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41/02 Passrecht Fremdenrecht;Norm
AsylG 1997 §7;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Gruber und die Hofräte Dr. Blaschek, Dr. Nowakowski, Dr. Pelant und Mag. Nedwed als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Stieger, über die Beschwerde des I in Wien, geboren 1978, vertreten durch Dr. Irene Welser, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Parkring 2, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 17. März 2003, Zl. 227.884/0-V/15/02, betreffend §§ 7 und 8 Asylgesetz 1997 (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer, ein der albanischen Volkgruppe angehörender Staatsangehöriger von Mazedonien, reiste am 1. Juni 2001 in das Bundesgebiet ein und beantragte am 28. Juni 2001 die Gewährung von Asyl.
Diesen Antrag begründete er im Zuge seiner Einvernahme durch das Bundesasylamt am 19. September 2001 im Wesentlichen damit, er habe gemeinsam mit seinem Onkel und dessen Söhnen in einer Gruppe zusammengearbeitet; schon im Jänner 2001, also vor Beginn des Krieges, hätten sie (diese Gruppe) für die UCK Waffen transportiert. Im April 2001 sei sein Onkel wegen dieser Betätigung festgenommen worden; dieser (sein Onkel) habe zusammen mit Ali Ahmeti (dem obersten UCK-Führer in Mazedonien) gekämpft. Die Festnahme seines Onkel habe Auswirkungen auf seine Familie gehabt; er sei letztlich aus diesem Grund nach Österreich geflohen. Nach Mazedonien könne er deshalb nicht zurück, weil er dort gesucht werde.
Das Bundesasylamt wies den Asylantrag des Beschwerdeführers mit Bescheid vom 5. April 2002 gemäß § 7 AsylG ab (Spruchpunkt I.). Außerdem sprach es aus, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Mazedonien gemäß § 8 AsylG zulässig sei (Spruchpunkt II.).
Die gegen diesen Bescheid des Bundesasylamtes erhobene Berufung des Beschwerdeführers wies die belangte Behörde nach Durchführung einer öffentlichen mündlichen Berufungsverhandlung mit Bescheid vom 17. März 2003 gemäß § 7 AsylG ab. Außerdem stellte die belangte Behörde gemäß § 8 AsylG fest, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Mazedonien zulässig sei.
Sie stellte fest, der Beschwerdeführer stamme aus Slupcan (Gemeinde Kumanova); dort würden die Eltern und eine Schwester des Beschwerdeführers nach wie vor leben. Der Beschwerdeführer habe von Jänner bis März 2001 "während des bürgerkriegsartigen Konfliktes Waffen für die UCK transportiert". Übergriffe oder Maßnahmen von mazedonischen Behörden gegen den Beschwerdeführer "bis zu seiner Ausreise aus Mazedonien" könnten nicht festgestellt werden. Die belangte Behörde traf überdies Feststellungen zur allgemeinen Situation in Mazedonien, insbesondere zu einem am 8. März 2002 in Kraft getreten Amnestiegesetz.
In rechtlicher Hinsicht argumentierte die belangte Behörde, es sei dem Beschwerdeführer in Ansehung der Waffentransporte für die UCK zu entgegnen, dass für Wehrdienstverweigerungen (während eines näher bezeichneten Zeitraumes) ein Amnestiegesetz in Kraft getreten sei. Dem Beschwerdeführer sei es daher zumutbar, sich wieder unter den Schutz seines Heimatstaates zu stellen. Die vom Beschwerdeführer "befürchteten bürgerkriegsähnlichen Auseinandersetzungen" hätten mittlerweile aufgehört. Auf Grund der nunmehrigen, geänderten Umstände erscheine "eine ethnisch motivierte Verfolgung des der albanischen Volksgruppe angehörigen Beschwerdeführers ausgeschlossen".
Über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof erwogen:
Der Beschwerdeführer hat bei seiner Einvernahme vor der belangten Behörde am 13. März 2003 u.a. Folgendes ausgesagt :
(VL=Verhandlungsleiter;
BW=Beschwerdeführer)
"VL: Wann haben Sie Mazedonien zuletzt verlassen?
BW: Ich war nicht in Mazedonien, sondern habe mich die ganze
Zeit im Kosovo aufgehalten.
VL: Wann sind Sie aus dem Kosovo zuletzt ausgereist?
BW: Im März 2001.
VL: Welche Probleme hatten Sie damals in Mazedonien?
BW: Mein Onkel war lange Zeit im Gefängnis und wurde vor
kurzer Zeit entlassen. Er habe auch eine Ladung von der mazedonischen Polizei erhalten.
VL: Gab es in Bezug auf Ihre Person konkrete Probleme?
BW: Ich habe für die UCK im Kosovo und in Mazedonien gearbeitet und ich habe Waffen transportiert.
VL: Wann war das ungefähr?
BW: Das war zwischen Jänner und März 2001, also insgesamt
zwei Monate.
VL: Warum war Ihr Onkel im Gefängnis?
BW: Er war eine Art Anführer in unserem Dorf und als die UCK in dieses Dorf gekommen ist, hat sie ihre Basis dort errichtet. In diesem Dorf hat dann der Krieg begonnen.
VL: Sie haben vor der ersten Instanz gesagt, Ihr Onkel hätte mit Ali Ahmeti zusammen gekämpft?
