TE Vwgh Erkenntnis 2004/5/19 2000/18/0233

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Veröffentlicht am 19.05.2004
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Index

41/02 Passrecht Fremdenrecht;
49/04 Grenzverkehr;

Norm

FrG 1997 §36 Abs1;
FrG 1997 §36 Abs2 Z1;
SDÜ 1990 Art25 Abs1;
SDÜ 1990 Art25 Abs2;
SDÜ 1990 Art5 Abs2;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zeizinger und die Hofräte Dr. Rigler, Dr. Handstanger, Dr. Enzenhofer und Dr. Strohmayer als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Lier, über die Beschwerde des Z in W, geboren 1973, vertreten durch Dr. Herbert Pochieser, Rechtsanwalt in 1070 Wien, Schottenfeldgasse 2-4/II/23, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 16. Mai 2000, Zl. SD 5/99, betreffend Erlassung eines befristeten Aufenthaltsverbotes, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

I.

1. Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien (der belangten Behörde) vom 16. Mai 2000 wurde gegen den Beschwerdeführer, einen marokkanischen Staatsangehörigen, gemäß § 36 Abs. 1 iVm Abs. 2 Z. 1 des Fremdengesetzes 1997 - FrG, BGBl. I Nr. 75, ein Aufenthaltsverbot für die Dauer von zehn Jahren erlassen.

Dem Beschwerdeführer seien seit 5. März 1997 Aufenthaltstitel zum Zweck des Studiums erteilt worden. Der letzte Aufenthaltstitel des Beschwerdeführers sei bis zum 31. Oktober 1998 gültig gewesen. Anlässlich eines fristgerechten Verlängerungsantrages sei er rechtskräftig ausgewiesen worden. Einer dagegen beim Verwaltungsgerichtshof eingebrachten Beschwerde sei die aufschiebende Wirkung zuerkannt worden. Das Verfahren sei noch anhängig.

Der Beschwerdeführer sei während seines etwa dreijährigen Aufenthaltes bereits zweimal rechtskräftig verurteilt worden. Mit Urteil des Bezirksgerichtes Josefstadt vom 24. April 1998 sei über ihn wegen des Vergehens der versuchten Entwendung eine Geldstrafe verhängt worden. Am 12. August 1999 sei er vom Landesgericht für Strafsachen Wien wegen der Vergehen des Diebstahls und der Nötigung gemäß den §§ 127 und 105 Abs. 1 StGB zu einer bedingten Freiheitsstrafe von zwei Monaten verurteilt worden. Diesem Urteil sei zu Grunde gelegen, dass er am 28. Mai 1999 in einem Supermarkt zunächst Vitamintabletten gestohlen habe und unmittelbar danach einer Frau, die ihn habe anhalten wollen, einen Stoss gegen den rechten Oberarm versetzt habe und sie dadurch mit Gewalt zu einer Duldung und Unterlassung, nämlich seiner weiteren Anhaltung und Personenfeststellung, genötigt habe.

Durch diese beiden einschlägigen, d.h. gegen dasselbe Rechtsgut (fremdes Eigentum) gerichteten strafbaren Handlungen sei der Tatbestand des § 36 Abs. 2 Z. 1 FrG verwirklicht. Angesichts der daraus resultierenden Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit seien die Voraussetzungen zur Erlassung des Aufenthaltsverbotes - vorbehaltlich der §§ 37 und 38 leg. cit. - im Grund des § 36 Abs. 1 leg. cit. gegeben.

Der Beschwerdeführer sei ledig und habe keine Sorgepflichten. Familiäre Bindungen zum Bundesgebiet bestünden nicht. Angesichts der Dauer seines Aufenthaltes im Bundesgebiet sei von einem mit dem Aufenthaltsverbot verbundenen Eingriff in sein Privatleben auszugehen gewesen. Dieser Eingriff sei jedoch gerechtfertigt, weil er zur Erreichung der in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele - hier: zur Verhinderung weiterer strafbarer Handlungen und zum Schutz des Eigentums und der Rechte Dritter - dringend geboten sei.

