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10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG);Norm
BAO §249 Abs1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Dr. Bernard und die Hofräte Dr. Hargassner und Dr. Büsser als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Seidl LL.M., in der Beschwerdesache des W P und der L P, beide in G, beide vertreten durch Dr. Peter Schaefer, Rechtsanwalt in 8054 Graz, Schwarzer Weg 82, gegen den unabhängigen Finanzsenat, Außenstelle Wien, wegen Verletzung der Entscheidungspflicht betreffend Umsatzsteuer 2001 sowie einheitliche und gesonderte Feststellung von Einkünften 2001, den Beschluss gefasst:
Spruch
Das Verfahren wird eingestellt.
Der Bund hat den Beschwerdeführern Aufwendungen in der Höhe von 675,60 EUR binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Die Beschwerdeführer brachten am 24. Mai 2002 Berufung gegen gemäß § 200 Abs. 1 BAO vorläufig ergangene Bescheide des Finanzamtes betreffend die Feststellung von Einkünften aus Vermietung und Verpachtung sowie Umsatzsteuer für das Jahr 2001 ein. Darin beantragten sie, endgültige Bescheide zu erlassen.
Nach Ergehen abweisender Berufungsvorentscheidungen stellten sie am 30. August 2002 (hinsichtlich Umsatzsteuer) und am 20. September 2002 (hinsichtlich der Einkünftefeststellung) den Antrag auf Entscheidung über die Berufung durch die Abgabenbehörde zweiter Instanz.
Mit der vorliegenden, am 14. Jänner 2004 zur Post gegebenen Beschwerde wird von den Beschwerdeführern die Verletzung der Entscheidungspflicht durch den unabhängigen Finanzsenat geltend gemacht.
Der Verwaltungsgerichtshof trug der belangten Behörde auf, den versäumten Bescheid innerhalb einer Frist von drei Monaten zu erlassen. Der unabhängige Finanzsenat hat innerhalb der gesetzten Frist den Bescheid vom 26. März 2004, GZ. RV/1156-W/03, RV/219- W/04, erlassen und eine Abschrift dieses Bescheides dem Verwaltungsgerichtshof vorgelegt.
Das Verfahren über die Säumnisbeschwerde war daher gemäß § 36 Abs. 2 VwGG einzustellen.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff, insbesondere auf § 55 Abs. 1 VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 333/2003.
In der den vorgelegten Akten angeschlossenen Gegenschrift beantragte die belangte Behörde, die Säumnisbeschwerde als unbegründet abzuweisen, weil eine Verletzung der Entscheidungspflicht durch die belangte Behörde nicht vorliegen würde.
Begründend wird ausgeführt, die Beschwerdeführer seien am 24. Juli 2003 vom Finanzamt davon in Kenntnis gesetzt worden, dass ihre Berufungen dem nunmehr zuständigen unabhängigen Finanzsenat zur Entscheidung vorgelegt worden seien. Die Berufungen seien am 25. Juli 2003 beim unabhängigen Finanzsenat eingelangt. Zu diesem Zeitpunkt habe die belangte Behörde erstmals von den anhängigen Berufungen erfahren. Der unabhängige Finanzsenat sei daher nicht vor dem 25. Juli 2003 angerufen worden und die gegenständliche Säumnisbeschwerde somit verfrüht erhoben worden. Im Beschwerdefall habe das "Ausbleiben einer Entscheidung" seine Ursache im Verhalten des Finanzamtes. Dem (erst) durch das Abgaben-Rechtsmittel-Reformgesetz, BGBl. I Nr. 97/2002, neu geschaffenen unabhängigen Finanzsenat sei es auch verwehrt, auf das "Vorlageverhalten" des Finanzamtes als Amtspartei Einfluss zu nehmen. Demgegenüber hätten die Beschwerdeführer zur Wahrung ihres Anspruchs auf Entscheidung über ihre Berufungen seit 1. Jänner 2003 den unabhängigen Finanzsenat "anrufen" und damit den Lauf der Entscheidungsfrist für die belangte Behörde auslösen können.
