Index
001 Verwaltungsrecht allgemein;Norm
AsylG 1997 §1 Z3;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zeizinger und die Hofräte Dr. Rigler, Dr. Handstanger, Dr. Enzenhofer und Dr. Strohmayer als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Stummer, über die Beschwerde des K, geboren 1957, vertreten durch Mag. Werner Piplits, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Annagasse 3, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 18. August 2003, Zl. SD 779/03, betreffend Ausweisung, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
I.
1. Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien (der belangten Behörde) vom 18. August 2003 wurde der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger von Bangladesch, gemäß § 33 Abs. 1 des Fremdengesetzes 1997 - FrG, BGBl. I Nr. 75, ausgewiesen.
Der Beschwerdeführer sei am 16. Mai 2001 illegal nach Österreich eingereist und habe am 18. Mai 2001 einen Asylantrag gestellt, der vom Bundesasylamt (nach Ausweis der vorgelegten Verwaltungsakten: mit Bescheid vom 14. Dezember 2001) rechtskräftig abgewiesen worden sei. Er habe während seines Asylverfahrens über eine vorläufige Aufenthaltsberechtigung nach dem Asylgesetz 1997 - AsylG verfügt.
Der Beschwerdeführer, der unter Umgehung der Grenzkontrolle eingereist sei, sei weder im Besitz eines Aufenthaltstitels noch auf Grund einer Verordnung für Vertriebene zum Aufenthalt berechtigt und sei nach rechtskräftigem Abschluss seines Asylverfahrens im Bundesgebiet verblieben. Da er sich unrechtmäßig im Bundesgebiet aufhalte, lägen die Voraussetzungen des § 33 Abs. 1 FrG vor. In einem solchen Fall könnten Fremde mit Bescheid ausgewiesen werden, wenn dem nicht die Bestimmung des § 37 Abs. 1 leg. cit. entgegenstehe.
Der Beschwerdeführer lebe seit zweieinhalb Jahren in Österreich und verfüge über familiäre Beziehungen zu einer Cousine. Es sei daher davon auszugehen, dass mit der vorliegenden Maßnahme ein Eingriff in sein Privat- bzw. Familienleben verbunden sei. Dieser Eingriff erweise sich jedoch als dringend geboten. Den die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regelnden Vorschriften durch den Normadressaten komme aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung (Art. 8 Abs. 2 EMRK) ein sehr hoher Stellenwert zu. Gemäß § 14 Abs. 2 FrG könne ein Aufenthaltstitel nur vom Ausland aus erwirkt werden. Gegen diese Regelungen habe der Beschwerdeführer, der seinen unrechtmäßigen Aufenthalt trotz rechtskräftiger Abweisung seines Asylantrages fortgesetzt habe, in gravierender Weise verstoßen. Die damit bewirkte Beeinträchtigung des hoch zu veranschlagenden maßgeblichen öffentlichen Interesses an der Wahrung eines geordneten Fremdenwesens sei daher von solchem Gewicht, dass die gegenläufigen privaten und familiären Interessen jedenfalls nicht höher zu bewerten seien als das Interesse der Allgemeinheit an seiner Ausreise aus dem Bundesgebiet. Verstärkt werde dieses Abwägungsergebnis durch den Umstand, dass er mit seiner Cousine nicht im gemeinsamen Haushalt lebe.
Da sonst keine besonderen, zu Gunsten des Beschwerdeführers sprechenden Umstände gegeben gewesen seien, habe die belangte Behörde von der Erlassung der Ausweisung auch nicht im Rahmen des ihr zustehenden Ermessens Abstand nehmen können.
2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Begehren, ihn wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes "und/oder" Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
3. Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift mit dem Antrag, die Beschwerde als unbegründet abzuweisen.
II.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
1. Die Beschwerde bringt vor, dass der Beschwerdeführer zwar seine Berufung gegen den gemäß den §§ 7, 8 AsylG erlassenen negativen Asylbescheid des Bundesasylamtes vom 14. Dezember 2001 zurückgezogen habe, er jedoch im Hinblick auf die geänderten Verhältnisse in seinem Heimatland mit Schreiben vom 27. Jänner 2003 die Fortführung des Asylverfahrens, in dem ihm eine vorläufige Aufenthaltsberechtigung nach dem AsylG zugekommen sei, beantragt habe. Im Herkunftsland des Beschwerdeführers seien beispielsweise Ende des Jahres 2002 insgesamt 40.000 Armeeangehörige allein zur Unterstützung der Polizei abgeordnet worden und in den darauffolgenden Aktionen diesen Einsatzkräften von Menschenrechtsorganisationen Folterung und Ermordung von Gefangenen vorgeworfen worden und sei es sogar zu vereinzelten Verurteilungen durch Militärgerichte gekommen, was auf besondere krasse Menschenrechtsverletzungen schließen lasse. Angesichts des Vorbringens des Beschwerdeführers, wonach er in seinem Herkunftsland wegen seiner politischen Überzeugung zwar polizeilichen Schutz gesucht habe, ihm dieser jedoch verweigert worden sei, hätte sich die belangte Behörde jedenfalls mit den Verhältnissen in seinem Herkunftsland auseinander zu setzen gehabt. Es hätte daher zuerst über seinen Fortsetzungsantrag entschieden und, sofern eine Fortsetzung des Asylverfahrens nicht in Betracht käme, dieser Antrag als neuerlicher Asylantrag qualifiziert werden müssen, der vor dem Hintergrund der geänderten Verhältnisse in seinem Heimatland zu betrachten sei. Im Hinblick darauf, dass der erstinstanzliche Asylbescheid vom Dezember 2001 datiere und die dafür maßgeblichen Ermittlungsergebnisse noch älteren Datums seien, hätte die belangte Behörde von Amts wegen zu ermitteln gehabt, ob relevante Änderungen der Verhältnisse im Herkunftsstaat des Beschwerdeführers eingetreten seien, und unter Berücksichtigung der Fluchtgeschichte bzw. der Fluchtgründe zu prüfen gehabt, ob diese geänderten Verhältnisse asylrelevante Aspekte hätten.
3. Nach Ausweis der vorgelegten Verwaltungsakten hat der Beschwerdeführer in seiner Berufung gegen den erstinstanzlichen Ausweisungsbescheid (u.a.) vorgebracht, dass er zwar am 2. Dezember 2002 seine Berufung gegen den Asylbescheid des Bundesasylamtes zurückgezogen habe, weil er mit Hilfe der Caritas-Rückkehrberatung in sein Heimatland habe zurückkehren wollen, sich jedoch die politische Situation in Bangladesch wieder verschlechtert habe und es ihm nicht möglich sei, dorthin zurückzukehren, weshalb er am 27. Jänner 2003 einen Antrag auf Fortführung des Asylverfahrens gestellt habe. Sein Asylverfahren werde daher fortgesetzt werden, und er sei während des Asylverfahrens zum vorläufigen Aufenthalt in Österreich berechtigt. In den vorgelegten Verwaltungsakten befindet sich eine Kopie des genannten, an das Bundesasylamt gerichteten Schreibens des Beschwerdeführers vom 27. Jänner 2003, mit dem er unter Hinweis auf die Verschlechterung der politischen Situation in seinem Heimatland den Antrag auf Fortführung seines Asylverfahrens stellte. Laut dem auf der genannten Kopie von der Erstbehörde gesetzten Vermerk ging dieses Schreiben gemeinsam mit der Stellungnahme des Beschwerdeführers vom 2. April 2003 dort am 4. April 2003 ein.
