TE Vwgh Erkenntnis 2004/4/28 2003/03/0285

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Veröffentlicht am 28.04.2004
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Index

001 Verwaltungsrecht allgemein;
40/01 Verwaltungsverfahren;

Norm

AVG §63 Abs1;
AVG §63 Abs3;
AVG §63 Abs5;
VwRallg;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Sauberer und die Hofräte Dr. Bernegger, Dr. Riedinger, Dr. Handstanger und Dr. Berger als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Zeleny, über die Beschwerde der Dipl.-Ing. BF in H, vertreten durch Mag. Klaus P. Pichler, Rechtsanwalt in 6850 Dornbirn, Schillerstraße 17, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates in Tirol vom 20. Oktober 2003, Zl. uvs-2003/19/152-4, betreffend Zurückweisung einer Berufung in einer Jagdangelegenheit, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Das Land Tirol hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.088,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Bescheid vom 15. Juli 2003 entschied die Bezirkshauptmannschaft Reutte als Jagdbehörde erster Instanz, dass der zwischen der Jagdgenossenschaft H und der Beschwerdeführerin abgeschlossene Jagdpachtvertrag vom 11. April 1998 aufgelöst werde, weil die Beschwerdeführerin mit der Bezahlung des Pachtschillings trotz Mahnung mehr als drei Monate im Verzug gewesen sei. Dieser Bescheid wurde am selben Tag sowohl per Telefax als auch durch Postaufgabe an die Kanzlei des Rechtsvertreters der Beschwerdeführerin sowie durch Postaufgabe an die Beschwerdeführerin selbst abgefertigt. Nach dem in den Verwaltungsakten erliegenden Rückschein erfolgte die postamtliche Zustellung des Bescheides an den Vertreter der Beschwerdeführerin am 16. Juli 2003.

Am 17. Juli 2003 richtete die Beschwerdeführerin folgendes Schreiben an die Bezirkshauptmannschaft Reutte zu Handen des für diese Angelegenheit zuständigen Bearbeiters:

"Ihr Schreiben vom 15.07.2003 Genossenschaftsjagd H;

amtswegige Auflösung des Jagdpachtvertrages - Bescheid

Geschäftszahl: IVa-39685/17

Sehr geehrter Herr S,

bezug nehmend auf Ihren Bescheid vom 15.07.2003 möchte ich

hiermit in aller Entschiedenheit widersprechen.

Die darin gemachten Aussagen, dass der Scheck von meiner Bank nicht eingelöst worden war, ist unzutreffend.

Ich habe heute vormittag mit meiner Bank telefoniert und gefragt, wie sie dazu komme, eine solche Auskunft zu geben. Meine Bank hat mir rechtsverbindlich mitgeteilt, dass der Scheck überhaupt nicht vorgelegt wurde.

Eine schriftliche Bestätigung erhalte ich von meiner Bank noch heute und kann diese ggf. noch nachreichen.

Es drängt sich für mich der Verdacht auf, dass Sie im Verbund mit der Jagdgenossenschaft diesen Bescheid absolut voreilig erlassen haben, sehr geehrter Herr S, - sollte dies zutreffen, müssen Sie jetzt endgültig mit Konsequenzen rechnen, da Sie ohne Prüfung des genauen Sachverhaltes, diesen Bescheid erlassen haben.

Mein Geschäftsführer, Herr N hat bereits am 3. Juli den Scheck bei Herrn D abgegeben und er hatte die allergrößte Mühe, den Scheck überreichen zu können.

Nehmen Sie bitte zur Kenntnis, dass ich die Jagd für 10 Jahre gepachtet habe und davon erst 4 Jahre abgelaufen sind.

Die unangenehmen Machenschaften in H sind für Sie nicht nachvollziehbar und ich bitte Sie wenigstens, sich insoweit herauszuhalten, und nicht vorschnelle Entscheidungen zu treffen, die das ganze in ein noch größeres Verwirrspiel führen.

Meine Anwälte werden fristgerecht Einsprüche gegen Ihren Bescheid erlassen.

