Index
10/07 Verwaltungsgerichtshof;Norm
FrG 1997 §108 Abs1 Z3 lita;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zeizinger und die Hofräte Dr. Rigler, Dr. Handstanger, Dr. Enzenhofer und Dr. Strohmayer als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Stummer, über die Beschwerde des M, geboren 1981, vertreten durch Dr. Christian Greinz, Rechtsanwalt in 5020 Salzburg, Fürstenallee 50, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Salzburg vom 8. Februar 2002, Zl. Fr-5/1/02, betreffend Erlassung eines befristeten Aufenthaltsverbotes, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.088,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Kostenmehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
I.
1. Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Salzburg (der belangten Behörde) vom 8. Februar 2002 wurde gegen den Beschwerdeführer, einen jugoslawischen Staatsangehörigen, gemäß § 36 Abs. 1 Z. 1 und 2 iVm den §§ 37 und 38 des Fremdengesetzes 1997 - FrG, BGBl. I Nr. 75, ein mit fünf Jahren befristetes Aufenthaltsverbot erlassen.
Der Beschwerdeführer sei in Österreich geboren, aber als Kleinkind mit knapp eineinhalb Jahren nach Jugoslawien gebracht worden. Im Jänner 1985 sei er als Dreijähriger wieder nach Österreich gebracht worden und habe sich in der Folge bis Juli 1988 hier aufgehalten. Nach dem daran anschließenden Aufenthalt in Jugoslawien sei er schließlich am 3. Oktober 1990, also als Neunjähriger, endgültig nach Österreich zugezogen. Er habe in der Folge hier die Schule besucht und eine Ausbildung als Koch und Kellner absolviert.
Bereits als Strafunmündiger habe der Beschwerdeführer im Mai 1995 mehrmals in Umkleideräumen eines Fußballklubs aus dort abgelegten Kleidungsstücken Geld gestohlen. Mit Strafanzeige vom 28. November 1997 sei er wegen des Vergehens nach § 16 Suchtgiftgesetz angezeigt worden. Am 10. August 2000 sei er vom Landesgericht Salzburg wegen des Vergehens der schweren Körperverletzung gemäß § 84 Abs. 1 StGB iVm § 5 Z. 4 JGG zu einer bedingten Freiheitsstrafe von zwei Monaten verurteilt worden. Nach dem Urteil sei er am 18. Juli 1999 in einer Diskothek an einem Raufhandel beteiligt gewesen. Dabei habe er in bewusstem und gewolltem Zusammenwirken mit zwei weiteren Tätern eine Person durch das Versetzen von Faustschlägen und Fußtritten gegen den Kopf und den Oberkörper vorsätzlich am Körper schwer verletzt (stumpfes Bauchtrauma mit einer kleinen Rissbildung im Bereich des linken Leberlappens mit einem entsprechenden Bluterguss des linken Leberlappens, Schädelprellung). Am 2. Oktober 2000 sei er wegen des dringenden Verdachtes angezeigt worden, dass er am 23. September 2000 einer Arbeitskollegin S 5.000,-- aus einer Geldtasche gestohlen habe. Der Beschwerdeführer habe dies bestritten, jedoch gegenüber der Geschädigten die Tat gestanden und Schadensgutmachung geleistet. Am 8. Mai 2001 sei der Beschwerdeführer wegen aggressiven Verhaltens, Anstandsverletzung und Lärmerregung angezeigt und nach § 35 VStG vorläufig festgenommen worden. Er sei gemäß § 82 Abs. 1 SPG zu einer Geldstrafe von S 3.000,-- und gemäß § 108 Abs. 1 Z. 3 lit. a FrG mit S 800,-- rechtskräftig bestraft worden. Unbeeindruckt von der vorstehenden Verurteilung bzw. Bestrafung habe er im August 2001 bei einem Dorffest einen 16-jährigen Jugendlichen, der ihn um eine Zigarette gebeten habe, in unbeschreiblich brutaler Weise grundlos zu Boden gestoßen, mit den Füßen gegen dessen Oberkörper getreten und mit den Fäusten auf dessen Kopf eingeschlagen. Er habe den wehrlosen Burschen gezielt und absichtlich in einen speziellen Würgegriff genommen und so stark gegen einen lebenden Zaun gedrückt, dass er mit seinem Opfer durch diesen hindurch in das dahinterliegende Grundstück gefallen sei. Der Beschwerdeführer habe bei anderer Gelegenheit früher schon einmal erklärt, dass bei Anwendung dieses Griffes jemand einfach "wegbrechen" würde. Der 16- jährige Jugendliche sei durch den Angriff schwerst verletzt worden. Er habe unter anderem einen Knick der Halsschlagader erlitten, wodurch sich ein Blutgerinnsel gebildet habe, welches einen Hirninfarkt und eine Lähmung der linken Körperhälfte zur Folge gehabt habe. Für den Burschen seien bleibende Gehirnschäden zu befürchten. Das diesbezügliche Strafverfahren sei beim Landesgericht Salzburg anhängig. Am 22. September 2001 sei der Beschwerdeführer schließlich wegen des Verdachtes des Verbrechens nach § 28 SMG angezeigt, festgenommen und in die Justizanstalt Salzburg eingeliefert worden. Er habe im Zeitraum von Februar bis Juli 2001 größere Mengen Suchtmittel angekauft, verkauft, vermittelt und selbst konsumiert. Er habe beabsichtigt, durch fortlaufende Einnahmen aus dem Suchtgifthandel seinen Lebensunterhalt aufzubessern.