Zu Recht macht die Beschwerde geltend, dass sich die belangte Behörde mit dem genannten Antrag des Beschwerdeführers vom 27. Jänner 2003 nicht auseinandergesetzt hat. Damit hat sie den angefochtenen Bescheid mit einem Verfahrensmangel belastet, dem aus folgenden Gründen Relevanz zukommt:
Gemäß § 24 Abs. 2 erster Satz AsylG können Anträge nach diesem Bundesgesetz formlos in jeder geeignet erscheinenden Weise gestellt werden. Für die Beurteilung des Charakters eines Anbringens ist sein wesentlicher Inhalt, der sich aus dem gestellten Antrag erkennen lässt, maßgeblich und kommt es nicht auf Bezeichnungen und zufällige Verbalformen an, sondern auf das erkennbare oder zu erschließende Ziel eines Parteischrittes, wobei Parteierklärungen im Zweifel so auszulegen sind, dass die diese abgebende Partei nicht um ihren Rechtsschutz gebracht wird (vgl. dazu etwa die in Hauer/Leukauf, Verwaltungsverfahren6, zu § 13 Abs. 1 AVG E 1g, h zitierte hg. Judikatur). Sollte der genannte Antrag des Beschwerdeführers vom 27. Jänner 2003 von den Asylbehörden als neuerlicher Asylantrag zu behandeln sein, so käme dem Beschwerdeführer gemäß § 1 Z. 3 AsylG (wieder) die Position eines Asylwerbers zu.
Gemäß § 19 Abs. 1 erster Satz AsylG sind Asylwerber, die sich - sei es auch im Rahmen einer Vorführung nach Anreise über einen Flugplatz oder nach direkter Anreise aus dem Herkunftsstaat (§ 17 Abs. 1) - im Bundesgebiet befinden, vorläufig zum Aufenthalt berechtigt, es sei denn, ihr Antrag wäre wegen entschiedener Sache zurückzuweisen. Nach § 19 Abs. 2 leg. cit. haben Asylwerber, die unter Umgehung der Grenzkontrolle oder entgegen den Bestimmungen des 2. Hauptstückes des FrG eingereist sind, die vorläufige Aufenthaltsberechtigung erst, wenn sie von der Behörde zuerkannt wird; die Behörde hat solchen Asylwerbern, deren Antrag zulässig, aber nicht offensichtlich unbegründet ist, unverzüglich die vorläufige Aufenthaltsberechtigung durch Aushändigung der Bescheinigung zuzuerkennen.
Nach der hg. Rechtsprechung (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 24. März 2000, Zl. 99/21/0266) ist aus dem Wortlaut des § 19 Abs. 2 AsylG und aus dem vom Gesetzgeber mit dieser Bestimmung erkennbar verfolgten Zweck der Schluss zu ziehen, dass auch unter Umgehung der Grenzkontrolle oder entgegen den Bestimmungen des 2. Hauptstückes des FrG eingereisten Asylwerbern eine asylrechtliche vorläufige Aufenthaltsberechtigung gewährt werden soll, außer es liegt eine Entscheidung darüber vor, dass der Asylantrag unzulässig oder offensichtlich unbegründet ist.
Ob der Antrag des Beschwerdeführers vom 27. Jänner 2003 im hier entscheidungswesentlichen Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides als unzulässig zurückgewiesen oder als offensichtlich unbegründet abgewiesen war, kann dem angefochtenen Bescheid nicht entnommen werden. Sollte vor Erlassung des angefochtenen Bescheides keine solche Entscheidung getroffen und über diesen Antrag als neuerlichen Asylantrag noch nicht entschieden gewesen sein, so hätte die belangte Behörde im Sinn der obzitierten Rechtsprechung bei Übung des ihr im Rahmen des § 33 Abs. 1 FrG eingeräumten Ermessens zu dem Ergebnis gelangen müssen, dass eine Ausweisung des Beschwerdeführers nach dieser Bestimmung nicht im Sinn des Gesetzes läge (vgl. in diesem Zusammenhang auch das hg. Erkenntnis vom 30. November 2000, Zl. 99/18/0048, mwN).
4. Infolge der fehlenden Auseinandersetzung der belangten Behörde mit dem genannten Antrag des Beschwerdeführers vom 27. Jänner 2003 haftet dem angefochtenen Bescheid ein wesentlicher Feststellungs- und Begründungsmangel an, weshalb dieser gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben war.
5. Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. II Nr. 333/2003.
Wien, am 15. Juni 2004
Schlagworte
Ermessen besondere Rechtsgebiete Ermessen VwRallg8 Verfahrensbestimmungen Allgemein Individuelle Normen und Parteienrechte Auslegung von Bescheiden und von Parteierklärungen VwRallg9/1European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2004:2003180321.X00Im RIS seit
08.07.2004Zuletzt aktualisiert am
01.10.2008