TE Vfgh Beschluss 2000/11/6 B1771/00

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Veröffentlicht am 06.11.2000
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Index

10 Verfassungsrecht
10/07 Verfassungsgerichtshof, Verwaltungsgerichtshof

Norm

VfGG §85 Abs2 / Bankwesen

Leitsatz

Keine Folge Untersagung der Fortführung des Geschäftsbetriebes gem §70 Abs2 Z4 BankwesenG sowie Bestellung einer fachkundigen Aufsichtsperson (Regierungskommissär) gem §70 Abs2 Z2 litb BankwesenG, beides mit sofortiger Wirkung für die Dauer der Gefahr, längstens jedoch für 18 Monate. Während der bestellte Regierungskommissär (vgl B1741/99, B v 04.11.99) bisher Geschäfte untersagen konnte, die geeignet waren, die Gefahr für die Erfüllung der Verpflichtungen eines Kreditinstitutes gegenüber seinen Gläubigern, insbesondere für die Sicherheit der ihm anvertrauten Vermögenswerte zu vergrößern, hat er nunmehr - bei prinzipieller Untersagung der Fortführung des Geschäftsbetriebes - jene Geschäfte zu erlauben, die die obige Gefahr nicht vergrößern. Ein derartiges Aufsichtsmittel erscheint - wenn eine solche Gefahr als gegeben anzunehmen ist - nicht nur verhältnismäßig, sondern sogar geboten, um in der gegebenen Situation dem öffentlichen Interesse an der Vermeidung von Insolvenzen Rechnung zu tragen (siehe im übrigen B v 04.11.99, B1741/99).

Spruch

Dem in der Beschwerdesache der T Bank AG, vertreten durch die Rechtsanwälte B & Z, gegen den Bescheid des Bundesministers für Finanzen vom 25. Oktober 2000, Zl. 23 5123/128-V/13/00, gestellten Antrag, der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen, wird gemäß §85 Abs2 VerfGG k e i n e F o l g e gegeben.

Begründung

Begründung:

1.1. Mit dem oben bezeichneten Bescheid des Bundesministers für Finanzen wurde einerseits der Antragstellerin gemäß §70 Abs2 Z4 BWG die Fortführung des Geschäftsbetriebes mit sofortiger Wirkung für die Dauer der Gefahr, längstens jedoch für 18 Monate, untersagt, andererseits RA Dr. A I gemäß §70 Abs2 Z2 litb BWG mit sofortiger Wirkung für die Dauer der Gefährdung, längstens jedoch für 18 Monate, zur fachkundigen Aufsichtsperson (Regierungskommissär) bei der Antragstellerin bestellt.

1.2. Die belangte Behörde begründet diese Maßnahme nach ausführlicher Sachverhaltsschilderung zusammenfassend damit, daß das durchgeführte Ermittlungsverfahren ergeben habe, daß die (nunmehrige) Antragstellerin in den Geschäftsjahren 1993 bis 1999 nachhaltige Verluste erwirtschaftet habe und auch im laufenden Geschäftsjahr "zumindest durch die Weigerung der K B, die 'standby letters of credit' im Gesamtausmaß von ca. ATS 150 Mio. fristgerecht und ordnungsgemäß zu bedienen, weiterhin Verluste erwirtschaften" werde. Weder aus der Aktenlage noch aus den Ergebnissen des Ermittlungsverfahrens habe sich ein Anhaltspunkt dafür ergeben, daß es der Antragstellerin in absehbarer Zeit gelingen werde, durch eine positive Ertragslage den seit Jahren mitgezogenen und im Geschäftsjahr 1999 auf rund ATS 145 Mio. angewachsenen Bilanzverlust zu vermindern. Allein diese Umstände seien laut Erkenntnis des VwGH vom 21. Juni 1999, Zl. 94/17/0377, ausreichend, um eine Gefährdung gemäß §70 Abs2 BWG zu begründen und die Setzung einer Aufsichtsmaßnahme gemäß dieser Bestimmung zu rechtfertigen. Seit mehr als einem Jahr sei bei der Antragstellerin ein Regierungskommissär gemäß §70 Abs2 Z2 lita BWG bestellt. In dieser Zeit sei es weder gelungen, durch Hereinnahme neuer Eigentümer eine neue Positionierung am Markt zu finden, noch die Altlasten zu beseitigen.

Es liege daher seit der oben angeführten aufsichtsbehördlichen Maßnahme eine erhöhte Gefahr für die Erfüllung der Verpflichtungen der Antragstellerin gegenüber ihren Gläubigern, insbesondere für die Sicherheit der dem Kreditinstitut anvertrauten Vermögenswerten, vor.

Gemäß §70 Abs2 BWG könne der Bundesminister für Finanzen im Fall einer derartigen Gefährdung befristete Maßnahmen zur Abwendung dieser Gefahr durch Bescheid anordnen; die verhängte Maßnahme sei jene, die den gegebenen Umständen angemessen sei und gleichzeitig auch dem Erfordernis der "mildesten" Maßnahme entspreche.