Zwar sei "noch" kein Tatbestand des § 36 Abs. 2 FrG erfüllt, ein Aufenthaltsverbot könne aber auch ausschließlich auf § 36 Abs. 1 FrG gestützt werden. Bei einer Gesamtbetrachtung sei die in dieser Bestimmung umschriebene Annahme gerechtfertigt. Auf Grund des langjährigen Aufenthaltes und der Tatsache, dass auch die Eltern des Beschwerdeführers in Österreich aufhältig seien, sei von einem hohen Integrationsgrad und von einem schwer wiegenden Eingriff durch das Aufenthaltsverbot in das Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers auszugehen. Die Integration sei aber durch das Gesamtfehlverhalten in der für sie wesentlichen sozialen Komponente erheblich gemindert. Eine Interessenabwägung im Sinn des § 37 FrG falle zu Lasten des Beschwerdeführers aus.
§ 38 Abs. 1 Z. 4 FrG stehe dem Aufenthaltsverbot nicht entgegen, weil Personen, deren Aufenthalt in Österreich im Kleinkindalter durch lange Perioden unterbrochen worden sei und daher in dieser prägenden Phase nicht als in Österreich sozial integriert anzusehen seien, von dieser Regelung nicht erfasst würden. Auch § 38 Abs. 1 Z. 3 FrG stehe der Erlassung eines Aufenthaltsverbotes nicht entgegen, weil das erste für die Verhängung des Aufenthaltsverbotes maßgebliche Fehlverhalten vom Beschwerdeführer bereits am 18. Juli 1999 gesetzt worden sei, sodass dieses Datum als "Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes" anzusehen sei und die Voraussetzung der in dieser Bestimmung angeführten staatsbürgerschaftsrechtlichen Norm (§ 10 StGB) eines mindestens zehnjährigen ununterbrochenen Aufenthaltes (seit 3. Oktober 1990) nicht erfüllt sei. Nach § 38 Abs. 1 FrG iVm § 35 Abs. 2 FrG dürfe gegen Fremde, die vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes bereits acht Jahre ununterbrochen und rechtmäßig im Bundesgebiet auf Dauer niedergelassen seien - was auf den Beschwerdeführer zutreffe - nur dann ein Aufenthaltsverbot verhängt werden, wenn er von einem inländischen Gericht wegen Begehung einer strafbaren Handlung rechtskräftig verurteilt worden sei und sein weiterer Aufenthalt die öffentliche Ruhe, Ordnung und Sicherheit gefährden würde. Da dies der Fall sei, stehe auch diese (vor der Verurteilung wegen der weiteren oben angeführten Straftaten) an sich gegebene Aufenthaltsverfestigung dem Aufenthaltsverbot nicht entgegen. Ein Wegfall der vom Beschwerdeführer ausgehenden Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit könne nicht vor Verstreichen der festgesetzten Gültigkeitsdauer des Aufenthaltsverbotes erwartet werden (§ 39 FrG).
2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Begehren, ihn wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
3. Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.
II.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
1. Der Beschwerdeführer macht (u.a.) geltend, dass er in Österreich geboren sei und seine Kindheit - bis auf einige kurze Unterbrechungen auf Grund familiärer Umstände - und Jugend in Österreich verbracht habe. Im Hinblick darauf sei das über ihn verhängte Aufenthaltsverbot gemäß § 38 Abs. 1 Z. 4 FrG unzulässig.
