TE Vwgh Erkenntnis 2004/6/24 2001/15/0045

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Veröffentlicht am 24.06.2004
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Index

001 Verwaltungsrecht allgemein;
32/01 Finanzverfahren allgemeines Abgabenrecht;
40/01 Verwaltungsverfahren;

Norm

AVG §33 Abs3;
BAO §108 Abs4;
VwRallg;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. W. Pesendorfer und die Hofräte Dr. Sulyok, Dr. Fuchs, Dr. Zorn und Dr. Mairinger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Reinisch, über die Beschwerde der A G.m.b.H. in G, vertreten durch Dr. Arnold Rechtsanwalts-Partnerschaft in 1010 Wien, Wipplingerstraße 10, gegen den Bescheid der Finanzlandesdirektion für Steiermark vom 29. Jänner 2001, Zl. RV 319/10/00, betreffend Zurückweisung einer Berufung (Körperschaftsteuer 1993 und 1994, Körperschaftsteuervorauszahlung 1997), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.172,88 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Abgabenbescheiden vom 1. August 1997 setzte das Finanzamt Graz-Stadt die Körperschaftsteuer für 1993 und 1994 sowie die Körperschaftsteuervorauszahlungen für 1997 gegenüber der Beschwerdeführerin fest. Auf deren Antrag wurde die Frist zur Einbringung einer Berufung gegen die genannten Bescheide bis zum 27. Oktober 1997 verlängert. Mit Schriftsatz vom 27. Oktober 1997 legte die Beschwerdeführerin Berufung gegen die Bescheide ein.

Mit Bescheid der belangten Behörde vom 12. Mai 1999, RV 68/1- 10/89, wurde die Berufung als verspätet zurückgewiesen. Die Berufung sei beim Finanzamt am Mittwoch, dem 29. Oktober 1997 eingelangt. Ein dazugehöriger Briefumschlag erliege nicht in den Akten. Den Umstand, dass im Postaufgabeheft der steuerlichen Vertreterin der Beschwerdeführerin unter dem Datum 27. Oktober jegliche Eintragung fehle, habe der Prokurist der steuerlichen Vertreterin damit erklärt, dass vor der Eintragung der in Rede stehenden Berufung offensichtlich die Angabe des Aufgabedatums 27. Oktober 1997 vergessen worden sei, weshalb die Berufung noch unter dem letzten vorangegangenen Werktag (24. Oktober 1997) aufscheine. Im Hinblick auf die unterlassene Mitwirkung, die unglaubwürdige Behauptung der unterlassenen Datumseintragung im Postausgangsbuch und die Unüblichkeit des Einlangens einer Postsendung beim Finanzamt erst am 29. Oktober 1997 statt wie sonst üblich am ersten Werktag nach der Postaufgabe sei von einer dem verspäteten Einlangen beim Finanzamt zugrundeliegenden verspäteten Einreichung der Berufung durch Postaufgabe auszugehen.

Mit dem hg. Erkenntnis vom 22. Dezember 2000, 99/15/0117, auf welches zur weiteren Sachverhaltsdarstellung verwiesen wird, hat der Verwaltungsgerichtshof den Zurückweisungsbescheid wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben. Da die Beschwerdeführerin (ihre steuerliche Vertreterin) nur zur Vorlage des Postaufgabebuches aufgefordert worden ist, und sie dieser Aufforderung nachgekommen ist (und eine Erklärung für das Fehlen der Eintragung der Datumsangabe "27. Oktober 1997" gegeben hat), durfte die belangte Behörde ihre Beweiswürdigung nicht auf die mangelnde Mitwirkung der Beschwerdeführerin stützen. Der belangten Behörde wurde auch vorgeworfen, dass sie keine Überlegungen darüber angestellt hat, aus welchen Gründen sich das Kuvert, in welchem die Berufung übersandt worden ist, nicht im Verwaltungsakt befunden hat ("das Kuvert könnte Informationen über den Zeitpunkt der Einreichung enthalten"), und aus welchen Gründen das Finanzamt die Berufung als rechtzeitig eingebracht behandelt hat, indem es über sie meritorisch mit Berufungsvorentscheidung abgesprochen hat.

