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66 SozialversicherungNorm
EMRK Art6 Abs1 / TribunalLeitsatz
Verletzung im Recht auf ein Verfahren vor einem unparteiischen Tribunal durch Zusammensetzung der Landesberufungskommission bei der Entscheidung über Honorarstreitigkeiten aus einem Einzelvertrag wegen Beteiligung eines am Inkrafttreten einer Zusatzvereinbarung mitwirkenden KommissionsmitgliedsSpruch
Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor einem unparteiischen Tribunal verletzt worden.
Der Bescheid wird aufgehoben.
Der Bund (Bundesminister für soziale Sicherheit und Generationen) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zu Handen seiner Rechtsvertreter die mit S 27.000,-- bestimmten Kosten des Verfahrens binnen vierzehn Tagen bei Exekution zu ersetzen.
Das Kostenmehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. 1.1. Der Beschwerdeführer ist Arzt für Allgemeinmedizin mit Sitz in Niederösterreich. Er hat ua. mit der Niederösterreichischen Gebietskrankenkasse (im folgenden: Gebietskrankenkasse) einen Einzelvertrag abgeschlossen.
1.2. Mit Schriftsätzen vom 8. September 1998 und vom 5. Oktober 1998 beantragte der Beschwerdeführer bei der paritätischen Schiedskommission (im folgenden: Schiedskommission), diese möge die Gebietskrankenkasse zur Zahlung von S 110.390,80 bzw. von S 90.870,40, jeweils sA, verpflichten. Diese Anträge begründete der Beschwerdeführer jeweils damit, daß er in den Vertragsquartalen I bzw. II/98 an die Versicherten der Gebietskrankenkasse Leistungen erbracht habe, die ihm jedoch von dieser nicht abgegolten worden seien.
Die Nichthonorierung sei von der Gebietskrankenkasse damit begründet worden, daß der Beschwerdeführer es unterlassen habe, im Kalenderjahr 1997 Untersuchungen bzw. Ergebnisse an die Vsterreichische Gesellschaft für Qualitätssicherung und Standardisierung medizinisch-diagnostischer Untersuchungen in 1090 Wien (im folgenden: ÖQUASTA) zu übermitteln. Tatsächlich sei dem Beschwerdeführer jedoch kein Versäumnis anzulasten: Er habe die Proben vielmehr der ÖQUASTA per Post übermittelt.
Darüber hinaus seien die vom Beschwerdeführer in den vorherigen Kalenderjahren übersandten Proben stets positiv beurteilt worden. Es sei kein Anhaltspunkt für die Annahme erkennbar, die durchgeführten Laboruntersuchungen hätten im Kalenderjahr 1997 qualitativ nicht entsprochen.
Vor dem Hintergrund der jahrelangen Zusammenarbeit zwischen dem Beschwerdeführer und dem Krankenversicherungsträger sei es rechtlich nicht vertretbar, dem Beschwerdeführer allein deshalb, weil der Qualitätsnachweis in einem Kalenderjahr ohne Verschulden des Beschwerdeführers unterblieben sei, das Honorar für die erbrachten Laborleistungen vorzuenthalten. Gerade in einem dauerhaften Vertragsverhältnis wie demjenigen des Vertragsarztes zum Krankenversicherungsträger sei es unverhältnismäßig, ein vom Beschwerdeführer unverschuldetes, unvorhergesehenes Ereignis mit einer derart gravierenden Sanktion wie dem Honorarabzug zu belegen.
Ein Honorareinbehalt sei überdies schon deshalb unzulässig, weil gemäß §32 des Gesamtvertrages ein Einbehalt nur statthaft sei, wenn ihm eine rechtskräftige Entscheidung des Schlichtungsausschusses, der paritätischen Schiedskommission oder der Landesberufungskommission zugrunde liege, die die Feststellung enthalte, daß Honorarteile dem Vertragsarzt nicht zustünden. Eine solche Entscheidung sei indes nicht ergangen, weshalb das einbehaltene Honorar jedenfalls auszubezahlen sei.