Wer, wie der Beschwerdeführer, während eines Zeitraumes von etwa eineinhalb Jahren zwei einschlägige gerichtliche Verurteilungen aufweise, bringe nachhaltig seine offenbare Geringschätzung der zum Schutz der Rechte Dritter und des Eigentums aufgestellten strafrechtlichen Vorschriften zum Ausdruck. Hinzu komme, dass sein strafbares Verhalten, das zur zweiten Verurteilung geführt habe, während des anhängigen Beschwerdeverfahrens (betreffend die Ausweisung) gesetzt worden sei. Von einem Fremden, der durch sein Verhalten bereits die Aufmerksamkeit der Fremdenbehörde auf sich gezogen habe, sei wohl zu erwarten, dass er sich nunmehr rechtskonform verhalte, um nicht noch schwerer wiegende Maßnahmen gewärtigen zu müssen. Dass der Beschwerdeführer trotz alledem erneut straffällig geworden sei, sei aus diesem Blickwinkel daher entsprechend zu seinen Ungunsten zu würdigen, und es sei für ihn eine positive Verhaltensprognose - auch wenn beide Verurteilungen jeweils für sich nicht besonders schwer wögen - nicht möglich. Die Erlassung des Aufenthaltsverbotes erweise sich als dringend geboten und im Sinn des § 37 Abs. 1 FrG zulässig.

Bei der gemäß § 37 Abs. 2 leg. cit. durchzuführenden Interessenabwägung sei zunächst auf die aus der Dauer des inländischen Aufenthaltes ableitbare Integration des Beschwerdeführers Bedacht zu nehmen, gleichzeitig jedoch zu berücksichtigen gewesen, dass die einer jeglichen Integration zu Grunde liegende soziale Komponente durch das (wiederholte) strafbare Verhalten des Beschwerdeführers nicht unerheblich an Gewicht gemindert worden sei. Angesichts des Fehlens maßgeblicher familiärer Bindungen zum Bundesgebiet sei das ihm insgesamt zuzusprechende Interesse an einem Weiterverbleib im Bundesgebiet als keinesfalls besonders ausgeprägt zu bezeichnen. Dem sei das öffentliche Interesse an der Verhinderung weiterer strafbarer Handlungen gegenübergestanden. Die Auswirkungen des Aufenthaltsverbotes auf die Lebenssituation des Beschwerdeführers wögen nicht schwerer als das in seinem Fehlverhalten gegründete öffentliche Interesse an seinem Verlassen des Bundesgebietes. Das Aufenthaltsverbot erweise sich daher auch im Sinn des § 37 Abs. 2 leg. cit. als zulässig.

Ergänzend sei festzuhalten, dass die vom Beschwerdeführer geltend gemachten familiären Bindungen in anderen (Schengen-)Staaten bei den zu § 37 leg. cit. anzustellenden Erwägungen nicht zu berücksichtigen gewesen seien. Das Schengener Durchführungsübereinkommen (SDÜ) - und auf dieses spiele der Beschwerdeführer offenbar an - knüpfe nicht an die Verhängung eines Aufenthaltsverbotes durch einen Mitgliedsstaat an, sondern sehe lediglich in seinen Art. 5 iVm Art. 94 und 96 die Ausschreibung eines Drittausländers zur Einreiseverweigerung vor.

Ein Sachverhalt gemäß § 38 FrG sei nicht gegeben.

Vor diesem Hintergrund und im Hinblick auf das Fehlen besonderer zu Gunsten des Beschwerdeführers sprechender Umstände habe die belangte Behörde von der Erlassung des Aufenthaltsverbotes auch nicht im Rahmen des ihr zustehenden Ermessens Abstand nehmen können.

Die von der Erstbehörde vorgenommene Befristung des Aufenthaltsverbotes sei gerechtfertigt. Angesichts des dargestellten Gesamt(fehl)verhaltens des Beschwerdeführers könne ein Wegfall des für die Erlassung des Aufenthaltsverbotes maßgeblichen Grundes, nämlich der Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit durch seinen Aufenthalt im Bundesgebiet, nicht vor Verstreichen des festgesetzten Zeitraumes erwartet werden.