Gemäß § 27 Abs. 1 VwGG kann Beschwerde wegen Verletzung der Entscheidungspflicht (Säumnisbeschwerde) nach Art. 132 B-VG erst erhoben werden, wenn die oberste Behörde, die im Verwaltungsverfahren, sei es im Instanzenzug, sei es im Wege eines Antrages auf Übergang der Entscheidungspflicht, angerufen werden konnte, von einer Partei angerufen worden ist und nicht binnen sechs Monaten, wenn aber das das einzelne Gebiet der Verwaltung regelnde Gesetz für den Übergang der Entscheidungspflicht eine kürzere oder längere Frist vorsieht (was im Beschwerdefall nicht zutrifft), nicht binnen dieser in der Sache entschieden hat. Die Frist läuft von dem Tag, an dem der Antrag auf Sachentscheidung bei der Stelle eingelangt ist, bei der er einzubringen war.
Gemäß § 260 Abs. 1 BAO in der vor dem 1. Jänner 2003 geltenden Fassung oblag die Entscheidung über Berufungen der Finanzlandesdirektion als Abgabenbehörde zweiter Instanz.
Gemäß § 260 BAO in der ab 1. Jänner 2003 geltenden Fassung des Abgaben-Rechtsmittel-Reformgesetzes (AbgRmRefG), BGBl. I Nr. 97/2002, hat über Berufungen gegen von Finanzämtern oder von Finanzlandesdirektionen erlassene Bescheide der unabhängige Finanzsenat (im Folgenden: UFS) als Abgabenbehörde zweiter Instanz zu entscheiden, soweit nicht anderes bestimmt ist.
Gemäß § 1 Abs. 1 UFSG (Art. I des AbgRmRefG), welche Bestimmung gemäß § 26 Abs. 1 und 2 leg.cit. erst mit 1. Jänner 2003 in Kraft getreten ist, wird für das Bundesgebiet ein unabhängiger Finanzsenat errichtet.
Durch die angeführten Gesetzesänderungen zum 1. Jänner 2003 ist eine Änderung hinsichtlich der im zu Grunde liegenden Verwaltungsverfahren zuständigen obersten Abgabenbehörde eingetreten. § 323 Abs. 10 BAO sieht (zufolge seines Verweises auf § 260 BAO) vor, dass der UFS auch zur Entscheidung über alle am 1. Jänner 2003 unerledigten Berufungen zuständig ist.
Die Berufung ist nach § 249 Abs. 1 BAO bei der Abgabenbehörde einzubringen, die den angefochtenen Bescheid erlassen hat; sie kann jedoch auch bei der zur Entscheidung über die Berufung zuständigen Abgabenbehörde zweiter Instanz oder im Fall einer Änderung der Zuständigkeit bei der neu zuständigen Abgabenbehörde eingebracht werden. § 249 Abs. 1 BAO gilt dem § 276 Abs. 1 vorletzter Satz BAO (bzw. dem § 276 Abs. 4 BAO in der Fassung des BGBl. I Nr. 97/2002) zufolge auch für Anträge auf Entscheidung über die Berufung durch die Abgabenbehörde zweiter Instanz (Vorlageanträge).
Berufungen, über die eine Berufungsvorentscheidung nicht erlassen wurde oder über die infolge eines zeitgerechten Vorlageantrages von der Abgabenbehörde zweiter Instanz zu entscheiden ist, hat die Abgabenbehörde erster Instanz nach Durchführung der etwa noch erforderlichen Ermittlungen ohne unnötigen Aufschub der Abgabenbehörde zweiter Instanz vorzulegen (Abs. 6 leg.cit.). Die Abgabenbehörde erster Instanz hat die Parteien vom Zeitpunkt der Vorlage unter Anschluss einer Ausfertigung des Vorlageberichtes zu verständigen.