1.3. Die Gebietskrankenkasse erstattete als Antragsgegnerin in den Verfahren vor der Schiedskommission jeweils eine Gegenschrift, in der sie beantragte, das vom Beschwerdeführer gestellte Begehren als unbegründet abzuweisen, und zu den Streichungen begründend folgendes ausführte:
Als Vertragsarzt der Gebietskrankenkasse ergäben sich die Rechte und Pflichten des Beschwerdeführers aus seinem Einzelvertrag im Zusammenhalt mit dem Gesamtvertrag und seinem integrierenden Bestandteil, der Honorarordnung. Pkt. 12 der allgemeinen Bestimmungen zur Honorarordnung enthalte zu den - im in Rede stehenden Fall nicht honorierten - Laborleistungen nähere, den Vertragsarzt verpflichtende Regelungen. Dort sei normiert, unter welchen Voraussetzungen einem Arzt jene Laborparameter honoriert würden, die einer externen Qualitätskontrolle unterlägen. Einerseits sei eine quartalsmäßige Bestätigung der Ärztekammer über die Teilnahme an den Rundversuchen der ÖQUASTA notwendig, andererseits der Erfolgsnachweis, daß die Parameter bei den Rundversuchen zumindest einmal im Jahr im positiven Bereich gelegen seien.
Diesen Erfolgsnachweis habe der Beschwerdeführer für das gesamte Kalenderjahr 1997 nicht erbracht. Erst nach mehrmaligen Rückfragen beim Beschwerdeführer sowie bei der Ärztekammer für Niederösterreich sei im zweiten Vertragsquartal 1998 eine Bestätigung vorgelegt worden.
Die Teilnahme an den Rundversuchen sei eine in den alleinigen Verantwortungsbereich des Arztes fallende Verpflichtung. Die dabei notwendigen administrativen Arbeiten und allenfalls erforderlichen Kontrollen seien vom Arzt durchzuführen. Dem Vorbringen, angesichts der bisherigen Rundversuche sei anzunehmen, daß der Erfolgsnachweis erbracht worden wäre, komme demnach ebensowenig Relevanz zu wie jenem, die Einsendungen an ÖQUASTA seien im Jahr 1997 ohne sein Verschulden unterblieben.
Eine Anwendung des §32 des Gesamtvertrages sei nicht in Betracht zu ziehen, weil die Honorarabrechnung sich angesichts des Fehlen des Qualitätsnachweises als offenkundig unrichtig erwiesen habe, weshalb die einbehaltenen Honorarteile nicht als strittig zu bezeichnen seien.
Schließlich sei das Begehren auch der Höhe nach unbegründet, weil die Honorarordnung eine Staffelung der Laborwerte vorsehe, sodaß die erbrachten Laborleistungen - sollte das Begehren dem Grunde nach zu Recht bestehen - lediglich mit S 76.037,90 bzw. mit S 69.811,45 (insgesamt: S 145.849,35) zu honorieren seien.
1.4. Nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung entschied die paritätische Schiedskommission mit Bescheid vom 25. Feber 1999, den Antrag des Beschwerdeführers vom 8. September 1998 als unbegründet abzuweisen, wohingegen eine Entscheidung über den Antrag vom 5. Oktober 1998 unterblieb.
1.5. Gegen den Bescheid der paritätischen Schiedskommission vom 25. Feber 1999 erhob der Beschwerdeführer mit Schriftsatz vom 13. April 1999 Berufung an die Landesberufungskommission.
Hinsichtlich seines unerledigt gebliebenen Antrages vom 5. Oktober 1998 beantragte der Beschwerdeführer mit Schriftsatz vom 17. Mai 1999 gemäß §344 Abs3 iVm §345 Abs2 Z2 ASVG den Übergang der Entscheidungszuständigkeit an die Landesberufungskommission für Niederösterreich (im folgenden: Landesberufungskommission).
1.6. Nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung entschied die Landesberufungskommission mit Bescheid vom 24. August 1999, den Antrag (gemeint: den Antrag und die Berufung) des Beschwerdeführers als unbegründet abzuweisen.
Begründend wird dazu im wesentlichen folgendes ausgeführt (Hervorhebung im Original):
"Nach §338 ASVG werden die Beziehungen der Träger der Sozialversicherung zu den freiberuflich tätigen Ärzten etc. durch privatrechtliche Verträge geregelt. Der Inhalt des Gesamtvertrages zwischen dem Krankenanstaltenträger und der jeweiligen Ärztekammer samt Honorarordnung wird gem. §341 ASVG auch Inhalt des Einzelvertrages zwischen dem Krankenversicherungsträger und dem freiberuflich tätigen Arzt.