Weiters führte die belangte Behörde aus, dass die Gründe des erstinstanzlichen Bescheides vom 18. Oktober 1999 im Ergebnis auch für die Berufungsentscheidung maßgebend gewesen seien. (Laut den vorgelegten Verwaltungsakten hatte die Erstbehörde in ihrem Bescheid vom 18. Oktober 1999 u.a. die Feststellungen getroffen, dass der Beschwerdeführer, dem erstmalig ein Aufenthaltstitel für die Zeit ab 5. März 1997 bis 5. März 1998 zum Zweck des Studiums und ein weiterer Aufenthaltstitel (eine Aufenthaltserlaubnis) für die Zeit vom 21. Juli 1998 bis 31. Oktober 1998 erteilt worden sei, mit Bescheid vom 27. November 1998 gemäß § 34 Abs. 1 Z. 2 FrG ausgewiesen worden sei und der dagegen erhobenen Berufung von der belangten Behörde mit Bescheid vom 15. Februar 1999 keine Folge gegeben worden sei. Der vom Beschwerdeführer dagegen beim Verwaltungsgerichtshof eingebrachten Beschwerde sei mit 26. April 1999 die aufschiebende Wirkung zuerkannt worden. Der Beschwerdeführer sei "ordentlich Studierender" an der Wirtschaftsuniversität in Wien. Den einzigen Bezug zum Bundesgebiet stelle sein Studium dar. Laut seinen Angaben unterstütze ihn sein Bruder finanziell und komme dieser für seinen Unterhalt auf. Der Beschwerdeführer beziehe kein eigenes Einkommen.(

2. Gegen den Bescheid der belangten Behörde vom 16. Mai 2000 erhob der Beschwerdeführer zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, der diese nach Ablehnung von deren Behandlung (Beschluss vom 22. September 2000, B 1202/00-6) dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abtrat (Beschluss vom 22. November 2000, B 1202/00-9). Im verwaltungsgerichtlichen Verfahren wird unter Geltendmachung inhaltlicher Rechtswidrigkeit und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften der Antrag gestellt, den angefochtenen Bescheid aufzuheben.

3. Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift mit dem Antrag, die Beschwerde als unbegründet abzuweisen.

II.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1. In der Beschwerde bleibt die Auffassung der belangten Behörde, dass vorliegend der Tatbestand des § 36 Abs. 2 Z. 1 FrG verwirklicht sei, unbekämpft. Im Hinblick auf die unbestrittenen rechtskräftigen Verurteilungen des Beschwerdeführers, denen in Ansehung der Vergehen der versuchten Entwendung und des Diebstahls mit Strafe bedrohte Handlungen zu Grunde liegen, die auf der gleichen schädlichen Neigung beruhen, begegnet diese Beurteilung keinen Bedenken.

2. Die Beschwerde bringt vor, dass bei der Verurteilung des Beschwerdeführers am 12. August 1999 das Schwergewicht auf der ihm angelasteten Nötigung gelegen sei und lediglich der von ihm begangene Diebstahl von Vitamintabletten als einschlägige Straftat gewertet werden könne. Im Hinblick darauf, dass diese Straftaten nicht allzu schwerwiegend seien und die Gesamthöhe der jeweils über den Beschwerdeführer verhängten Strafen die Strafgrenzen des § 36 Abs. 2 Z. 1 FrG nicht erreichten, sei die zu seinem Nachteil vorgenommene Ermessensübung der belangten Behörde nicht gerechtfertigt. Auch habe die belangte Behörde die Auswirkungen des Aufenthaltsverbotes auf seine Lebenssituation nicht berücksichtigt. Durch diese Maßnahme werde seine weitere akademische Ausbildung in Österreich verhindert und ihm damit das Recht auf Bildung verwehrt. Überdies werde dadurch - selbst wenn das gegenständliche Aufenthaltsverbot nicht "in das Schengener-Informationssystem hineingestellt" werden sollte, was zu klären wäre - der persönliche Verkehr zwischen dem Beschwerdeführer und seinen in verschiedenen Mitgliedstaaten der Europäischen Union lebenden Verwandten, insbesondere die Beziehung zu seinem Bruder in Deutschland, sehr erschwert, weil er nicht mehr in diese Staaten "kraft einer Studentenaufenthaltserlaubnis" reisen dürfte. Der Beschwerdeführer wäre daher gezwungen, in seinen Heimatstaat zurückzukehren und, wenn er seine Verwandten besuchen möchte, ein "Schengen-Visum D" zu beantragen, das üblicherweise, wenn überhaupt, lediglich in Abständen von mehreren Jahren und nur für einen Monat erteilt werde. Auch sei die Auffassung der Erstbehörde, dass die Sicherung des weiteren Unterhalts des Beschwerdeführers als Student nicht gewährleistet wäre, nicht haltbar, werde er doch von seinem in Deutschland lebenden Bruder finanziell unterstützt.

