TE Vfgh Erkenntnis 2000/11/28 V101/99

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Veröffentlicht am 28.11.2000
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Index

90 Straßenverkehrsrecht, Kraftfahrrecht
90/01 Straßenverkehrsordnung 1960

Norm

B-VG Art18 Abs2
B-VG Art139 Abs1 / Prüfungsgegenstand
StVO 1960 §20 Abs2
StVO 1960 §43 Abs1 litb
Verordnung der BH Mödling v 13.03.90, idF v 28.06.90 betr Geschwindigkeitsbeschränkung v 40 km/h im gesamten Ortsgebiet v Gießhübl

Leitsatz

Gesetzwidrigkeit einer Geschwindigkeitsbeschränkung im Ortsgebiet von Gießhübl mangels Vorliegens der gesetzlichen Voraussetzungen; keine Erforderlichkeit der Verordnung im Sinne des Gesetzes

Spruch

1. Die Verordnung der Bezirkshauptmannschaft Mödling vom 13. März 1990, Z10-D-88109, in der Fassung der Verordnung der Bezirkshauptmannschaft Mödling vom 28. Juni 1990, Z10-D-88109, mit der gemäß §43 Abs1 litb StVO 1960 im gesamten Ortsgebiet von Gießhübl eine Geschwindigkeitsbeschränkung von 40 km/h angeordnet wird, wird als gesetzwidrig aufgehoben.

2. Die Niederösterreichische Landesregierung ist zur unverzüglichen Kundmachung dieses Ausspruches im Landesgesetzblatt verpflichtet.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1.1. Die Bezirkshauptmannschaft Mödling erließ am 13. März 1990 eine Verordnung, mit der im gesamten Ortsgebiet von Gießhübl eine Geschwindigkeitsbeschränkung von 40 km/h angeordnet wird, die folgenden Wortlaut hat:

"V E R O R D N U N G

Gemäß §43 Abs1 litb Straßenverkehrsordnung 1960, BGBl. Nr. 159 (StVO 1960), in der derzeit geltenden Fassung, werden zur Wahrung der Sicherheit, Leichtigkeit und Flüssigkeit des Verkehrs in der Gemeinde Gießhübl folgende Verkehrsmaßnahmen verordnet:

Das Überschreiten einer Fahrgeschwindigkeit von 40 km/h ist im gesamten Ortsgebiet verboten.

Dies ist durch Aufstellung von Verkehrszeichen gemäß §52 Ziffer 10a StVO 1960 'Geschwindigkeitsbeschränkung' bzw. §52 Ziffer 10b StVO 1960 'Ende der Geschwindigkeitsbeschränkung', jeweils bei der Ortstafel, kundzumachen.

Alle mit dieser Verordnung in Widerspruch stehenden Verordnungen werden aufgehoben.

Gemäß §44 Abs1 StVO 1960 tritt diese Verordnung mit der Aufstellung der ihr entsprechenden Straßenverkehrszeichen in Kraft.

Der Bezirkshauptmann"

Die Verordnung wurde durch Aufstellung der entsprechenden Verkehrszeichen gemäß dem im Akt erliegenden Aktenvermerk vom 30. Mai 1990 am 30. Mai 1990 um 16.00 Uhr kundgemacht.

1.2. Mit Verordnung der Bezirkshauptmannschaft Mödling vom 28. Juni 1990 wurde die Verordnung vom 13. März 1990, mit der im gesamten Ortsgebiet von Gießhübl eine Geschwindigkeitsbeschränkung von 40 km/h angeordnet wird, dahingehend geändert, daß die Kundmachung der mit genannter Verordnung festgelegten Geschwindigkeitsbeschränkung auf 40 km/h nur mit Verkehrszeichen gemäß §52 Z10a StVO 1960 "Geschwindigkeitsbeschränkung" zu erfolgen hat, welche jeweils an der Ortstafel anzubringen sind.

1.3. Mit Punkt 1.) der Verordnung der Bezirkshauptmannschaft Mödling vom 9. Februar 1994 wurde - als Reaktion auf einen Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates im Land Wien, mit dem ein Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Mödling wegen einer verwaltungsbehördlichen Bestrafung infolge Übertretung der 40 km/h-Verordnung in Gießhübl aufgehoben wurde, weil durch das Fehlen der Tafel gemäß §53 Z17b StVO 1960 "Ortsende" der räumliche Geltungsbereich dieser Verordnung nicht eindeutig begrenzt war - verordnet, daß auf der Rückseite der bestehenden Verkehrszeichen gemäß §53 Z17a StVO 1960 im Zuge der LH 153 "Ortsgebiet Gießhübl" bzw. "Ortsgebiet Maria Enzersdorf" Verkehrszeichen gemäß §53 Z17b StVO 1960 "Ortsende" anzubringen sind. Mit Punkt 2.) der genannten Verordnung vom 9. Februar 1994 wurde zwischen den Ortsgebieten von Gießhübl und Maria Enzersdorf eine Geschwindigkeitsbeschränkung von 50 km/h verordnet.

Durch die Verordnung der Bezirkshauptmannschaft Mödling vom 9. Februar 1994 erfolgte jedoch keine Novellierung der Verordnung der Bezirkshauptmannschaft Mödling vom 13. März 1990, mit der gemäß §43 Abs1 litb StVO 1960 im gesamten Ortsgebiet von Gießhübl eine Geschwindigkeitsbeschränkung von 40 km/h angeordnet wird.

2.1. Beim Unabhängigen Verwaltungssenat im Land Niederösterreich (im folgenden: UVS) ist zur Zahl Senat-MD-98-831 eine Berufung gegen das Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Mödling vom 31. August 1998 anhängig, mit dem über den Berufungswerber eine Verwaltungsstrafe wegen einer Übertretung gemäß §52 lita Z10a StVO 1960 iVm. der angefochtenen Verordnung in der Höhe von Schilling 400,- verhängt wurde.

Aus Anlaß dieses Berufungsverfahrens stellte der UVS gemäß Art129a Abs3 iVm. Art89 Abs2 und Art139 Abs1 B-VG den Antrag, "auszusprechen, daß die Verordnung der Bezirkshauptmannschaft Mödling vom 13.3.1990, Zl. 10-D-88109, in der mit Verordnungen der Bezirkshauptmannschaft Mödling vom 28.6.1990 und 9.2.1994, jeweils Zl. 10-D-88109, abgeänderten Fassung, mit welcher gemäß §43 Abs1 litb StVO zur Wahrung der Sicherheit, Leichtigkeit und Flüssigkeit des Verkehrs in der Gemeinde Gießhübl das Überschreiten einer Fahrgeschwindigkeit von 40 km/h im gesamten Ortsgebiet Gießhübl verboten wird, als gesetzwidrig aufgehoben wird".

3. Der antragstellende UVS hegt - nach Ausführungen zur Frage der Präjudizialität - folgende Bedenken gegen die Gesetzmäßigkeit der angefochtenen Verordnung:

"Der mit gegenständlicher Verordnung der Bezirkshauptmannschaft Mödling erlassenen Geschwindigkeitsbeschränkung lagen die Ergebnisse der jeweils mit Ortsaugenschein verbundenen kommissionellen Verhandlungen vom 6.2. und 22.6.1989 sowie der aktenvermerksmäßig festgehaltenen, am 12.3.1990 erfolgten, Besprechung der Bezirkshauptmannschaft Mödling mit den verkehrstechnischen Amtssachverständigen Dipl.Ing. Z(Amt der NÖ Landesregierung, Abteilung B/4) und Dipl.Ing. S (Amt der NÖ Landesregierung, Abteilung B/2-F) zugrunde.

Im, in der Verhandlungsschrift vom 6.2.1989 enthaltenen, verkehrstechnischen Gutachten führte der Amtssachverständige aus, daß 'die Geschwindigkeitsmessung im Vergleich mit anderen Ortsdurchfahrten, die sich in ähnlicher Art und Weise wie die Ortsdurchfahrt von Gießhübl darstellen, zeigt, daß das Geschwindigkeitsverhalten aus technischer Sicht im Hinblick auf Sicherheit, Leichtigkeit und Flüssigkeit des Verkehrs zufriedenstellend ist.

Es sollte daher aus technischer Sicht die derzeit bestehende Geschwindigkeitsbeschränkung (Ortsgebiet 50 km/h) beibehalten und deren Einhaltung durch verstärkte Kontrollen bzw. durch Umgestaltung des Straßenraumes (Marienhöhe bis Höhenweg) angestrebt werden. Zweckmäßig wäre es, nach Inbetriebnahme der stationären Radargeräte und nach Ablauf einer Eingewöhnungszeit von etwa drei Monaten eine Vergleichsmessung (Geschwindigkeit) durchzuführen, um dadurch die Effizienz dieser Geräte bzw. deren Einfluß auf das Geschwindigkeitsverhalten zu überprüfen.'

In der Verhandlungsschrift vom 22.6.1989 wurde festgehalten, daß 'aus den sowohl früher stattgefundenen amtsinternen Besprechungen als auch aus der vorangeführten Verhandlung hervorgeht, daß die 85%-Grenze des PKW-Kollektivs mit 65 bis 70 km/h anzunehmen ist. Dies ist für die Straßenanlageverhältnisse als zu hoch zu bezeichnen, das heißt, daß die Verkehrssicherheit gefährdet erscheint, obwohl kein auffälliges Unfallgeschehen festzustellen ist.

Seitens des Gutachters besteht aus diesen Gründen kein Einwand, eine Zonengeschwindigkeit für 40 km/h im wesentlichen für das gesamte Ortsgebiet zu erlassen.

Folgende Begleitmaßnahmen vor bzw. nach der Aufstellung dieser Zonengeschwindigkeitsbeschränkung sind erforderlich:

1.

eine Geschwindigkeitsmessung auf der LH 153 und auf der L 2093, um eine allfällige Minderung des Geschwindigkeitsniveaus durch die bereits aufgestellten Radarboxen feststellen zu können. Diese Geschwindigkeitsmessung ist unbedingt noch vor Aufstellung der Zonenbeschränkung auf 40 km/h erforderlich.

2.

Nach Eingewöhnungszeit durch die Zonenbeschränkung ist ebenfalls an den gleichen Meßpunkten abermals eine Geschwindigkeitsmessung durchzuführen, um Veränderungen und Auswirkungen hinsichtlich des Geschwindigkeitsverhaltens feststellen zu können.

In diesem Zusammenhang wird festgestellt, daß Zonenbeschränkungen hinsichtlich Geschwindigkeit nur dann wirkungsvolle und erhebliche Geschwindigkeitsverminderungen zeigen, wenn sie mit baulichen Maßnahmen Hand in Hand gehen.

3.

Es sollte unbedingt angestrebt werden, sowohl auf den Landesstraßen als auch auf den Gemeindestraßen Straßenraumgestaltungen derart durchzuführen, die die optische und tatsächliche Verkehrsbehinderung im Sinne einer Geschwindigkeitsreduzierung darstellen.'

Weiters wird in dieser Verhandlungsschrift ausgeführt, daß 'sich die befristete Aufstellung dieser Zonengeschwindigkeitsbeschränkung derart versteht, daß die Kundmachung mit Verkehrszeichen nur dann bestehen bleibt, wenn tatsächliche Auswirkungen auf das Geschwindigkeitsverhalten im Sinne einer Geschwindigkeitsniveausenkung stattfinden'.

Im Aktenvermerk vom 12.3.1990 wurde festgehalten, daß nach Erörterung der Zählwerte 'aus verkehrstechnischer Sicht zwar keine zwingende Notwendigkeit einer derartigen Geschwindigkeitsbeschränkung abgelesen werden kann, es bestehen aber auch keine grundsätzlichen Einwände dagegen'.

Über diesbezüglichen, im ha. gegen den Beschuldigten R. geführten Verwaltungsstrafverfahren, Zl. Senat-MD-98-831, erteilten Auftrag des Unabhängigen Verwaltungssenates im Land NÖ, Außenstelle Wr. Neustadt, erstattete der Amtssachverständige Dipl.Ing. Sch. am 30.11.1999 schriftlich ein verkehrstechnisches Gutachten. In diesem Gutachten führte der Sachverständige aus, daß in keinem der (in der Anfechtungsschrift oben auszugsweise zitierten) Gutachten ein Erfordernis für die gegenständliche Geschwindigkeitsbeschränkung abgeleitet worden war. Es wird in keinem verkehrstechnischen Gutachten oder Stellungnahme ein Erfordernis für die Beschränkung der erlaubten Höchstgeschwindigkeit auf 40 km/h im gesamten Ortsgebiet Gießhübl festgestellt.

