder eines Bebauungsplanes nicht auf die im Eigentum der Antragsteller stehenden Grundstücke beziehen, sind diese in ihrer Rechtssphäre - grundsätzlich - nicht betroffen. Nur unter besonderen Umständen könnte aus solchen Regelungen für die Antragsteller eine Betroffenheit entstehen (vgl. VfSlg. 10.793/1986). Solche Umstände wurden weder geltend gemacht, noch sind sie im Verfahren hervorgekommen.

3.2. Mangels Eigentümereigenschaft ist der Zweitantragsteller durch die angefochtenen Verordnungen in seiner Rechtssphäre nicht betroffen.

4. Dies konnte gemäß §19 Abs3 Z2 lite VerfGG ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.

Schlagworte

Bebauungsplan, Flächenwidmungsplan, VfGH / Individualantrag

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2000:V35.2000

Dokumentnummer

JFT_09998989_00V00035_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten