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82 GesundheitsrechtNorm
StGG Art6 Abs1 / ErwerbsausübungLeitsatz
Keine Verletzung des Rechts auf Erwerbsfreiheit durch Beschränkung der Zahl der zulässigen Berufssitze eines Zahnarztes auf zwei; Beschränkung auf zwei Berufssitze zur Erreichung des Ziels der flächendeckenden, qualifizierten (fach-)ärztlichen Versorgung der Bevölkerung geeignet und adäquatSpruch
Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid weder in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht noch wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in seinen Rechten verletzt worden.
Die Beschwerde wird abgewiesen und dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung darüber abgetreten, ob der Beschwerdeführer durch den angefochtenen Bescheid in einem sonstigen Recht verletzt worden ist.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. 1. Der Beschwerdeführer ist Zahnarzt. Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Frau Landeshauptmann von Steiermark wurde sein Antrag auf Eintragung eines dritten Berufssitzes in die Ärzteliste abgelehnt.
Die belangte Behörde begründete diese Entscheidung damit, daß gemäß §45 Abs3 (erster Satz) Ärztegesetz 1998, BGBl. 169, Ärzte für Allgemeinmedizin, approbierte Ärzte, Fachärzte oder Zahnärzte nur zwei Berufssitze im österreichischen Bundesgebiet haben dürfen. Der Beschwerdeführer habe die Eintragung eines Berufssitzes in Gleisdorf in die Ärzteliste begehrt, obwohl er bereits zwei Berufssitze in Graz bzw. Hartberg innehabe und diese Ordinationen nach eigenen Angaben auch weiterhin betreiben wolle.
Zu den in der Berufung vorgebrachten verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die genannte Bestimmung wies die belangte Behörde darauf hin, daß es nicht Aufgabe der Österreichischen Ärztekammer (als erstinstanzlicher Behörde) noch Gegenstand des Berufungsverfahrens sein könne, gesetzliche Bestimmungen auf ihre Verfassungskonformität hin zu überprüfen.
2. In seiner gegen diesen Bescheid gerichteten, auf Art144 B-VG gestützten Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof erachtet sich der Beschwerdeführer durch die Anwendung des §45 Abs3 erster Satz ÄrzteG 1998 im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Erwerbsfreiheit verletzt; weiters widerspreche diese Norm der "europarechtlichen Grundfreiheit der Niederlassung".
3. Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor, verzichtete aber auf die Erstattung einer Gegenschrift. Auch die (damalige) Bundesministerin für Arbeit, Gesundheit und Soziales machte von der ihr eingeräumten Möglichkeit zur Abgabe einer Stellungnahme keinen Gebrauch.
II. §45 ÄrzteG 1998 lautet wie folgt:
"Berufssitz
§45.(1) Jeder Arzt, mit Ausnahme der Ärzte gemäß den §§32, 33, 34 letzter Satz und 35, hat nach Maßgabe dieses Bundesgesetzes das Recht, seinen Beruf im ganzen Bundesgebiet auszuüben.
(2) Der Arzt für Allgemeinmedizin, approbierte Arzt, Facharzt oder Zahnarzt, der seinen Beruf als freien Beruf auszuüben beabsichtigt, hat anläßlich der Anmeldung bei der Österreichischen Ärztekammer (§27) frei seinen Berufssitz oder seine Berufssitze (Abs3) im Bundesgebiet zu bestimmen. Berufssitz ist der Ort, an dem sich die Ordinationsstätte befindet, in der und von der aus der Arzt für Allgemeinmedizin, approbierte Arzt, Facharzt oder Zahnarzt seine freiberufliche Tätigkeit ausübt.
(3) Der Arzt für Allgemeinmedizin, approbierte Arzt, Facharzt oder Zahnarzt darf nur zwei Berufssitze im Bundesgebiet haben. Die Tätigkeit im Rahmen von ärztlichen Nacht-, Wochenend- oder Feiertagsdiensten, in einer Einrichtung der Jugendwohlfahrt oder der Mutterschafts- und Säuglingsfürsorge im Sinne des Jugendwohlfahrtsgesetzes 1989 (JWG), BGBl. Nr. 161, als Arbeitsmediziner im Sinne des ArbeitnehmerInnenschutzgesetzes, in einer nach den Bestimmungen des Familienberatungsförderungsgesetzes, BGBl. Nr. 80/1974, geförderten Beratungsstelle oder in vergleichbaren Einrichtungen, insbesondere in im Interesse der Volksgesundheit gelegenen Einrichtungen, wird davon nicht berührt.
(4) Die freiberufliche Ausübung des ärztlichen Berufes ohne bestimmten Berufssitz (Wanderpraxis) ist verboten."
III. Der Verfassungsgerichtshof hat über die Beschwerde, deren meritorischer Erledigung Verfahrenshindernisse nicht entgegenstehen, erwogen:
1. a) Mit dem Erkenntnis VfSlg. 13.184/1992 hob der Verfassungsgerichtshof jene Wortfolgen in §19 Abs3 sowie §19 Abs4 des Ärztegesetzes 1984 auf, denen zufolge ein Facharzt grundsätzlich nur einen Berufssitz haben durfte und ein Facharzt, der seine freiberufliche Tätigkeit (regelmäßig wiederkehrend an bestimmten Wochentagen oder für eine kalendermäßig bestimmte Zeitdauer) auch an einem zweiten Berufssitz auszuüben beabsichtigte, hiezu einer - an eine Bedarfsprüfung geknüpften - Bewilligung der Österreichischen Ärztekammer bedurfte.
In weiterer Folge wurden mit dem Erkenntnis
VfSlg. 13.826/1994 die gleichen Regelungen aufgehoben, soweit sie die praktischen Ärzte betrafen.
Der Gerichtshof hat in diesen Entscheidungen ausgesprochen, daß Beschränkungen hinsichtlich der Zahl der Berufssitze in das Recht auf freie Berufsausübung eingreifen.
Nach der ständigen Judikatur des Verfassungsgerichtshofes (s. etwa VfSlg. 13.184/1992, 13.704/1994) ist eine gesetzliche Regelung, welche das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf Erwerbsfreiheit beschränkt, nur zulässig, wenn sie durch das öffentliche Interesse geboten, zur Zielerreichung geeignet und adäquat und auch sonst sachlich gerechtfertigt ist.
Auch gesetzliche Vorschriften, die bloß die Berufsausübung (Erwerbsausübung) beschränken, sind auf ihre Übereinstimmung mit dem eben genannten Grundrecht zu prüfen und müssen dementsprechend durch ein öffentliches Interesse bestimmt und auch sonst sachlich gerechtfertigt sein. Das bedeutet, daß Ausübungsregeln bei einer Gesamtabwägung zwischen der Schwere des Eingriffs und dem Gewicht der ihn rechtfertigenden Gründe verhältnismäßig sein müssen. Es steht jedoch dem Gesetzgeber bei Regelung der Berufsausübung ein größerer rechtspolitischer Gestaltungsspielraum offen als bei Regelungen, die den Zugang zu einem Beruf (den Erwerbsantritt) beschränken, weil und insoweit durch solche die Ausübung einer Erwerbstätigkeit regelnden Vorschriften der Eingriff in die verfassungsgesetzlich geschützte Rechtssphäre weniger gravierend ist als durch Vorschriften, die den Zugang zum Beruf überhaupt behindern (s. etwa VfSlg. 13.704/1994 und die dort zitierte Vorjudikatur).
b) Der Gesetzgeber legt in §45 Abs3 erster Satz ÄrzteG 1998 fest, daß die dort genannten Ärzte nur zwei Berufssitze im Bundesgebiet haben dürfen.
Die Erläuterungen zur Regierungsvorlage des Ärztegesetzes 1998 (1386 BlgNR 20.GP) weisen darauf hin, daß die §§45 bis 47 im wesentlichen den §§19 bis 20a des Ärztegesetzes 1984 entsprechen (dies unter Miteinbeziehung der neu erfaßten Berufsgruppe der Zahnärzte).
Die dem §45 Abs3 erster Satz ÄrzteG 1998 entsprechende Regelung enthielt §19 Abs3 erster Satz ÄrzteG 1984 in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. 100/1994, mit dem das Ärztegesetz 1984 geändert wurde. In den Erläuterungen zur betreffenden Regierungsvorlage (1361 BlgNR 18.GP) heißt es zu dieser Bestimmung:
"Mit Erkenntnis vom 2. Oktober 1992, G338/91-16, (= VfSlg. 13.184/1992), kundgemacht im BGBl. Nr. 851/1992, hat der Verfassungsgerichtshof die Regelung, wonach die Bewilligung eines zweiten Berufssitzes vom Ergebnis einer Bedarfsprüfung abhängig war, als verfassungswidrig aufgehoben. Die im Zusammenhang damit zu sehende Neuregelung sieht von einer Bedarfsprüfung ab und beschränkt gleichzeitig die Zahl der zulässigen Berufssitze auf zwei. Damit wird einerseits dem verfassungsrechtlichen Grundsatz der Erwerbsausübungsfreiheit Rechnung getragen.
Andererseits soll durch die Beschränkung der Berufssitze der aus gesundheitspolitischer Sicht notwendigen Qualitätssicherung Rechnung getragen werden.
..."