Im fortgesetzten Verfahren vernahm die belangte Behörde Petra F als Zeugin. Petra F war seinerzeit Sekretärin der Kanzlei der steuerlichen Vertreterin der Beschwerdeführerin ("Ich hatte das Sekretariat über und erledigte die Korrespondenz. Ich war Schreibkraft in der Kanzlei. Kleinere Routinearbeiten erledigte ich auch selbstständig"). Dieses Dienstverhältnis war im Juli 1999 durch Arbeitgeberkündigung beendet worden. Die belangte Behörde veranlasste auch die Befragung von Bediensteten des Finanzamtes. In diesem Zusammenhang gab der Leiter der Steuerinformations- und Einlaufstelle u.a. an, die steuerliche Vertreterin der Beschwerdeführerin arbeite sehr genau und gewissenhaft, es habe in den letzten 15 Jahren keine Vorkommnisse gegeben; sie bringe ihre Eingaben "normal" ein, gelegentlich hingegen eingeschrieben bzw. durch Einwurf in den Einwurfbriefkasten.

Der Referatsleiter der betrieblichen Veranlagung gab an, aus der Tatsache, dass die Berufung der Beschwerdeführerin einen roten Eingangsstempel trage, ergebe sich, dass sie per Post eingebracht worden sei. Aus diesem Grunde habe er annehmen müssen, dass die Berufung unter Einrechnung eines allfälligen Postlaufes als rechtzeitig eingebracht zu betrachten sei. Es komme immer wieder vor, dass per Post eingebrachte Schriftstücke im zuständigen Referat ohne Kuvert einlangten. Ob im gegenständlichen Fall ein Kuvert (im Referat) vorgelegen habe, könne nach annähernd drei Jahren nicht mehr mit Sicherheit behauptet werden. Da allfällig beiliegende Kuverts aber abgeheftet würden, könne bezweifelt werden, dass im gegenständlichen Fall der Briefumschlag von der Einlaufstelle mitgegeben worden sei.

Der Verwaltungsakt enthält einen Aktenvermerk über einen Telefonanruf beim Hauptpostamt Graz vom 17. Oktober 2000 betreffend die Dauer des Postweges. Ein nicht namentlich genannter Bediensteter des Hauptpostamtes wird zitiert mit der Aussage: "Der normale Postweg in Graz dauert einen Tag, davon kann ausgegangen werden".

Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung erneut als nicht fristgerecht eingebracht zurück. Die in den behördlichen Ingerenzbereich fallende Vernichtung eines Briefkuverts nach Ablauf einer sechsmonatigen Aufbewahrungsfrist könne nicht gleichgesetzt werden mit einer "bewusst - gezielten, Vernichtung eines bzw. des ggst. Freistempelkuverts nach bzw. infolge dessen erkannter rechtlicher Relevanz als entscheidendes Beweismittel durch die Behörde(n)". Die nicht mehr aufklärbaren Gründe für das Nicht-Vorhandensein des Briefkuverts im Akt stellten ein Faktum dar, welches weder zu Gunsten noch zu Lasten der Beschwerdeführerin ins Treffen geführt werden könne. Selbst wenn das Finanzamt, wie dies die steuerliche Vertreterin möglicherweise andeute, das Kuvert absichtlich vernichtet hätte - solches hätte schon im Bereich der Einlaufstelle erfolgen müssen, weil dem die Berufungsvorentscheidung ausarbeitenden Sachbearbeiter seinen Angaben zufolge ein solches höchst wahrscheinlich nicht vorgelegen sei - wäre damit für die Beschwerdeführerin nichts gewonnen. Die Behörde wie die Beschwerdeführerin könnten eben nicht mehr auf dieses Beweismittel zurückgreifen.

Der steuerlichen Vertreterin seien die Gestionen ihrer Bediensteten zuzurechnen. Wenn der Sekretärin der steuerlichen Vertreterin der Einwurf eines Briefes mit einer Berufung in einen Briefkasten der Post (das heißt unbescheinigte Aufgabe) aufgetragen werde, werde auf das Vorliegen eines postamtlichen Nachweises verzichtet. In einem solchen Fall habe es der berufsmäßige Parteienvertreter nicht nur an der Etablierung eines Kontrollsystems zur möglichst fristgerechten Aufdeckung von mit der Sanktion von Fristversäumnis bedrohten Tätigkeiten an der Schnittstelle der Kanzlei zur Außenwelt fehlen lassen, sondern auch an der ihn treffenden Pflicht zur Beweisvorsorge gegenüber der Behörde.