       Es hat daher aus verkehrstechnischer Sicht weder im März 1990

(= Erlassung der angefochtenen Verordnung) noch zur

verfahrensgegenständlichen Tatzeit (= 8.7.1997) ein Erfordernis

i. S.d. §43 Abs1 litb StVO für die gegenständliche

Geschwindigkeitsbeschränkung bestanden.

Die Ergebnisse der Vorher- und Nachhermessungen können nicht nachweisen, daß die Verordnung einer Geschwindigkeitsbeschränkung auf 40 km/h für das gesamte Ortsgebiet Gießhübl eine generelle signifikante Reduktion des Geschwindigkeitsniveaus sicherstellt.

Ein Vergleich der, bei den Vorher- und (am 7.9.1994 erfolgten) Nachhermessungen ermittelten, Geschwindigkeitswerte hinsichtlich der Verteilungen (Ereignishäufigkeit) auf einem Signifikanzniveau von 95% zeigt, daß zur Hälfte ein signifikanter und zur anderen Hälfte kein signifikanter Unterschied besteht. Dabei hat sich bei einer Meßstelle in beiden Fahrtrichtungen ein signifikanter Unterschied ergeben, bei einer anderen in beiden Richtungen kein signifikanter Unterschied und bei zwei Meßstellen jeweils in einer Richtung ein signifikanter Unterschied, in der Gegenrichtung jedoch keiner.

Das unterschiedliche Ergebnis läßt darauf schließen, daß die Kundmachung einer Geschwindigkeitsbeschränkung von 40 km/h für das gesamte Ortsgebiet Gießhübl keine generelle Auswirkung auf das Geschwindigkeitsniveau hat und mit einer Reihe von anderen Faktoren (Überwachung, Umfeld, Straßenraum, bauliche Ausgestaltung, Verkehrssituation, Witterung etc.) zusammenhängt.

Das Ergebnis der Verordnung einer Geschwindigkeitsbeschränkung hängt daher offensichtlich sehr von der Einzelbeurteilung der einzelnen Straßenzüge ab, wo die angepaßte Geschwindigkeit auch sehr unterschiedlich sein kann.

In Anbetracht der Inhalte der im Akt der Bezirkshauptmannschaft Mödling, Zl. 10-D-88109, erliegenden verkehrstechnischen Gutachten sowie des verkehrstechnischen Gutachtens vom 30.11.1999, nach welchem eine Geschwindigkeitsbeschränkung auf 40 km/h für das gesamte Ortsgebiet Gießhübl aus den in §43 Abs1 litb StVO angeführten Gründen nicht erforderlich (gewesen) ist, hegt der Unabhängige Verwaltungssenat im Land NÖ, Außenstelle Wr. Neustadt, Bedenken gegen die Gesetzmäßigkeit der Verordnung der Bezirkshauptmannschaft Mödling vom 13.3.1990, Zl. 10-D-88109, in der angeführten Fassung, im Hinblick auf die Bestimmungen des §43 Abs1 litb StVO, zumal die angefochtene Verordnung selbst §43 Abs1 litb StVO als Rechtsgrundlage bezeichnet und anführt, daß die in Rede stehende Verkehrsmaßnahme zur Wahrung der Sicherheit, Leichtigkeit und Flüssigkeit des Verkehrs verordnet wird.

Aus den dargelegten Gründen wird beantragt, antragsgemäß zu entscheiden."

4. Die Niederösterreichische Landesregierung legte den Verfahrensakt 10-D-88109 mit der Mitteilung vor, daß von der Erstattung einer Äußerung Abstand genommen werde.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat erwogen:

1. Zur Zulässigkeit:

1.1. Es ist offenkundig, daß der UVS bei seiner Entscheidung über die bei ihm anhängige Berufung die Verordnung der Bezirkshauptmannschaft Mödling vom 13. März 1990, Z10-D-88109, deren Übertretung Voraussetzung für die Bestrafung des Berufungswerbers ist, anzuwenden hat.

1.2. Da die angefochtene Verordnung lediglich durch die Verordnung der Bezirkshauptmannschaft Mödling vom 28. Juni 1990 geändert wurde und die vom antragstellenden UVS genannte Verordnung der Bezirkshauptmannschaft Mödling vom 9. Februar 1994 keine Novellierung der angefochtenen Verordnung darstellt, sondern davon völlig unabhängige Regelungen trifft, besteht auch insofern keine Unklarheit darüber, welche Fassung nun eigentlich aufgehoben werden soll (vgl. VfSlg. 15370/1998).

1.3. Nach ständiger Rechtsprechung ist der Verfassungsgerichtshof in einem auf Antrag eingeleiteten Normprüfungsverfahren an die im Antrag aufgeworfenen Bedenken gebunden, sodaß er ausschließlich beurteilt, ob die angefochtenen Bestimmungen aus den in der Begründung des Antrages dargelegten Gründen - und nicht etwa auch aus sich aus Fragen der Zuständigkeit der Behörde zur Erlassung der angefochtenen Bestimmungen ergebenden Gründen - gesetz- bzw. verfassungswidrig sind (vgl. zB VfSlg. 12592/1990, 12691/1991, 12947/1991, 13471/1993, 13704/1994, 14050/1995, 14466/1996).

1.4. Da auch die übrigen Prozeßvoraussetzungen vorliegen, ist das Verordnungsprüfungsverfahren gemäß Art139 Abs1 und Art129a Abs3 iVm. Art89 Abs2 und 3 B-VG zulässig.

2. In der Sache:

2.1. §43 Abs1 litb Z1 StVO 1960 sieht die Erlassung von Geschwindigkeitsbeschränkungen für bestimmte Straßenstrecken durch Verordnung vor, "wenn und insoweit es die Sicherheit, Leichtigkeit oder Flüssigkeit des sich bewegenden oder die Ordnung des ruhenden Verkehrs, die Lage, Widmung, Pflege, Reinigung oder Beschaffenheit eines an der Straße gelegenen Gebäudes oder Gebietes oder wenn und insoweit es die Sicherheit eines Gebäudes oder Gebietes und/oder der Personen, die sich dort aufhalten, erfordert".

2.2. Wie der Verfassungsgerichtshof in VfSlg. 8984/1980 und 9721/1983 ausführte und in VfSlg. 13371/1993 und 14051/1995 wiederholte, sind "bei Prüfung der Erforderlichkeit einer Verordnung nach §43 StVO 1960 ... die bei der bestimmten Straße oder Straßenstrecke, für welche die Verordnung erlassen werden soll, anzutreffenden, für den spezifischen Inhalt der betreffenden Verordnung relevanten Umstände mit jenen Umständen zu vergleichen, die für eine nicht unbedeutende Anzahl anderer Straßen zutreffen". Der Verfassungsgerichtshof geht sohin in ständiger Judikatur davon aus, daß bei Anwendung der vom Gesetzgeber mit unbestimmten Begriffen umschriebenen tatbestandlichen Voraussetzungen für die Erlassung von Geschwindigkeitsbeschränkungen durch Verordnung die zuständige Behörde einen Vergleich der Verkehrs- und Umweltverhältnisse anzustellen hat: Die betreffenden Verhältnisse an den Straßenstrecken, für welche eine Geschwindigkeitsbeschränkung in Betracht gezogen wird, müssen derart beschaffen sein, daß sie eine Herabsetzung der vom Gesetzgeber selbst allgemein für den Straßenverkehr in §20 Abs2 StVO 1960 festgesetzten Höchstgeschwindigkeiten rechtfertigen.