3.1. Nach den von der belangten Behörde - zum Teil unter Verweisung auf den erstinstanzlichen Bescheid - getroffenen, insoweit unbestrittenen Feststellungen, wurde der Beschwerdeführer, dem erstmalig ein Aufenthaltstitel für die Zeit ab 5. März 1997 bis 5. März 1998 zum Zweck des Studiums und ein weiterer Aufenthaltstitel (eine Aufenthaltserlaubnis) für die Zeit vom 21. Juli 1998 bis 31. Oktober 1998 erteilt wurde, am 24. April 1998 vom Bezirksgericht Josefstadt wegen versuchter Entwendung zu einer Geldstrafe rechtskräftig verurteilt und in weiterer Folge mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der belangten Behörde vom 15. Februar 1999 gemäß § 34 Abs. 1 Z. 2 FrG (nach Ausweis der Verwaltungsakten: iVm § 10 Abs. 2 Z. 1 und 3 leg. cit.) ausgewiesen.

Weder die genannte Verurteilung durch das Bezirksgericht Josefstadt noch die Erlassung dieser aufenthaltsbeendenden Maßnahme konnte den Beschwerdeführer davon abhalten, binnen kurzer Zeit neuerlich, zum Teil in einschlägiger Weise, straffällig zu werden. So verübte er am 28. Mai 1999 in einem Supermarkt einen Ladendiebstahl und versetzte er danach einer Frau, die ihn anhalten wollte, einen Stoß, wodurch er sie mit Gewalt zu einer Duldung und Unterlassung, nämlich seiner weiteren Anhaltung und Personenfeststellung, nötigte, weshalb er vom Landesgericht für Strafsachen Wien am 12. August 1999 gemäß den §§ 127 und 105 Abs. 1 StGB zu einer bedingten Freiheitsstrafe von zwei Monaten rechtskräftig verurteilt wurde.

Bei Würdigung dieses neuerlichen, in Bezug auf das Vergehen des Diebstahls einschlägigen (vgl. § 71 StGB) strafbaren Verhaltens des Beschwerdeführers begegnet die Auffassung der belangten Behörde, dass im vorliegenden Fall die in § 36 Abs. 1 FrG umschriebene Annahme gerechtfertigt sei, keinen Bedenken. Wenn auch die von den beiden genannten Vermögensdelikten betroffenen Sachen einen verhältnismäßig geringen Wert hatten und die Nötigungshandlung des Beschwerdeführers (offensichtlich) keine schwerwiegenden Folgen für die betroffene Person nach sich zog, so sind keine Umstände ersichtlich, auf Grund deren eine für den Beschwerdeführer günstige Verhaltensprognose hätte getroffen werden können.

Im Hinblick darauf ist es nicht von entscheidungswesentlicher Bedeutung, ob überdies - wie im erstinstanzlichen Bescheid ausgeführt wurde - "laut den zuletzt vorgelegten Unterlagen nicht einmal die Sicherung des Unterhaltes des weiteren Aufenthaltes des Beschwerdeführers als Student gewährleistet wäre".