2. Wie der Verfassungsgerichtshof im schon zitierten Erk. VfSlg. 13.184/1992 unter dem Aspekt seiner dargestellten Judikatur zur Freiheit der Erwerbsausübung (unter Bezugnahme auf sein Erk. VfSlg. 13.023/1992 betreffend die Bedarfsprüfung bei der Erteilung der Errichtungsbewilligung für Krankenanstalten) auf dem Boden der vergleichbaren Rechtslage des ÄrzteG 1984 ausgesprochen (und im Erk. VfSlg. 13.826/1994 bekräftigt) hat, besteht ein öffentliches Interesse an einer flächendeckenden, qualifizierten (fach-)ärztlichen Versorgung der Bevölkerung; gesetzlichen Bestimmungen, welche die Zahl der Berufssitze eines Arztes beschränken und daher in die Erwerbsausübungsfreiheit eingreifen, muß die Eignung und Adäquanz zukommen, dieses Ziel zu erreichen. Der Gerichtshof kann nun in Ansehung seiner beizubehaltenden Rechtsprechung der Annahme des Gesetzgebers nicht entgegentreten, daß die im ersten Satz des §45 Abs3 ÄrzteG 1998 festgelegte Beschränkung der freiberuflich tätigen Ärzte auf die Errichtung von (bloß) zwei Berufssitzen, jedenfalls soweit sie Zahnärzte betrifft, diesen Voraussetzungen entspricht.
Auch wenn den freiberuflich tätigen Arzt keine Residenzpflicht am Berufssitz trifft und es ihm überlassen bleibt, wann und wie oft er am Berufssitz ordiniert (s. dazu im einzelnen das schon angeführte, die grundsätzlich gleiche Gesetzeslage nach dem ÄrzteG 1984 betreffende Erk. VfSlg. 13.184/1992), unterliegt er doch (wie jeder Arzt) den allgemeinen Pflichten des §49 sowie des §50 ÄrzteG 1998; er ist also (insbesondere) verpflichtet, jeden von ihm in ärztliche Beratung oder Behandlung übernommenen Gesunden oder Kranken ohne Unterschied der Person gewissenhaft zu betreuen und hat hiebei nach Maßgabe der ärztlichen Wissenschaft und Erfahrung sowie unter Einhaltung der bestehenden Vorschriften das Wohl der Kranken und den Schutz der Gesunden zu wahren, sowie im Fall, daß er von einer Behandlung zurückzutreten beabsichtigt, seinen Rücktritt dem Kranken oder den für dessen Pflege verantwortlichen Personen wegen Vorsorge für anderweitigen ärztlichen Beistand rechtzeitig anzuzeigen. Unter Bedachtnahme auf diese Gebote vermag der Verfassungsgerichtshof dem Gesetzgeber keine Überschreitung des diesem nach der Vorjudikatur zukommenden größeren rechtspolitischen Gestaltungsspielraums anzulasten; der Gesetzgeber geht nämlich der Sache nach davon aus, daß den eben beschriebenen Verpflichtungen, welche der Qualitätssicherung der ärztlichen Versorgung (auch) im freiberuflichen Bereich dienen und auf das gebotene Vertrauensverhältnis zwischen dem Arzt und seinen Patienten abstellen, nicht voll entsprochen werden kann, wenn der freiberuflich tätige Arzt - insbesondere der zu einer akuten oder der Natur der Erkrankung nach längerwährenden Behandlung benötigte Zahnarzt - seine zeitlich und belastungsmäßig begrenzte Arbeitskraft auf drei Ordinationen aufteilt. Eine derartige Berufsausübung kann als mit dem subjektiv häufig bestehenden und im Hinblick auf eine bereits begonnene Behandlung vielfach auch objektiv gegebenen Bedürfnis des Patienten, den selben Arzt aufzusuchen, nicht vereinbar gewertet werden; sie widerspräche nach der nicht zu beanstandenden Beurteilung durch den den gegebenen Freiraum nützenden Gesetzgeber dem schon erwähnten Grundsatz der qualifizierten (fach-)ärztlichen Versorgung, der (und zwar nicht zuletzt für den Zahnarzt) darin zum Ausdruck kommt, daß die Patientenbehandlung auf seine (mit den notwendigen Einrichtungen, Hilfsmitteln und Arzneien ausgestattete und in hygienisch einwandfreiem Zustand befindliche) Ordination konzentriert ist.
Es ist sohin festzuhalten, daß eine Verletzung des geltend gemachten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes unter dem Blickpunkt des als verfassungswidrig kritisierten ersten Satzes im §45 Abs3 ÄrzteG 1998 nicht stattgefunden hat.
3. Da nach der Lage des Beschwerdefalles auch sonst weder aus anderen Gründen eine Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Erwerbsfreiheit noch eine sonstige vom Verfassungsgerichtshof wahrzunehmende Rechtsverletzung vorliegt, ist die Beschwerde abzuweisen und antragsgemäß dem Verwaltungsgerichtshof abzutreten.
IV. Diese Entscheidung wurde gem. §19 Abs4, erster Satz VerfGG ohne vorangegangene mündliche Verhandlung getroffen.
Schlagworte
Ärzte, Berufsrecht Ärzte, ErwerbsausübungsfreiheitEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2000:B1229.1999Dokumentnummer
JFT_09998870_99B01229_00