Das Finanzamt als Abgabenbehörde erster Instanz trifft keine Entscheidungspflicht, weshalb das Finanzamt eine solche - entgegen der von der belangten Behörde vertretenen Ansicht - auch nicht verletzen konnte. Nach der dargestellten Rechtslage hatte ab 1. Jänner 2003 der UFS zu entscheiden (vgl. in diesem Sinne auch den hg. Beschluss vom 28. April 2004, 2004/14/0027). Die Entscheidungspflicht des UFS auslösender Parteienhandlungen bedurfte es auf Grund der Übergangsbestimmung des § 323 Abs. 10 BAO nicht.
Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist die Beschwerdeberechtigung nach Art. 132 B-VG von keiner anderen Voraussetzung als vom Ablauf der im § 27 VwGG vorgesehenen Frist abhängig (vgl. Dolp, Die Verwaltungsgerichtsbarkeit3, 198).
Gegenständlich wurden die Vorlageanträge bei einer vom Gesetz bezeichneten Stelle (der Abgabenbehörde erster Instanz) eingebracht. Damit wurde die oberste, nämlich die Abgabenbehörde zweiter Instanz, die im Verwaltungsverfahren angerufen werden konnte, angerufen, ohne dass binnen sechs Monaten von dem Tag an, an dem der Antrag auf Sachentscheidung bei jener Stelle eingelangt ist, bei der er einzubringen ist, in der Sache entschieden wurde. Ob die Säumnis der zuständigen Behörde auf deren Verschulden zurückzuführen ist oder nicht, hat auf die Berechtigung zur Erhebung der Beschwerde gemäß Art. 132 B-VG und § 27 VwGG keinen Einfluss (vgl. mit weiteren Nachweisen den hg. Beschluss vom 27. April 1976, 889/74, und die Beschlüsse vom 26. November 1998, 98/16/0162, und vom 18. September 2000, 2000/17/0039).
Anderes ergibt sich auch nicht aus den von der belangten Behörde angeführten Beschlüssen, in denen der Verwaltungsgerichtshof ausgesprochen hat, dass sich der ab 1. Jänner 2003 neu zuständig gewordene UFS nicht die Verletzung der Entscheidungspflicht durch die früher zur Entscheidung zuständig gewesenen Finanzlandesdirektion anrechnen lassen muss (vgl. u.a. den Beschluss vom 26. Februar 2003, 2003/13/0010). Eine Verletzung der Entscheidungspflicht durch eine andere Behörde liegt bei einer allfälligen Säumigkeit der Abgabenbehörde erster Instanz hinsichtlich der Vorlage der bei ihr eingelangten Berufungen und Vorlageanträge nämlich nicht vor.
Dass der Entscheidung ein Hindernis im Sinne der bei Dolp, aaO, 197, angeführten Rechtsprechung entgegengestanden wäre, ist im Beschwerdefall gleichfalls nicht zu erkennen. Es mag sein, dass bis zum Vorliegen des Jahresergebnisses 2003 die Abgabepflicht ungewiss war. Dieser Umstand berechtigte die Abgabenbehörde gemäß § 200 Abs. 1 BAO zur Erlassung vorläufiger Bescheide mit der im Beschwerdefall allenfalls zu ziehenden Konsequenz, dass das auf eine endgültige Abgabenfestsetzung zielende Berufungsbegehren als unbegründet abzuweisen gewesen wäre.
Was den "hilfsweise" gestellten Antrag auf Kostenbefreiung gemäß § 55 Abs. 2 VwGG anlangt, zeigt die belangte Behörde mit ihrem Hinweis auf die am 24. Juli 2003 erfolgte Verständigung der Beschwerdeführer im Sinne des § 276 Abs. 6 BAO nicht auf, dass sie den Beschwerdeführern vor Erhebung der gegenständlichen Säumnisbeschwerde triftige Gründe bekannt gegeben hat, die eine sofortige Entscheidung unmöglich machten.
Wien, am 2. Juni 2004
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2004:2004130023.X00Im RIS seit
16.09.2004