Bei begleitender Kontrolle des Postaufgabebuches am 27. Oktober 1997 hätte gerade die nicht korrekte Eintragung der in Rede stehenden Berufung unter dem Datum 24. Oktober 1997 statt unter dem Datum 27. Oktober 1997 und die damit einhergehende Schmälerung des Beweiswertes die steuerliche Vertreterin umso mehr zur Vorsorge für die Nachweisbarkeit der Postaufgabe am 27. Oktober 1997 veranlassen müssen. In diesem Zusammenhang müsse der Umstand als auffällig bezeichnet werden, dass die steuerliche Vertreterin trotz Fertigstellung der Berufung am Ende des letzten Tages der Berufungsfrist nicht von ihrer faktisch und rechtlich zu Gebote stehenden Möglichkeit der Verwendung von Telefax zur Einbringung der Berufung Gebrauch gemacht habe. Die steuerliche Vertreterin habe diese technische Möglichkeit nicht genutzt, obwohl damit im Regelfall nicht nur die Einbringung, sondern auch das Einlangen einer Eingabe beweismäßig abgedeckt hätte werden können. In diesem Zusammenhang sei der Umstand zu bedenken, dass bei einem ordnungsgemäßen Freistempelaufdruck ein zusätzlicher Poststempelaufdruck nicht angebracht werde, wenn das Freistempelstück in einen Briefkasten eingelegt werde (§ 32 Postordnung). Eine wirklich überzeugende Erklärung für die gewählte Vorgangsweise könne nur darin gelegen sein, dass die Benützung des Faxgerätes diesen Beweis der zeitgerechten Übermittlung der Berufung an die Behörde nicht hätte erbringen können, weil die Berufung am 27. Oktober 1997 noch nicht fertig gestellt gewesen sei. Die steuerliche Vertreterin der Beschwerdeführerin habe zur Glaubhaftmachung der richtigen Postaufgabe am 27. Oktober 1997 ihre ehemalige Sekretärin Petra F als Zeugin namhaft gemacht. Die belangte Behörde halte zu den Angaben der Zeugin Petra F fest: Da Berufungen grundsätzlich unbescheinigt zur Post gegeben worden seien - so die Angaben der Zeugin -, liege kein wirksames Nachweis- und Kontrollsystem vor. Der in Rede stehenden Berufung vom 27. Oktober 1997 seien 30 Seiten Kopien angeschlossen gewesen; dennoch habe sich die Zeugin nicht an - in ihre Zuständigkeit fallende - "Zusatzarbeiten" in Form der Erstellung dieser Kopien erinnert. Die Zeugin habe allerdings angegeben, wegen einer privaten Geburtstagsfeier ein pünktliches Dienstende angestrebt zu haben. Dennoch sei die Berufung erst um ca. 17 Uhr bis 17.15 Uhr fertig geworden. Die Zeugin habe sich nicht an andere Schriftstücke erinnert, die sie dem Vorbringen der Beschwerdeführerin in ihrer Verwaltungsgerichtshofbeschwerde vom 23. Juni 1999 zufolge zugleich zur Post gebracht haben soll. Aus der Zeugenaussage habe sich ergeben, dass die Eintragungen in das Postaufgabebuch noch vor der Kuvertierung also bereits bei Abschluss der Verfassung eines Schriftstückes erfolgt sei. Sie habe sich weiters nicht an die letzte Aushebezeit des Briefkastens S-Gasse 62 (nämlich 18.00 Uhr) erinnern können, obwohl dort immer Post eingeworfen worden sei. Obwohl am 27. Oktober 1997 (Geburtstag der Zeugin) ein atypischer Wetterverlauf in Form von Schneeregen geherrscht habe, habe sich die Zeugin an diese Wettersituation nicht erinnern können. Sie habe sich auch nicht daran erinnern können, mit welchem Verkehrsmittel sie zum Briefkasten gekommen sei. Nach Ansicht der belangten Behörde sei es auffällig, dass die Zeugin nur über die Postaufgabe, nicht aber über Begleitumstände habe berichten können.

