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10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG);Norm
ArbVG §2 Abs2 Z2;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bernard und die Hofräte Dr. Müller, Dr. Strohmayer, Dr. Köller und Dr. Moritz als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Müller, über die Beschwerde 1. des F in S und 2. der C, ebendort, beide vertreten durch Dr. Erich Proksch, Rechtsanwalt in 1130 Wien, Auhofstaße 1, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Oberösterreich vom 2. Februar 2000, Zl. SV(SanR)-410254/1-2000-Ruc/Ma, betreffend Vorschreibung von Beiträgen, Sonderbeiträgen und Beitragszuschlägen nach dem ASVG (mitbeteiligte Partei: Oberösterreichische Gebietskrankenkasse, 4021 Linz, Gruberstraße 77), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufgehoben.
Der Bund (Bundesminister für soziale Sicherheit, Generationen und Konsumentenschutz) hat den Beschwerdeführern Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Die Beschwerdeführer betreiben in S. gemeinsam ein Gasthaus, eine Fleischhauerei und einen Campingplatz. Auf Grund einer von der mitbeteiligten Gebietskrankenkasse vom 7. September bis zum 15. September 1998 durchgeführten, den Beitragszeitraum vom 1. November 1994 bis 31. Dezember 1997 betreffenden Beitragsprüfung verpflichtete die mitbeteiligte Gebietskrankenkasse die Beschwerdeführer als Dienstgeber mit Bescheid vom 13. November 1998, allgemeine Beiträge in Höhe von S 164.867,30 und Sonderbeiträge in Höhe von S 17.913,50 zu bezahlen. Zugleich wurde ein Beitragszuschlag von S 33.200,-- vorgeschrieben. Die Beschwerdeführer hätten Pflichtversicherte mit einem zu niedrigen Entgelt zur Sozialversicherung gemeldet. Die Namen der Pflichtversicherten und die betroffenen Zeiträume seien auf der dem Bescheid beiliegenden Beitragsrechnung ausgewiesen. Die Differenzen würden darin bestehen, dass die in der Beitragsrechnung angeführten Versicherten als "Ferialpraktikanten" gemeldet und entlohnt worden seien. Da es sich aber, wie bereits in der vorangegangenen Beitragsprüfung im Jahr 1995 festgestellt worden sei, um echte Ferialarbeiter (mit Einsatzbereich ausschließlich in Küche und Service) gehandelt habe, seien die entsprechenden Nachverrechnungen auf die Differenz zu den im Kollektivvertrag für das Hotel- und Gastgewerbe für die Jahre 1995 bis 1997 vorgesehenen Mindestlöhnen für Hilfskräfte durchgeführt worden. Deswegen seien auch die aliquoten Sonderzahlungen der Höhe nach berichtigt worden. Die Beschwerdeführer hätten Meldebestimmungen verletzt, weshalb die Voraussetzung für die Vorschreibung des Beitragszuschlages im angeführten Ausmaß gegeben sei. Der Beitragszuschlag sei im gesetzlichen Mindestausmaß in Höhe der Verzugszinsen vorgeschrieben worden.
Die belangte Behörde hat dem dagegen erhobenen Einspruch mit dem angefochtenen Bescheid keine Folge gegeben. Die als "Ferialpraktikanten" zur Sozialversicherung gemeldeten und auch entlohnten Beschäftigten seien als "Ferialarbeiter" (Dienstnehmer) einzustufen. Die betreffenden Personen seien entweder im Service oder in der Küche eingesetzt worden. Dazu komme, dass sie in den Jahren 1995 und 1996 wegen "besonderer Tüchtigkeit" über der (für Ferialpraktikanten iSd Kollektivvertrages vorgesehenen) kollektivvertraglichen Lehrlingsentschädigung entlohnt worden seien. Darin sei ein Indiz für eine Dienstnehmereigenschaft zu erblicken. "Offenbar auf Grund dieser Erfahrung" hätten die Beschwerdeführer die Entlohnung im Jahr 1997 herabgesetzt. Es widerspreche den Erfahrungen des täglichen Lebens, dass die Betreuung "richtiger Ferialpraktikanten" in einem Saisonbetrieb gerade während der arbeitsintensivsten Zeit stattfinde und dass diese weisungsfrei in Küche und Service tätig sein würden. Es handle sich daher um Ferialarbeiter und somit um Dienstnehmer im Sinne des § 4 Abs. 2 ASVG. Die Sozialversicherungsbeiträge seien zumindest vom kollektivvertraglichen Entgelt zu entrichten (je nach Tätigkeitsbereich in der Beitragsgruppe A1 oder D1). Dies gelte auch, wenn ein Pflichtpraktikum im "echten" Dienstverhältnis absolviert werde. Nur "echte" Ferialpraktikanten würden Anspruch auf ein (geringeres) Entgelt in der Höhe der jeweils geltenden Lehrlingsentschädigung für das mit dem Schuljahr korrespondierende Lehrjahr haben.