Der Vertragsarzt hat nach Punkt B.2. der nach §30 Gesamtvertrag einen Bestandteil des Gesamtvertrages (und damit des Einzelvertrages) bildenden Honorarordnung die rechnungsmäßigen Unterlagen über die durchgeführten Behandlungen und Leistungen am Ende eines jeden Kalendervierteljahres zusammenzustellen und bis zum
15. des nächsten Monats der Gemeinsamen Verrechnungsstelle einzusenden.
Die Honorierung der vertragsärztlichen Tätigkeit der im Bundesland Niederösterreich niedergelassenen und in einem Vertragsverhältnis zu den im §2 des Gesamtvertrages angeführten Krankenversicherungsträgern stehenden Vertragsärzte erfolgt nach den Bestimmungen der Honorarordnung. Nach Punkt 12 ('Laborregelung') der Allgemeinen Bestimmungen der Honorarordnung sind die Vertragsärzte verpflichtet, eine interne und externe Qualitätskontrolle für Laborleistungen durchzuführen.
Laborparameter, welche einer externen Qualitätskontrolle unterzogen werden können, werden nur honoriert, wenn im Abrechnungszeitraum eine Bestätigung über die Teilnahme an den Rundversuchen der ÖQUASTA vorliegt. Die Ärztekammer für Niederösterreich übermittelt jeweils unmittelbar nach Quartalsende eine Liste aller Teilnehmer an den Rundversuchen an die Gemeinsame Verrechnungsstelle. Vertragsärzte, welche auf dieser Liste nicht aufscheinen, können diese Laborleistungen nicht honoriert erhalten.
(...)
Am Jahresende übermittelt die Ärztekammer für NÖ der Gemeinsamen Verrechnungsstelle pro Arzt einen Ausdruck über jene Laborparameter, welche bei den Rundversuchen der ÖQUASTA im vergangenen Jahr wenigstens einmal im positiven Bereich (2S-Bereich) lagen. Ab dem ersten Quartal des folgenden Jahres können dem Vertragsarzt nur jene Laborparameter honoriert werden, welche der externen Qualitätskontrolle unterliegen und auf obengenannter Liste aufscheinen. Scheint ein Laborparameter, welcher der externen Qualitätskontrolle unterliegt, nicht auf der Positiv-Liste auf, kann er nicht honoriert werden. Wird im laufenden Jahr bei einem Rundversuch der ÖQUASTA für einen derartigen Parameter ein positiver Nachweis erbracht, kann die Honorierung erst ab dem folgenden Abrechnungsquartal durchgeführt werden (Punkt 12 h).
Nach §879 ABGB ist ein Vertrag, der gegen ein gesetzliches Verbot oder gegen die guten Sitten verstößt, nichtig. Nach Abs3 leg cit ist eine in allgemeinen Geschäftsbedingungen oder Vertragsformblättern enthaltene Vertragsbestimmung jedenfalls nichtig, wenn sie unter Berücksichtigung aller Umstände des Falles einen Teil gröblich benachteiligt.
Dem Krankenversicherungsträger, den nach §338 Abs2 ASVG eine gesetzliche Verpflichtung zur Sicherstellung einer ausreichenden Versorgung der Versicherten trifft und der die ärztlichen Leistungen zu honorieren hat, kann ein Interesse an hoher Qualität der von ihm honorierten Leistungen nicht abgesprochen werden. Unter Berücksichtigung des §1299 ABGB muss auch dem Vertragsarzt an hoher Qualität seiner Leistungen gelegen sein. Die Verpflichtung zu interner und externer Qualitätskontrolle nach Punkt A.12f der Honorarordnung kann daher nicht als nichtig angesehen werden.
Die Betrauung einer unabhängigen Einrichtung mit der Qualitätskontrolle erscheint notwendig und angemessen. Die Nichthonorierung von Leistungen der Vertragsärzte, die den Qualitätsanforderungen nicht entsprechen, erscheint unter Berücksichtigung des hohen Wertes der Gesundheit der Versicherten und der Notwendigkeit genauer Diagnosen die einzige Möglichkeit, das Bemühen um qualitätvolle Leistungen zu fördern. Eine Art Preisminderung bei mangelhaft erbrachten Laboruntersuchungen zu fordern, bedeutet eine immer schlechter werdende Betreuung der Versicherten.