Die belangte Behörde gelange daher zum Ergebnis, dass die Glaubhaftmachung einer am 27. Oktober 1997 erfolgten Postaufgabe misslungen sei. Dafür seien resümierend insbesondere folgende Umstände maßgebend: Es liege kein einziges objektives Beweismittel vor, das von unabhängigen Dritten stamme. Die unrichtige Eintragung im Postausgangsbuch sei nicht aufgeklärt. Entscheidend seien auch das "Nichterinnern an die Herstellung von ca. 30 Kopien als Beilage zur Berufung trotz damit verbundene Zeitaufwandes", der "Zeitdruck der Zeugin am 27. Oktober 1997 wegen privater Gründe (Geburtstagsfeier)" sowie das "Nichterinnern an die näheren Umstände der Postaufgabe bei gleichzeitigem Erinnern an die Tatsache an sich". Zudem habe es im gegenständlichen Fall eine rechtlich unbefangene "Erstaussage", deren Inhalt nach allgemeiner Lebenserfahrung der Wahrheit am Nächsten kommen würde, nicht gegeben, weil die Zeugin infolge des ihr wegen § 91 Abs. 2 iVm § 173 Abs. 2 BAO bekannt zu gebenden "Gegenstandes der Amtshandlung" und ihrer Vorsprache am Vortag ihrer Zeugenvernehmung in der Kanzlei ihres ehemaligen Arbeitgebers (zum Zwecke des "In-Erinnerung-Rufens" des Sachverhaltes) nach allgemeiner "Lebenserfahrung die Kernfrage nach dem Faktum der Postaufgabe am 27. Oktober 1997 im unmittelbaren Einflussbereich des Parteienvertreters beantwortet hat". Mit anderen Worten heiße dies, für die Beantwortung der anstehenden Frage durch die Zeugin könne naturgemäß schon auf Grund der vorherigen Mitteilung des Aussagegegenstandes in der Vorladung und dem damit bei der Zeugin als langjährige Bedienstete einer Steuerberatungskanzlei einhergehenden Bewusstsein der rechtlichen Bedeutsamkeit nicht dieselbe rechtliche Unbefangenheit vorgelegen haben wie bei einem Zeugen, der unvorbereitet mit Aussagen über das Vorliegen oder Nichtvorliegen von Tatsachen konfrontiert werde, deren steuerliche Auswirkung für ihn in keiner Weise erkennbar sei.

Die Zeugenaussage müsse auch vor dem Hintergrund der Geltendmachung etwaiger Haftungs- bzw. Regressansprüche nach dem Dienstnehmerhaftpflichtgesetz gesehen werden. Damit werde der Zeugin keinesfalls eine absichtliche Fehlaussage unterstellt, denn ihre Bejahung der hier anstehenden Frage könne im Hinblick auf die verstrichene Zeit auch das Produkt einer subjektiv nicht mehr exakt verlässlichen Erinnerung sein.

Die Beschwerdeführerin habe am 10. Juni 1999 einen Wiedereinsetzungsantrag gestellt. Daraus ergebe sich, dass die steuerliche Vertreterin die verspätete Postaufgabe der Berufung nicht ausschließen könne, weil sie keinen Nachweis darüber habe.

Die belangte Behörde gelange im Rahmend der freien Beweiswürdigung zu dem Ergebnis, dass die Möglichkeit einer Aufgabe der in Rede stehenden Berufung durch Einwurf in den Briefkasten noch am 27. Oktober 1997 weniger wahrscheinlich sei als jene, wonach das verspätete Einlangen der Berufung bei der Behörde seine Ursache in einer nicht mehr fristgerechten Einbringung habe.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die Beschwerde erwogen:

Ein Schriftstück gilt dann der Post durch Einwurf in den Briefkasten am Tag des Einwurfes als übergeben, wenn am Briefkasten der Vermerk angebracht ist, dass er noch am selben Tag ausgehoben wird und der Einwurf vor dem Zeitpunkt dieser Aushebung erfolgt ist (vgl. den hg. Beschluss vom 24. Juni 1993, 93/15/0031).

Die in Rede stehende Berufung ist unstrittig nach Abstempeln des Kuverts mit einer Freistempelmaschine des Absenders per Post eingereicht worden und beim Finanzamt am 29. Oktober 1997 eingelangt. Strittig ist, ob die Berufung am 27. Oktober 1997 vor 18.00 Uhr (in einer den Beginn des Postenlaufes im Sinne des § 108 Abs. 3 BAO auslösenden Weise) zur Post gegeben worden ist oder ob dies später erfolgt ist.

Der Beschwerdefall betrifft die Postbeförderung innerhalb des Stadtgebietes von Graz. Normalerweise erfolgt eine solche Postbeförderung bis zum nächstfolgenden Werktag. Dass es aber außerhalb des Bereiches der Wahrscheinlichkeit läge, dass sie einen weiteren Werktag in Anspruch nehme, hat die belangte Behörde nicht festgestellt.