Mit freundlichen Grüßen ... "

Die in der Folge gegen diesen Bescheid durch den Rechtsvertreter der Beschwerdeführerin erhobene, am 30. Juli 2003 zur Post gegebene Berufung wies die belangte Behörde mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid wegen Versäumung der vierzehntägigen Berufungsfrist gemäß § 63 Abs. 5 AVG als verspätet zurück.

Die belangte Behörde begründete diesen Bescheid damit, dass der erstinstanzliche Bescheid am 15. Juli 2003 um 15.55 Uhr vorab zu Handen des Rechtsvertreters der Beschwerdeführerin per Telefax zugestellt worden sei. Im Hinblick auf die wirksame Zustellung am 15. Juli 2003 habe sich die erst am 30. Juli 2003 zur Post gegebene Berufung der Beschwerdeführerin somit als verspätet erwiesen. Auf das oben wiedergegebene, am 17. Juli 2003 bei der Erstbehörde eingelangte Schreiben der Beschwerdeführerin ging die belangte Behörde nicht ein.

Über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof erwogen:

Die belangte Behörde ist im Hinblick auf die von ihr festgestellte Übermittlung des erstinstanzlichen Bescheides mit Telefax am 15. Juli 2003 davon ausgegangen, dass die am 30. Juli 2003 zur Post gegebene Berufung verspätet gewesen sei. Bereits die Zustellung mit Telefax habe den Lauf der Rechtsmittelfrist ausgelöst, die darauf folgende nochmalige Zustellung des Bescheides durch die Post habe gemäß § 6 ZustellG auf die Rechtsmittelfrist keinen Einfluss mehr gehabt. Die Beschwerdeführerin bestreitet hingegen, dass der Bescheid durch Telefax an die Kanzlei ihres damaligen Rechtsvertreters übertragen worden sei. Der Rechtsvertreter der Beschwerdeführerin brachte im Verwaltungsverfahren mehrfach vor, dass eine Zustellung mittels Telefax an seine Kanzlei nicht erfolgt sei und beantragte zum Beweis dafür die Einvernahme namentlich genannter Kanzleimitarbeiter. Die belangte Behörde hat diese Zeugen nicht einvernommen, was von der Beschwerdeführerin u.a. als Verletzung von Verfahrensvorschriften bekämpft wird.

Auf diese Frage kommt es aber nicht an. Nach § 10 Abs. 6 AVG schließt die Bestellung eines Bevollmächtigten nicht aus, dass der Vollmachtgeber im Verfahren im eigenen Namen Erklärungen abgibt. Ist das Schreiben der Beschwerdeführerin vom 17. Juli 2003 als - jedenfalls rechtzeitig erhobene - Berufung gegen den Bescheid der Bezirkshauptmannschaft vom 15. Juli 2003 anzusehen, so spielt die allenfalls verspätete Einbringung der (weiteren) Berufung durch ihren Rechtsvertreter keine Rolle mehr.

Bringt eine Partei entweder innerhalb offener Berufungsfrist mehrere Schriftsätze ein, mit denen Berufung gegen denselben Bescheid erhoben wird, oder werden später nach rechtzeitiger Erhebung einer Berufung - aber noch vor der Entscheidung der Berufungsbehörde - Ergänzungen eingebracht, so sind diese Schriftsätze als eine Berufung anzusehen (vgl. etwa das Erkenntnis vom 29. September 1992, Zl. 92/08/0122). Dabei spielt es keine Rolle, ob sich der später eingebrachte Schriftsatz als formell selbständiges Rechtsmittel darstellt, sofern nur der innerhalb der Rechtsmittelfrist eingebrachte (erste) Schriftsatz bereits als formgerechtes Rechtmittel zu beurteilen ist (vgl. das Erkenntnis vom 17. September 2003, Zl. 2001/20/0174, mwN). Über diese Schriftsätze hat die Berufungsbehörde daher (wenn nicht die Voraussetzungen für eine Trennung nach mehreren Punkten gemäß § 59 Abs. 1 AVG vorliegen) in einem zu entscheiden (vgl. u.a. die angeführten Erkenntnisse vom 29. September 1992 und vom 17. September 2003).

