Index
L00019 Landesverfassung Wien;Norm
AVG §68;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Höß und die Hofräte Dr. Zens, Dr. Schick, Dr. Hinterwirth und Dr. Thoma als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Ströbl, über die Beschwerde des Ing. U in S, vertreten durch Dr. Reinhard Kohlhofer, Rechtsanwalt in 1130 Wien, Fasangartengasse 35, gegen den Bescheid des Gemeinderates der Bundeshauptstadt Wien vom 14. Dezember 2001, Zl. MA 1 - 528/2001, betreffend Zurückweisung eines Devolutionsantrages, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Der Beschwerdeführer hat der Bundeshauptstadt Wien Aufwendungen in der Höhe von EUR 381,90 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer steht in einem öffentlich-rechtlichen Ruhestandsverhältnis zur Bundeshauptstadt Wien.
Mit Spruchpunkt I. des Bescheides des Magistrates der Bundeshauptstadt Wien vom 12. Februar 2001 wurde festgestellt, dass dem Beschwerdeführer für näher genannte Zeiträume seines Aktivdienstverhältnisses keine Mehrleistungsvergütungen gebührten.
Gegen Spruchpunkt I. dieses Bescheides erhob der Beschwerdeführer am 27. Februar 2001 Berufung.
Da innerhalb von sechs Monaten keine Entscheidung über diese Berufung ergangen war, machte der Beschwerdeführer mit einem an die belangte Behörde gerichteten Devolutionsantrag vom 4. Oktober 2001 den Übergang der Entscheidungspflicht gemäß § 73 Abs. 2 AVG geltend.
Mit dem angefochtenen Bescheid der belangten Behörde vom 14. Dezember 2001 wurde dieser Devolutionsantrag gemäß § 73 Abs. 2 AVG als unzulässig zurückgewiesen.
Begründend führte die belangte Behörde nach Wiedergabe der Bestimmungen des § 73 Abs. 1 und 2 AVG sowie nach auszugsweiser Wiedergabe der §§ 74a, 74b und 74c der Wiener Dienstordnung 1994 (im Folgenden: DO 1994), aus, der zur Behandlung der Berufung des Beschwerdeführers zuständige Dienstrechtssenat der Bundeshauptstadt Wien sei als Kollegialbehörde mit richterlichem Einschlag im Sinne des Art. 133 Z. 4 des Bundes-Verfassungsgesetzes, Wiederverlautbarungskundmachung BGBl. Nr. 1/1930 (im Folgenden: B-VG), und somit zur Entscheidung in oberster Instanz eingerichtet. Daraus folge, dass der Dienstrechtssenat der Bundeshauptstadt Wien auf derselben Stufe wie die obersten Organe stehe und damit eine Behörde der obersten Organisationsstufe sei. Dieser Umstand schließe die Existenz einer sachlich in Betracht kommenden Oberbehörde im Verständnis des § 73 AVG nach herrschender Lehre und Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes aus.
Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof.
Dieser lehnte die Behandlung dieser Beschwerde mit Beschluss vom 11. Juni 2002, B 152/02-3, ab.
Über Antrag des Beschwerdeführers trat der Verfassungsgerichtshof sodann mit Beschluss vom 30. August 2002, B 152/02-5, die Beschwerde gemäß Art. 144 Abs. 3 B-VG dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung ab.
In seiner vor dem Verwaltungsgerichtshof ergänzten Beschwerde erachtet sich der Beschwerdeführer in seinem Recht auf Übergang der Zuständigkeit zur Entscheidung auf die sachlich in Betracht kommende Oberbehörde gemäß § 73 AVG verletzt. Er macht Rechtswidrigkeit des Inhaltes des angefochtenen Bescheides mit dem Antrag geltend, ihn aus diesem Grunde aufzuheben.
Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, in welcher sie die Abweisung der Beschwerde als unbegründet beantragt.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
§ 74a, § 74b Abs. 1, 2 und 5 sowie § 74c Abs. 4 DO 1994 in der Fassung der wiedergegebenen Absätze nach der 7. Novelle zur Wiener Dienstordnung, LGBl. Nr. 34/1999, lauten (auszugsweise):
"§ 74a. (1) Dem Dienstrechtssenat obliegt
...
2. die Entscheidung über Rechtsmittel gegen Bescheide, die vom Magistrat in den zum eigenen Wirkungsbereich der Gemeinde gehörenden Angelegenheiten unter Anwendung des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984, BGBl. Nr. 29, erlassen worden sind.
(2) Die Bescheide des Dienstrechtssenates unterliegen nicht der Aufhebung oder Abänderung im Verwaltungsweg. Hat der Dienstrechtssenat aber eine Kündigung, eine Versetzung in den Ruhestand mit geminderten Ruhebezügen oder die Entlassung verfügt, ist die Anrufung des Verwaltungsgerichtshofes zulässig.
§ 74b. (1) Der Dienstrechtssenat besteht aus dem Vorsitzenden, einem rechtskundigen Beisitzer und sieben weiteren Beisitzern. Die Mitglieder werden vom Stadtsenat für die Dauer von fünf Jahren bestellt. ...
(2) Der Vorsitzende und sein Stellvertreter müssen Richter des Aktivstandes sein. Für ihre Bestellung kommt dem Präsidenten des Oberlandesgerichtes Wien ein Vorschlagsrecht zu.
...
(5) Der Dienstrechtssenat verhandelt und entscheidet in einem
Dreiersenat, der aus dem
1. Vorsitzenden,
2. dem rechtskundigen Beisitzer und
3. einem der weiteren Beisitzer, der für Beamte jener
Verwendungsgruppe zuständig ist, der der betroffene Beamte im
Zeitpunkt des Anhängigwerdens des Verfahrens beim
Dienstrechtssenat angehört hat,
besteht.
§ 74c. ...
(4) Die Mitglieder des Dienstrechtssenates sind in Ausübung ihres Amtes an keine Weisungen gebunden."
§ 83 der Verfassung der Bundeshauptstadt Wien in der Fassung der Wiederverlautbarungskundmachung LGBl. Nr. 28/1968 lautet:
"§ 83
Infolge des der Gemeinde zustehenden Rechtes der Oberaufsicht ist der Gemeinderat befugt, die Geschäftsführung aller Gemeindeämter, -betriebe und -anstalten in Angelegenheiten des eigenen Wirkungsbereiches zu untersuchen, beziehungsweise untersuchen zu lassen, die Vorlage aller einschlägigen Akten, Urkunden, Rechnungen, Schriften und Berichte zu verlangen und sich in einzelnen Fällen von besonderer Wichtigkeit die Genehmigung vorzubehalten."
Art. 20 Abs. 1 und 2 B-VG lautet:
"Artikel 20. (1) Unter der Leitung der obersten Organe des Bundes und der Länder führen nach den Bestimmungen der Gesetze auf Zeit gewählte Organe oder ernannte berufsmäßige Organe die Verwaltung. Sie sind, soweit nicht verfassungsgesetzlich anderes bestimmt wird, an die Weisungen der ihnen vorgesetzten Organe gebunden und diesen für ihre amtliche Tätigkeit verantwortlich. Das nachgeordnete Organ kann die Befolgung einer Weisung ablehnen, wenn die Weisung entweder von einem unzuständigen Organ erteilt wurde oder die Befolgung gegen strafgesetzliche Vorschriften verstoßen würde.
(2) Ist durch Bundes- oder Landesgesetz zur Entscheidung in oberster Instanz eine Kollegialbehörde eingesetzt worden, deren Bescheide nach der Vorschrift des Gesetzes nicht der Aufhebung oder Abänderung im Verwaltungsweg unterliegen und der wenigstens ein Richter angehört, so sind auch die übrigen Mitglieder dieser Kollegialbehörde in Ausübung ihres Amtes an keine Weisungen gebunden."
Art. 133 Z. 4 B-VG lautet:
"Artikel 133. Ausgeschlossen von der Zuständigkeit des Verwaltungsgerichtshofes sind:
...
4. die Angelegenheiten, über die in oberster Instanz die Entscheidung einer Kollegialbehörde zusteht, wenn nach dem die Einrichtung dieser Behörde regelnden Bundes- oder Landesgesetz unter den Mitgliedern sich wenigstens ein Richter befindet, auch die übrigen Mitglieder in Ausübung dieses Amtes an keine Weisungen gebunden sind, die Bescheide der Behörde nicht der Aufhebung oder Abänderung im Verwaltungsweg unterliegen und nicht, ungeachtet des Zutreffens dieser Bedingungen, die Anrufung des Verwaltungsgerichtshofes ausdrücklich für zulässig erklärt ist."
Zur Geschichte der Kollegialbehörden mit richterlichem Einschlag wird auf die diesbezüglichen Ausführungen bei Grabenwarter in Korinek-Holoubek, Österreichisches Bundesverfassungsrecht, Rz 4, zu Art. 133 B-VG, verwiesen.
Hervorgehoben sei, dass Art. 131 Z. 3 B-VG (Stammfassung BGBl. Nr. Nr. 1/1920) vorsah, dass von der Zuständigkeit des Verwaltungsgerichtshofes jene Angelegenheiten ausgeschlossen sind, über die eine Kollegialbehörde zu entscheiden oder zu verfügen hat, der in erster oder höherer Instanz wenigstens ein Richter angehört.
Die (letztendlich nicht in Kraft getretene) Bestimmung des Art. 130 Z. 3 B-VG in der Fassung der B-VG Novelle 1925 sah einen Ausschluss der Zuständigkeiten des Verwaltungsgerichtshofes in Angelegenheiten vor, "über die in letzter Instanz eine Kollegialbehörde zu entscheiden oder zu verfügen hat, wenn sich nach bundes- oder landesgesetzlicher Vorschrift unter den Mitgliedern der Kollegialbehörde wenigstens ein Richter befindet, auch die übrigen Mitglieder in der Ausübung dieses Amtes an keine Weisungen gebunden sind, die Bescheide der Kollegialbehörde im Verwaltungswege weder aufgehoben noch abgeändert werden können und die Anrufung des Verwaltungsgerichtshofes gesetzlich nicht ausdrücklich für zulässig erklärt ist" (oder Art. 129 Abs. 2 Z. 3 lit. a B-VG in der eben zitierten Fassung Anwendung findet).
Eine dem Art. 133 Z. 4 B-VG idF BGBl. Nr. 211/1946 entsprechende Bestimmung fand sich in Art. 129 Abs. 5 Z. 4 B-VG idF des § 57 der B-VG Novelle 1929 bzw. in der Folge idF der Wiederverlautbarungskundmachung BGBl. Nr. 1/1930.
§ 73 Abs. 2 AVG in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. Nr. 274/1925 lautete:
"§ 73. ...
(2) Wird der Partei innerhalb dieser Frist der Bescheid nicht zugestellt, so geht auf ihr schriftliches Verlangen die Zuständigkeit zur Entscheidung an die sachlich in Betracht kommende Oberbehörde über. Ein solches Verlangen ist unmittelbar bei der Oberbehörde einzubringen. Das Verlangen ist abzuweisen, wenn die Verzögerung nicht ausschließlich auf ein Verschulden der Behörde zurückzuführen ist."
Mit diesem Wortlaut wurde der § 73 Abs. 2 AVG in der Wiederverlautbarungskundmachung BGBl. Nr. 172/1950 wiederverlautbart.
Durch das Bundesgesetz BGBl. Nr. 357/1990 erhielt § 73 Abs. 2 AVG folgende Fassung:
"(2) Wird der Bescheid der Partei nicht innerhalb dieser Frist zugestellt, so geht auf ihren schriftlichen Antrag die Zuständigkeit zur Entscheidung auf die sachlich in Betracht kommende Oberbehörde, wenn aber gegen die ausständige Entscheidung die Berufung an den unabhängigen Verwaltungssenat vorgesehen ist, auf diesen über. Ein solcher Antrag ist unmittelbar bei der Oberbehörde (beim unabhängigen Verwaltungssenat) einzubringen. Der Antrag ist abzuweisen, wenn die Verzögerung nicht ausschließlich auf ein Verschulden der Behörde zurückzuführen ist."
Mit diesem Wortlaut wurde § 73 Abs. 2 AVG in der Wiederverlautbarungskundmachung BGBl. Nr. 51/1991 wiederverlautbart.
Die oben wiedergegebenen, die Organisation des für die Behandlung der Berufung des Beschwerdeführers zuständigen Dienstrechtssenates der Bundeshauptstadt Wien maßgeblichen Bestimmungen des § 74a Abs. 2, des § 74b Abs. 2 und 5 sowie des § 74c Abs. 4 DO 1994 konstituieren diese Behörde als eine Kollegialbehörde mit richterlichem Einschlag im Verständnis des Art. 133 Z. 4 B-VG (vgl. hiezu das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 12. Juni 2001, B 917/00 = VfSlg. Nr. 16.176, sowie den hg. Beschluss vom 20. Februar 2002, Zl. 2001/12/0270).
Diese Qualifikation wird vom Beschwerdeführer auch nicht in Frage gestellt; dieser vertritt jedoch - anders als die belangte Behörde - die Auffassung, die bloße Stellung als Kollegialbehörde mit richterlichem Einschlag schließe die Existenz einer Oberbehörde nicht aus. Maßgeblich sei vielmehr, ob eine Behörde vorhanden sei, welcher die Dienst- und/oder Fachaufsicht obliege. Diese Stellung komme aus dem Grunde des § 83 der Wiener Stadtverfassung dem Gemeinderat gegenüber dem Dienstrechtssenat der Bundeshauptstadt Wien zu. Dem ist Folgendes zu erwidern:
Der Verfassungsgerichtshof hat in seinem Erkenntnis vom 11. März 1959, VfSlg. Nr. 3506, ausgeführt, dass das B-VG, und somit auch dessen Art. 133 Z. 4 den Ausdruck "oberst" durchgehend zur Kennzeichnung des Fehlens einer übergeordneten Instanz verwende. Schon daraus folge, dass in Ansehung einer Kollegialbehörde mit richterlichem Einschlag gemäß Art. 133 Z. 4 B-VG eine sachlich in Betracht kommende Oberbehörde nicht existiere. Dies habe zur Folge, dass auch dort, wo das AVG für anwendbar erklärt worden sei, die Verletzung der Entscheidungspflicht gemäß § 73 AVG nicht geltend gemacht werden könne.
Dieser Auffassung haben sich in der Folge Pernthaler, Kollegialbehörden (1977), S. 59, FN 220, Raschauer2, Allgemeines Verwaltungsrecht (2003), Rz 451 f, sowie Grabenwarter in Korinek-Holoubek, Österreichisches Bundesverfassungsrecht, Anm. 51 zu Art. 133 B-VG, angeschlossen (a.A. Wiederin, Woran erkennt man eine Art. 133 Z 4- Behörde? Bemerkungen zu VfGH 9. 10. 2000, B 1824/99, WBl. 2001, 460 ff.)
Der Verwaltungsgerichtshof hat seine Rechtsprechung zum Begriff der "sachlich in Betracht kommenden Oberbehörde" im Beschluss vom 30. August 1991, Zl. 91/09/0112 = Slg. Nr. 13.469/A, wie folgt zusammengefasst:
"... Nach der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes ist sachlich in Betracht kommende Oberbehörde in jedem Fall die Berufungsbehörde, darüber hinaus auch jede sonstige Behörde, die - bei Ausschluss eines ordentlichen Rechtsmittels (dies trifft im Beschwerdefall zu) durch Ausübung des Weisungs- oder auch Aufsichtsrechts (Dienstund/oder Fachaufsicht) den Inhalt der (unterbliebenen) Entscheidung hätte bestimmen können. Kommt ein Weisungsrecht gegenüber der säumigen Behörde nicht in Frage, so genügt die Ausübung der Fach- oder Dienstaufsicht gegenüber der säumigen Behörde (vgl. dazu insbesondere den Beschluss des Verwaltungsgerichtshofes vom 19. Mai 1982, Zlen. 82/09/0029, 0043 = Slg. N.F. Nr. 10.742/A sowie den Beschluss eines verstärkten Senates vom 24. April 1986, Zl. 85/02/0281 = Slg. N.F. Nr. 12.123/A sowie das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 4. September 1990, Zl. 88/09/0053 und die jeweils zitierte Vorjudikatur), um der hiezu berufenen Behörde die Stellung einer Oberbehörde im genannten Sinn zu verleihen."
In ihrem Zusammenhang können diese Rechtssätze nur dahingehend verstanden werden, dass die Ausübung der Fach-, bzw. Dienstaufsicht nur dann die Stellung einer sachlich in Betracht kommenden Oberbehörde verleiht, wenn die aufsichtsberechtigte Behörde hiedurch in die Lage versetzt wird, auf den Inhalt der Entscheidung der solcherart beaufsichtigten Organwalter Einfluss zu nehmen (dies wird auch im hg. Beschluss vom 29. August 2000, Zl. 2000/12/0227 = Slg. Nr. 15.484/A, betont).
Schließlich hat der Verwaltungsgerichtshof in seinem Beschluss vom 22. April 1998, Zl. 98/12/0072 = Slg. Nr. 14.822/A, eine Säumnisbeschwerde wegen Verletzung der Entscheidungspflicht durch die Datenschutzkommission ausdrücklich für zulässig erachtet, weil § 37 Abs. 3 des Datenschutzgesetzes, BGBl. Nr. 565/1978 (im Folgenden: DSG), in der Fassung dieses Absatzes nach Z. 7 der Novelle BGBl. Nr. 632/1994 die Anrufung des Verwaltungsgerichtshofes für zulässig erklärt hat.
