TE Vwgh Erkenntnis 2004/5/25 2003/01/0567

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Veröffentlicht am 25.05.2004
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Index

10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG);
40/01 Verwaltungsverfahren;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;
49/01 Flüchtlinge;

Norm

AsylG 1997 §23;
AsylG 1997 §27 Abs3;
AsylG 1997 §7;
AsylG 1997 §8;
AVG §67d;
B-VG Art129c;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Gruber und die Hofräte Dr. Blaschek, Dr. Nowakowski, Dr. Pelant und Mag. Nedwed als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Stieger, über die Beschwerde des E in Wien, geboren 1984, vertreten durch Univ.-Doz. Dr. Richard Soyer, Mag. Wilfried Embacher und Mag. Josef Bischof, Rechtsanwälte in 1010 Wien, Kärntner Ring 6, gegen den Bescheid des Unabhängigen Bundesasylsenates vom 25. November 2002, Zl. 230.370/0-V/13/02, betreffend §§ 7 und 8 Asylgesetz 1997 (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.171,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein der Volksgruppe der Urhobu angehörender Staatsangehöriger von Nigeria, reiste am 18. Juli 2002 in das Bundesgebiet ein und beantragte an diesem Tag Asyl. Bei seiner Einvernahme vor dem Bundesasylamt am 18. Juli 2002 gab er zu seinen Fluchtgründen im Wesentlichen an, sein Vater sei Anhänger der APP gewesen und habe in Okpare-Olomu zwei Gegner - den Chief Ogigbah und den Chief Kofi - gehabt, die beide der PDP angehört hätten. Seinem Vater sei in geheimer Zeremonie das "Cap (Kappe)" des Regierenden übergeben worden; sein Vater sei dadurch Regierender von Okpare geworden. Während einer daran anschließenden Feier auf der Farm seines Vaters hätten die Gegner (insbesondere die Anhänger des Chief Ogigbah) einen bewaffneten Überfall unternommen. Dabei seien sein Vater getötet und das Farmgebäude niedergebrannt worden. Er (der Beschwerdeführer) sei nach Ughelli geflüchtet. Die Anhänger von Chief Ogigbah hätten mit der Ermordung aller männlichen Nachkommen des Erhema-Clans (Erhema sei der Großvater des Beschwerdeführers) gedroht. Der ältere Bruder (des Beschwerdeführers), der nach Nigeria zurückgekehrt sei und die Nachfolge des getöteten Vaters als Regierender von Okpare-Olomu hätte antreten sollen, sei gleichfalls von den Anhängern des Chief Ogigbah ermordet worden. Er (der Beschwerdeführer) habe Nigeria danach verlassen, weil er für die Nachfolge seines Vaters als Regierender vorgesehen gewesen sei und die Leute des Chief Ogigbah auch ihn töten würden. Die Polizei in Nigeria unternehme deshalb nichts gegen den reichen und sehr einflussreichen Chief Ogigbah, weil dieser, wie auch der Vorsitzende der Lokalregierung von Ughelli, der Gouverneur des Delta-State und der Präsident Nigerias, Mitglied der PDP sei. Wegen der Beziehungen zur Firma Shell - diese fördere Öl in Okpare - sei es unerwünscht gewesen, dass sein Vater als Mitglied der APP die Position des Regierenden von Okpare erlange.

Das Bundesasylamt wies den Asylantrag des Beschwerdeführers mit Bescheid vom 30. Juli 2002 gemäß § 7 Asylgesetz (AsylG) ab und erklärte die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Nigeria gemäß § 8 AsylG für zulässig. Es schenkte seiner Darstellung keinen Glauben.

Die belangte Behörde führte aufgrund der vom Beschwerdeführer, vertreten durch das Referat für Jugendwohlfahrt bei der Bezirkshauptmannschaft Oberpullendorf, erhobenen Berufung am 4. November 2002 eine mündliche Berufungsverhandlung durch, in der der (damals noch minderjährige) Beschwerdeführer - in Abwesenheit seines gesetzlichen Vertreters - einvernommen bzw. einem "Berufungsrechtsgespräch zu seinen Fluchtgründen" unterzogen wurde.