Gemäß § 63 Abs. 3 AVG hat eine Berufung den Bescheid zu bezeichnen, gegen den sie sich richtet, und einen begründeten Berufungsantrag zu enthalten. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes muss ein Rechtsmittel nicht als Berufung bezeichnet werden, wenn der Inhalt des Schreibens des Berufungswerbers keinen Zweifel daran lässt, dass er damit auf den Inhalt des bekämpften Bescheides Bezug nimmt und eine Abstandnahme von dieser behördlichen Verfügung bzw. deren Nachprüfung anstrebt (vgl. etwa das Erkenntnis vom 2. April 1990, Zl. 90/19/0145, sowie die bei Walter/Thienel, Verwaltungsverfahren I2, E 98 zu § 63 AVG zitierte Rechtsprechung). Fehlt ein - auf gänzliche oder teilweise Abänderung oder Aufhebung des angefochtenen Bescheides lautender - Berufungsantrag, so führt dies seit der Neufassung des § 13 AVG durch die Novelle BGBl. I Nr. 158/1998 nicht mehr zur Zurückweisung des Rechtsmittels; die Berufung ist nach § 13 Abs. 3 AVG zur Verbesserung zurückzustellen (vgl. etwa das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 21. November 2002, Zl. 2002/07/0088). Erklärt eine Partei allerdings ausdrücklich, ihr Schriftsatz sei nicht als Berufung zu verstehen, darf die Behörde diesen nicht als Berufung deuten, weil sie sich sonst über den Willen der Partei hinwegsetzen würde (vgl. das Erkenntnis vom 29. Oktober 1996, Zl. 96/07/0094).

Im vorliegenden Fall brachte die Beschwerdeführerin in ihrem an die Erstbehörde gerichteten Schreiben vom 17. Juli 2003 unzweifelhaft zum Ausdruck, dass sie die mit dem (darin ausdrücklich angeführten) Bescheid vom 15. Juli 2003 ausgesprochene Auflösung des Jagdpachtvertrages für unzutreffend halte und diesem Bescheid "in aller Entschiedenheit widerspreche". Darüber hinaus führte sie aus, welche der "darin gemachten Aussagen" aus näher dargelegten Gründen unrichtig seien. Bei verständiger Würdigung dieses Inhaltes des erwähnten Schreibens lässt die Eingabe klar erkennen, dass die Beschwerdeführerin sich durch den Bescheid als beschwert erachtete und durch die von ihr vorgebrachten Argumente und noch vorzulegende Beweismittel eine Abstandnahme von der darin getroffenen behördlichen Verfügung anstrebte. Daran, dass es sich bei diesem Schreiben um eine - wenn auch eines formellen Berufungsantrages ermangelnde - Berufung der Beschwerdeführerin handelt, ändert auch die darin enthaltene Ankündigung, ihre Anwälte würden "fristgerecht Einsprüche" gegen den Bescheid "erlassen", nichts. Bei Überlegung aller Umstände - insbesondere im Hinblick auf die bereits von der Beschwerdeführerin selbst gegebene Begründung, warum nach ihrer Auffassung kein Zahlungsverzug vorgelegen sei - kann nicht gesagt werden, sie habe mit der erwähnten Ankündigung unzweifelhaft zum Ausdruck gebracht, die Eingabe vom 17. Juli 2003 sei nicht als Berufung zu verstehen.

War dieses Schreiben der Beschwerdeführerin als Berufung zu werten, so ist der in der Folge von deren damaligem Rechtsvertreter eingebrachte Berufungsschriftsatz als eine - insbesondere den in der Eingabe vom 17. Juli 2003 fehlenden formellen Berufungsantrag enthaltende - Ergänzung der bereits erhobenen Berufung zu behandeln. Die belangte Behörde hat dieses Schreiben, mit dem nach dem Gesagten rechtzeitig Berufung erhoben wurde, nicht beachtet und ist unzutreffend von einer Verspätung der Berufung ausgegangen. Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht im Rahmen des gestellten Begehrens auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003, BGBl. II Nr. 333.

Wien, am 28. April 2004

Schlagworte

Berufungsrecht Begriff des Rechtsmittels bzw der Berufung Wertung von Eingaben als Berufungen Individuelle Normen und Parteienrechte Auslegung von Bescheiden und von Parteierklärungen VwRallg9/1

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2004:2003030285.X00

Im RIS seit

01.06.2004
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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