TE Vwgh Erkenntnis 2004/5/6 2002/20/0156

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Veröffentlicht am 06.05.2004
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof;
40/01 Verwaltungsverfahren;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;
49/01 Flüchtlinge;

Norm

AsylG 1997 §7;
AVG §45 Abs2;
AVG §58 Abs2;
AVG §60;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Giendl und die Hofräte Dr. Nowakowski, Dr. Sulzbacher, Dr. Berger und Mag. Nedwed als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Trefil, über die Beschwerde des F in Y, geboren 1961, vertreten durch Dr. Rainer Mutenthaler, Rechtsanwalt in 3370 Ybbs/Donau, Herrengasse 23, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 9. Jänner 2002, Zl. 217.494/0- VIII/22/00, betreffend §§ 7 und 8 AsylG (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der 1961 geborene Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger des Iran, gelangte am 8. Mai 2000 nach Österreich und stellte am selben Tag einen Asylantrag. Bei seiner niederschriftlichen Einvernahme vor dem Bundesasylamt am 8. Mai 2000 gab er zu seinen Fluchtgründen im Wesentlichen an, er sei während der Studentenunruhen in Teheran am 9. Juli 1999 auf der Heimfahrt von seinem Geschäft an der Universität vorbeigekommen. Er habe dort angehalten und "wollte Nachschau halten". "Angehörige der Regierung" in Zivil hätten versucht die Studenten zu "beruhigen" und hätten mit Holzstücken auf die Studenten eingeprügelt. Als er dies gesehen habe, habe er "das Holzstück wegnehmen" wollen. Eine Person, die auf ihn losgehen habe wollen, sei zu Boden gestürzt. Daraufhin sei er verhaftet und zu einem Bus gebracht worden, wo man ihm seine Ausweise abgenommen habe. Er habe aus dem Bus flüchten können und sich in der Folge außerhalb Teherans im Ferienhaus seiner Familie versteckt. Während er sich dort aufgehalten habe, hätten Sicherheitsbeamte bei seinen Eltern eine Hausdurchsuchung durchgeführt. Die weitere Einvernahme des Beschwerdeführers ist wie folgt protokolliert:

"Mein Vater sagte, ich solle im Haus bleiben und er würde dafür sorgen, dass alles in Ordnung kommt. Dies unter anderem durch Bezahlung von Schmiergeldern.

Nach 2 Tagen kam mein Bruder zu mir und sagte ich hätte eine Ladung bekommen, mich bei Gericht zu melden.

Dies wäre für den 18. oder 19. Juli 1999 gewesen.

Ich ging zum Gericht und die Geheimpolizisten zeigten mich an.

Dies, da ich nach der Festnahme geflüchtet bin.

Vom Gericht weg wurde ich in Untersuchungshaft genommen. Bis 22.10.1999 war ich in Untersuchungshaft.

Mein Vater hat inzwischen eine Kaution hinterlegt und ich bin in der Folge entlassen worden.

Ich ging nicht nach Hause zurück, sondern ging in die Ortschaft Asara nördl. von Teheran und dort hielt ich mich bis zur Ausreise auf.

F (Frage): Kam es zu einer Verhandlung oder wurde ein Termin festgelegt?

A (Antwort): Ich werde gesucht und diese kamen zu uns nach Hause. Es wurde mein Bruder auch einmal geschlagen, um meinen Aufenthaltsort zu eruieren.

Ich nahm Kontakt auf und der Vater sagte, man würde fallweise nach mir suchen und ihn wegen meines Aufenthaltes befragen.

F: Was befürchten Sie im Fall einer Rückkehr?

A: Ich würde 15 bis 20 Jahre Gefängnis bekommen.

F: Weshalb?

A: Ich habe mit den Basiji gestritten und nach der Festnahme bin ich geflüchtet. Man hat mir vorgeworfen an diesen Unruhen beteiligt gewesen zu sein. (...)

F: Weshalb haben Sie nicht den Ausgang des Verfahrens abgewartet?

A: Die Zeit in Untersuchungshaft wurde ich geschlagen und ich wusste, dass ich im Gefängnis bleiben muss.

F: Sie hätten die Möglichkeit gehabt, einen Anwalt zu nehmen.

A: In polit. Angelegenheiten kann man keinen Anwalt nehmen.

