Index
10/07 Verwaltungsgerichtshof;Norm
AsylG 1997 §7;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Giendl und die Hofräte Dr. Nowakowski, Dr. Sulzbacher, Dr. Berger und Mag. Nedwed als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Trefil, über die Beschwerde des M in W, geboren 1965, vertreten durch Dr. Stefan Gulner, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Lugeck 7, gegen den die Berufung des Beschwerdeführers abweisenden Spruchteil des Bescheides des unabhängigen Bundesasylsenates vom 17. Mai 2001, Zl. 218.382/0-IV/10/00, betreffend § 7 AsylG (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheidteil wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger von Afghanistan, gelangte am 28. Juli 2000 in das Bundesgebiet und beantragte am 29. Juli 2000 Asyl. Bei seiner niederschriftlichen Einvernahme am 19. Juli 2000 gab er zu seinen Fluchtgründen an, er sei von den Taliban am 4. April 2000 festgenommen worden, weil er früher für die Wahdat-Partei tätig gewesen sei. Nach einer Haftdauer von einem Monat und drei Tagen sei er gegen Hinterlegung einer Kaution enthaftet worden. Er sei bereits früher viermal von den Taliban verhaftet worden, weil er der Volksgruppe der Hazara angehöre. Über Vorhalt des Bundesasylamtes, dass die Taliban bereits "seit September/Oktober 1996 in Kabul die Macht ausüben" und nicht nachvollzogen werden könne, warum dem Beschwerdeführer seine Mitgliedschaft nicht "schon zu einem früheren Zeitpunkt vorgeworfen" worden sei, gab der Beschwerdeführer an, seine "Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Hazare (sei) nicht offensichtlich" und er "vermute, dass die Taliban zu einem früheren Zeitpunkt nicht gewusst haben, dass ich Mitglied der Wahdat-Partei gewesen bin, und dass gegen mich Anzeige bei den Taliban erstattet worden ist".
Mit Bescheid vom 28. Juli 2000 wies das Bundesasylamt den Asylantrag gemäß § 7 AsylG ab. Es ging davon aus, dass das Vorbringen des Beschwerdeführers aus näher dargelegten Gründen nicht glaubhaft gewesen sei. Selbst wenn man davon ausginge, dass die Inhaftierung im April 2000 tatsächlich erfolgt wäre, sei aus der Tatsache, dass der Beschwerdeführer nach Bezahlung einer Kaution ohne Auflagen bzw. Beschränkungen frei gelassen worden sei, zu schließen, "dass die Taliban kein besonderes Interesse an Ihrer Person gehabt haben bzw. Ihnen keine ernst zu nehmende Verbindung zur Wahdat-Partei zur Last gelegt worden ist". Weiters erklärte das Bundesasylamt mit dem erwähnten Bescheid die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Afghanistan gemäß § 8 AsylG für zulässig.
Der Beschwerdeführer erhob Berufung.
Mit dem angefochtenen Bescheid vom 17. Mai 2001 wies die belangte Behörde nach Durchführung einer mündlichen Berufungsverhandlung die Berufung in Bezug auf die Entscheidung über den Asylantrag gemäß § 7 AsylG ab, stellte jedoch fest, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Afghanistan gemäß § 8 AsylG nicht zulässig sei. Die wesentlichen Teile der Begründung des angefochtenen Bescheides lauten:
"III. Nachdem die mündliche Berufungsverhandlung samt Einvernahme des Berufungswerbers, Erörterung der vorgelegten Urkunden und Darlegung amtsbekannter entscheidungsrelevanter Tatsachen samt Erörterung der selben eine erweiterte Kenntnis gegenüber dem Kenntnisstand der Behörde erster Instanz ermöglichten, wird zuerst festgestellt, dass die Behörde erster Instanz nach Maßgabe des seinerzeitigen Kenntnisstandes ihre Feststellungen richtig beurteilt hat.( ...)
IV. Aus dem Beweisverfahren wird (ergänzend) festgestellt:
1) Auch im Berufungsverfahren steht nicht fest, dass der Asylwerber eindeutig Hazare ist, auch hat das Verfahren keine Anhaltspunkte für eine Gruppenverfolgung der Hazare ergeben (Sachverständige Fr. Mag. M und Fr. F).
2) Hingegen hat der Asylwerber - entgegen der aufrecht gebliebenen Widersprüchlichkeiten des Vorbringens - Urkunden vorgelegt, dass dem zumindest eine nicht zu widerlegende Möglichkeit einer geheimdienstlichen Tätigkeit für die Hezb-e Wahdat sich ergibt.
3) Die Berufungsbehörde schließt sich auch den Ausführungen der Behörde erster Instanz insoweit an, dass offensichtlich auf Grund des eigenen Vorbringens über die Inhaftierung und Freisetzung gegen Kaution durch die Taliban doch längere Zeit nach der Geheimtätigkeit eine asylrelevante Verfolgung und ein besonderes Interesse der Taliban an der Person des Asylwerbers nicht geschlossen werden kann. (...)
4) Beachtlich ist jedoch die Aussage des Asylwerbers in der Berufungsverhandlung, dass seine Verhaftung durch die Taliban noch vor dem Bürgerkrieg erfolgte:
Verhandlungsleiter: 'Als sie verhaftet und vernommen wurden, herrschte damals auch schon Bürgerkrieg?'
Asylwerber: 'Als ich von den Taliban verhaftet wurde, herrschte in Kabul noch Frieden, aber in weiter entfernten Gebieten gab es Krieg zwischen gegnerischen Parteien.'
Asylwerber: 'Mein Vater ist ein Hazara und mein Cousin war ein bekannter Kommandant der Hezb-e Wahdat, sie haben mich aufgefordert, dass ich die Tätigkeit bei der Informationsabteilung (Geheimdienst) ausübe. Meine Aufgabe beim Geheimdienst war, wenn Leute gegen die Hezb-e Wahdat schlechte Äußerungen machten, soll ich die an die Wahdat Partei weiterleiten und die Wohnanschrift von diesen Leuten feststellen und ausserdem habe ich die Briefe die ich von dieser Abteilung bekommen habe an die verschiedenen Stützpunkte verteilt.'
Verhandlungsleiter: 'Ich wiederhole nochmals die vorige Frage, wenn jemand Mitglied eines Geheimdienstes ist, wird jeder Gegner ihn besonders verhören?'
Asylwerber: 'Die Geheimdienste in Afghanistan sind nicht so wie in einem ordentlichen Staat, das war mir nicht ganz klar, als ich dazuging.'
Verhandlungsleiter: 'Haben Sie in der Wahdat Partei auch mit der Waffe gekämpft?'
Asylwerber: 'Nein. Ich habe ein Taxi gehabt und war mit einfachen Einwohnern in Kontakt, deshalb hat man mir diese Aufgabe gegeben.'
Verhandlungsleiter: 'Haben Sie den Taliban die gewünschten
Informationen geben können?'
Asylwerber: 'Nein.' (...)
6) Zur Glaubwürdigkeit des Asylwerbers ist auszuführen: Auch wenn das Gesamtvorbringen der Asylwerber nach wie vor unglaubwürdig ist, kann betreffend der Urkunde über die Zugehörigkeit zum Geheimdienst kein mit der Sicherheit im Asylverfahren erforderlichen Sicherheit notwendiges Urteil i.S. einer Ausschließung dieses Faktum gefällt werden."
Da "weder die Zugehörigkeit zu den Hazara glaubhaft ist noch eine politische Überzeugung Verfahrensgrund war", sei eine "asylrelevante Verankerung der Inhaftierungen nicht glaubhaft gemacht" worden. Die bloße Tatsache geheimdienstlicher Tätigkeiten für eine Bürgerkriegspartei könne "nicht zu einer Asylrelevanz ...
führen".
Die Feststellung über das Bestehen von Refoulement-Schutz
nach § 8 AsylG begründete die belangte Behörde (wörtlich) wie folgt:
"Nachdem Amtsbekannterweise und von dem Verfahrensleiter
ausser Streit gestellt in Afghanistan Bürgerkrieg herrscht und - unabhängig von sonstigen nicht glaublichen Vorbringens - eine Angehörigkeit des Asylwerbers zum Geheimdienst der Gruppenverfolgungen der Konflikte nicht ausgeschlossen werden kann ist im Falle einer allfälligen Rückkehr in diesem konkreten Fall mit einer - das 'üblichen Ausmaß' übersteigender, als unmenschlich zu berechnende Behandlung des Asylwerber zu rechnen, dies schon aus seiner seinerzeitigen Tätigkeit auch wenn diese nicht in den Gründen der GFK verankerten Geheimdiensttätigkeit.
Dies war gemäß Art. 3 EMRK iVm § 57 FrG beachtlich."
Über die gegen diesen Bescheid in seinem die Berufung abweisenden Teil erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof erwogen:
Vorweg ist festzuhalten, dass der Verwaltungsgerichtshof den angefochtenen Bescheid anhand der Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt seiner Erlassung zu überprüfen hat (vgl. etwa das Erkenntnis vom 26. November 2003, Zl. 2001/20/0230).