Nach Punkt A.12h der Honorarordnung genügt das Erbringen eines einzigen positiven Qualitätssicherungsbefundes je Laborparameter und Jahr, um diese Leistung im darauf folgenden Jahr honoriert zu erhalten. Da von der ÖQUASTA vier (unter Berücksichtigung des Spitalslabors sechs) Möglichkeiten zur Teilnahme an einem Rundversuch angeboten werden, erscheint eine gröbliche Benachteiligung eines Vertragsteiles, nämlich des Vertragsarztes, nicht gegeben. Es erscheint daher auch gerechtfertigt, eine Honorierung eines Laborparameters erst mit dem auf den positiven ÖQUASTA-Befund folgenden Quartal durchzuführen, weil gesamtvertraglich eine Quartalsabrechnung vorgesehen ist.
Konkret wäre eine Neuanforderung der Chemikalien im Frühjahr 1997 zur Teilnahme an diesem Rundversuch möglich gewesen. Darüber hinaus wäre es am Antragsteller gelegen, das Einlangen der Ergebnisse des Rundversuchs und die nächsten Termine zu überwachen. Schon dabei hätte es dem Antragsteller auffallen müssen, dass für das Jahr 1997 noch kein positiver Befund über die Teilnahme am Rundversuch vorgelegen ist. Selbst ein Verlorengehen eines Laborprotokolls, wie dies der Antragsteller vermeint, hätte ihm dabei auffallen müssen. Eine derartige Verpflichtung zur Überwachung von Terminen und Einlangen von Befundergebnissen stellt keine unverhältnismäßige Belastung des Vertragsarztes dar. Verjährungs- und Verfallsfristen sind oft auch gesetzlich geregelt, ohne deswegen nichtig zu sein.
Da eine Honorierung der in Punkt A.12g der Honorarordnung genannten Leistungen nur erfolgt, wenn im Vorjahr eine Positivmeldung der ÖQUASTA vorlag und der Vertragsarzt am Rundversuch teilnimmt, liegen nicht Differenzen über eine Abrechnung mit den Folgen des §32 Gesamtvertrag vor. Die Antragsgegnerin war daher nicht verpflichtet, die geltend gemachten Beträge auszuzahlen und sodann die Paritätische Schiedskommission anzurufen. Feststellungen über die konkrete Höhe sowie einen Zinssatz konnten daher wegen der Abweisung des Begehrens unterbleiben.
Das DienstnehmerhaftpflichtG ist auf Fälle anzuwenden, in denen dem Dienstgeber durch Handlungen des Dienstnehmers ein Schaden zugefügt wird. Der Antragsteller bleibt eine Erklärung schuldig, warum ihm in Anwendung des richterlichen Mäßigungsrechts Honorare trotz Verletzung der (g)esamtvertraglichen Bestimmungen ausbezahlt werden sollen. Der Antragsteller vermeint doch, ihm komme die schützenswerte Rolle einer dienstnehmerähnlichen Person zu. Ein Schaden ist aber weder beim Dienstgeber (Antragsgegnerin) noch bei einem Dritten, sondern allenfalls beim Antragsteller selbst eingetreten. Auf derartige Fälle ist aber das DHG nicht anwendbar.
Auf Grund des vorliegenden Vertragsverhältnisses zwischen den Parteien scheiden Bereicherungsansprüche von vornherein aus (Koziol - Welser10 418)."
2.1. Gegen diesen - letztinstanzlichen - Bescheid richtet sich die vorliegende, durch den Masseverwalter im (im Zeitpunkt der Fällung dieses Erkenntnisses wieder aufgehobenen) Konkurs über das Vermögen des Beschwerdeführers eingebrachte Beschwerde gemäß Art144 Abs1 B-VG. Darin behauptet der Beschwerdeführer, in den verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten auf ein faires Verfahren (Art6 Abs1 EMRK) sowie auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz (Art2 StGG, Art7 Abs1 B-VG) verletzt zu sein. Er beantragt, den angefochtenen Bescheid kostenpflichtig aufzuheben.