F: Sie haben keine politischen Ursachen geschildert. Vielmehr haben sie sich in eine Amtshandlung der Exekutive eingemischt, bzw. diese zu verhindern gesucht. Ein politisches Element ist darin nicht zu ersehen. Vielmehr handelt es sich um ein Delikt, das der innerstaatlichen Strafrechtspflege unterliegt und auch in demokratischen Staaten strafbar ist.

A: Die Beamten haben mich beschuldigt, an der Unruhe beteiligt zu sein. Der Richter sagte, wir Selbständigen würden die Unruhen unterstützen.

F: Wie können Sie sich erklären, dass nur mehr die Organisatoren, jedoch keine Mitläufer mehr inhaftiert sind. Die Mitläufer wurden inzwischen längst wieder entlassen. Außerdem handelte es sich dabei um Studenten, jedoch um keine 40- jährigen Geschäftsleute, die bis zu diesem Zeitpunkt unbescholten waren?

A: Die haben mich beschuldigt, mitgekämpft zu haben und ich wurde deshalb verdächtigt.

Ich wollte nur diesem Studenten helfen. Wir haben bei Gericht keine Chance."

Das Bundesasylamt wies den Asylantrag des Beschwerdeführers mit Bescheid vom 31. Mai 2000 gemäß § 7 AsylG ab und erklärte dessen Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in den Iran gemäß § 8 AsylG für zulässig.

Der Beschwerdeführer erhob Berufung.

Die belangte Behörde führte eine mündliche Berufungsverhandlung durch, in der der Beschwerdeführer zu den Vorfällen vor der Universität in Teheran im Wesentlichen angab, er habe keine Absicht gehabt, sich an der Demonstration zu beteiligen. Als er jedoch gesehen habe, wie auf junge Burschen eingeschlagen worden sei, sei er "betroffen (gewesen), weil ich auch einen jüngeren Bruder habe und deshalb versuchte ich, sie auseinander zu treiben". Der Vorfall habe sich nicht am 9. Juli 1999 abgespielt (an diesem Tag hätten die Studentenunruhen begonnen), sondern am 12. Juli 1999. Nachdem er aus dem Bus der Sicherheitskräfte entkommen war, sei er zunächst zu seinem Cousin in Teheran geflüchtet und anschließend von seinem Vater und seinem Bruder in das Wochenendhaus seiner Eltern in Asara gebracht worden, das ca. eine Fahrstunde von Teheran entfernt liege.

Die weitere Einvernahme des Beschwerdeführers in der Berufungsverhandlung ist wie folgt protokolliert:

"Was für eine Gerichtsladung erhielten Sie?

Es wurde eine Ladung bei der Wohnung meiner Eltern abgegeben (ich wohnte noch bei meinen Eltern), in der ich aufgefordert wurde, dass ich im Besat-Gericht vorstellig werden solle.

War das eine Ladung als Zeuge oder als Beschuldigter? Als Beschuldigter.

War das eine Ladung zu Voruntersuchungen oder zur Hauptverhandlung?

Ich habe mir gedacht, es würde sich um Vorerhebungen handeln. Ich

wurde jedoch festgenommen.

Wo liegt das Gericht, das Sie geladen hat?

Es war eine Ladung des Besat-Gericht in der Anbar Nafi Straße, welche eine Seitengasse der Helal Atemar Straße ist.

Handelt es sich bei der von Ihnen erwähnten Gerichtsladung um jenes Schriftstück, das Sie auch dem Bundesasylamt im Original vorgelegt haben?

Ja.

Wann wurde dieses Schriftstück Ihren Eltern zugestellt? Es war an einem Mittwoch oder Donnerstag, in jener Woche, in der ich aus dem Bus der Sicherheitskräfte geflüchtet bin.

Haben Sie der Ladung Folge geleistet?

Genau an dem Tag, an dem ich bei Gericht erscheinen musste, bin ich auch erschienen.

Warum haben Sie der Gerichtsladung Folge geleistet, wo Sie doch auf Grund des Umstandes, dass Sie aus einer Anhaltung der Sicherheitskräfte geflohen sind, zumindest mit Schwierigkeiten rechnen mussten?

Jener Herr, der erwirkt hatte, dass ich aus der U-Haft entlassen werde, sagte zu meinem Vater, dass ich dieser Ladung folgen sollte, da er in der Lage sei, das Ganze zu bereinigen.

War das ein Anwalt oder ein Richter?

Er ist selbst Beamter der Sicherheitskräfte. Gegen Geld macht er alles.

Was ist dann in der Folge mit Ihnen bei Gericht geschehen? Schildern Sie uns das ganz genau!