Die belangte Behörde hat die Abweisung der Berufung hinsichtlich des Asylteiles insbesondere damit begründet, es stehe nicht fest, dass der Beschwerdeführer "eindeutig Hazare ist"; auch habe das Verfahren keine Anhaltspunkte "für eine Gruppenverfolgung der Hazare ergeben". Der Beschwerdeführer weist dem gegenüber darauf hin, dass nach den Ausführungen der im Verfahren von der belangten Behörde beigezogenen Sachverständigen Angehörige der Volksgruppe der Hazara sowie insbesondere Mitglieder der Wahdat-Partei (für den hier maßgeblichen Zeitpunkt der Bescheiderlassung durchaus mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung seitens des Taliban-Regimes zu gewärtigen hätten. Der Beschwerdeführer habe sowohl seine ethnische Zugehörigkeit zu dieser Volksgruppe als auch seine Mitgliedschaft bei der Wahdat-Partei "durch ein in sich stimmiges und widerspruchsfreies Vorbringen sowie durch entsprechende Bescheinigungsmittel in vollem Umfang glaubhaft machen" können, wobei auch nicht unplausibel sei, dass die Taliban "jahrelang von seiner Vergangenheit in der Wahdat-Partei nichts gewusst" hätten.
Die belangte Behörde hat nicht dargelegt, warum sie davon ausging, dass der Beschwerdeführer der Volksgruppe der Hazara nicht angehöre. Zwar ist einem entsprechenden Vorhalt bei der Einvernahme des Beschwerdeführers durch das Bundesasylamt zu entnehmen, dass dieser Umstand auf Grund des Aussehens des Beschwerdeführers bezweifelt wurde, aus dem angefochtenen Bescheid lässt sich jedoch nicht entnehmen, welche Überlegungen die belangte Behörde dazu veranlassten, die vom Beschwerdeführer behauptete Volksgruppenzugehörigkeit nicht feststellen zu können. Aus dem angefochtenen Bescheid geht auch nicht hervor, auf Grund welcher konkreten Überlegungen die belangte Behörde eine Verfolgung der Volksgruppe der Hazara verneint hat. In dem von der belangten Behörde dem angefochtenen Bescheid zu Grunde gelegten "ergänzenden Gutachten über die allgemeine Menschenrechtssituation in Afghanistan" vom 16. Juli 2000 ist unter Punkt X.3. festgehalten, dass "Mudjaheddingruppen und ihre Anführer - unabhängig von der ethnischen und religiösen Zugehörigkeit -, die sich den Taliban nicht unterwerfen, verfolgt" würden. Teile der "Hazb-e Wahdat-e-Islami (Hazara) sowie Harrakat-e-Islami ..., deren Mitglieder Schiiten sind", würden ebenso verfolgt. Diesem Teil des Gutachtens lässt sich daher entnehmen, dass zumindest die der Volksgruppe der Hazara angehörenden Mitglieder der Wahdat-Partei Verfolgung durch die Taliban zu gewärtigen hatten (vgl. dazu, dass auf Grundlage der dem angefochtenen Bescheid zu Grunde gelegten bzw. mit diesen vergleichbaren Gutachten nicht feststeht, dass mit erheblichen Verfolgungen der Volksgruppe der Hazara nicht zu rechnen war, auch die hg. Erkenntnisse vom 26. November 2003, Zlen. 2001/20/0659 und 2002/20/0090).
Indem die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid einerseits davon ausgegangen ist, dass der Beschwerdeführer für die Hezb-e Wahdat "geheimdienstlich" tätig gewesen sei, und sie andererseits in nicht nachvollziehbarer Weise angenommen hat, dass die Zugehörigkeit des Beschwerdeführers zu den Hazara nicht glaubhaft sei, hat sie - abgesehen von sprachlichen, die Nachvollziehbarkeit zum Teil beeinträchtigenden Unzulänglichkeiten in ihren Ausführungen - nicht mängelfrei begründet, dass beim Beschwerdeführer für den entscheidungsmaßgeblichen Zeitpunkt keine - auf ethnischen und/oder politischen Gründen beruhende - asylrelevante Verfolgungsgefahr gegeben sei.
Darüber hinaus leidet der angefochtene Bescheid auch insofern an Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften, als darin nicht nachvollziehbar dargelegt wird, warum die von der belangten Behörde im Rahmen der Begründung ihrer Refoulement-Entscheidung bejahte Verfolgungsgefahr auf Grund der "Geheimdiensttätigkeit" des Beschwerdeführers nicht auch "aus Gründen der politischen Gesinnung" im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer FlKonv bestünde, obwohl der Beschwerdeführer nach den Feststellungen der belangten Behörde für die Wahdat-Partei als Geheimdienstmitarbeiter tätig war und deren Mitglieder nach dem erwähnten Gutachten zumindest teilweise Verfolgung durch die Taliban zu befürchten hatten.
Der angefochtene Bescheid leidet daher an wesentlichen Begründungsmängeln, wobei nicht ausgeschlossen werden kann, dass die belangte Behörde bei deren Vermeidung zu einem anderen Bescheid hätte kommen können. Er war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003.
Wien, am 26. Mai 2004
Schlagworte
"zu einem anderen Bescheid" Begründung Begründungsmangel Begründungspflicht und Verfahren vor dem VwGH Begründungsmangel als wesentlicher Verfahrensmangel Maßgebende Rechtslage maßgebender SachverhaltEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2004:2001200502.X00Im RIS seit
07.07.2004