Die Beschwerdeführerin hat vorgebracht, dass die Sekretärin der steuerlichen Vertreterin die Berufung am 27. Oktober 1997 um ca. 17.30 Uhr in den Briefkasten in Graz, Sch.-Gasse (mit Aushebezeit 18.00 Uhr) eingeworfen habe. Dies entspricht der Aussage der als Zeugin vernommenen Petra F.

Die belangte Behörde führt im angefochtenen Bescheid aus, die steuerliche Vertreterin der Beschwerdeführerin habe der Sekretärin aufgetragen, Briefe mit Berufungen unbescheinigt zur Post zu geben, und damit die Erfüllung des Auftrages der unkontrollierbaren Gestion einer Kanzleikraft überlassen. Die belangte Behörde übersieht dabei, dass es im gegenständlichen Fall ausschließlich darum geht, ob die Sekretärin die Berufung tatsächlich am 27. Oktober 1997 vor 18.00 Uhr in den Briefkasten (Sch.-Gasse) eingeworfen hat, nicht aber darum, ob der steuerlichen Vertreterin ein Überwachungs- bzw. Organisationsverschulden im Falle einer (angenommenen) verspäteten Einbringung zukäme.

Die belangte Behörde wirft der steuerlichen Vertreterin der Beschwerdeführerin im angefochtenen Bescheid vor, sie hätte die Berufung am 27. Oktober 1997 per Fax einbringen können bzw. sollen. Diese Ausführungen stehen allerdings in keinem Zusammenhang mit dem Beweisthema, nämlich der Frage, ob die Postaufgabe am 27. Oktober 1997 vor 18.00 Uhr erfolgt ist. Aus dem Unterbleiben der Einbringung per Telefax konnte schon deshalb nicht der von der belangten Behörde im angefochtenen Bescheid angesprochene Schluss gezogen werden, die Berufung wäre am 27. Oktober 1997 noch nicht fertig gestellt gewesen, weil den im Verwaltungsakt befindlichen Angaben des Finanzamtes zufolge die steuerliche Vertreterin die von ihr verfassten Eingaben stets "normal", eingeschrieben oder durch Einwurf in den Hausbriefkasten des Finanzamtes, daher grundsätzlich nicht per Fax eingebracht hat. Überdies hat die steuerliche Vertreterin im Verwaltungsverfahren vorgebracht, es ergebe sich aus dem "Computerarbeitsbericht", dass das Verfassen des Berufungsschreibens für den 27. Oktober, nicht aber für den 28. Oktober 1997 eingetragen sei. In diesen "Computerarbeitsbericht" hat die belangte Behörde nicht Einsicht genommen.

Der Glaubwürdigkeit der Zeugin Petra F tut es keinen Abbruch, dass sie sich an die Wetterlage am 27. Oktober 1997 bei ihrer ca. 3 Jahre später erfolgten Vernehmung (am 10. November 2000) nicht hat erinnern können. Gleiches gilt für die Frage nach dem verwendeten Verkehrsmittel. In diesem Zusammenhang ist auch darauf zu verweisen, dass in der Zeugenaussage nur davon die Rede ist, die Zeugin könne sich nicht erinnern, mit welchem Verkehrsmittel sie nach Hause gefahren sei, nicht aber, wie dies im angefochtenen Bescheid dargestellt wird, mit welchem Verkehrsmittel sie zum Briefkasten gelangt sei.

Unerheblich ist auch, ob die Zeugin Kenntnis vom nächstgelegenen "Spätleerungsbriefkasten" und von den Öffnungszeiten eines bestimmten Postamtes hatte.

Auch das Fehlen der Erinnerung der Zeugin an die Anfertigung von der Berufung beigelegten Kopien bestimmter Unterlagen macht die Zeugenaussage nicht unglaubwürdig und spricht auch nicht dafür, dass die Postaufgabe am 28. Oktober, statt am 27. Oktober 1997 erfolgt sei. Überdies legt die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid nicht dar, wie sie zur Feststellung gelangt ist, die Kopien der Unterlagen seien erst am Tage der Postaufgabe und nicht schon früher angefertigt worden.