Zum Gerichtsgebäude begleiteten mich mein Vater und mein Bruder A. Mein Vater hatte die Grundbuchsrolle seiner Wohnung sicherheitshalber mit. Sie wurden jedoch nicht hineingelassen. Ich bin in den Verhandlungssaal gegangen, dort war ein Geistlicher, ein Sekretär sowie der Beamte, der mich in den Saal gebracht hat. Ich war der einzige Beschuldigte im Saal, draußen haben noch andere gewartet.

Der Geistliche hielt mir vor, dass ich ein Unruhestifter bin und auch die Studenten finanziell unterstütze und mit meinem Mobiltelefon Informationen über die Unruhen weitergeleitet habe. Als ich mich verteidigen wollte, beschimpfte er mich nur und ließ mich nicht zu Wort kommen. Der Geistliche gab dem Beamten einen Zettel in die Hand und sprach meine Festnahme aus.

Wurden Sie zu einer bestimmten Strafe verurteilt? Es handelte sich nicht um eine Gerichtsverhandlung, sondern um die Bekanntgabe der gegen mich erhobenen Anschuldigungen.

Wie lange hat Ihr Auftritt vor Gericht gedauert? Etwa 20 bis 30 Minuten.

Wurden Sie nach der Bekanntgabe der Festnahme gleich in ein Gefängnis abgeführt?

Es war kein Gefängnis, sondern eine Arreststelle der Sicherheitskräfte, wo ich hingebracht wurde. Ich war 3 Monate lang dort ohne Besuchsrecht.

Wurden Sie in der U-Haft misshandelt?

Etwa 3 Monate lang wurde ich jeden 2. oder 3. Tag einvernommen und

dabei misshandelt.

Warum wurden Sie so oft einvernommen, wo doch der Sie betreffende Sachverhalt ziemlich schnell geklärt ist? Das weiß ich nicht. Ich will nur sagen, dass immer verschiedene Personen mich einvernommen haben.

Was wollten die Beamten von Ihnen wissen?

Was ich bei den Unruhen gemacht habe. Was ich dort für eine Rolle gehabt habe. Mit wem ich über mein Handy gesprochen habe. Warum ich so viel Bargeld und Schecks bei mir hatte. Das waren die Fragen, die mir immer wieder gestellt wurden.

Wie wurden Sie misshandelt?

Mit Faustschlägen, Ohrfeigen und Fußtritten.

Wie sind Sie aus der U-Haft wieder freigekommen? Im Iran kann man viele Probleme mit Geldzahlungen lösen. Meine Eltern haben sich während der 3 Monate bemüht, um schließlich gegen Bestechung und Hinterlegung der Grundbuchsrolle über die elterliche Wohnung meine Freilassung zu bewirken.

Wie erfolgte die Freilassung? Schildern Sie uns das ziemlich genau!

Ich wurde an einem Tag gegen 9 Uhr von der U-Haft in das Besat-Gericht gebracht. Dort wurde mir mitgeteilt, dass ich nun bis zu meiner Verhandlung freigelassen werde. Dabei wurden mir auch meine persönlichen Gegenstände, die mir bei meiner Verhaftung vor der Uni abgenommen wurden, wieder zurückgegeben. Am Tag meiner Freilassung waren auch meine Eltern und mein Bruder A bei Gericht und haben mich nach Hause begleitet.

Wo haben Sie sich dann in der Folge aufgehalten? Mein Vater sagte zu mir, dass jene Person, über die die Freilassung gegen Bestechung und Hinterlegung der Grundbuchsrolle gelaufen ist, meinem Vater gesagt habe, dass gravierende Vorwürfe gegen mich erhoben wurden und dass ich 15 bis 20 Jahre Haftstrafe zu erwarten habe. Mein Vater sagte, dass er auf seine Eigentumswohnung verzichte, ich solle mein Leben retten. Nach einer Nacht in Teheran fuhr ich nochmals nach Asara.

Wie lange blieben Sie in Asara?

Ende DEY 1378 (das ist Mitte Jänner 2000). 2 bis 3 Tage später war ich schon in Istanbul. (...)

Wurde nach Ihrem Verschwinden nach Ihnen gesucht? Ich glaube, mich erinnern zu können, dass etwa ein Monat, nachdem ich aus der Haft entlassen wurde, eine Ladung zur Gerichtsverhandlung bei uns hinterlegt wurde, der ich nicht Folge leistete. Ab diesem Zeitpunkt wurde ich immer wieder bei meinen Eltern gesucht. Es gab 2 bis 3 Mal Hausdurchsuchungen und es wurde etwa 20 Mal nach mir gesucht.