2. In ihrer gegen diesen Bescheid erhobenen Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof begehrt die Antragstellerin, ihrer Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen, weil dem keine zwingenden öffentlichen Interessen entgegenstünden und mit einem Vollzug für sie ein unverhältnismäßiger Nachteil verbunden wäre:

Die belangte Behörde sei im Bescheid vom 22. Oktober 1999, Zl. 23 5123/91-V/13/99, vom Bestehen einer Gefährdung iSd §70 Abs2 BWG ausgegangen, weil die Antragstellerin

* nachhaltige Verluste erwirtschaftet habe, wozu noch die * nicht angemessene Begrenzung der bankgeschäftlichen Risiken, * die nach §22 BWG nicht ausreichenden Eigenmittel und * das nicht ausreichende Anfangskapital

als zusätzliche Gefährdungselemente hinzugekommen seien.

Aus der Begründung des nunmehr angefochtenen Bescheides leitet die Antragstellerin ab, daß die belangte Behörde selbst von einer Verbesserung ihrer Situation, gemessen an §70 Abs2 BWG, ausgegangen sei. Die nunmehr verhängte Aufsichtsmaßnahme entspreche daher nicht dem angenommenen Grad der Gefahr für die Erfüllung von Verpflichtungen.

Zwingende öffentliche Interessen stünden der Bewilligung der aufschiebenden Wirkung nicht entgegen.

Ferner legt sie mit näherer Begründung dar, daß ihr aus der Vollziehung des angefochtenen Bescheides ein unverhältnismäßiger Nachteil erwachsen würde.

3. Die belangte Behörde erstattete innerhalb der gesetzten Frist eine Äußerung, in der sie darauf hinweist, daß sich die wirtschaftliche Situation der Antragstellerin bis zur Erlassung des angefochtenen Bescheides so verschlechtert hätte, daß eine erhöhte Gläubigergefährdung festgestellt werden mußte und die mit dem angefochtenen Bescheid angeführten Maßnahmen getroffen werden mußten. Ob sich die wirtschaftliche Situation nach Erlassung des angefochtenen Bescheides verbessern werde, sei im Zuge eines nunmehr durchzuführenden Ermittlungsverfahren zu klären.

Bis zur Klärung durch ein eingeholtes Sachverständigengutachten habe die Behörde von dem im angefochtenen Bescheid festgestellten Sachverhalt auszugehen.

Mit der Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung würde gerade jene behördliche Maßnahme außer Kraft gesetzt, die grundsätzlich nach der Rechtslage vorgesehen und die im vorliegenden Fall geboten sei, um die bestehende Gefahr für die Gläubiger der Antragstellerin hintanzuhalten.

Die belangte Behörde stellte daher den Antrag, der Verfassungsgerichtshof möge der Beschwerde die aufschiebende Wirkung nicht zuerkennen.

4. Gemäß §85 Abs2 VerfGG hat der Verfassungsgerichtshof der Beschwerde auf Antrag der Beschwerdeführerin mit Beschluß aufschiebende Wirkung zuzuerkennen, insoweit dem nicht zwingende öffentliche Interessen entgegenstehen und nach Abwägung aller berührten Interessen mit dem Vollzug des angefochtenen Bescheides für die Beschwerdeführerin ein unverhältnismäßiger Nachteil verbunden wäre. Der Verfassungsgerichtshof hat somit vorerst die Frage zu beurteilen, ob am sofortigen Vollzug des angefochtenen Bescheides ein zwingendes öffentliches Interesse besteht. Nur wenn dies nicht der Fall ist, ist in eine Interessenabwägung einzutreten und zu untersuchen, ob mit dem Vollzug des angefochtenen Bescheides für die Beschwerdeführerin ein unverhältnismäßiger Nachteil verbunden wäre.

4.1. Von zwingenden öffentlichen Interessen iSd §85 Abs2 VerfGG kann nur dann gesprochen werden, wenn mit dem - durch den angefochtenen Bescheid angeordneten - Vollzug einerseits öffentliche Interessen berührt werden und andererseits eben diese Interessen die sofortige Verwirklichung der getroffenen Maßnahme zwingend gebieten (vgl. VwGH 29. Juni 1994, Zl. AW 94/17/0021, zur Parallelbestimmung des §30 Abs2 VwGG und die dort zitierte weitere Judikatur dieses Gerichtshofes).

4.2. Der Verfassungsgerichtshof hat in dem (dieselbe Antragstellerin betreffenden) hg. Beschluß vom 4. November 1999, B1741/99-4, mit ausführlicher Begründung dargelegt, daß ein besonderes öffentliches Interesse an einem funktionierenden Kreditsektor bestehe, daß von einer besonderen Schutzbedürftigkeit der Anleger und Gläubiger auszugehen sei und daß ein erhebliches öffentliches Interesse daran bestehe, Insolvenzen in diesem Bereich zu vermeiden. Er hat überdies zum Ausdruck gebracht, daß er die in den §§69 ff. BWG angeordnete Bankenaufsicht als Instrument verstehe, "das dem öffentlichen Interesse an einem funktionierenden Kreditsektor überhaupt und insbesondere dem öffentlichen Interesse an der Vermeidung von Insolvenzen in diesem Bereich zum Durchbruch verhelfen soll".

