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10/07 Verwaltungsgerichtshof;Norm
AVG §37;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Gruber und die Hofräte Dr. Robl, Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher und Dr. Grünstäudl als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Wechner, über die Beschwerde des S, vertreten durch Dr. Elisabeth Simma und Mag. Gottfried Stoff, Rechtsanwälte in 8011 Graz, Kaiserfeldgasse 15/II, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Steiermark vom 5. Juni 2003, Zl. FR 666/99, betreffend Aufenthaltsverbot, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Die Bundespolizeidirektion Graz hatte gegen den aus Serbien und Montenegro stammenden Beschwerdeführer - insbesondere im Hinblick auf seine Verurteilung durch das Landesgericht für Strafsachen Graz vom 5. Februar 1998 wegen § 28 Abs. 2 und 3 SMG sowie § 15 StGB zu einer dreijährigen Freiheitsstrafe - ein unbefristetes Aufenthaltsverbot verhängt. Die dagegen erhobene Berufung war erfolglos geblieben.
Mit hg. Erkenntnis vom 24. Februar 2003, Zl. 99/21/0328, hob der Verwaltungsgerichtshof den Berufungsbescheid (Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Steiermark vom 27. September 1999) wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften auf. Es liege auf der Hand, dass die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen einen Fremden, dessen Leben von der medizinischen Behandlung in Österreich abhänge, mit erheblichen Auswirkungen auf seine "Lebenssituation" iS des § 37 Abs. 2 FrG verbunden wäre. Sollte für einen Fremden, wie dies auch der Beschwerdeführer für seine Person behaupte, keine Aussicht bestehen, sich in einem anderen Land der für ihn lebensnotwendigen Behandlung zu unterziehen, dann hätten seine persönlichen Interessen an einem weiteren Aufenthalt in Österreich ein derart großes Gewicht, dass die öffentlichen Interessen bei der Abwägung gemäß § 37 Abs. 2 FrG in den Hintergrund zu treten hätten. Gegenständlich habe der Beschwerdeführer ausreichend stichhaltige Umstände geltend gemacht, die es im Hinblick auf seine - in dem erwähnten Erkenntnis näher dargestellte - schwere (unter Umständen sogar lebensbedrohende) Erkrankung möglich erscheinen ließen, dass für ihn im Fall der Erlassung eines Aufenthaltsverbotes im Ausland tatsächlich keine Aussicht bestehen könnte, sich einer für ihn lebensnotwendigen Behandlung zu unterziehen. Die belangte Behörde (Sicherheitsdirektion für das Bundesland Steiermark) habe im Hinblick auf dieses Vorbringen nicht schlüssig begründet, weshalb die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes keine derartigen Auswirkungen auf die Lebenssituation des Beschwerdeführers haben werde. Sie werde sich daher im fortgesetzten Verfahren - allenfalls auch unter Beiziehung eines ärztlichen Gutachters - eingehender mit dem Gesundheitszustand des Beschwerdeführers sowie den Möglichkeiten seiner Behandlung im Ausland zu befassen haben.
Nach Zustellung des aufhebenden Verwaltungsgerichtshoferkenntnisses forderte die belangte Behörde den Beschwerdeführer per E-Mail vom 3. April 2003 (zu Handen seines Vertreters) auf, binnen sechs Wochen "ein aktuelles ärztliches Gutachten über ihren bedauerlichen Krankheitszustand vorzulegen" und "jene Gründe bekannt zu geben, weshalb sie glauben, dass die für sie lebensnotwendige ärztliche Versorgung nur in Österreich gewährleistet ist. Sollten sie dieser Aufforderung nicht innerhalb der vorgegebenen Zeit entsprechen, wird das wiederum offene Berufungsverfahren ohne weitere Anhörung finalisiert werden".