Haben Sie diese Ladung zur Gerichtsverhandlung oder können Sie diese vorlegen? Falls meine Eltern das noch aufbewahrt haben sollten, schon.

Von wo wissen Sie, dass so intensiv nach Ihnen gesucht wurde? Meine Familie hat mich immer wieder in Asara aufgesucht. Da es eine entlegene Gegend ist, hatte ich meine Ruhe.

Ist es richtig, dass, nachdem Sie den Iran verlassen haben, nicht mehr nach Ihnen gesucht wurde?

Doch, ich werde immer wieder gesucht. Mein Vater wird immer vorgeladen.

Von wo haben Sie das erfahren? Haben Sie Kontakt mit Ihrer Familie im Iran?

Ich bin im telefonischen Kontakt mit meinem Cousin B, der in Teheran wohnt und mir dies mitteilte.

Sind Sie in der Zwischenzeit in Abwesenheit verurteilt worden?

Das weiß ich nicht.

Haben Sie Ihren Cousin nicht danach gefragt?

Es muss ja ein Urteil bei uns zu Hause hinterlegt werden. Dies erfolgte bis vor einem Monat, als ich das letzte Mal mit meinem Cousin telefoniert habe, nicht.

Was würde mit Ihnen geschehen, wenn Sie in den Iran zurückkehren würden?

Der Beamte der Sicherheitskräfte, der mir gegen Bestechung geholfen hat, sagte mir, dass ich mindestens 15 bis 20 Jahre inhaftiert werden würde."

Über Anfrage der belangten Behörde teilte die Österreichische Botschaft in Teheran mit, dass die vom Beschwerdeführer schon beim Bundesasylamt vorgelegte Ladung für den 19. Juli 1999 echt zu sein scheine; der darauf angebrachte Stempel sei tatsächlich der des "Public Courts", welcher "für den Ladungsgrund auch zuständig ist".

Vor Erlassung des erstinstanzlichen Bescheides brachte der Beschwerdeführer am 16. November 2001 noch eine Stellungnahme ein, in der er unter anderem ausführte, dass er nach telefonischer Mitteilung seines Vaters Ende März 2001 "zu 20 Jahren verurteilt worden" sei. Das Urteil sei "von einem Gerichtsbediensteten und einem Polizisten dem Vater zu Hause gezeigt", aber den Eltern nicht ausgefolgt worden. Weiters wolle er anmerken, dass sein Vater "nach wie vor ca. einmal im Monat zum Gericht geht, damit das Haus nicht verkauft wird. Durch seine Beziehungen ist das Haus bis jetzt noch nicht verkauft worden, obwohl die Grundbuchsurkunde bei Gericht liegt und ich mich nicht gestellt habe".

Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung des Beschwerdeführers gemäß §§ 7 und 8 AsylG ab. Sie stellte fest, dass sich der Beschwerdeführer im Iran politisch nicht betätigt habe. Im Zuge der Studentenunruhen in Teheran im Juli 1999 sei er zufällig in eine Auseinandersetzung zwischen Studenten und Sicherheitskräften geraten, "wobei er von Sicherheitskräften gezwungen wurde, in einen Kleinbus einzusteigen, von wo ihm allerdings die Flucht gelang und hielt er sich in der Folge im Wochenendhaus der Familie in Asara auf". Er habe daraufhin eine Ladung zu einer gerichtlichen Vorprüfung erhalten, der er Folge geleistet habe. Er sei anschließend drei Monate lang in Untersuchungshaft angehalten worden. Anschließend habe er sich bis zu seiner Ausreise aus dem Iran bis Mitte Jänner 2000 im Wochenendhaus der Familie in Asara aufgehalten.

Zu den Studentenunruhen im Sommer 1999 stellte die belangte Behörde Folgendes fest:

"Infolge der Verabschiedung eines verschärften Pressegesetzes (07.07.1999) kam es im Juli 1999 zu den schwersten Unruhen seit Bestehen der islamischen Republik Iran. Bei den darauf folgenden Massendemonstrationen wurden mehr als tausend Personen verhaftet.

Die Demonstrationen dauerten eine Woche: vom 07.07.1999 bis 14.07.1999.