Gegen diesen Bescheid haben die Beschwerdeführer zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof erhoben. Dieser hat mit Beschluss vom 14. Juni 2000, B 660/00, die Behandlung der Beschwerde abgelehnt und diese dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abgetreten.
Nach Aufforderung zur Beschwerdeergänzung gemäß § 34 Abs. 2 VwGG haben die Beschwerdeführer in ihrem Schriftsatz vom 15. April 2004 erklärt, dass sie mit der mitbeteiligten Gebietskrankenkasse auf Grund des dieselben Rechtsfragen behandelnden hg. Vorerkenntnisses vom 4. Oktober 2001, Zl. 97/08/0078, mittlerweile ein Einvernehmen dahin erzielt hätten, dass ein Rückstand von EUR 20.130,88 zuzüglich Verzugszinsen von EUR 3.997,09 errechnet worden sei. Dieser Rückstand sei beglichen worden. Die Beschwerdeführer seien klaglos gestellt. Die Gebietskrankenkasse habe "die Einstellung beider Verfahren ... unabhängig davon, wie der Verwaltungsgerichtshof im 2. Verfahren entscheiden würde, erklärt." Eine Rückziehung der Beschwerde sei der Gebietskrankenkasse nicht erforderlich erschienen. Die Beschwerdeführer seien "daher auch eventualiter damit einverstanden, dass nur über die Kosten beim Verwaltungsgerichtshof entschieden" werde. Die Beschwerdeführer ergänzten ihre Beschwerde durch Ausführungen über den Beschwerdepunkt und die Beschwerdegründe und stellten den Antrag, den angefochtenen Bescheid wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit aufzuheben, "in eventu" nur mehr über die Kosten zu entscheiden und das Verfahren einzustellen.
Einem der Beschwerdeergänzung beigelegten Schreiben der mitbeteiligten Gebietskrankenkasse vom 13. Juni 2003 ist zu entnehmen, dass "die Verwaltungsverfahren hinsichtlich der Kassenbescheide vom 22.5.1995 und vom 13.11.1998 einvernehmlich ... eingestellt und nicht mehr fortgeführt" werden. Die Einstellung gelte unabhängig davon, wie der Verwaltungsgerichtshof entscheide. Eine Rückziehung der (vorliegenden) Beschwerde sei nicht erforderlich.
Die belangte Behörde hat zuvor die Verwaltungsakten vorgelegt und ebenso wie die mitbeteiligte Gebietskrankenkasse eine Gegenschrift erstattet, in der die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt wird.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
1. Gemäß § 33 Abs. 1 erster Satz VwGG ist eine Beschwerde mit Beschluss als gegenstandslos geworden zu erklären und das Verfahren einzustellen, wenn in irgend einer Lage des Verfahrens offenbar wird, dass der Beschwerdeführer klaglos gestellt wurde.
§ 33 Abs. 1 VwGG ist nicht nur auf die Fälle der formellen Klaglosstellung beschränkt (vgl. dazu den Beschluss eines verstärkten Senates vom 9. April 1980, Slg. Nr. 10.092/A). Eine zur Verfahrenseinstellung führende Gegenstandslosigkeit der Beschwerde kann auch dann eintreten, wenn durch Änderungen maßgeblicher Umstände zeitlicher, sachlicher oder prozessualer Art das rechtliche Interesse des Beschwerdeführers an der Entscheidung wegfällt.
Ob dieses rechtliche Interesse weggefallen ist, hat der VwGH nach objektiven Gesichtspunkten zu prüfen. Wenn der Beschwerdeführer durch die Aufhebung des angefochtenen Bescheides durch ein Erkenntnis des VwGH nicht günstiger gestellt wäre, als dies infolge der nach Erhebung der Beschwerde eingetretenen Umstände ohne meritorische Entscheidung der Fall ist, wird eine Beschwerde gegenstandslos, ohne dass der angefochtene Bescheid durch einen formellen Akt beseitigt wurde. Dies führt gleichfalls zur Einstellung des Verfahrens (vgl. das hg. Erkenntnis vom 18. März 2003, Zl. 2002/18/0120). Da auch der Gesetzgeber in dem durch die Novelle BGBl. I Nr. 88/1997 neu geschaffenen Abs. 2 des § 58 VwGG ausdrücklich auf das Rechtsschutzinteresse als Prozessvoraussetzung abstellt, ist bei Wegfall des Rechtsschutzinteresses das Beschwerdeverfahren wegen Gegenstandslosigkeit der Beschwerde einzustellen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 6. November 2002, Zl. 99/16/0450).