Der Verwaltungsgerichtshof hat sich in diesem Zusammenhang auf die Regierungsvorlage zu der letztgenannten Novelle, 1640 Blg. Sten.Prot. 18. GP, Seite 8, zu Z. 5 bis 7, berufen, wo es lautet wie folgt:
"Die Absicherung der Zulässigkeit der Säumnisbeschwerde durch Verfassungsbestimmung, wie sie im bisherigen § 36 Abs. 4 enthalten war, scheint überflüssig und wurde daher in § 37 Abs. 3 nicht nachvollzogen: Aus der Formulierung des Art. 133 B-VG (Einleitungssatz im Zusammenhang mit Z. 4) ist nicht zu ersehen, wieso die im letzten Halbsatz bezogene 'Anrufung des Verwaltungsgerichtshofes' sich nur auf die Bescheidbeschwerde und nicht auch auf die Säumnisbeschwerde beziehen sollte. Es wird daher davon ausgegangen, dass es zulässig ist, durch einfaches Gesetz die Möglichkeit der 'Anrufung des Verwaltungsgerichtshofes' im gesamten Bereich des Art. 130 B-VG (also auch hinsichtlich der Säumnisbeschwerde) festzulegen."
Dem ist der Verwaltungsgerichtshof in dem zitierten Beschluss ausdrücklich beigetreten, wobei er auf die schon bisher von der herrschenden Lehre vertretene Rechtsansicht verwies, wonach die Einräumung des Rechtes auf "Anrufung des Verwaltungsgerichtshofes" im Verständnis des Art. 133 Z. 4 B-VG auch das Recht auf Erhebung einer Säumnisbeschwerde bei Vorliegen der sonstigen gesetzlichen Voraussetzungen umfasse (vgl. dazu insbesondere Ringhofer,
Die österreichische Bundesverfassung (1977), 425 f, sowie R. Novak, Rechtsschutz und Gesetzestechnik, JBl. 1981, 516 ff (518 f)).
Da die Datenschutzkommission aber das AVG anzuwenden hatte, wäre durch § 37 Abs. 3 DSG idF BGBl. Nr. 632/1994 die Zulässigkeit der Säumnisbeschwerde nur dann "abgesichert", wenn diese nicht schon daran scheiterte, dass es an der Erschöpfung des Devolutionsweges im Verständnis des § 27 Abs. 1 VwGG fehlte. Dies wäre allerdings dann der Fall, wenn man annehmen wollte, dass der zuständige Bundesminister "Oberbehörde" gegenüber der Datenschutzkommission wäre und somit im Devolutionsweg gegen deren Säumnis angerufen werden könnte.
Die Kriterien, die eine Behörde zur sachlich in Betracht kommenden Oberbehörde machen, finden sich allgemein umschrieben in Art. 20 Abs. 1 B-VG in Form der "Leitungsgewalt". In Konkretisierung dieses umfassenden Konzeptes der hierarchischen Über- und Unterordnung greift nun § 73 Abs. 2 AVG einen Teilaspekt heraus: Sachlich in Betracht kommende Oberbehörde ist folglich jene, die auf die Entscheidung der Unterbehörde durch Ausübung ihres Aufsichts- und Weisungsrechts in bestimmender Weise Einfluss nehmen kann. Maßgeblich ist also allein die Überordnung in fachlicher, nicht auch in organisatorischer Hinsicht (vgl. hiezu Winkelhofer, Säumnis von Verwaltungsbehörden (1991), 70 f, unter Hinweis auf die bereits oben wiedergegebene Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes).
Eben diese Einflussnahme auf den Inhalt der Entscheidungen im Wege der Ausübung aufsichtsbehördlicher Befugnisse im Sinne des § 68 AVG wird durch die Anordnung des Gesetzgebers, wonach die Bescheide einer solchen Behörde nicht der Aufhebung oder Abänderung im Verwaltungsweg unterliegen, ausgeschlossen.
Ob dem Gemeinderat der Bundeshauptstadt Wien nach § 83 der Wiener Stadtverfassung gegenüber dem Dienstrechtssenat Befugnisse auf dem Gebiet der Dienstaufsicht zukommen, kann vorliegendenfalls dahingestellt bleiben, weil diese Befugnisse der belangten Behörde keinesfalls die Möglichkeit eröffneten, Einfluss auf den Inhalt der Entscheidung dieser Behörde zu nehmen.