Am 06.07.1999 wurden Studentensprecher festgenommen und über Nacht inhaftiert, nachdem sie die Freilassung von den Mitte Juni 1999 festgenommenen Journalisten gefordert hatten. Am 09.07.1999 versammelten sich Studenten vor den Studentenwohnheimen der Universität Teheran, um gegen die Schließung der Tageszeitung Salam zu protestieren. In der Nacht darauf stürmten Sicherheitskräfte und Anhänger der Hesbollah unter Einsatz von Tränengas ein Studentenwohnheim auf dem Campus Amirabad der Universität Teheran im Norden der Stadt, wobei Betten und persönliches Eigentum der Studenten angezündet wurde, ein Besucher aus dem Fenster geworfen wurde und viele verletzt und verhaftet wurden. Am Tage darauf kam es zu Demonstrationen zehntausender Studenten auf den Straßen Teherans und weiteten sich die Demonstrationen auf andere Universitätsstädte aus. Die Regierung versuchte zunächst, sich auf die Seite der Studenten zu stellen und verurteilte den Überfall auf das Studentenheim. Am 12.07.1999 kam es zu Ausschreitungen bei Demonstrationen, welche am 13.07.1999 eskalierten, wobei immer mehr 'Randalierer' sich den Studenten anschlossen und die gewaltlosen Studentenführer die Kontrolle verloren. Auf der anderen Seite wurde die Aggression der Basidji und der Revolutionswächter stärker. Am 14.07.1999 fand eine Gegendemonstration der Konservativen in Teheran statt.

In den nächsten Wochen erfolgten gezielte Verhaftungen von Studentenführern und verdächtigen Oppositionellen,

z. B. Kommunisten und Angehörige anderer linker Gruppierungen sowie anderer Oppositionsparteien wie der Nationalen Front. Am 12.09.1999 wurden vier Anführer der Studentenproteste durch das Revolutionsgericht zum Tode verurteilt; diese Todesurteile wurden jedoch nie bestätigt und anderen Meldungen zu Folge in 13 Jahren Haft umgewandelt. Im November 1999 sollen sich nach Informationen des niederländischen Außenministeriums von 1500 Festgenommenen noch 200 in Haft befunden haben, darunter vor allem führende Mitglieder oppositioneller Bewegungen.

Amnesty International geht davon aus, dass alle Personen, die sich gegen die iranische Regierungspolitik wenden oder ehemals oppositionspolitisch aktiv waren, im Zusammenhang mit dem strengen Vorgehen gegen die Demonstrationsteilnehmer im Juli 1999 (erneut) politischer Verfolgung ausgesetzt sein könnten. Nach Auskunft des Auswärtigen Amtes hingegen liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass nach den Studentenunruhen schärfer gegen Rückkehrer aus dem Exil bei der Einreise vorgegangen wird."

Beweiswürdigend führte die belangte Behörde zunächst aus, die Aussagen des Beschwerdeführers seien "vergleichsweise" konkret und detailliert gewesen; "besondere Widersprüche" hätten nicht gefunden werden können. Nicht plausibel sei jedoch der Umstand, dass nach dem Beschwerdeführer am Zweitwohnsitz der Familie nicht gefahndet worden sei. Ebenso wenig sei plausibel, dass sich der Beschwerdeführer zunächst am Zweitwohnsitz im Landhaus in Asara "versteckt" gehalten habe, um anschließend einer Gerichtsladung pflichtgemäß Folge zu leisten. Es sei schließlich auch nicht plausibel, sich einer Verhandlung zu stellen, wenn man bereits wisse, dass man nur unter Bezahlung von Schmiergeldern frei kommen könne.

Auf Grund der Feststellungen über die Studentenunruhen sei es, so die belangte Behörde weiter, "jedenfalls mit den allgemeinen politischen Verhältnissen im Heimatland des Beschwerdeführers nicht vereinbar, dass er als eine oppositionell nicht aktive Person, die nicht an den Studentenunruhen aktiv teilgenommen hat, noch irgendwelche Verfolgung durch die iranischen Behörden befürchten musste". Nicht mit den Verhältnissen im Heimatland des Beschwerdeführers vereinbar scheine insbesondere auch der Umstand, dass diesem nach gerichtlicher Untersuchung der Umstände, wie er in die Studentenunruhen hineingeraten sei, trotzdem weitere Verfolgung wie eine Verurteilung, Hausdurchsuchung etc. drohe. Da der Beschwerdeführer sein Vorbringen "hinsichtlich seiner Entlassung aus der U-Haft durch Bestechung gegenüber der erstinstanzlichen Einvernahme und der Berufung gesteigert" habe, wofür es keinen nachvollziehbaren Grund gebe, sei dieses Vorbringen nicht als glaubwürdig anzusehen. Allerdings habe der Beschwerdeführer keine offenbar gefälschten oder verfälschten Beweismittel vorgelegt oder "mangelndes Interesse am Verfahren gezeigt". Der Beschwerdeführer habe aber im Rahmen der Berufungsverhandlung "bei dem zuständigen Organwalter der Berufungsbehörde auch persönlich absolut keinen glaubwürdigen Eindruck" hinterlassen, was "zumindest teilweise" auch durch die Vorhalte in der Verhandlung in Bezug auf das "gesteigerte Vorbringen" objektivierbar sei. Weiter führte die belangte Behörde aus:

"Nicht gerade glaubwürdig erscheint auch das Vorbringen des Berufungswerbers in seiner abschließenden Stellungnahme, dass er zu 20 Jahren Haft verurteilt wurde, das Gerichtsurteil seinen Eltern mitgeteilt, aber nicht ausgefolgt wurde, wobei in diesem Zusammenhang nochmals auf den Widerspruch zu dem bereits mehrmals erwähnten Dokument des deutschen Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge hinzuweisen ist.

Die wenig glaubwürdig wirkenden Ausführungen des Berufungswerbers über weitere Verfolgungsmaßnahmen nach seiner Entlassung aus der U-Haft korrelieren gut mit den objektivierten Fakten, dass selbst die meisten aktiven Teilnehmer an den Studentenunruhen nach wenigen Tagen bzw. Wochen Anhaltung wieder freigelassen wurden. Mag dem Berufungswerber auch eine gewisse Unterstützung der Studentenunruhen (und nicht bloß ein zufälliges Hineingeraten) von den iranischen Behörden vorgeworfen worden sein, so ist dies doch - wie die obige Einschätzung zeigt - kein derart gravierendes Verhalten, das eine langjährige Haftstrafe nach sich ziehen hätte können."

Rechtlich folgerte die belangte Behörde, dass die Befürchtung des Beschwerdeführers "als nicht politisch tätige oder auffällige Person mehrere Monate nach den erwähnten Studentenunruhen (und nach ergebnislosem Abschluss der gegen ihn geführten Untersuchungen)" zu einer langjährigen Haftstrafe verurteilt zu werden, "objektiv nicht nachvollzogen werden" könne. Es sei auch "keine Bedrohungssituation im Sinne des § 57 FrG festzustellen" gewesen, sodass die Berufung insgesamt abzuweisen gewesen sei.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:

Die belangte Behörde hat die Aussagen des Beschwerdeführers darüber, dass er in der von ihm beschriebenen Weise in die Studentenunruhen in Teheran im Juli 1999 geraten sei, seine vorläufige Festnahme, die Flucht aus dem Arrestantenwagen und die "Gerichtsverhandlung im so genannten Vorverfahren" als "vergleichsweise konkret und detailliert" sowie frei von "besonderen Widersprüchen" bezeichnet. Sie hat auch festgestellt, dass der Beschwerdeführer drei Monate in Untersuchungshaft gehalten und sich anschließend bis zu seiner Ausreise Mitte Jänner 2000 im Wochenendhaus der Familie in Asara aufgehalten habe.

Die Unglaubwürdigkeit weiterer Verfolgungsmaßnahmen gegen den Beschwerdeführers nach dessen Entlassung hat sie damit begründet, dass dieser sein Vorbringen hinsichtlich seiner Entlassung aus der Untersuchungshaft durch Bestechung gegenüber der erstinstanzlichen Einvernahme und der Berufung "gesteigert" habe, wofür es keinen nachvollziehbaren Grund gegeben habe, und dass solche Verfolgungsmaßnahmen nicht mit den festgestellten Verhältnissen im Iran vereinbar seien. Die Annahme der belangten Behörde, die Behauptung einer Bestechung sei eine "Steigerung", trifft jedoch insofern nicht zu, als der Beschwerdeführer bereits vor dem Bundesasylamt aussagte, sein Vater habe ihm erklärt, er werde dafür sorgen, "dass alles in Ordnung kommt. Dies unter anderem durch Bezahlung von Schmiergeldern".

Darüber hinaus hat die belangte Behörde Teile des Vorbringens des Beschwerdeführers einer Überprüfung auf ihre Plausibilität unterzogen und auch Ausführungen zum persönlichen Eindruck des Beschwerdeführers in der Berufungsverhandlung gemacht.

