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19/05 Menschenrechte;Norm
MRK Art8 Abs2;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Gruber und die Hofräte Dr. Blaschek, Dr. Nowakowski, Dr. Pelant und Dr. Kleiser als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Stieger, über die Beschwerde des Z in G, vertreten durch Dr. Klaus Kocher, Rechtsanwalt in 8010 Graz, Sackstraße 36, gegen den Bescheid der Steiermärkischen Landesregierung vom 13. November 2003, Zl. FA7C - 11-1039/2003-17, betreffend Verleihung der Staatsbürgerschaft, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Das Land Steiermark hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 908,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit Bescheid vom 13. November 2003 wies die belangte Behörde den Antrag des 1970 geborenen Beschwerdeführers - eines marokkanischen Staatsangehörigen - auf Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft gemäß § 10 Abs. 1 Z 6 und § 11 Staatsbürgerschaftsgesetz 1985 (StbG) ab.
Der Beschwerdeführer habe laut eigenen Angaben seit April 1997 seinen Hauptwohnsitz im Bundesgebiet. Als besonders berücksichtigungswürdigen Grund für eine vorzeitige Einbürgerung habe er "bereits erbrachte und zu erwartende besondere Leistungen auf wissenschaftlichem, wirtschaftlichem, künstlerischem oder sportlichem Gebiet" sowie den "Nachweis nachhaltiger persönlicher und beruflicher Integration" geltend gemacht. Seine am 17. Dezember 1999 mit einer österreichischen Staatsbürgerin eingegangene Ehe sei am 29. Juni 2000 wieder geschieden worden. Mit Urteil vom 7. August 2000 sei der Beschwerdeführer vom Landesgericht für Strafsachen Graz wegen der Vergehen nach § 107 Abs. 1 StGB und § 83 Abs. 1 StGB zu einer (zu ergänzen: bedingt nachgesehenen) Freiheitsstrafe von drei Monaten verurteilt worden. Er habe am 26. April 2000 Frau Christina A. (seine damalige Ehegattin) durch die Äußerungen "Pass ja auf die Kleine auf, dass sie nicht plötzlich wegkommt" sowie "Dich mache ich fertig bis aufs Letzte" gefährlich bedroht, um sie in Furcht und Unruhe zu versetzen. Weiters habe er am 10. Juni 2000 in Graz teils im Zusammenwirken mit einem unbekannten Täter eine namentlich genannte Person durch Zufügen von Kratzwunden, Schlägen und Tritten vorsätzlich am Körper verletzt, wobei die Tat eine blutende Kratzwunde an der linken Wange, Prellmarken am Rücken und im linken Bereich der Brust (dieser Person) zur Folge gehabt habe.
Die beiden im Jahr 2000 gesetzten Tathandlungen könnten - so die belangte Behörde weiter - keinesfalls als geringfügig abgetan werden. Der Beschwerdeführer habe zwar in einer Stellungnahme ausgeführt, dass sie unter den "besonders berücksichtigungswürdigen emotionalen Umständen des Scheidungsverfahrens" zustande gekommen seien, auch ein Scheidungsverfahren - aus der Urteilsbegründung sei allerdings kein Zusammenhang mit dem Scheidungsverfahren zu erkennen - rechtfertige jedoch nicht die Begehung strafbarer Handlungen. Insbesondere das Vergehen der Körperverletzung stelle eine schwer wiegende Übertretung einer Vorschrift dar, die zum Schutz von Leib und Leben Dritter erlassen worden sei. Auch die gefährliche Drohung gegenüber einer Mutter und deren Kind mit der dargestellten Wortwahl sei "in keinster Weise positiv zu sehen". Bei einem Wohlverhalten von lediglich drei Jahren und vier Monaten seit Begehung der letzten Tat könne bezüglich des Beschwerdeführers keine positive Prognose abgeleitet werden, er erfülle somit die Verleihungsvoraussetzung des § 10 Abs. 1 Z 6 StbG nicht. Im Hinblick darauf müsse nicht geprüft werden, ob ihm ein besonders berücksichtigungswürdiger Grund nach § 10 Abs. 4 Z 1 StbG zugute komme.