3.2. Bei der Interessenabwägung gemäß § 37 Abs. 1 und 2 FrG hat die belangte Behörde den inländischen Aufenthalt des Beschwerdeführers von rund drei Jahren berücksichtigt und im Hinblick darauf einen mit dem Aufenthaltsverbot verbundenen relevanten Eingriff in sein Privatleben im Sinn des § 37 Abs. 1 leg. cit. angenommen. Nach den insoweit unbestrittenen Feststellungen der belangten Behörde hat der Beschwerdeführer in Österreich keine familiären Bindungen. Wenn sie angesichts des besagten Fehlverhaltens, insbesondere des Umstandes, dass er trotz des zuvor gegen ihn erlassenen Ausweisungsbescheides und während der Anhängigkeit seiner von ihm gegen diesen Bescheid an den Verwaltungsgerichtshof erhobenen Beschwerde am 28. Mai 1999, wie angeführt, neuerlich straffällig geworden war, die Erlassung des Aufenthaltsverbotes gegen ihn für dringend geboten erachtet hat, so ist dies in Ansehung des von ihr herangezogenen, in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten maßgeblichen öffentlichen Interesses an der Verhinderung strafbarer Handlungen und am Schutz der Rechte (des Eigentums) anderer nicht als rechtswidrig zu erkennen.

Unter Zugrundelegung des dargestellten öffentlichen Interesses an der Beendigung des Aufenthalts des Beschwerdeführers erweist sich auch das Ergebnis der von der belangten Behörde gemäß § 37 Abs. 2 FrG vorgenommenen Abwägung als unbedenklich. Entgegen der Beschwerdeansicht kommt dem für den weiteren Aufenthalt des Beschwerdeführers in Österreich sprechenden persönlichen Interesse an der Fortführung seines Studiums jedenfalls kein größeres Gewicht zu als dem durch sein Fehlverhalten nachhaltig gefährdeten Allgemeininteresse. Wenn der Beschwerdeführer in diesem Zusammenhang Art. 2 des 1. ZPEMRK ins Treffen führt und vorbringt, dass ihm auf Grund dieser im Verfassungsrang stehenden Bestimmung das Recht auf Bildung zustehe und ihm dieses Recht mit dem vorliegenden Aufenthaltsverbot verwehrt werde, so ist dieses Vorbringen bereits deshalb nicht zielführend, weil damit die Verletzung eines verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes geltend gemacht wird, worüber zu befinden der Verfassungsgerichtshof zuständig ist. Bei der Gewichtung der persönlichen Interessen des Beschwerdeführers war im Übrigen zu berücksichtigen, dass die aus seinem inländischen Aufenthalt in der Dauer von rund drei Jahren resultierende Integration in der für sie wesentlichen sozialen Komponente durch seine wiederholt begangenen Straftaten nicht unwesentlich beeinträchtigt wurde.

Weiters vermag die Beschwerde auch mit ihrem Vorbringen, dass der persönliche Verkehr zwischen dem Beschwerdeführer und seinen in verschiedenen Mitgliedstaaten der Europäischen Union lebenden Verwandten, insbesondere die Beziehung zu seinem Bruder in Deutschland, sehr erschwert werde, keine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides aufzuzeigen, dies unter dem Blickwinkel, dass ihm gegebenenfalls infolge einer Ausschreibung zur Einreiseverweigerung nach dem Schengener Durchführungsübereinkommen (SDÜ, vgl. § 1 Abs. 6 FrG) auf Grund des vorliegenden Aufenthaltsverbotes die Einreise und der Aufenthalt in diesen Staaten verweigert werden würde (vgl. in diesem Zusammenhang insbesondere Art. 5, 7, 18, 23, 25 und 96 SDÜ). Denn abgesehen davon, dass gemäß Art. 5 Abs. 2 und Art. 25 Abs. 1 SDÜ die Möglichkeit besteht, bei Vorliegen gewichtiger Gründe, insbesondere wegen humanitärer Erwägungen, einem von einem anderen Vertragsstaat im Schengener Informationssystem zur Einreiseverweigerung ausgeschriebenen Drittausländer einen Aufenthaltstitel zu erteilen, würden auch die behaupteten persönlichen Interessen des Beschwerdeführers, wären diese nicht in anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union bzw. des Schengener Abkommens, sondern in Österreich begründet, zu keinem Überwiegen gegenüber den vorgenannten öffentlichen Interessen führen.

3.3. Ferner kann der Verwaltungsgerichtshof nicht finden, dass der belangten Behörde ein (materieller) Ermessensfehler unterlaufen sei, ergeben sich doch weder aus der Beschwerde noch dem angefochtenen Bescheid iVm dem übrigen Inhalt der Verwaltungsakten besondere Umstände, die eine Ermessensübung im Grund des § 36 Abs. 1 FrG zu Gunsten des Beschwerdeführers geboten hätten.