Begründend wird dazu im wesentlichen folgendes ausgeführt:
Die belangte Behörde habe ihre Entscheidung ohne Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung gefällt, worin eine Verletzung des Art6 Abs1 EMRK zu erblicken sei. Die Zusammensetzung der belangten Behörde widerspreche ebenfalls diesem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht, uzw. zum einen deshalb, weil an der Entscheidungsfindung Vertreter derjenigen Körperschaften mitgewirkt hätten, die die streitgegenständliche Honorarordnung abgeschlossen hätten, zum anderen, weil einer der von der Ärztekammer für Niederösterreich in die belangte Behörde entsandten Beisitzer Mitglied jenes Verhandlungsausschusses gewesen sei, welcher die in Rede stehende Honorarordnung ausverhandelt habe.
Der Beschwerdeführer sei durch den bekämpften Bescheid überdies im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz verletzt. Dies ergebe sich daraus, daß die belangte Behörde es pflichtwidrig unterlassen habe, sich mit dem Vorbringen des Beschwerdeführers, nämlich mit der von diesem aufgeworfenen Frage einer allfälligen Bereicherung der Gebietskrankenkasse, auseinanderzusetzen, und die Begründung des angefochtenen Bescheides demgemäß unvollständig geblieben sei.
2.2. Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor, erstattete jedoch keine Gegenschrift. Die Gebietskrankenkasse erstattete als beteiligte Partei eine Äußerung, in der sie den angefochtenen Bescheid verteidigt.
II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:
1. Die im vorliegenden Fall maßgeblichen Bestimmungen des ASVG, BGBl. Nr. 189/1955 idgF, haben - jeweils samt Überschrift - folgenden Wortlaut:
"Gesamtverträge
§341. (1) Die Beziehungen zwischen den Trägern der Krankenversicherung und den freiberuflich tätigen Ärzten werden durch Gesamtverträge geregelt, die für die Träger der Krankenversicherung durch den Hauptverband mit den örtlich zuständigen Ärztekammern abzuschließen sind. Die Gesamtverträge bedürfen der Zustimmung des Trägers der Krankenversicherung, für den der Gesamtvertrag abgeschlossen wird. Die Österreichische Ärztekammer kann mit Zustimmung der beteiligten Ärztekammer den Gesamtvertrag mit Wirkung für diese abschließen.
(2) (aufgehoben)
(3) Der Inhalt des Gesamtvertrages ist auch Inhalt des zwischen dem Träger der Krankenversicherung und dem Arzt abzuschließenden Einzelvertrages. Vereinbarungen zwischen dem Träger der Krankenversicherung und dem Arzt im Einzelvertrag sind rechtsunwirksam, insoweit sie gegen den Inhalt eines für den Niederlassungsort des Arztes geltenden Gesamtvertrages verstoßen.
(4) ...
Inhalt der Gesamtverträge
§342. (1) Die zwischen dem Hauptverband und den Ärztekammern abzuschließenden Gesamtverträge haben nach Maßgabe der nachfolgenden Bestimmungen insbesondere folgende Gegenstände zu regeln:
...
3. die Rechte und Pflichten der Vertragsärzte, insbesondere auch ihre Ansprüche auf Vergütung der ärztlichen Leistung;
4. die Vorsorge zur Sicherstellung einer wirtschaftlichen Behandlung und Verschreibweise;
...
(2) Die Vergütung der vertragsärztlichen Tätigkeit ist grundsätzlich nach Einzelleistungen zu vereinbaren. Die Vereinbarungen über die Vergütung der ärztlichen Leistungen sind in Honorarordnungen zusammenzufassen; diese bilden einen Bestandteil der Gesamtverträge. Die Gesamtverträge sollen eine Begrenzung der Ausgaben der Träger der Krankenversicherung für die vertragsärztliche Tätigkeit (einschließlich der Rückvergütungen bei Inanspruchnahme der wahlärztlichen Hilfe (§131)) enthalten.
...
Paritätische Schiedskommission
§344. (1) Zur Schlichtung und Entscheidung von Streitigkeiten, die in rechtlichem oder tatsächlichem Zusammenhang mit dem Einzelvertrag stehen, ist im Einzelfall in jedem Land eine paritätische Schiedskommission zu errichten. Antragsberechtigt im Verfahren vor dieser Behörde sind die Parteien des Einzelvertrages.
(2) ...