Mit Bescheid vom 5. Juni 2003 gab die belangte Behörde der Berufung gegen den seinerzeitigen Aufenthaltsverbotsbescheid der Bundespolizeidirektion Graz gemäß § 66 Abs. 4 AVG iVm § 36 Abs. 1 und Abs. 2 Z 1 sowie §§ 37 Abs. 1 und 2, 38 und 39 FrG abermals keine Folge. Sie erklärte, "die Begründung des Bescheides vom 27.9.1999, Zl: FR 666/1999 aufrecht" zu erhalten und ergänzte nach Wiedergabe des vorhin erwähnten E-Mails, dass sie "aufgrund des fruchtlosen Verlaufes des Ihnen gewährten Parteiengehörs" die Ansicht vertrete, dass die Erlassung des gegenständlichen Aufenthaltsverbotes keine "derartigen Auswirkungen" auf die Lebenssituation des Beschwerdeführers haben werde. Andernfalls hätte er mitgeteilt, dass eine lebensnotwendige ärztliche Versorgung nur in Österreich gewährleistet sei. Es sei auch nicht möglich gewesen, sich mit dem aktuellen Krankheitszustand des Beschwerdeführers auseinander zu setzen, weil er das abverlangte aktuelle ärztliche Gutachten nicht vorgelegt habe. Es werde daher weiterhin die Ansicht vertreten, dass auch außerhalb von Österreich die notwendige ärztliche Versorgung gewährleistet sei.
Über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof erwogen:
Die belangte Behörde ist dem Auftrag des Verwaltungsgerichtshofes in seinem in der Sache ergangenen aufhebenden Erkenntnis vom 24. Februar 2003, sich eingehender mit dem Gesundheitszustand des Beschwerdeführers sowie den Möglichkeiten seiner Behandlung im Ausland zu befassen, nicht ausreichend nachgekommen. Zwar hat sie insoweit Ermittlungen eingeleitet, als sie die oben erwähnte E-Mail abgesendet hat. Aus dem Umstand, dass diese E-Mail unbeantwortet blieb, durfte sie jedoch keinesfalls ohne weiteres schließen, der Gesundheitszustand des Beschwerdeführers stehe im Grunde des § 37 Abs. 2 FrG der Erlassung eines Aufenthaltsverbotes nicht entgegen. Wie in der Beschwerde zutreffend aufgezeigt wird, wäre es vielmehr ihre Aufgabe gewesen, von Amts wegen ergänzende Ermittlungsschritte zu setzen, insbesondere - wie schon im genannten Vorerkenntnis angedeutet - die Untersuchung durch einen medizinischen Sachverständigen zu veranlassen. Angesichts dieser Möglichkeit kann der belangten Behörde nicht beigetreten werden, wenn sie vermeint, es sei ihr verwehrt gewesen, sich eingehender mit dem Gesundheitszustand des Beschwerdeführers zu befassen. Sie hätte sich daher, zumal der Beschwerdeführer bereits im ersten Rechtsgang ein ausreichend konkretes Vorbringen erstattet hatte, nicht auf den von ihr angenommenen "fruchtlosen Verlauf des gewährten Parteiengehörs" zurückziehen dürfen (vgl. zu den Grenzen der Mitwirkungspflicht Walter/Thienel, Verwaltungsverfahrensgesetz I2 (1998), E 221 ff. zu § 39 AVG). Auf die Frage, ob die belangte Behörde ihr E-Mail vom 3. April 2003 wie in der Beschwerde behauptet an eine nicht mehr aktuelle E-Mail-Adresse des Vertreters des Beschwerdeführers abgesendet hat (was insofern mit dem Akteninhalt in Deckung steht, als die auf dem Sendenachweis angegebene Adresse nicht mit jener auf dem zuletzt eingebrachten Schriftsatz vom 27. März 2003 korrespondiert), weshalb sein Inhalt erst nach Bescheidzustellung bekannt geworden sei, braucht von daher nicht mehr eingegangen zu werden. Es erübrigt sich auch eine Auseinandersetzung mit dem Gesichtspunkt, ob die belangte Behörde ohne jegliche weitere Ermittlungen zu den Voraussetzungen eines Aufenthaltsverbotes auf ihren ersten, aus dem Herbst 1999 stammenden und daher knapp vier Jahre zurückliegenden Bescheid zurückgreifen durfte.
Im Hinblick auf den aufgezeigten Verfahrensfehler ist der bekämpfte Bescheid mit Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften belastet, weshalb er gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG aufzuheben war.
Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003.
Wien, am 27. April 2004
Schlagworte
Besondere Rechtsgebiete Sachverhalt Sachverhaltsfeststellung Parteivorbringen Erforschung des Parteiwillens Sachverhalt Sachverhaltsfeststellung Verfahrensmangel Verfahrensbestimmungen Amtswegigkeit des Verfahrens Mitwirkungspflicht ManuduktionspflichtEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2004:2003210127.X00Im RIS seit
04.06.2004