Mit dem angefochtenen Bescheid vom 25. November 2002 wies die belangte Behörde die Berufung des Beschwerdeführers gemäß § 7 AsylG ab und stellte gemäß § 8 AsylG fest, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Nigeria zulässig sei.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:

In der Beschwerde wird geltend gemacht, die Einvernahme des damals minderjährigen Beschwerdeführers durch die belangte Behörde am 4. November 2002 sei ohne Beisein des gesetzlichen Vertreters erfolgt. Dadurch sei der besonderen Situation des Beschwerdeführers als minderjähriger unbegleiteter Asylwerber nicht Rechnung getragen worden.

§ 27 Abs. 3 dritter Satz Asylgesetz 1997 (in der Fassung vor der AsylG-Novelle 2003) bestimmt, dass minderjährige Asylwerber nur in Gegenwart eines gesetzlichen Vertreters einvernommen werden dürfen.

Diese Bestimmung gilt zunächst für das erstinstanzliche Verfahren vor dem Bundesasylamt. Man wird darüber hinaus jedoch - wie bei der Bestimmung des § 27 Abs. 3 letzter Satz leg. cit. - davon ausgehen müssen, dass sie auch für im Rahmen der von der belangten Behörde durchzuführenden Verhandlungen erfolgende Einvernahmen zur Anwendung zu gelangen hat. Im Übrigen wird gemäß § 43 Abs. 2 zweiter Satz VwGG auf die im hg. Erkenntnis vom 3. Dezember 2003, Zl. 2001/01/0402, zum letzten Satz des § 27 Abs. 3 AsylG gegebene Begründung - die sich auf die in Rede stehende Bestimmung sinngemäß übertragen lässt - verwiesen.

Die belangte Behörde hat - wie in der Beschwerde zutreffend gerügt wurde - es verabsäumt, den gesetzlichen Vertreter zur Einvernahme des damals minderjährigen Beschwerdeführers beizuziehen.

Nach Ausweis der vorgelegten Verwaltungsakten ist ein weiterer Verfahrensfehler dadurch unterlaufen, dass die belangte Behörde die Ladung zur Berufungsverhandlung an den damals minderjährigen Beschwerdeführer zustellen ließ, der Minderjährige dadurch nicht wirksam geladen wurde und in der Berufungsverhandlung nicht vertreten war. Dieser Verfahrensfehler bewirkte, dass der minderjährige Beschwerdeführer gehindert war, in der Berufungsverhandlung durch seinen gesetzlichen Vertreter (ergänzendes) Vorbringen zu erstatten.

Aufgrund dieses Verfahrensfehlers unterliegt das in der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof erstattete Sachvorbringen des Beschwerdeführers keinem Neuerungsverbot.

Von daher wird die belangte Behörde die in der Beschwerde demnach zulässigerweise vorgebrachten Neuerungen - etwa über den Konflikt um das ölreiche Niger-Delta, die Auseinandersetzungen zwischen Urhobos, Ijaws und Itsekiris, die behauptete landesweite Diskriminierung des Beschwerdeführers als Urhobo bzw. aufgrund seiner politischen Einstellung, die von Anhängern des Chief Ogigbah dem Beschwerdeführer angedrohten Misshandlungen und die vom Beschwerdeführer aufgrund seines christlichen Glaubens vorgebrachten Probleme - zu berücksichtigen bzw. sich damit auseinanderzusetzen haben.

Schon aus diesem Grund war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und lit. c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003, BGBl. II Nr. 333.

Wien, am 25. Mai 2004

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2004:2003010567.X00

Im RIS seit

23.06.2004

Zuletzt aktualisiert am

05.11.2008
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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