Trotz der Erklärung der Beschwerdeführer, klaglos gestellt zu sein, liegt hier kein objektiver Wegfall des Rechtschutzinteresses der Beschwerdeführer vor, weil die erwähnten Vereinbarungen zwischen ihnen und der Gebietskrankenkasse im öffentlichen Recht nur wirksam wären, wenn ihr Abschluss auf einer gesetzlichen Ermächtigung beruhen würde, was hier nicht der Fall ist (vgl das hg. Erkenntnis vom 31. Mai 2001, Zl. 2000/08/0071). Trotz der Erklärung der mitbeteiligten Gebietskrankenkasse gegenüber den Beschwerdeführern, unabhängig vom Ausgang des vorliegenden Beschwerdeverfahrens in Bezug auf den gegenständlichen Beitragszeitraum (über die bereits bezahlten Beiträge hinaus) keine weiteren (Beitrags)Forderungen gegen die Beschwerdeführer zu erheben und das Verfahren "einzustellen", ist daher nicht auszuschließen, dass der Entscheidung über die Beschwerde noch eine praktische Bedeutung zukommen kann. Es kann daher nicht mit einer Einstellung des Verfahrens vorgegangen werden (vgl. das hg. Erkenntnis vom 2. Oktober 1991, Zl. 88/07/0061, Slg. Nr. 13.504/A).
2. Zu den bei den Beschwerdeführern beschäftigten Personen führte die belangte Behörde aus, "echte Ferialpraktikanten" dürften keine vollwertige Arbeitskraft ersetzen und auch nicht weisungsgebunden sein. Nur "echte Ferialpraktikanten" würden Anspruch auf ein Entgelt in der Höhe der jeweils geltenden Lehrlingsentschädigung für das mit dem Schuljahr korrespondierenden Lehrjahr haben.
Die Beschwerdeführer halten der Argumentation der belangten Behörde entgegen, der Kollektivvertrag "Gastgewerbe-Arbeiter 1998" habe im Punkt 7d vorgesehen, dass Schülerinnen und Schüler von jenen mittleren und höheren Schulen, die auf Grund schulrechtlicher Vorschriften ein Betriebspraktikum ableisten müssten, als Ferialpraktikanten gelten würden und Anspruch auf ein Entgelt in Höhe der jeweils geltenden Lehrlingsentschädigung für das dritte Lehrjahr haben würden. Dem seien die Beschwerdeführer "bereits vor Inkrafttreten dieser Regelung" nachgekommen. Für eine Heranziehung der Mindestlöhne für Hilfskräfte als Beitragsbemessungsgrundlage fehle auch vor dieser Neuregelung durch den Kollektivvertrag jede gesetzliche und kollektivvertragliche Grundlage.
Der Verwaltungsgerichtshof hat in dem dieselben Beschwerdeführer und dieselbe Rechtsfrage betreffenden Erkenntnis vom 4. Oktober 2001, Zl. 97/08/0078, nach Darlegung der Kriterien für eine Abgrenzung eines Dienstverhältnisses im Sinne des § 4 Abs. 2 ASVG von einem Volontariatsverhältnis ohne persönliche Abhängigkeit ausgeführt, dass ein Kollektivvertrag hinsichtlich der Entgeltansprüche von Personen, die in keinem Arbeitsverhältnis stehen, keine Regelungsbefugnis habe. Es könne daher nicht davon ausgegangen werden, dass der Kollektivvertrag Entgeltansprüche von Ferialpraktikanten regelt, welche nicht Dienstnehmer sind. Die Annahme der belangten Behörde, dass Punkt 7 lit. d des Kollektivvertrages für das Hotel- und Gastgewerbe nur für solche Praktikanten gelte, die nicht Dienstnehmer seien, sei daher unrichtig. Da der Kollektivvertrag für Ferialpraktikanten, die Dienstnehmer seien, ein eigenes Mindestentgelt vorsehe, sei auch die weitere Schlussfolgerung unrichtig, dass derartigen Ferialpraktikanten (iSd Kollektivvertrages) ein (höherer) Mindestlohn nach den allgemeinen Lohntarifen des Kollektivvertrages gebühre. Es stehe dem Dienstgeber außerdem frei, ein darüber hinausgehendes Entgelt zu zahlen, ohne schon deshalb das für andere Dienstnehmer geltende (noch höhere) Mindestentgelt zu schulden. Eine andere Beurteilung könnte nur dann Platz greifen, wenn die Verwendung der im Punkt 7 lit. d des Kollektivvertrages genannten Schüler und Schülerinnen den im Kollektivvertrag genannten schulrechtlichen Vorschriften nicht entsprechen würden, wie dies etwa bei einer Verwendung als Reinigungspersonal denkbar wäre, denn dann wären sie keine Ferialpraktikanten im Sinne dieser Vorschrift. Auf die nähere Begründung des genannten Erkenntnisses wird gemäß § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen.
Die belangte Behörde hat auf Grund einer vom Verwaltungsgerichtshof nicht geteilten Rechtsauffassung nicht geprüft, ob die (als Dienstnehmer) bei den Beschwerdeführern tätigen Personen "Ferialpraktikanten" iSd Kollektivvertrages sind, sondern ist von vornherein von einem kollektivvertraglichen Entgeltanspruch in Höhe der Mindestlöhne für Hilfskräfte ausgegangen. Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
Von der im Zusammenhang mit dem Abtretungsantrag begehrten Durchführung einer mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z. 4 VwGG abgesehen werden.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 333/2003.
Wien, am 16. Juni 2004
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2004:2000080110.X00Im RIS seit
16.07.2004