Nicht nachvollziehbar ist, aus welchem Grund der Umstand, dass die Zeugin im Laufe des Abends des 27. Oktober 1997 ihren Geburtstag gefeiert und deshalb ein pünktliches Dienstende angestrebt hat, gegen die Glaubwürdigkeit ihrer Aussage spricht.

Soweit die belangte Behörde darauf verweist, der Zeugin sei als langjährige Bedienstete einer Steuerberatungsgesellschaft die rechtliche Bedeutung des Zeitpunktes der Postaufgabe bewusst gewesen, legt dieser Umstand nahe, dass sie für eine fristgerechte Postaufgabe Sorge getragen hat.

Es spricht auch nicht gegen die Glaubwürdigkeit der Zeugin, wenn sie vor ihrer Aussage Einsicht in Schriftstücke (Handakt) in der Kanzlei der steuerlichen Vertreterin genommen hat. Dass es zu einer Absprache zwischen der Zeugin einerseits und der Beschwerdeführerin bzw. deren steuerlichen Vertreterin andererseits gekommen wäre, behauptet die belangte Behörde nicht und ergibt sich auch nicht aus dem Verwaltungsakt.

In der Vorladung eines Zeugen ist der Gegenstand der Amtshandlung anzugeben (§ 173 Abs. 2 iVm § 91 Abs. 2 BAO). Es ist daher eine nicht nachvollziehbare Überlegung der belangten Behörde, dass wegen dieser vom Gesetz vorgesehenen Bekanntgabe des Gegenstandes der Amtshandlung nicht von einer "rechtlich unbefangenen Erstaussage" ausgegangen werden könne.

Der nicht näher konkretisierte Hinweis auf die Möglichkeit "etwaiger Haftungs- und Regressansprüche nach dem Dienstnehmerhaftpflichtgesetz" vermag die Glaubwürdigkeit der Zeugenaussage ebenfalls nicht entscheidend zu erschüttern, insbesondere auch deshalb nicht, weil die belangte Behörde in unmittelbarem Zusammenhang mit diesem Argument anführt, sie unterstelle der Zeugin keine absichtliche Falschaussage, die Aussage könne aber im Hinblick auf die verstrichene Zeit auch das Produkt eines subjektiv nicht mehr exakt verlässlichen Erinnerungsvermögens sein.

In dem in der Kanzlei der steuerlichen Vertreterin geführten Postaufgabebuch werden nur jene Tage angegeben, an denen Postaufgaben erfolgt sind. In den Zeilen unter der jeweiligen Datumsangabe werden die am betreffenden Tag aufgegebenen Poststücke angeführt. Darunter schließt sich die nächste Datumsangabe an. Die in Rede stehende Berufung ist am Ende der unter dem Datum 24. Oktober 1997 angeführten Postaufgaben genannt. Der Datumseintrag 27. Oktober 1997 findet sich im Postaufgabebuch nicht. In der Zeile nach der in Rede stehenden Berufung findet sich die Datumsangabe "28. 10. 97". Der Prokurist der Beschwerdeführerin hat diesen Umstand damit erklärt, dass die Datumsangabe "27.10.97" vergessen worden sei. Unabhängig von der Richtigkeit dieser Erklärung des Prokuristen spricht das Postaufgabebuch jedenfalls nicht gegen eine Postaufgabe am 27. Oktober 1997.

Dass die Beschwerdeführerin aus Vorsichtsgründen, für den Fall, dass ihrem Vorbringen betreffend die rechtzeitige Postaufgabe endgültig kein Glauben geschenkt werden sollte, die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt hat, darf nicht gegen sie ins Treffen geführt werden.

Wie sich aus dem Vorstehenden ergibt, vermochte die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid nicht schlüssig darzutun, dass bei Berücksichtigung der Gesamtheit der Ermittlungsergebnisse die überwiegende Wahrscheinlichkeit dafür spreche, dass die von der Beschwerdeführerin behauptete Postaufgabe am 27. Oktober 1997 vor 18.00 Uhr nicht erwiesen sei. Die Beweiswürdigung der belangten Behörde hält somit der verwaltungsgerichtlichen Kontrolle nicht stand.

Aus dem Vorstehenden ergibt sich, dass der angefochtene Bescheid mit Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften belastet ist. Er war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 VwGG aufzuheben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. 333/2003.

Wien, am 24. Juni 2004

Schlagworte

Rechtsgrundsätze Fristen VwRallg6/5

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2004:2001150045.X00

Im RIS seit

04.08.2004
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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