Index
40/01 Verwaltungsverfahren;Norm
ASVG §111;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bernard und die Hofräte Dr. Müller und Dr. Strohmayer als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Müller, über die Beschwerde des H in L, vertreten durch Dr. Hermann Aflenzer, Rechtsanwalt in 4020 Linz, Lessingstraße 40, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom 26. März 2001, Zl. MA 15-II-K 10/2001, betreffend Haftung für Beitragsschuldigkeiten gemäß § 67 Abs. 10 ASVG (mitbeteiligte Partei: Wiener Gebietskrankenkasse, vertreten durch Dr. Heinz Edelmann, Rechtsanwalt in 1060 Wien, Windmühlgasse 30), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufgehoben.
Der Bund (Bundesminister für soziale Sicherheit, Generationen und Konsumentenschutz) hat der beschwerdeführenden Partei Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit Einspruchsbescheid vom 20. Jänner 2000, Zl. MA 15-II-K 44/99, hat die belangte Behörde die beschwerdeführende Partei gemäß § 67 Abs. 10 ASVG als Geschäftsführer einer näher bezeichneten Gesellschaft mbH zur Zahlung von rückständigen, bei der Gesellschaft uneinbringlich gewordenen Sozialversicherungsbeiträgen an die mitbeteiligte Gebietskrankenkasse in der Höhe von S 330.618,92 sA verpflichtet.
Dieser Bescheid wurde mit Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 12. Dezember 2000, Zl. 2000/08/0043, wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufgehoben. Unter Hinweis auf das Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 12. Dezember 2000, Zlen. 98/08/0191, 0192, hat der Verwaltungsgerichtshof in diesem Erkenntnis ausgesprochen, dass unter den "den Vertretern auferlegten Pflichten" im Sinne dieser Gesetzesstelle in Ermangelung weiterer in den gesetzlichen Vorschriften ausdrücklich normierter Pflichten des Geschäftsführers im Wesentlichen die Melde- und Auskunftspflichten, soweit diese in § 111 ASVG iVm § 9 VStG auch gesetzlichen Vertretern gegenüber sanktioniert sind, sowie die in § 114 Abs. 2 ASVG umschriebene Verpflichtung zur Abfuhr einbehaltener Dienstnehmerbeiträge zu verstehen sind.
Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid hat die belangte Behörde den Beschwerdeführer zur Zahlung von S 166.940,74 (EUR 12132,06) zuzüglich Verzugszinsen in der sich nach § 59 Abs. 1 ASVG ergebenden Höhe, berechnet von S 136.622,11 (EUR 9928,72) ab 22. März 2001 verpflichtet.
Nach einer Darstellung des Verwaltungsgeschehens begründet die belangte Behörde ihre Entscheidung damit, dass der Beschwerdeführer bzw. sein ausgewiesener Vertreter zu einer mündlichen Verhandlung am 21. März 2001 geladen worden und ihm die Gelegenheit zum Antritt des Beweises dafür geboten worden sei, "dass er die ihm obliegenden Verpflichtungen erfüllt" habe, inbesondere "in welchem Umfang Löhne und Gehälter der Beitragsschuldnerin im Haftungszeitraum aus Gesellschaftsmitteln ausbezahlt worden" seien. Weder der Beschwerdeführer noch sein Vertreter sei zu dieser mündlichen Verhandlung erschienen, weshalb "von einer schuldhaften Pflichtverletzung" ausgegangen werden müsse, da "im Haftungsverfahren ... eine Beweislastumkehr" bestehe. In der mündlichen Verhandlung habe die Vertreterin der Gebietskrankenkasse mitgeteilt, dass die Dienstnehmeranteile (gemeint offenbar: in dem aus dem Spruch des Bescheides ersichtlichen Ausmaß) "weiterhin offen aushaften". Dem (schon im ersten Rechtsgang erstatteten) Einspruchsvorbringen des Beschwerdeführers, der Beitragsrückstand sei bis auf einen Rückstand von (nur) S 60.933,71 auf eine von der Gebietskrankenkasse anerkannte Anfechtung der Beitragszahlungen durch den Masseverwalter und nicht auf schuldhaftes Verhalten des Beschwerdeführers zurückzuführen, entgegnete die belangte Behörde mit dem Hinweis auf die Verpflichtung des Beschwerdeführers, "für die rechtzeitige und ordnungsgemäße Bezahlung der Sozialversicherungsbeiträge Sorge zu tragen". Nur unter dieser Voraussetzung sei nach dem Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 8. März 1994, Zl. 91/08/0133, keine Haftung für Rückstände, "die infolge Anfechtung durch den Masseverwalter aufgelaufen sind", gegeben. Der Haftungsbetrag errechne sich unter Berücksichtigung des Umstandes, dass der Beschwerdeführer schon am 1. Oktober 1998 als Geschäftsführer abberufen worden sei, sowie der Konkursquote im Konkurs der Gesellschaft von - endgültig - 12,02%.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde.
Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt; die mitbeteiligte Partei hat eine Gegenschrift erstattet, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.
Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
Im Falle der Aufhebung eines Bescheides durch den Verwaltungsgerichtshof sind die Behörden gemäß § 63 Abs. 1 VwGG verpflichtet, in dem betreffenden Fall mit den ihnen zu Gebote stehenden rechtlichen Mitteln unverzüglich den der Rechtsanschauung des Verwaltungsgerichtshofes entsprechenden Rechtszustand herzustellen.
Dieser Verpflichtung ist die belangte Behörde nicht nachgekommen:
Entgegen der im aufhebenden Erkenntnis vertretenen Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichtshofes ist die belangte Behörde im angefochtenen "Ersatzbescheid" weiterhin davon ausgegangen, dass der Beschwerdeführer gemäß § 67 Abs. 10 ASVG für alle nicht entrichteten, bei der Gesellschaft uneinbringlich gewordenen Dienstnehmerbeiträge haftet, hinsichtlich derer er nicht in der Lage ist, nachzuweisen, dass ihn an der Nichtentrichtung kein Verschulden trifft, und zwar auch dann, wenn diese Dienstnehmerbeiträge - zumindest nach Maßgabe des den Dienstnehmern bezahlten Entgelts - zunächst ordnungsgemäß entrichtet, diese Zahlungen jedoch vom Masseverwalter erfolgreich angefochten wurden.
Diese Auffassung steht im offenen Widerspruch zur nunmehrigen - und der belangten Behörde im Vorerkenntnis auch entsprechend vermittelten - Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichtshofes, dass eine (eigene) gesetzliche Verpflichtung eines Geschäftsführers in dem von der belangten Behörde angenommenen Sinne nicht normiert ist und dass die hier augenscheinlich allein in Betracht kommende Haftungsvoraussetzung nur dann und insoweit bejaht werden könnte, als der Beschwerdeführer zwar Entgelte an die Dienstnehmer ausbezahlt, die auf diese Entgelte entfallenden Dienstnehmerbeiträge jedoch nicht an die Gebietskrankenkasse abgeführt hätte (§ 114 ASVG). Feststellungen in diese Richtung hat die belangte Behörde - ausgehend von einer vom Verwaltungsgerichtshof nicht geteilten Rechtsauffassung - jedoch auch im zweiten Rechtsgang nicht getroffen.
Der angefochtene Bescheid war daher wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.
Im Übrigen wird die belangte Behörde darauf hingewiesen, dass das Ausbleiben einer Partei von einer mündlichen Verhandlung sie noch nicht dazu berechtigen konnte, das erst in dieser mündlichen Verhandlung erstattete (vor dem Hintergrund der oben erwähnten Rechtslage in Richtung § 114 ASVG im Übrigen unsubstanziierte und nachträglich hinsichtlich der Haftungssumme noch einmal berichtigte) Vorbringen der mitbeteiligten Partei ihrer Entscheidung zu Grunde zu legen, ohne dem Beschwerdeführer dazu im Rahmen der Gewährung von Parteiengehör zumindest Gelegenheit zu einer Stellungnahme zu geben (§ 45 Abs. 3 AVG).
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 333/2003.
Wien, am 26. Mai 2004
Schlagworte
Parteiengehör Erhebungen ErmittlungsverfahrenEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2004:2001080079.X00Im RIS seit
02.07.2004