2.3. Sämtliche von der verordnungserlassenden Behörde herangezogenen und im Akt einliegenden gutächtlichen Grundlagen sprechen gegen die Erforderlichkeit der angefochtenen Verordnung. Zwar findet sich im Gutachten vom 22. Juni 1989 die Feststellung, "seitens des Gutachters besteht aus diesen Gründen kein Einwand, eine Zonengeschwindigkeit für 40 km/h im wesentlichen für das gesamte Ortsgebiet zu erlassen", und im Aktenvermerk vom 12. März 1990 die Aussage "aus verkehrstechnischer Sicht kann zwar keine zwingende Notwendigkeit einer derartigen Geschwindigkeitsbeschränkung abgelesen werden, es bestehen aber auch keine grundsätzlichen Einwände dagegen", diese Ausführungen können jedoch allenfalls eine nicht völlig fehlende Zweckmäßigkeit der Verordnung bekunden. Eine Verkehrsmaßnahme gemäß §43 Abs1 litb StVO 1960 muß aber bereits nach dem eindeutigen Gesetzeswortlaut nicht (bloß) "zweckmäßig", sondern "erforderlich" sein.

2.4. Auch das am 30. November 1999 erstellte verkehrstechnische Gutachten bringt in eindeutiger Weise zum Ausdruck, daß in keinem der von der verordnungserlassenden Behörde zur Entscheidungsfindung herangezogenen Gutachten die Erforderlichkeit der gegenständlichen Geschwindigkeitsbeschränkung abgeleitet worden ist, sodaß daher aus verkehrstechnischer Sicht weder zum Zeitpunkt der Erlassung der angefochtenen Verordnung am 13. März 1990 noch zur verfahrensgegenständlichen Tatzeit im Anlaßfall (8. Juli 1997) ein Erfordernis im Sinn des §43 Abs1 litb StVO 1960 für die angefochtene Geschwindigkeitsbeschränkung bestand.

2.5. Sowohl der geforderte Vergleich der auf der betreffenden Straßenstrecke anzutreffenden Umstände mit jenen Umständen, die für eine nicht unbedeutende Anzahl anderer Straßen zutreffen als auch die Tatsache, daß die betreffenden Verhältnisse an den Straßenstrecken, für welche eine Geschwindigkeitsbeschränkung in Betracht gezogen wird, derart beschaffen sein müssen, daß sie eine Herabsetzung der vom Gesetzgeber selbst allgemein für den Straßenverkehr in §20 Abs2 StVO 1960 festgesetzten Höchstgeschwindigkeiten rechtfertigen, sprechen im Fall der vorliegenden Verordnung nach den dargestellten erhobenen Entscheidungsgrundlagen daher gegen deren Erforderlichkeit.

2.6. Aus den vorliegenden Akten ergibt sich als von der Gemeinde Gießhübl angestrebte Hauptintention der Verordnung einer Geschwindigkeitsbeschränkung von 40 km/h vielmehr eine Herabsetzung des Geschwindigkeitsniveaus im Mittel von derzeit 60 km/h auf 50 km/h. Hierzu genügt es, auf die Ausführungen im verkehrstechnischen Gutachten vom 6. Februar 1989 zu verweisen, in dem festgestellt wird, daß "der Ansicht des Herrn Bürgermeisters, daß durch die Erlassung einer Geschwindigkeitsbeschränkung auf 40 km/h seiner Ansicht nach eine Herabsetzung des Geschwindigkeitsniveaus im Mittel von dzt. 60 auf 50 km/h eintreten wird, nicht gefolgt werden kann, weil eine Verkehrsbeschränkung nicht unter dem Bewußtsein erlassen werden kann, daß sie vom Großteil der Verkehrsteilnehmer überschritten wird".

3. Sohin war die Verordnung der Bezirkshauptmannschaft Mödling vom 13. März 1990, Z10-D-88109, in der Fassung der Verordnung der Bezirkshauptmannschaft Mödling vom 28. Juni 1990, Z10-D-88109, mit der gemäß §43 Abs1 litb StVO 1960 im gesamten Ortsgebiet von Gießhübl eine Geschwindigkeitsbeschränkung von 40 km/h angeordnet wird, wegen mangelnder Erforderlichkeit im Sinn des §43 Abs1 litb Z1 StVO 1960 als gesetzwidrig aufzuheben.

4. Die Verpflichtung zur Kundmachung des Ausspruches des Verfassungsgerichtshofes gründet sich auf Art139 Abs5 B-VG.

5. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VerfGG 1953 ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung gefällt werden.

Schlagworte

Straßenpolizei, Geschwindigkeitsbeschränkung, VfGH / Prüfungsgegenstand

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2000:V101.1999

Dokumentnummer

JFT_09998872_99V00101_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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