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41/02 Passrecht Fremdenrecht;Norm
AsylG 1997 §1 Z3;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Gruber und die Hofräte Dr. Robl, Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher und Dr. Grünstäudl als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Thurin, über die Beschwerde des O, vertreten durch Mag. Dr. Angelika Tupy, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Universitätsstraße 11, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates Wien vom 18. Jänner 2001, Zl. UVS- 03/P/33/10848/2000/2, betreffend Übertretung des Fremdengesetzes 1997, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Gegen den Beschwerdeführer, einen Staatsangehörigen von Uganda, wurde mit Bescheid vom 28. März 2000 ein rechtskräftiges, bis 31. März 2005 befristetes Aufenthaltsverbot erlassen.
Mit Straferkenntnis der Bundespolizeidirektion Wien vom 14. November 2000 wurde der Beschwerdeführer für schuldig erkannt, er sei als Fremder vom 8. Mai 2000 bis 5. September 2000 in Wien nach Erlassung des Aufenthaltsverbotes nicht rechtzeitig, das heißt nicht unverzüglich nach Eintritt der Durchsetzbarkeit am 4. April 2000, aus dem Bundesgebiet ausgereist und habe dadurch die Rechtsvorschriften der §§ 40 iVm 107 Abs. 1 Z. 1 Fremdengesetz 1997 - FrG, BGBl. I Nr. 75, verletzt. Gemäß § 107 Abs. 1 Z. 1 FrG werde über ihn eine Geldstrafe von S 800,-- (Ersatzfreiheitsstrafe 40 Stunden) verhängt.
Mit dem vor dem Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung gegen das genannte Straferkenntnis mit der Maßgabe ab, dass bei Zitierung der Strafsanktionsnorm die Anführung der Z. 1 zu entfallen habe.
Diesem Bescheid liegt sachverhaltsmäßig unbestritten zu Grunde, dass der am 7. Jänner 2000 vom Beschwerdeführer gestellte Asylantrag mit Bescheid vom 9. März 2000 gemäß § 6 Z. 3 und 4 Asylgesetz 1997 abgewiesen worden ist. Dieser Bescheid wurde mit dem am 4. September 2000 dem Beschwerdeführer zugestellten Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 1. September 2000 bestätigt.
In der Begründung des angefochtenen Bescheides vertritt die belangte Behörde die Ansicht, dass der objektive Tatbestand der Übertretung des § 107 Abs. 1 (Z. 1) FrG als erwiesen anzusehen sei; ein Notstand bzw. eine notstandsähnliche Situation sei nicht vorgelegen. Ein strafbefreiender Notstand sei nämlich nur dann gegeben, wenn eine Verwaltungsübertretung zur Abwendung einer dem Beschuldigten unmittelbar drohenden Gefahr erfolge, die so groß sei, dass er sich in unwiderstehlichem Zwang befinde, eher die in Betracht kommende Vorschrift zu übertreten als das unmittelbar drohende Übel über sich ergehen zu lassen. Für die belangte Behörde sei nicht ersichtlich, worin die unmittelbar drohende Gefahr bestanden haben soll, zu deren Abwendung die Verwaltungsübertretung begangen worden sei, zumal der Beschwerdeführer das Bundesgebiet auch auf andere Weise als durch Rückkehr in sein Heimatland hätte verlassen können.
Gemäß § 5 Abs. 1 VStG genüge zur Strafbarkeit fahrlässiges Verhalten. Fahrlässigkeit sei bei Zuwiderhandeln gegen ein Verbot oder bei Nichtbefolgung eines Gebotes dann ohne weiteres anzunehmen, wenn zum Tatbestand einer Verwaltungsübertretung der Eintritt eines Schadens oder einer Gefahr nicht gehöre und der Täter nicht glaubhaft mache, dass ihn an der Verletzung der Verwaltungsvorschrift kein Verschulden treffe. Es wäre Sache des Beschwerdeführers gewesen, initiativ alles darzulegen, was für seine allfällige Entlastung gesprochen hätte. Ein derartiges Vorbringen habe der Beschwerdeführer nicht erstattet, weshalb er die ihm angelastete Verwaltungsübertretung auch in Ansehung der subjektiven Tatseite zu verantworten habe.
Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 3 VwGG gebildeten Senat nach Vorlage der Verwaltungsakten und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde erwogen:
Eingangs ist festzuhalten, dass der belangten Behörde entgegen der Beschwerdeansicht ein Verstoß gegen § 44a Z. 2 VStG nicht angelastet werden kann. Nach dieser Bestimmung hat der Spruch eines Strafbescheides die Verwaltungsvorschrift, die durch die Tat verletzt worden ist, zu enthalten. Die belangte Behörde hat nun in ihrer Maßgabebestätigung nicht die von der Behörde erster Instanz zitierte verletzte Verwaltungsvorschrift (§ 107 Abs. 1 Z. 1 FrG) geändert, sondern nur die anzuwendende Strafsanktionsnorm, die nunmehr zutreffend mit § 107 Abs. 1 FrG genannt ist.
Dennoch kommt der Beschwerde Erfolg zu:
§ 107 FrG in der anzuwendenden Stammfassung lautete
auszugsweise:
"(1) Wer
1. nach Erlassung eines Aufenthaltsverbotes oder einer Ausweisung nicht rechtzeitig ausreist oder
2. einem Aufenthaltsverbot zuwider unerlaubt in das Bundesgebiet zurückkehrt oder
3. sich als passpflichtiger Fremder, ohne im Besitz eines gültigen Reisedokumentes zu sein, im Bundesgebiet aufhält oder
4. sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält (§ 31), begeht eine Verwaltungsübertretung und ist in den Fällen der
Z 1 und 2 mit Geldstrafe bis zu 10 000 S oder mit Freiheitsstrafe bis zu 14 Tagen, sonst mit Geldstrafe bis zu 10 000 S zu bestrafen. Als Tatort gilt der Ort der Betretung oder des letzten bekannten Aufenthaltes.
(2) Eine Verwaltungsübertretung gemäß Abs. 1 Z 1 liegt nicht vor, wenn die Ausreise nur in ein Land möglich wäre, in das eine Abschiebung unzulässig (§§ 57 und 75 Abs. 4) ist, oder wenn dem Fremden ein Abschiebungsaufschub erteilt worden ist.
..."
Im weitaus überwiegenden Teil des dem Beschwerdeführer angelasteten Tatzeitraums (8. Mai 2000 bis 5. September 2000), nämlich bis zur Zustellung des zweitinstanzlichen Asylbescheides am 4. September 2000, war der Beschwerdeführer Asylwerber. Als Asylwerber, somit von der Einbringung des Asylantrags bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens, war er uneingeschränkt und bedingungslos vor einer Zurück- oder Abschiebung geschützt (vgl. das hg. Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 20. Oktober 2000, Zl. 99/20/0406).
Ausdrücklich ausgeschlossen wird die Strafbarkeit nach § 107 Abs. 1 Z. 1 FrG durch Abs. 2 leg. cit. in jenen Fällen, in denen der Fremde auf Grund des refoulement-Verbots sowie bei Vorliegen eines Abschiebungsaufschubs nicht abgeschoben werden darf; wie sich aus dem Verweis auf § 75 Abs. 4 FrG ergibt, gilt dies auch während des Verfahrens nach § 75 Abs. 1 FrG (vgl. Muzak in Muzak/Taucher/Pinter/Lobner (Hrsg), Fremden- und Asylrecht, Anm. 2 zu § 107 FrG). Aus diesen Fällen ist der Grundsatz abzuleiten, dass der Fremde wegen der Nichtbefolgung eines Aufenthaltsverbotes oder einer Ausweisung nicht bestraft werden darf, wenn die Vollstreckung der aufenthaltsbeendenden Maßnahme unzulässig ist. Um einen Wertungswiderspruch zu vermeiden, muss das - ungeachtet dessen, dass § 21 Abs. 1 Asylgesetz 1997 idF vor der Novelle BGBl. I Nr. 101/2003 die Anwendung des § 107 FrG auch auf Asylwerber nicht ausdrücklich ausschließt - auch für den vor einer Zurück- und Abschiebung geschützten Asylwerber gelten. (Vgl. zur ähnlichen Frage der Unzulässigkeit einer Bestrafung wegen unrechtmäßigen Aufenthalts während des Bestehens eines Ausweisungsschutzes das hg. Erkenntnis vom 6. November 1998, Zlen. 97/21/0085, 98/21/0065.)
Diesbezüglich hat die belangte Behörde die Rechtslage verkannt, weshalb der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben war.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003.
Wien, am 18. Mai 2004
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2004:2001210067.X00Im RIS seit
07.07.2004