Selbst unter der Annahme, dass der Beschwerdeführer sämtliche Voraussetzungen des § 10 Abs. 1 StbG erfülle, käme eine positive Erledigung seines Antrages im Wege der dann vorzunehmenden Ermessensübung nicht in Betracht. Für ihn sei positiv zu werten, dass er sein Studium in Österreich abgeschlossen habe, die deutsche Sprache gut beherrsche und seit 1. Juli 2002 einer geregelten Beschäftigung nachgehe. Die festgestellten Gesetzesbrüche stellten jedoch eine erhebliche Beeinträchtigung des allgemeinen Wohles und des öffentlichen Interesses dar, was schwerer wiege als das Ausmaß seiner Integration, weshalb eine Verleihung der Staatsbürgerschaft nach § 10 StbG auch von daher ausscheide.
Über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof nach Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde erwogen:
Gemäß § 10 Abs. 1 Z 6 StbG kann die österreichische Staatsbürgerschaft einem Fremden nur verliehen werden, wenn er nach seinem bisherigen Verhalten Gewähr dafür bietet, dass er zur Republik Österreich bejahend eingestellt ist und weder eine Gefahr für die öffentliche Ruhe, Ordnung und Sicherheit darstellt noch andere in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannte öffentliche Interessen gefährdet.
Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist bei der Prüfung der Verleihungsvoraussetzung nach § 10 Abs. 1 Z 6 StbG vom Gesamtverhalten des Einbürgerungswerbers, welches wesentlich (auch) durch das sich aus der Art, Schwere und Häufigkeit der von ihm begangenen Straftaten ergebende Charakterbild bestimmt wird, auszugehen. Hiebei stellt der Gesetzgeber - anders als nach § 10 Abs. 1 Z 2 StbG - nicht auf formelle Gesichtspunkte ab, sondern es ist lediglich maßgebend, ob es sich um Rechtsbrüche handelt, die den Schluss rechtfertigen, der Betreffende werde auch in Zukunft wesentliche, zum Schutz vor Gefahren für das Leben, die Gesundheit, die Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung - oder andere in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannte Rechtsgüter - erlassene Vorschriften missachten. In der Art, der Schwere und der Häufigkeit solcher Verstöße kommt die - allenfalls negative - Einstellung des Betreffenden gegenüber den zur Hintanhaltung solcher Gefahren erlassenen Gesetze deutlich zum Ausdruck (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 7. Oktober 2003, Zl. 2002/01/0019).
Die belangte Behörde hat mit Recht das strafgerichtlich geahndete Fehlverhalten des Beschwerdeführers berücksichtigt. Ihr ist auch darin zu folgen, dass bei der Prognose künftigen Wohlverhaltens des Verleihungswerbers nach § 10 Abs. 1 Z 6 StbG Delikte gegen die körperliche Unversehrtheit besonders ins Gewicht fallen (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 5. November 2003, Zl. 2001/01/0375). Dennoch kann im konkreten Fall allein auf Basis des dem Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Graz zu Grunde liegenden Verhaltens noch nicht auf das Vorliegen dieses Verleihungshindernisses geschlossen werden. Zunächst einmal ist zu betonen, dass es sich beim Fehlverhalten des Beschwerdeführers insofern um einen Einzelfall handelt, als er bloß einmal strafgerichtlich verurteilt worden ist. Bezogen auf den Zeitpunkt der Erlassung des bekämpften Bescheides lagen die beiden - in engem zeitlichen Zusammenhang stehenden - Tathandlungen außerdem rund dreieinhalb Jahre zurück. Zwar hat der Verwaltungsgerichtshof in dem zuvor genannten Erkenntnis vom 5. November 2003 und im Erkenntnis vom 17. September 2002, Zl. 2001/01/0028, (auf letzteres nimmt das in der Gegenschrift genannte Erkenntnis vom 24. Juni 2003, Zl. 2001/01/0236, Bezug) eine vergleichbare Zeitspanne zwischen letztem Fehlverhalten und maßgeblichem Beurteilungszeitpunkt für nicht ausreichend erachtet, um zu einer für den Einbürgerungswerber positiven Prognose gelangen zu können. Der jeweils zu Grunde liegende Sachverhalt unterscheidet sich vom vorliegenden Fall jedoch derart, dass dort neben diversen Verwaltungsübertretungen je eine zweite strafgerichtliche Verurteilung hinzutrat, weshalb die hier gegebene Konstellation eher jener gleicht, welche im hg. Erkenntnis vom 7. Juni 2000, Zl. 99/01/0445, und in dem schon genannten hg. Erkenntnis vom 7. Oktober 2003 zu beurteilen war. In beiden Fällen vertrat der Verwaltungsgerichtshof bei in etwa gleich langem Zurückliegen des strafgerichtlichen Fehlverhaltens jedoch die Auffassung, dass dieses allein noch nicht die Annahme erlaube, es liege das Verleihungshindernis nach § 10 Abs. 1 Z 6 StbG vor.