Als nicht plausibel wertete die belangte Behörde, dass der Beschwerdeführer sich einer Verhandlung gestellt habe, obwohl er bereits gewusst habe, dass man nur unter Bezahlung von Schmiergeld frei kommen könne. Sie hat sich dabei aber nicht ausdrücklich mit dem Umstand auseinander gesetzt, dass nach der Aussage des Beschwerdeführers ein Beamter der Sicherheitskräfte den Rat erteilt habe, der Beschwerdeführer solle der Ladung Folge leisten, weil er in der Lage sei, "das Ganze zu bereinigen". Mit Hilfe dieses Beamten sei es durch Bestechung und Hinterlegung der Grundbuchsrolle über die elterliche Wohnung später gelungen, die Freilassung des Beschwerdeführers aus der Untersuchungshaft zu erwirken. Da die Annahme der belangten Behörde, die Behauptung einer Bestechung sei eine "Steigerung" gegenüber dem Vorbringen vor dem Bundesasylamt, nicht zutrifft, und die Würdigung des erwähnten Vorbringens ohne Auseinandersetzung mit den diesbezüglichen Einwänden des Beschwerdeführers nicht schlüssig erscheint, liegt insofern ein Begründungsmangel vor. Daran ändern auch die weiteren Ausführungen der belangten Behörde, der Beschwerdeführer habe "persönlich absolut keinen glaubwürdigen Eindruck" hinterlassen, "was zumindest teilweise auch durch die Vorhalte in der Verhandlung" in Bezug auf das gesteigerte Vorbringen objektivierbar sei, nichts, weil der angefochtene Bescheid einerseits keine konkreten Feststellungen hinsichtlich des persönlichen Eindruckes enthält und somit insofern nicht nachprüfbar ist und andererseits - wie soeben dargelegt - nicht zwingend von einem "gesteigerten Vorbringen" auszugehen ist.

Die belangte Behörde hat weiters ausgeführt, es sei nicht mit den Verhältnissen im Heimatland des Beschwerdeführers vereinbar, dass dieser "nach gerichtlicher Untersuchung der Umstände, wie er in die Studentenunruhen im Juni 1999 hineingeraten ist, trotzdem weitere Verfolgung, wie eine Verurteilung, Hausdurchsuchung etc.", zu befürchten hätte. Die belangte Behörde geht dabei davon aus, dass als Ergebnis des gegen den Beschwerdeführer geführten Verfahrens im Iran festgestellt worden sei, dass es sich bei ihm um eine "oppositionell nicht aktive Person, die nicht an den Studentenunruhen aktiv teilgenommen hat", gehandelt habe. Zunächst ist in diesem Zusammenhang zu beachten, dass die Behauptung des Beschwerdeführers, er sei nur gegen Kaution (und allenfalls Bestechung) enthaftet worden, mit dem von der belangten Behörde herangezogenen Bericht über die Studentenunruhen insofern in Einklang steht, als nach diesem Bericht von 1500 festgenommenen Personen 800 "gegen Kaution entlassen wurden". Dass die gegen Kaution Enthafteten keine weitere Verfolgung zu gewärtigen hätten, ergibt sich jedoch nicht aus dem erwähnten Bericht, und es ist bei einer Enthaftung gegen Kaution gerade nicht anzunehmen, dass damit das Verfahren beendet sei. Dass das Verfahren gegen den Beschwerdeführer mit seiner Enthaftung endgültig beendet wurde, hat die belangte Behörde nach dem oben Gesagten nicht schlüssig begründet und es kann dem angeführten Bericht jedenfalls nicht entnommen werden, wie viele der 1500 Festgenommenen schließlich freigesprochen worden oder in den Genuss einer Verfahrenseinstellung gekommen sind. Ohne nachvollziehbare Feststellungen zu dieser Frage ist nicht auszuschließen, dass der Beschwerdeführer - wie er behauptet hat - nach seiner Haftentlassung vom (Revolutions-)Gericht neuerlich vorgeladen worden wäre. Ob eine weitere Verfolgung des Beschwerdeführers als nicht nachhaltig wahrscheinlich anzusehen ist, kommt auch - sofern nicht von einer endgültigen Verfahrenseinstellung auszugehen ist - darauf an, ob die Flucht des Beschwerdeführers in das Ausland zum Anlass genommen werden könnte, das gegen ihn begonnene Verfahren "mit aller Härte des Gesetzes" fortzusetzen und welche Höchststrafe für den Beschwerdeführer in diesem Fall in Betracht käme. Für diesen Fall wäre auch zu prüfen gewesen, ob der Beschwerdeführer, wenn sein Verfahren vor einem Revolutionsgericht durchgeführt wird, ein faires Verfahren zu erwarten hätte, in dem er hätte darlegen können, dass es sich bei ihm um eine oppositionell nicht aktive Person handelte und er an den Studentenunruhen nicht "aktiv" teilgenommen habe.