4. Auch das im Beschwerdeverfahren mit Schriftsatz vom 27. Oktober 2003 erstattete Vorbringen des Beschwerdeführers, dass er am 26. August 2003 eine deutsche Staatsangehörige geheiratet habe und die deutschen Behörden wegen des Aufenthaltsverbotes nicht bereit seien, ihm ein Aufenthaltsrecht zu erteilen, ist nicht zielführend. Entgegen der Beschwerdeansicht, dass nach herrschender Lehre "im EU-rechtlichen Kontext" die vom Beschwerdeführer vorgebrachten Umstände dennoch zu berücksichtigen seien, steht der Berücksichtigung des obgenannten Vorbringens das im verwaltungsgerichtlichen Verfahren geltende Neuerungsverbot (vgl. § 41 Abs. 1 VwGG) entgegen (vgl. in diesem Zusammenhang etwa Öhlinger/Potacs, Gemeinschaftsrecht und staatliches Recht2, 144/145, und die dort zitierte Judikatur des EuGH).

5. Hingegen führt das weitere Vorbringen, die Verhängung eines Aufenthaltsverbotes in der Dauer von zehn Jahren sei nicht mit den Wertmaßstäben in Einklang zu bringen, die Beschwerde zum Erfolg.

Gemäß § 39 Abs. 1 FrG darf ein Aufenthaltsverbot in den Fällen des § 36 Abs. 2 Z. 1 und 5 unbefristet, in den Fällen des § 36 Abs. 2 Z. 9 leg. cit. für die Dauer von höchstens fünf Jahren, sonst nur für die Dauer von höchstens zehn Jahren erlassen werden. Nach ständiger hg. Rechtsprechung (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 26. November 2003, Zl. 2003/18/0130, mwN) ist ein Aufenthaltsverbot  - unter Bedachtnahme auf § 39 Abs. 1 leg. cit. - für jenen Zeitraum zu erlassen, nach dessen Ablauf vorhersehbarerweise der Grund für seine Verhängung weggefallen sein wird.

Die dem Beschwerdeführer angelasteten Straftaten bestanden in der versuchten Entwendung - somit der versuchten Entziehung oder Zueignung einer oder mehrerer Sachen geringen Wertes aus Not, aus Unbesonnenheit oder zur Befriedigung eines Gelüstes (vgl. § 141 Abs. 1 StGB) - sowie im Diebstahl von Vitamintabletten in einem Supermarkt und darin, dass er einer Frau, die ihn anhalten wollte, einen Stoß gegen den Oberarm versetzte, wodurch er diese zur Unterlassung seiner weiteren Anhaltung und Personenfeststellung nötigte. Wiewohl das für die Erlassung des Aufenthaltsverbotes maßgebliche Gesamtfehlverhalten des Beschwerdeführers, wie dargetan, eine beachtliche Beeinträchtigung des maßgeblichen öffentlichen Interesses darstellt, handelt es sich hiebei doch nicht um ein so schweres deliktisches Verhalten, dass unter Würdigung aller maßgeblichen Umstände die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes in der Dauer von zehn Jahren gerechtfertigt wäre. Insofern hat die belangte Behörde die Rechtslage verkannt.

6. Im Hinblick darauf war der angefochtene Bescheid zur Gänze - bei der Festsetzung der Gültigkeitsdauer eines Aufenthaltsverbotes handelt es sich um einen vom übrigen Bescheidinhalt nicht trennbaren Abspruch (vgl. nochmals das zitierte Erkenntnis) - gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

7. Gemäß § 39 Abs. 2 Z. 6 VwGG konnte von der beantragten Verhandlung Abstand genommen werden.

8. Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. II Nr. 333/2003. Da dem Beschwerdeführer für die von ihm verzeichnete Gebühr nach § 24 Abs. 3 VwGG mit hg. Beschluss vom 29. Dezember 2000 die Verfahrenshilfe bewilligt wurde, war das diesbezügliche Mehrbegehren abzuweisen.

Wien, am 19. Mai 2004

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2004:2000180233.X00

Im RIS seit

15.07.2004
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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