4.3. Nach §70 Abs2 BWG kann der Bundesminister für Finanzen bei "Gefahr für die Erfüllung der Verpflichtungen eines Kreditinstitutes gegenüber seinen Gläubigern, insbesondere für die Sicherheit der ihm anvertrauten Vermögenswerte" durch Bescheid befristete Maßnahmen anordnen. Dazu gehört auch die Bestellung einer fachkundigen Aufsichtsperson (Regierungskommissär), deren Aufgabe es ist,

"a) dem Kreditinstitut alle Geschäfte zu untersagen, die geeignet sind, die obige Gefahr zu vergrößern, bzw.

b) im Falle, daß dem Kreditinstitut die Fortführung der Geschäfte ganz oder teilweise untersagt wurde, einzelne Geschäfte zu erlauben, die die obige Gefahr nicht vergrößern" (§70 Abs2 Z2 BWG). Nach Z4 leg.cit. kann der Bundesminister zur Abwendung der beschriebenen Gefahr die Fortführung des Geschäftsbetriebes ganz oder teilweise untersagen.

Der Verfassungsgerichtshof hat in seinem bereits zitierten Beschluß vom 4. November 1999, B1741/99-4, die Rechtsauffassung vertreten, daß die damals von der belangten Behörde getroffene Maßnahme - Bestellung eines Regierungskommissärs, dessen Aufgabe es war, alle Geschäfte zu untersagen, die geeignet waren, die obige Gefahr zu vergrößern, - innerhalb des Katalogs des §70 Abs2 BWG, aber auch im Verhältnis zu der in Abschnitt XVII BWG vorgesehenen Geschäftsaufsicht ein vergleichsweise mildes Aufsichtsmittel darstelle. Das nunmehr verhängte Aufsichtsmittel geht zweifellos darüber hinaus, doch darf dabei nicht übersehen werden, daß weiterhin ein Regierungskommissär bestellt ist. Während dieser bisher Geschäfte untersagen konnte, die geeignet waren, die obige Gefahr zu vergrößern, hat er nunmehr - bei prinzipieller Untersagung der Fortführung des Geschäftsbetriebes - jene Geschäfte zu erlauben, die die obige Gefahr nicht vergrößern. Ein derartiges Aufsichtsmittel, mit dem - wie dargelegt - im wesentlichen erreicht werden soll, daß die Gefahren für die Sicherheit der anvertrauten Vermögenswerte nicht vergrößert werden, erscheint - wenn eine solche Gefahr als gegeben anzunehmen ist - nicht nur verhältnismäßig, sondern sogar geboten, um in der gegebenen Situation dem öffentlichen Interesse an der Vermeidung von Insolvenzen Rechnung zu tragen (vgl. hiezu den bereits zitierten hg. Beschluß vom 4. November 1999, B1741/99-4).

4.4. Die belangte Behörde geht sowohl im angefochtenen Bescheid als auch in ihrer Äußerung mit ausführlicher Begründung davon aus, daß infolge der Entwicklung der wirtschaftlichen Lage der Antragstellerin im zurückliegenden Jahr eine Gefährdung der Interessen von Gläubigern und Anlegern weiterhin vorliege und daher die Voraussetzungen für die Maßnahme nach §70 Abs2 Z4 iVm Z2 litb BWG gegeben seien. Ob diese Annahme zutrifft, hat der Verfassungsgerichtshof bei der Entscheidung über die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung nicht zu beurteilen, würde er doch sonst die Entscheidung in der Sache vorwegnehmen. Keinesfalls liegt der Sachverhalt so, daß das Beschwerdevorbringen ohne weitere Untersuchung als von vornherein zutreffend anzusehen wäre.

Hat die Behörde die - zwar strittige, aber gerade deswegen nicht von vornherein vollkommen auszuschließende - Gefahr für die Erfüllung von Verpflichtungen zum Anlaß von Aufsichtsmaßnahmen genommen, die dem angenommenen Grad der Gefährdung entsprechen, so stehen zwingende öffentliche Interessen, nämlich gerade das Ziel einer Vermeidung der Schädigung von Anlegern und anderen Gläubigern, der Gewährung einer aufschiebenden Wirkung entgegen, weil gerade diese Interessen die sofortige Verwirklichung der angeordneten Maßnahme gebieten (vgl. wiederum den zitierten hg. Beschluß vom 4. November 2000, B1741/99-4).

Bei diesem Ergebnis war in die Prüfung, ob nach Abwägung aller berührten Interessen mit dem Vollzug des angefochtenen Bescheides für die Antragstellerin ein unverhältnismäßiger Nachteil verbunden wäre, nicht mehr einzutreten.

Schlagworte

VfGH / Wirkung aufschiebende

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2000:B1771.2000

Dokumentnummer

JFT_09998894_00B01771_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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