Index
10/07 Verwaltungsgerichtshof;Norm
AVG §19 Abs3;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Graf und die Hofräte Dr. Blaschek und Dr. Bachler als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Gubesch, über die Beschwerde des D in W, vertreten durch Dr. Alexandra Sedelmayer, Rechtsanwalt in 1030 Wien, Reisnerstraße 27/4, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates im Land Niederösterreich vom 8. Jänner 2001, Zl. Senat-NK-99-052, betreffend Bestrafung nach dem Ausländerbeschäftigungsgesetz, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.172,88 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem im Instanzenzug ergangenen, vor dem Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Bescheid wurde der Beschwerdeführer - in Abwesenheit von der am 8. Jänner 2001 durchgeführten mündlichen Verhandlung - der Begehung einer Verwaltungsübertretung gemäß § 28 Abs. 1 Z. 1 lit. a iVm § 3 Abs. 1 Ausländerbeschäftigungsgesetz (AuslBG) dahingehen für schuldig befunden, er habe als Arbeitgeber in der Zeit von 1. bis 20. Dezember 1997 und vom 30. Dezember 1997 bis 14. Jänner 1998 eine namentlich näher bezeichnete Ausländerin (eine polnische Staatsangehörige) an einem näher bezeichneten Ort als Hilfskraft für Stallarbeiten ohne arbeitsmarktbehördliche Genehmigung beschäftigt.
Wegen dieser Verwaltungsübertretung wurde über den Beschwerdeführer nach dem ersten Strafsatz des § 28 Abs. 1 Z. 1 AuslBG eine Geldstrafe in Höhe von S 10.000,-- (Ersatzfreiheitsstrafe fünf Tage) verhängt.
Zur Begründung der in Abwesenheit des Beschwerdeführers am 8. Jänner 2001 durchgeführten mündlichen Verhandlung führte die belangte Behörde Folgendes aus:
"Der Berufungswerber ist zu dieser fortgesetzten Verhandlung trotz ausgewiesener, persönlicher Ladung nicht erschienen.
Eine habe Stunde vor Verhandlungstermin erreichte den Verhandlungsleiter ein Anruf eines 'Herrn H', welcher folgende Mitteilung machte:
'Ich bin der Sekretär des Herrn D, .... Soeben hat mich ein Anruf erreicht, wonach Herr D gestürzt sein soll. Er soll sich verletzt haben und in ein Krankenhaus, näheres unbekannt, gebracht worden sein. Deshalb könne Herr D zur Verhandlung in einer halben Stunde nicht erscheinen. Er ersuche, dass der VL dies zur Kenntnis nehme.'
Der VL fragte den Anrufer noch nach dem Hergang des angeblichen Unfalles und dem derzeitigen Aufenthalt des Herrn D bzw. wer als dessen Vertreter erscheinen werde.
Der Anrufer erklärte, dass er hiezu überhaupt keine Angaben mehr machen könne und dass er um Kenntnisnahme der oben angeführten Mitteilung ersuche. Mehr könne er nicht sagen.
Der VL erklärte ihm, dass sich der Anrufer bemühen solle, eine Vertretung zu veranlassen, da die Verhandlung aus Termingründen durchzuführen ist und eine nochmalige Verschiebung oder Vertagung derselben nicht mehr möglich ist. Im Anschluss an die Verhandlung sei die Berufungsentscheidung zu verkünden. Dies nahm der Anrufer kommentarlos zur Kenntnis.
Mit Rücksicht auf den Anruf des Herrn H ... hat der VL mit dem Beginn der Verhandlung bis 10.30 Uhr zugewartet. Es sind aber keine weiteren Personen, insbesondere kein Vertreter des BW erschienen, weshalb die Verhandlung gemäß § 51 f Abs. 2 VStG durchzuführen und in der Folge die Entscheidung zu verkünden ist."