Für die von der herrschenden Lehre und Rechtsprechung vertretene Auffassung, wonach eine nach Art. 133 Z. 4 B-VG organisierte Behörde keiner sachlich in Betracht kommenden Oberbehörde im Verständnis des § 73 Abs. 2 AVG, jedenfalls in seiner hier anzuwendenden Fassung nach der Novellierung dieser Bestimmung durch das Bundesgesetz BGBl. Nr. 357/1990, untergeordnet ist, sprechen weiters folgende Erwägungen:
Es ist anzunehmen, dass dem Gesetzgeber dieser Novelle, die im Wesentlichen der Anpassung der Regeln über den Devolutionsantrag an die Einführung der unabhängigen Verwaltungssenate gedient hat, das eingangs zitierte Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 11. März 1959 bekannt gewesen ist, in welchem dezidiert die Auffassung vertreten wurde, dass eine nach Art. 133 Z. 4 B-VG eingerichtete Behörde keiner sachlich in Betracht kommenden Oberbehörde im Verständnis des § 73 Abs. 2 AVG idF BGBl. Nr. 172/1950 untergeordnet ist. Gleiches gilt für die zum selben Ergebnis führende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zum Begriff der sachlich in Betracht kommenden Oberbehörde.
Hätte der Gesetzgeber der Novelle BGBl. Nr. 357/1990 demgegenüber die Einrichtung eines Devolutionszuges gegen Behörden gemäß Art. 133 Z. 4 B-VG (verfassungsrechtlich für zulässig erachtet und) anordnen wollen, so hätte er dies wohl - in Abgrenzung zur gegenteiligen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes und im Ergebnis auch des Verwaltungsgerichtshofes und der ihr folgenden Lehre - ausdrücklich angeordnet. In Ermangelung abweichender Anordnungen ist daher davon auszugehen, dass der Gesetzgeber der Novelle BGBl. Nr. 357/1990 den Begriff der "sachlich in Betracht kommenden Oberbehörde" jedenfalls nicht in einem Sinne verstanden haben wollte, der der bisherigen Rechtsprechung der Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts und der herrschenden Lehre widersprach.
Darüber hinaus ist zu bedenken, dass es in Einzelfällen verfassungsrechtlich geboten ist, Entscheidungen, für die Behörden gemäß Art. 133. Z. 4 B-VG zuständig sind, Tribunalen im Sinne der EMRK vorzubehalten. Dies wird jedenfalls dort gelten, wo nach Art. 133 Z. 4 B-VG organisierte Behörden in "Kernbereichen" der "civil rights" im Verständnis der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes entscheiden. Bedenklich wäre es vor dem Hintergrund des Art. 6 Abs. 1 EMRK, wenn in derartigen Materien in einem vor einer gemäß Art. 133 Z. 4 B-VG organisierten Behörde anhängigen Mehrparteienverfahren einer Partei die Möglichkeit eingeräumt wäre, gegen den Willen anderer Parteien durch Stellung eines Devolutionsantrages den Übergang der Zuständigkeit von einem Tribunal an ein oberstes Organ der Vollziehung (welches keine Tribunalqualität besitzt) zu bewirken. Dass der Gesetzgeber des § 73 Abs. 2 AVG in der Fassung der Novelle BGBl. Nr. 357/1990 (welcher den Devolutionszug in den eben umschriebenen Fällen nicht ausgeschlossen hat) Derartiges anordnen wollte, ist nicht zu unterstellen.
Aus dem Vorgesagten folgt, dass der belangten Behörde im Verhältnis zum Dienstrechtssenat der Bundeshauptstadt Wien nicht die Stellung einer "sachlich in Betracht kommenden Oberbehörde" im Verständnis des § 73 Abs. 2 AVG zukam. Der Beschwerdeführer wurde daher durch die Zurückweisung seines unzulässigen Devolutionsantrages nicht in seinen Rechten verletzt, weshalb die Beschwerde gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen war.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003, BGBl. II Nr. 333, insbesondere deren § 3 Abs. 2.
Wien, am 9. Juni 2004
Schlagworte
Anrufung der obersten Behörde Besondere Rechtsgebiete DienstrechtEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2004:2002120271.X00Im RIS seit
24.06.2004Zuletzt aktualisiert am
07.10.2008