Schließlich stützte sich die belangte Behörde noch darauf, das Vorbringen des Beschwerdeführers in seiner schriftlichen Stellungnahme, wonach er zu 20 Jahren Haft verurteilt worden sei und das Gerichtsurteil seinen Eltern mitgeteilt, aber nicht ausgefolgt worden sei, erscheine unglaubwürdig. Diesbezüglich ist der belangten Behörde zuzugestehen, dass eine Verurteilung zu einer 20-jährigen Haftstrafe angesichts der im erwähnten Bericht des Deutschen Bundesamtes angeführten Haftzeiten als sehr hoch erscheint. Beachtet man jedoch, dass nach diesem Bericht auch Todesstrafen verhängt wurden (die in der Folge in langjährige Haftstrafen umgewandelt wurden) und dass dem angefochtenen Bescheid nicht entnommen werden kann, ob nach dem darin behandelten Zeitraum (bis März 2000) weitere Verurteilungen von Teilnehmern an den Studentendemonstrationen erfolgt sind bzw. welche Strafen dabei ausgesprochen wurden, so kann die Beweiswürdigung der belangten Behörde auch in diesem Punkt nicht als schlüssig angesehen werden, zumal dem angefochtenen Bescheid auch nicht zu entnehmen ist, ob die Revolutionsgerichte im Falle einer Verurteilung in Abwesenheit - wie sie der Beschwerdeführer behauptet hat - allenfalls höhere Strafen verhängen als bei in Anwesenheit des Beschuldigten durchgeführten Verfahren. Es kann schließlich auf Grundlage des angefochtenen Bescheides auch nicht nachvollzogen werden, weshalb der vom Beschwerdeführer behauptete Umstand, das Abwesenheitsurteil sei seinen Eltern nicht ausgefolgt worden, gegen seine Glaubwürdigkeit spricht.

Für das Vorliegen einer asylrelevanten Verfolgungsgefahr ist nicht maßgeblich, ob der Asylwerber wegen einer von ihm tatsächlich vertretenen oppositionellen Gesinnung verfolgt wird. Für die Annahme einer asylrechtlich relevanten Verfolgung aus Gründen der politischen Gesinnung reicht es aus, dass eine staatsfeindliche politische Gesinnung zumindest unterstellt wird und die Aussicht auf ein faires staatliches Verfahren zur Entkräftung dieser Unterstellung nicht zu erwarten ist, oder dass die Strafe für ein im Zusammenhang mit einem ethnischen oder politischen Konflikt stehendes Delikt so unverhältnismäßig hoch festgelegt wird, dass die Strafe nicht mehr als Maßnahme einzustufen wäre, die dem Schutz legitimer Interessen des Staates dient (vgl. etwa die Erkenntnisse vom 17. September 2003, Zl. 2001/20/0303, und vom 19. Oktober 2000, Zl. 98/20/0417, jeweils mwN). Da die belangte Behörde festgestellt hat, dass der Beschwerdeführer wegen der ihm vorgeworfenen Teilnahme an den Studentenunruhen immerhin drei Monate in Untersuchungshaft angehalten wurde und nicht schlüssig begründet hat, dass das Verfahren gegen den Beschwerdeführer nach seiner Haftentlassung endgültig eingestellt worden ist, hätte es weiterer Ermittlungen im oben dargestellten Sinne bedurft, um beurteilen zu können, ob dem Beschwerdeführer im Zusammenhang mit seiner Verwicklung in die Studentenunruhen weiterhin mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung drohte. Hätte die belangte Behörde solche Ermittlungen angestellt, so ist nicht auszuschließen, dass sie in diesem Fall zu einem anderen Bescheid gelangt wäre.

Nach dem Gesagten ist der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003. Wien, am 6. Mai 2004

Schlagworte

"zu einem anderen Bescheid" Begründung Begründungsmangel Begründungspflicht und Verfahren vor dem VwGH Begründungsmangel als wesentlicher Verfahrensmangel Besondere Rechtsgebiete freie Beweiswürdigung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2004:2002200156.X00

Im RIS seit

09.06.2004
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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