Sprechen schon diese Überlegungen gegen die behördliche Einschätzung des Beschwerdefalles, so war es jedenfalls unter Bedachtnahme auf den nachfolgend dargestellten Umstand nicht gerechtfertigt, den Verleihungsantrag im Hinblick auf § 10 Abs. 1 Z 6 StbG ohne weiteres abzuweisen: Einer im Verwaltungsverfahren erstatteten Stellungnahme vom 7. Oktober 2003 hatte der Beschwerdeführer ein Empfehlungsschreiben des Vorstands des Instituts für Chemische Technologie organischer Stoffe der Technischen Universität Graz vom 24. Juni 2003 beigelegt. Darin wird der Beschwerdeführer ua. wie folgt beschrieben:
"Einerseits zeichnet sich Herr (Beschwerdeführer) durch seine fachlichen Qualitäten, andererseits durch seine menschlichen Qualitäten aus. Sein Verhalten mir gegenüber, sowie gegenüber den Institutsmitarbeitern und Studenten in der Arbeitsgruppe war stets einwandfrei. Er hat ein umgängliches freundliches Wesen und seine Hilfsbereitschaft im Rahmen der Zusammenarbeit innerhalb der Arbeitsgruppe ist herauszustellen."
Im Rahmen der Beurteilung des Persönlichkeitsbildes des Beschwerdeführers kann eine derartige Beschreibung nicht außer Acht gelassen werden, weshalb sich die belangte Behörde bei ihrer Beurteilung nach § 10 Abs. 1 Z 6 StbG nicht allein mit dem Aufzeigen des strafrechtlichen Fehlverhaltens des Beschwerdeführers hätte begnügen dürfen.
Die belangte Behörde hat den Verleihungsantrag des Beschwerdeführers ergänzend mit der Überlegung abgewiesen, es komme jedenfalls - selbst wenn § 10 Abs. 1 Z 6 StbG der Verleihung nicht entgegenstehen würde - eine Ermessensübung zu Gunsten des Beschwerdeführers nach § 11 StbG nicht in Betracht. Wie die belangte Behörde in ihrer Gegenschrift richtig ausführt, setzt eine Ermessensübung nach der genannten Bestimmung im vorliegenden Fall - der Beschwerdeführer vermag unstrittig noch nicht auf einen ununterbrochenen zehnjährigen Hauptwohnsitz im Sinne des § 10 Abs. 1 Z 1 StbG zu verweisen - voraus, dass das Vorliegen eines besonders berücksichtigungswürdigen Grundes nach § 10 Abs. 4 Z 1 leg. cit. bejaht wird. Als derartiger besonders berücksichtigungswürdiger Grund ist sachverhaltsbezogen an § 10 Abs. 5 Z 2 und Z 3 StbG (bereits erbrachte und zu erwartende besondere Leistungen auf wissenschaftlichem Gebiet bzw. Nachweis nachhaltiger persönlicher und beruflicher Integration) zu denken. Läge aber der eine oder der andere Grund (oder gar beide) vor, so spräche das im Rahmen der Ermessensübung massiv für eine Einbürgerung des Beschwerdeführers, was in den eventualiter zu § 11 StbG angestellten Überlegungen der belangten Behörde nicht ausreichend Berücksichtigung gefunden hat. Von daher ist der bekämpfte Bescheid auch unter dem Aspekt der letztgenannten Bestimmung mit Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften behaftet, weshalb er gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG aufzuheben war.
Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003. Dabei konnten dem Beschwerdeführer nur die von ihm verzeichneten Kosten zuerkannt werden.
Wien, am 25. Mai 2004
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2004:2003010662.X00Im RIS seit
28.06.2004