(3) Die paritätische Schiedskommission ist verpflichtet, über einen Antrag ohne unnötigen Aufschub, spätestens aber sechs Monate nach dessen Einlangen, mit Bescheid zu entscheiden. Wird der Bescheid dem Antragsteller innerhalb dieser Frist nicht zugestellt oder wird dem Antragsteller schriftlich mitgeteilt, daß wegen Stimmengleichheit keine Entscheidung zustande kommt, geht auf schriftliches Verlangen einer der Parteien die Zuständigkeit zur Entscheidung an die Landesberufungskommission über. Ein solches Verlangen ist unmittelbar bei der Landesberufungskommission einzubringen. Das Verlangen ist abzuweisen, wenn die Verzögerung nicht auf Stimmengleichheit oder nicht ausschließlich auf ein Verschulden der Behörde (§73 AVG 1950) zurückzuführen ist.
(4) Gegen einen Bescheid der paritätischen Schiedskommission kann Berufung an die Landesberufungskommission erhoben werden.
Landesberufungskommission
§345. (1) Für jedes Land ist auf Dauer eine Landesberufungskommission zu errichten. Diese besteht aus einem Richter des Dienststandes als Vorsitzendem und aus vier Beisitzern. Der Vorsitzende ist vom Bundesminister für Justiz zu bestellen; der Vorsitzende muß ein Richter sein, der im Zeitpunkt seiner Bestellung bei einem Gerichtshof in Arbeits- und Sozialrechtsachen tätig ist. Je zwei Beisitzer werden von der zuständigen Ärztekammer und dem Hauptverband entsendet.
(2) Die Landesberufungskommission ist zuständig:
1. zur Entscheidung über Berufungen gegen Bescheide der paritätischen Schiedskommission und
2. zur Entscheidung auf Grund von Devolutionsanträgen gemäß §344 Abs3.
...
(3) §346 Abs3 bis 7 gelten sinngemäß auch für die Landesberufungskommission und deren Mitglieder.
...
Bundesschiedskommission
§346. (1) Zur Entscheidung über Berufungen, die gemäß §345a Abs3 erhoben werden, ist die Bundesschiedskommission zu errichten.
...
(6) Die Mitglieder der Bundesschiedskommission sind in Ausübung ihres Amtes unabhängig und an keine Weisungen gebunden.
(7) Entscheidungen der Bundesschiedskommission unterliegen weder der Aufhebung noch der Abänderung im Verwaltungswege."
2.1. Gemäß Art6 Abs1 EMRK hat jedermann Anspruch darauf, daß seine Sache in billiger Weise öffentlich und innerhalb einer angemessenen Frist gehört wird, und zwar von einem unabhängigen und unparteiischen, auf Gesetz beruhenden Gericht, das ua. über seine zivilrechtlichen Ansprüche und Verpflichtungen zu entscheiden hat.
Wie der Verfassungsgerichtshof bereits in seinen Erkenntnissen VfSlg. 11.729/1988 und 12.083/1989 ausgesprochen hat, fallen Streitigkeiten aus dem Einzelvertrag in den Kernbereich der durch Art6 Abs1 EMRK erfaßten zivilrechtlichen Ansprüche und Verpflichtungen ("civil rights and obligations") (vgl. auch VfSlg. 13.553/1993). Daraus folgt, daß jene Behörde, die berufen ist, über solche Streitigkeiten zu entscheiden, sich an den Anforderungen des Art6 Abs1 EMRK messen lassen muß.
2.2.1. Die Landesberufungskommission für Niederösterreich ist eine nach der Bestimmung des Art133 Z4 B-VG eingerichtete Kollegialbehörde mit richterlichem Einschlag. Die Anrufung des Verwaltungsgerichtshofs gegen Entscheidungen dieser Behörde ist nicht für zulässig erklärt. Der Verfassungsgerichtshof hat bereits wiederholt festgehalten, daß es sich bei den Landesberufungskommissionen um Behörden handelt, die den Anforderungen des Art6 EMRK entsprechen (vgl. VfSlg. 14.909/1997 mwN; zur ausreichenden Prüfungsbefugnis des Verfassungsgerichtshofs hinsichtlich der Zusammensetzung der Landesberufungskommissionen vgl. die hg. Erkenntnisse vom 16. Dezember 1999, B3077/97 und vom 12. Oktober 2000, B224/00, jeweils mit ausführlicher Begründung).
2.2.2. Der Beschwerdeführer beruft sich darauf, daß im vorliegenden Fall zumindest einer der von der Ärztekammer für Niederösterreich entsandten medizinischen Beisitzer nicht nur in maßgeblicher Funktion bei der Ärztekammer für Niederösterreich, dh. bei einem der vertragschließenden Teile, tätig, sondern in seiner Funktion zudem mit dem Abschluß der streitgegenständlichen Regelung der Honorarordnung befaßt gewesen sei.