2. Dieses Vorbringen führt die Beschwerde zum Erfolg.
2.1. Gemäß § 38 Abs. 1 Z. 4 FrG darf ein Aufenthaltsverbot nicht erlassen werden, wenn der Fremde von klein auf im Inland aufgewachsen und hier langjährig rechtmäßig niedergelassen ist, wobei Fremde gemäß Abs. 2 dieser Bestimmung jedenfalls langjährig im Bundesgebiet niedergelassen sind, wenn sie die Hälfte ihres Lebens im Bundesgebiet verbracht haben und zuletzt seit mindestens drei Jahren hier niedergelassen sind. Der Verwaltungsgerichtshof hat zum ersten Tatbestandselement des § 38 Abs. 1 Z. 4 FrG ("von klein auf im Inland aufgewachsen") ausgesprochen, dass hievon nur Fremde umfasst werden, die in Österreich geboren wurden oder vor Vollendung des 4. Lebensjahres eingereist sind. Die Frage, ob eine Person, die die letztgenannten Voraussetzungen erfüllt, sich jedoch dann wieder einige Jahre im Ausland aufgehalten hat, von der Regelung des § 38 Abs. 1 Z. 4 FrG umfasst sei, müsse nach den jeweils im Einzelfall gegebenen Verhältnissen beurteilt werden (vgl. das hg. Erkenntnis vom 21. September 2000, Zl. 2000/18/0135).
2.2. Vorliegend hat der in Österreich geborene Beschwerdeführer nach den insoweit unbestrittenen Feststellungen im angefochtenen Bescheid das Bundesgebiet als Kleinkind mit knapp eineinhalb Jahren verlassen. Im Alter von drei Jahren und zwei Monaten - sohin vor Erreichung der oben erwähnten Altersgrenze für eine erstmalige Einreise - ist der Beschwerdeführer wieder nach Österreich zurückgekehrt und hat sich in der Folge bis Juli 1988 (also einem Alter von sechs Jahren und acht Monaten) hier aufgehalten. Nach einem Aufenthalt in Jugoslawien in der Dauer von zwei Jahren und drei Monaten kehrte der Beschwerdeführer am 3. Oktober 1990 in einem Alter von acht Jahren und elf Monaten endgültig wieder nach Österreich zurück und hat hier die Schule besucht und eine Ausbildung als Koch und Kellner absolviert.
Abgesehen von der Aufenthaltsunterbrechung als Kleinkind hat der Beschwerdeführer sohin Österreich im Juli 1988 in einem Zeitpunkt (vorübergehend) verlassen, in der die "Phase der ersten Verselbständigung" und die Einübung in soziale Verhältnisse außerhalb des engen Familienkreises bereits beträchtlich fortgeschritten war. Wenn er auch im damaligen Jugoslawien die anschließenden zwei Jahre und drei Monate bis zu einem Alter von acht Jahren und elf Monaten verbracht hat, so muss in Anbetracht des im Vergleich zu der dort verbrachten Zeit lang dauernden Aufenthaltes in Österreich während einer für die Entwicklung eines heranwachsenden Menschen besonders wichtigen Lebensphase davon ausgegangen werden, dass der Beschwerdeführer mit den Gegebenheiten in Jugoslawien nicht so vertraut ist wie ein dort Lebender. Somit kann der Auffassung der belangten Behörde, der Beschwerdeführer sei nicht als von klein auf im Inland aufgewachsen anzusehen und erfülle daher nicht die (erste) Tatbestandsvoraussetzung des § 38 Abs. 1 Z. 4 FrG, nicht beigepflichtet werden (vgl. das hg. Erkenntnis vom 3. März 2004, Zl. 99/18/0459). Dass die belangte Behörde die Ansicht vertrete, der Beschwerdeführer sei im Bundesgebiet nicht langjährig rechtmäßig niedergelassen (zweites Tatbestandselement der vorzitierten Gesetzesbestimmung), kann dem angefochtenen Bescheid nicht entnommen werden.
3. Der angefochtene Bescheid war, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen war, gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
4. Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. II Nr. 333/2003. Der durch Verordnung pauschaliert
festgesetzte Schriftsatzaufwand deckt die anfallende Umsatzsteuer, sodass das auf dessen Ersatz gerichtete Begehren abzuweisen war.
Wien, am 27. April 2004
Schlagworte
Besondere RechtsgebieteEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2004:2002180087.X00Im RIS seit
01.06.2004