BW: Ja, das stimmt. Ali Ahmeti war auch in unserem Dorf.
...
VL: Wohin haben sie zwischen Jänner und März 2001 Waffen transportiert?
BW: Von dem kosovarischen Gjilan zu einem mazedonischen Dorf an der Grenze.
VL: Wenn Sie das bis ungefähr März 2001 gemacht haben, was war danach?
BW: Mein Onkel wurde damals inhaftiert und zu einer Gefängnisstrafe verurteilt. Aus diesem Grund musste ich weg.
...
BW: Wir waren damals insgesamt vier Mitarbeiter, einer ist nach Finnland geflohen. Als er zurück nach Mazedonien kam, wurde er sofort inhaftiert.
VL: Wann ist er nach Mazedonien zurückgekehrt?
BW: September 2002. Ich vertraue den mazedonischen Behörden nicht.
VL: Möchten Sie noch etwas vorbringen?
BW: Ich möchte hier bleiben, weil ich inzwischen auch eine Arbeitserlaubnis habe. Ich möchte außerdem eine Ladung meiner Person zur mazedonischen Polizei vorlegen sowie ein Gerichtsurteil betreffend meinen Onkel vorlegen.
Es werden Kopien angefertigt und die Schriftstücke als Beilagen A und B zum Akt genommen."
Die belangte Behörde hat - anders als das Bundesasylamt - der Aussage des Beschwerdeführers die Glaubwürdigkeit nicht abgesprochen. Sie ist auf sein Vorbringen und die von ihm in der mündlichen Verhandlung vorgelegten (als Beilagen A und B zum Akt genommenen) Schriftstücke allerdings nicht eingegangen. Diesen (nicht in lateinischer Schrift abgefassten) Urkunden - die von der belangten Behörde nicht übersetzt sondern völlig übergangen wurden - kann eine asylerhebliche Bedeutung jedenfalls nicht von vornherein abgesprochen werden. Die belangte Behörde hat es somit verabsäumt, Feststellungen zu diesen Urkunden zu treffen und sich mit deren Inhalt auseinander zu setzen.
Die belangte Behörde hat weiters die Aussage des Beschwerdeführers, er habe "im Kosovo und in Mazedonien" für die UCK gearbeitet bzw. Waffen transportiert, nicht zur Gänze gewürdigt. Dem gegenüber ist in den im angefochtenen Bescheid getroffenen Feststellungen nämlich offen geblieben, wo der Beschwerdeführer nach Ansicht der belangten Behörde für die UCK Waffen transportierte. Der von der belangten Behörde getroffenen negativen Feststellung, der Beschwerdeführer sei "vor seiner Ausreise aus Mazedonien" keinen Übergriffen mazedonischer Behörden ausgesetzt gewesen, ist die Aussage des Beschwerdeführers entgegenzuhalten, dass er nicht in Mazedonien gewesen sei, sondern sich "die ganze Zeit im Kosovo aufgehalten habe".
Der Einschätzung der belangten Behörde, dem Beschwerdeführer sei es zumutbar, sich unter den Schutz seines Heimatstaates (Mazedonien) zu stellen, ist zu erwidern, dass der Aussage des Beschwerdeführers zufolge einer der "vier Mitarbeiter", sohin ein Beteiligter bzw. "Mittäter" der Waffentransporte, bei seiner Rückkehr nach Mazedonien (im September 2002) sofort verhaftet worden sei. Die belangte Behörde hat sich damit nicht auf nachvollziehbare Weise auseinander gesetzt. Insoweit sie damit argumentiert, dass in Mazedonien ein Amnestiegesetz für "Wehrdienstverweigerungen" in Kraft getreten sei, verkennt sie im Übrigen, dass eine Verfolgung des Beschwerdeführers wegen "Wehrdienstverweigerung" weder behauptet noch festgestellt wurde.
Die belangte Behörde hat zwar an anderer Stelle im angefochtenen Bescheid festgehalten, das am 8. März 2002 in Kraft getretene Amnestiegesetz betreffe (auch) "strafbare Handlungen im Zusammenhang mit dem Konflikt im Jahr 2001". Sie hat aber nähere Feststellungen darüber, aus welchem Grund der Beschwerdeführer in den Genuss einer Amnestieregelung gelangen könnte, nicht getroffen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 15. Mai 2003, Zl. 2002/01/0159). Es kann daher nicht beurteilt werden, ob der Beschwerdeführer dem Personenkreis angehört, auf den eine Amnestieregelung tatsächlich angewendet wird. Die vom Beschwerdeführer vorgebrachte sofortige Verhaftung eines seiner "Mittäter" in Mazedonien bei dessen Rückkehr im September 2002 widerspricht jedenfalls dem von der belangten Behörde herangezogenen Amnestieargument.
Nach dem Gesagten bedarf es weiterer Feststellungen und einer eingehenden Auseinandersetzung mit dem Vorbringen des Beschwerdeführers sowie den von ihm vorgelegten Urkunden, um die Berechtigung seines Asylantrages beurteilen zu können.
Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und lit. c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003, BGBl. II Nr. 333.
Wien, am 25. Mai 2004
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2004:2003010298.X00Im RIS seit
30.06.2004