Die belangte Behörde teilte mit Schreiben vom 30. Oktober 2000 mit, daß der medizinische Beisitzer Dr. F. in seiner damaligen Funktion als Vorsitzender der Sektion Fachärzte an den Verhandlungen im Jahr 1990, welche zur Einführung des Punktes 12 der Allgemeinen Bestimmungen der Honorarordnung ("Laborregelung") geführt hätten, teilgenommen habe. Der Beisitzer Dr. Z. hingegen sei an den entsprechenden Verhandlungen nicht beteiligt gewesen.
2.3. Die Beschwerde ist angesichts dessen mit ihrem Vorwurf, die belangte Behörde habe jenen Erfordernissen, die an ein Tribunal iSd Art6 Abs1 EMRK zu stellen sind, nicht entsprochen, im Recht:
Wie der Verfassungsgerichtshof in seinem bereits genannten Erkenntnis vom 16. Dezember 1999, B3077/97, festgehalten und näher begründet hat, widerspricht es den Erfordernissen des Art6 Abs1 EMRK, wenn ein Kammerfunktionär, der mit der inhaltlichen Gestaltung des Gesamtvertrages befaßt gewesen ist, an Entscheidungen der Landesberufungskommission mitwirkt, in denen es (auch) um die Auslegung oder um die - als Vorfrage zu beurteilende (vgl. das hg. Erkenntnis vom 25. September 2000, B313/98 (Pkt. II.1.3.)) - Gültigkeit dieses Gesamtvertrages geht.
Im vorliegenden Fall hat einer der medizinischen Beisitzer der belangten Behörde in seiner (damaligen) Funktion als Vorsitzender der Sektion Fachärzte im Jahr 1990 an jenen Verhandlungen teilgenommen, welche zur Einführung der "Laborregelung" in die Honorarordnung geführt haben. Er hat damit an der inhaltlichen Ausformung einer Regelung, deren Interpretation für die Begründetheit des vom Beschwerdeführer geltend gemachten Honoraranspruchs entscheidend ist, in einer ganz spezifischen Weise mitgewirkt, woraus sich - zumindest dem Anschein nach - eine solche persönliche Identifizierung mit der Sache ergeben kann, die angesichts der Mitwirkung dieses Mitgliedes an der Entscheidungsfindung der belangten Behörde zB in der Frage der Interpretation und Rechtsgültigkeit der in Rede stehenden "Laborregelung" objektiv begründete Zweifel an der vollen Unparteilichkeit der Behörde entstehen lassen konnte; dies - wie zur Vermeidung von Mißverständnissen hinzugefügt sei - unabhängig davon, ob dieses Mitglied bei seiner Tätigkeit als Beisitzer der belangten Behörde ohnehin um Objektivität bemüht und nicht durch ein unsachliches psychologisches Motiv in seiner Entschließung gehemmt gewesen ist (vgl. wiederum das hg. Erkenntnis vom 11. Oktober 2000, B224/00).
Die belangte Behörde hat demnach im Beschwerdefall nicht jene Kriterien erfüllt, an denen ein Tribunal, das den Anspruch erhebt, in jeder Hinsicht unparteiisch zu sein, nach Art6 Abs1 EMRK gemessen werden muß.
Der angefochtene Bescheid verletzt den Beschwerdeführer somit in seinem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor einem unparteiischen Tribunal.
Der Bescheid war daher aufzuheben.
Bei diesem Ergebnis war auf das übrige Beschwerdevorbringen nicht mehr einzugehen.
3. Die Entscheidung über die Kosten gründet sich auf §88 VerfGG 1953. In den zugesprochenen Kosten sind S 4.500,-- an Umsatzsteuer enthalten. Ein Stempelgebührenersatz war wegen der bestehenden sachlichen Abgabenfreiheit (§110 Abs1 Z2 lita ASVG) nicht zuzusprechen.
4. Diese Entscheidung konnte ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung gefällt werden (§19 Abs4 erster Satz VerfGG 1953).
Schlagworte
Kollegialbehörde, Sozialversicherung, Ärzte, BehördenzusammensetzungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2000:B1322.2000Dokumentnummer
JFT_09998873_00B01322_00