TE Vfgh Erkenntnis 2000/11/30 B4773/96 ua

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Veröffentlicht am 30.11.2000
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Index

97 Vergabewesen
97/01 Vergabewesen

Norm

B-VG Art83 Abs2
B-VG Art144 Abs1 / Anlaßfall

Leitsatz

Verletzung im Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter aufgrund Anlaßfallwirkung der Feststellung der Verfassungswidrigkeit der Wortfolge "dann, wenn der geschätzte Auftragswert ohne Umsatzsteuer mindestens fünf Millionen ECU beträgt" in §3 Abs1 des BundesvergabeG (nach EuGH vom 04.02.99, C-103/97, Köllensperger) mit E v 30.11.00, G110/99 ua. Da die als verfassungswidrig qualifizierte Wortfolge in §3 Abs1 BundesvergabeG gemäß Art140 Abs7 B-VG im Anlaßfall nicht mehr anzuwenden ist und deshalb einer meritorischen Entscheidung des Bundesvergabeamtes (über die Nachprüfungsanträge der Beschwerdeführer) nicht mehr im Wege steht, verletzen die angefochtenen Zurückweisungsbescheide das Recht der beschwerdeführenden Gesellschaft auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter.

Spruch

Die beschwerdeführende Gesellschaft ist durch die angefochtenen Bescheide in ihrem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt worden.

Die Bescheide werden aufgehoben.

Der Bund ist schuldig, der beschwerdeführenden Gesellschaft zuhanden ihres Rechtsvertreters die mit insgesamt S 36.000.-- bestimmten Prozesskosten binnen vierzehn Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Die vorliegenden Beschwerden richten sich gegen zwei Bescheide des Bundesvergabeamtes (in der Folge: BVA) vom 16. Oktober 1996, Zln. N-10/96 und N-11/96, durch die Nachprüfungsanträge der nunmehr beschwerdeführenden Gesellschaft in von zwei Reinhalteverbänden nach dem WRG durchgeführten Vergabeverfahren zur Vergabe der Lieferung der maschinellen Ausrüstung für je einen bestimmten Bauabschnitt einer Verbandskläranlage zurückgewiesen wurden: Begründend wurde dazu angeführt, daß es sich jeweils um einen Teil eines Bauauftrages handle, dessen Gesamtherstellungskosten den Schwellenwert gemäß §3 Bundesvergabegesetz (in der Folge: BVergG) idF BGBl. 462/1993 nicht erreichen würden; die von der beschwerdeführenden Gesellschaft dem BVA gegenüber ins Treffen geführten Vergaberichtlinien der (damaligen) Bundesministerin für Umwelt seien nicht so zu verstehen, daß durch sie die Bestimmungen des BVergG für bindend erklärt werden sollten.

In den Beschwerden wird unter anderem die Verfassungswidrigkeit der angewendeten Rechtsvorschriften, insbesondere wegen Unsachlichkeit der Schwellenwertregelung, behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung der Bescheide begehrt.

2. Das BVA hat in beiden Verfahren die Verwaltungsakten vorgelegt, von der Erstattung von Gegenschriften aber abgesehen. Der im zu B4773/96 protokollierten Verfahren als mitbeteiligte Partei beigezogene Auftraggeber hat eine Äußerung erstattet, in der er den Beschwerdebehauptungen entgegentrat und beantragte, der Beschwerde keine Folge zu geben.

3. Aus Anlaß dieser Beschwerden leitete der Verfassungsgerichtshof - nachdem er ein beim EuGH anhängiges Verfahren abgewartet hatte (EuGH vom 4. Februar 1999, C-103/97 Köllensperger), dessen Ausgang er für seine Entscheidung als möglicherweise relevant erachtet hatte - mit Beschluß vom 15. Juni 1999 ein Verfahren zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit der Wortfolge "dann, wenn der geschätzte Auftragswert ohne Umsatzsteuer mindestens fünf Millionen ECU beträgt" in §3 Abs1 des BVergG, durch die die gesetzliche Regelung des Vergabeverfahrens und des vergabespezifischen Rechtsschutzes für die Vergabe von Bauaufträgen auf Aufträge beschränkt wird, deren geschätztes Auftragsvolumen diesen Betrag übersteigt, ein.

Mit Erkenntnis vom heutigen Tag, G110, 111/99, hat der Verfassungsgerichtshof ausgesprochen, daß die in Prüfung gezogene Wortfolge verfassungswidrig war.

II. Die Beschwerden sind im Ergebnis begründet.

Die Entscheidung des BVA, mit der es sich für unzuständig erklärte, über die von der beschwerdeführenden Gesellschaft gestellten Nachprüfungsanträge zu befinden, gründet sich auf die mit dem genannten Erkenntnis vom heutigen Tag aufgehobene Wortfolge in §3 Abs1 BVergG.

Das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter wird durch den Bescheid einer Verwaltungsbehörde unter anderem dann verletzt, wenn diese ihre gesetzliche Zuständigkeit nicht in Anspruch nimmt. Da die als verfassungswidrig qualifizierte Wortfolge in §3 Abs1 BVergG gemäß Artikel 140 Abs7 B-VG im Anlaßfall nicht mehr anzuwenden ist und deshalb einer meritorischen Entscheidung des BVA nicht mehr im Wege steht, verletzen die angefochtenen Zurückweisungsbescheide das Recht der beschwerdeführenden Gesellschaft auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter.

Die Bescheide sind daher aufzuheben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf §88 VerfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in Höhe von S 6.000.-- enthalten.

III. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 Z. 3 VerfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.

Schlagworte

VfGH / Anlaßfall

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2000:B4773.1996

Dokumentnummer

JFT_09998870_96B04773_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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