Über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde, zu der die belangte Behörde eine Gegenschrift erstattete, hat der Verwaltungsgerichtshof erwogen:
Der Beschwerdeführer machte in seiner Beschwerde unter anderem geltend, er sei am Erscheinen zur Verhandlung am 8. Jänner 2001 deshalb durch Krankheit gehindert gewesen, weil er am Morgen dieses Verhandlungstages einen Unfall erlitten habe; er sei nämlich auf der Stiege seiner Wohnung schwer gestürzt, habe sich den rechten Unterarm verletzt und dadurch unerträgliche Schmerzen bekommen. Seit einem früher erlittenen Unfall werde sein rechter Unterarm durch Nägel und eine mehrfach geschraubte Platte zusammengehalten; er habe daher eine schwere Verletzung durch seinen Sturz befürchtet und deshalb die Unfallambulanz Neunkirchen aufgesucht. Dadurch habe er den Verhandlungstermin (um 10.00 Uhr) in St. Pölten nicht wahrnehmen können. Er habe sich rechtzeitig vor dem Verhandlungsbeginn durch seinen Mitarbeiter H entschuldigen lassen und der belangten Behörde danach entsprechende Urkunden vorgelegt. Die Abhaltung der Verhandlung am 8. Jänner 2001 und die in seiner Abwesenheit erfolgte Verkündung des angefochtenen Bescheides seien infolge des dargelegten Hinderungsgrundes nicht gerechtfertigt.
Mit diesem Vorbringen ist der Beschwerdeführer im Recht.
Die §§ 51e, 51 , 51g und 51h VStG sowie § 19 AVG lauten (auszugsweise und fallbezogen wiedergegeben) wie folgt:
"§ 51e. (1) Der Unabhängige Verwaltungssenat hat eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen.
...
§ 51f. (2) Wenn eine Partei trotz ordnungsgemäßer Ladung nicht erschienen ist, dann hindert dies weder die Durchführung der Verhandlung noch die Fällung des Erkenntnisses.
(3) Zu Beginn der Verhandlung ist der Gegenstand der Verhandlung zu bezeichnen und der bisherige Gang des Verfahrens zusammenzufassen. Sodann ist den Parteien Gelegenheit zu geben, sich zu äußern.
§ 51g. (2) Außer dem Verhandlungsleiter sind die Parteien und ihre Vertreter, insbesondere der Beschuldigte, im Verfahren vor einer Kammer auch die übrigen Mitglieder berechtigt, an jede Person, die vernommen wird, Fragen zu stellen. Der Verhandlungsleiter erteilt ihnen hiezu das Wort. Er kann Fragen, die nicht der Aufklärung des Sachverhaltes dienen zurückweisen.
...
(4) Sonstige Beweismittel, wie Augenscheinsaufnahmen, Fotos oder Urkunden, müssen dem Beschuldigten vorgehalten werden. Es ist ihm Gelegenheit zu geben, sich dazu zu äußern.
§ 51 h. (1) Das Verfahren ist möglichst in einer Verhandlung abzuschließen. Wenn sich die Einvernahme des von der Verhandlung ausgebliebenen Beschuldigten oder die Aufnahme weiterer Beweise als notwendig erweist, dann ist die Verhandlung zu vertagen.
...
(3) Nach Schluss der Beweisaufnahme ist den Parteien Gelegenheit zu ihren Schlussausführungen zu geben. Dem Beschuldigten steht das Recht zu, sich als Letzter zu äußern.
...
§ 19. (3) Wer nicht durch Krankheit, Gebrechlichkeit oder sonstige begründete Hindernisse vom Erscheinen abgehalten ist, hat die Verpflichtung, der Ladung Folge zu leisten und kann zur Erfüllung dieser Pflicht durch Zwangstrafen verhalten oder vorgeführt werden. Die Anwendung dieser Zwangsmittel ist nur zulässig, wenn sie in der Ladung angedroht waren und die Ladung zur eigenen Handen zugestellt war; sie obliegt den Vollstreckungsbehörden."
Wie der Verwaltungsgerichtshof bereits wiederholt dargelegt hat (vgl. etwa die hg. Erkenntnisse vom 26. Juni 2003, Zl. 2000/09/0163, vom 18. April 2002, Zl. 2000/09/0191, und vom 20. März 2002, Zl. 2000/09/0150) rechtfertigt das Vorliegen eines der in § 19 Abs. 3 AVG genannten Gründe das Nichterscheinen des Geladenen. Liegt ein solcher Rechtfertigungsgrund vor, kann in Bezug auf die behördliche Ladung nicht von einer "ordnungsgemäßen Ladung", die gemäß § 51f Abs. 2 VStG zur Durchführung der Verhandlung auch in Abwesenheit der Partei berechtigt, gesprochen werden. Das Vorliegen des geltend gemachten Rechtfertigungsgrundes ist von der Behörde von Amts wegen zu erforschen.
Die belangte Behörde ordnete eine fortgesetzte mündliche Verhandlung für den 8. Jänner 2001 an, zu der sie den - durch einen Rechtsanwalt nicht vertretenen - Beschwerdeführer "als Berufungswerber" geladen hat. Diese Ladung wurde dem Beschwerdeführer (am 18. Dezember 2000) ordnungsgemäß zugestellt.
Am Verhandlungstag in der Früh (um 7.50 Uhr) hat der Beschwerdeführer einen Unfall erlitten und er musste sich deshalb in der Unfallabteilung des Krankenhauses Neunkirchen untersuchen und behandeln lassen. Dass der Beschwerdeführer durch Krankheit im Sinne des § 19 Abs. 3 AVG vom Erscheinen zur Verhandlung um 10.00 Uhr in St. Pölten abgehalten wurde, zieht die belangte Behörde (in tatsächlicher Hinsicht) nicht in Zweifel. Der Beschwerdeführer hat die belangte Behörde rechtzeitig vor Durchführung der mündlichen Verhandlung von diesem Hinderungsgrund verständigt (vgl. in dieser Hinsicht auch das hg. Erkenntnis vom 19. Jänner 1995, Zl. 94/09/0181).
Nach dem im angefochtenen Bescheid wiedergegebenen Inhalt des Telefongespräches (mit dem "Sekretär") hatte die belangte Behörde vom Vorliegen eines triftigen Grundes für das Nichterscheinen des Beschwerdeführers zur Berufungsverhandlung auszugehen, wobei die Art seiner (unvorhergesehen aufgetretenen) Verhinderung seine Abwesenheit von der Verhandlung rechtfertigte (vgl. hiezu die hg. Erkenntnisse vom 18. April 2002, Zl. 2000/09/0191, vom 21. Jänner 1998, Zlen. 96/09/0045, 0123 und vom 18. Februar 1998, Zl. 96/09/0056, denen - anders als im Beschwerdefall - jeweils ungeeignete Rechtfertigungsgründe zugrunde lagen).
Ist der vom Beschwerdeführer geltend gemachte Rechtfertigungsgrund (Krankheit) demnach vorgelegen, dann war die belangte Behörde nicht berechtigt, die Verhandlung und die Fällung des Erkenntnisses in Abwesenheit des Beschwerdeführers im Sinne des § 51f Abs. 2 VStG durchzuführen.
Die schon im angefochtenen Bescheid angedeutete und in der Gegenschrift weiter ausgeführte Überlegung der belangten Behörde, der Beschwerdeführer hätte seine Vertretung bei der Verhandlung vom 8. Jänner 2001 veranlassen sollen, entbehrt der gesetzlichen Grundlage. Dass der Überbringer der Entschuldigung bzw. des beim Beschwerdeführer aufgetretenen Verhinderungsgrundes der Aufforderung der belangten Behörde, es solle eine Vertretung des Beschwerdeführers veranlasst werden, nicht widersprach, ist rechtlich unerheblich und hat keine nachteiligen Rechtsfolgen für den Beschwerdeführer bewirkt. Insoweit die belangte Behörde - nicht gegenüber dem Beschwerdeführer sondern bloß gegenüber seinem "Sekretär" - bekundete, die Verhandlung "ist aus Termingründen durchzuführen" bzw. es sei eine "Verschiebung oder Vertagung nicht mehr möglich", ist nicht zu finden, warum eine Verschiebung oder Vertagung einer Verhandlung an sich bzw. fallbezogen jener vom 8. Jänner 2001 "unmöglich" sein sollte. Diese demnach unbegründete Vorgangsweise der belangte Behörde geht jedenfalls daran vorbei, dass fallbezogen für das Fernbleiben des Beschwerdeführers ein Rechtfertigungsgrund im Sinne des § 19 Abs. 3 AVG vorgelegen ist.
Angesichts des rechtswidrigen Ausschlusses des Beschwerdeführers von der mündlichen Verhandlung am 8. Jänner 2001 und dem damit verbundenen gänzlichen Verlust seiner Partei- und Verteidigungsrechte (vgl. die §§ 51g Abs. 2 und 4, 51h Abs. 3 VStG) entsprach das durchgeführte Berufungsverfahren nicht den Anforderungen des Art. 6 Abs. 1 EMRK. Da nicht ausgeschlossen werden kann, dass die belangte Behörde bei Vermeidung des dargelegten Verfahrensverstoßes zu einem anderen Bescheid gekommen wäre, belastet sie damit den angefochtenen Bescheid mit Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften.
Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. c VwGG aufzuheben.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003, BGBl. II Nr. 333.
Wien, am 29. April 2004
Schlagworte
"zu einem anderen Bescheid"European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2004:2001090068.X00Im RIS seit
28.05.2004Zuletzt aktualisiert am
07.10.2008