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10/07 Verwaltungsgerichtshof;Norm
AsylG 1997 §23;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Gruber und die Hofräte Dr. Blaschek, Dr. Nowakowski, Dr. Pelant und Dr. Kleiser als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Stieger, über die Beschwerde des R in L, geboren 1980, vertreten durch Mag. Dr. Helmut Blum, Rechtsanwalt in 4020 Linz, Mozartstraße 11/6, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 10. Februar 2004, Zl. 229.024/0- VI/18/02, betreffend §§ 7 und 8 Asylgesetz 1997 (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger von Serbien und Montenegro, stammt aus Bujanovac/Südserbien und gehört der albanischen Volksgruppe an. Seinen Asylantrag begründete er im Wesentlichen damit, dass er in Österreich arbeiten wolle, um seine Familie zu unterstützen. Er wisse auch, dass er von der serbischen Polizei "vermutlich befragt" worden wäre, uzw. bezüglich seiner Mitgliedschaft bei der UCPMB, der er vom 28. November 2000 bis 25. Mai 2001 angehört habe. Dann habe die UCPMB die Selbstauflösung erklärt und es hätten bei der KFOR die Waffen abgegeben werden müssen. Im Anschluss daran habe er (der Beschwerdeführer) privat in Gnjilane gearbeitet, um das Geld für die Ausreise (am 29. Dezember 2001) zu verdienen.
Das Bundesasylamt wies den Asylantrag des Beschwerdeführers mit Bescheid vom 16. Mai 2002 gemäß § 7 AsylG ab (Spruchpunkt I.). Außerdem sprach es aus, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers "in die BR Jugoslawien - Provinz Kosovo" gemäß § 8 AsylG zulässig sei (Spruchpunkt II.).
Der Beschwerdeführer erhob gegen den Bescheid des Bundesasylamtes Berufung. In der daraufhin durchgeführten mündlichen Berufungsverhandlung vor der belangten Behörde vom 6. November 2002 gab er gemäß dem in den Verwaltungsakten erliegenden Verhandlungsprotokoll ua. Folgendes an (VL = Verhandlungsleiter, BW = Beschwerdeführer):
"VL: Sind Sie jemals wegen Ihrer Mitgliedschaft zur UCPMB von der serbischen Polizei gesucht worden?
BW: Ich habe bereits beim Bundesasylamt eine Ladung zur serbischen Polizei vorgelegt, diese habe ich heute auch im Original vorgelegt.
VL: Was steht in dieser Ladung eigentlich drinnen?
BW: In dieser Ladung steht, dass ich mich bei SUP melden soll, das nähere steht in der Ladung.
VL: Wann und wo sollen Sie sich bei SUP melden?
BW: An das genaue Datum kann ich mich nicht erinnern, ich soll mich irgendwann im Jänner 2002 bei der SUP melden, und zwar in Bujanovac.
VL: Wie sind Sie eigentlich in den Besitz dieser Ladung gekommen?
BW: Diese Ladung wurde meinem Vater zugestellt. Diese Schriftstücke werden im Kaufhaus meines Heimatortes deponiert, die Bewohner meines Heimatortes holen sie dort ab.
VL: Was für einen Sinn sollte es für SUP geben, eine Ladung in einem Kaufhaus zu deponieren, wo doch ersichtlich ist, dass sich die gesamte Familie gar nicht in Südserbien aufhält?
BW: Das wusste SUP wahrscheinlich gar nicht.
VL: Ihr Vater hält sich also doch regelmäßig in Südserbien auf, andernfalls er im Kaufhaus die Ladung nicht hätte übernehmen können?
BW: Mein Vater fährt manchmal in das Heimatdorf in Südserbien, das ist ja unser Land.
VL: Sie selbst sind scheinbar auch problemlos nach Südserbien gereist, Sie haben sich scheinbar auch problemlos im September 2001 an die jugoslawischen Behörden gewandt, um sich in Bujanovac einen Reisepass und einen Personalausweis ausstellen zu lassen?
BW: Mein Anwalt heißt Selami Aliu, er arbeitet für den serbischen Rechtsanwalt Mile Krstic, dessen Kanzlei in Bujanovac liegt.
VL: Sie haben beim Bundesasylamt angegeben, dass die angebliche serbische Ladung Ihrem Vater auf Ersuchen des Rechtsanwaltes ausgestellt wurde. Heute schildern Sie, dass Ihr Vater zufällig bei einem Heimatbesuch darauf hingewiesen wurde, dass im Kaufhaus ein Schreiben für Sie zur Abholung bereit liegt?
BW: Ich habe beim Bundesasylamt angegeben, dass ich die Herkunft der Ladung nicht genau angeben kann. Mein Vater hat dieses Schriftstück gemeinsam mit Lebensmitteln für mich einem mir namentlich nicht bekannten Landsmann mitgegeben, als dieser mit dem Bus vom Kosovo nach Österreich gefahren ist.
VL: Gab es bei der Ausstellung Ihrer Reisedokumente irgendwelche Probleme?
BW: In Serbien geht mit Geld alles. Der Rechtsanwalt kannte den leitenden Beamten bei der serbischen Polizei sehr gut. Einige andere Kämpfer der UCPMB wurden nach Kriegsende von den Serben eingesperrt und erst nach Intervention durch UNHCR wieder freigelassen."
Mit Bescheid vom 10. Februar 2004 wies die belangte Behörde die Berufung des Beschwerdeführers gemäß § 7 AsylG ab. Sie stellte weiters gemäß § 8 AsylG iVm § 57 FrG fest, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Serbien und Montenegro (nicht aber in den Kosovo) zulässig sei. Diesem Bescheid legte die belangte Behörde sachverhaltsmäßig zugrunde, dass sich der Beschwerdeführer für kurze Zeit auf Seiten der UCPMB an Verteidigungsmaßnahmen beteiligt habe. Er habe jedoch zu keinem Zeitpunkt "irgendeine hervorgehobene Tätigkeit" ausgeübt und nach eigenen Angaben keinen serbischen Soldaten oder Polizisten "getroffen" oder getötet. Nach Abschluss des Waffenstillstandsabkommens habe der Beschwerdeführer wie sämtliche anderen Mitstreiter seiner albanischen Einheit bei der KFOR die Waffen abgegeben und sei in der Folge mit seiner Familie in den Kosovo ausgereist. Von dort sei er nach Südserbien zurückgekehrt, habe sich über Vermittlung eines Rechtsanwaltes einen gültigen Reisepass von der Polizei ausstellen lassen und sei mit diesem Reisepass über Ungarn nach Österreich gereist. Der Beschwerdeführer sei bislang noch nicht - wie viele andere geflohene Albaner aus Südserbien - nach Südserbien zurückgekehrt, da er im Bundesgebiet einer Beschäftigung nachgehe und mit dem verdienten Geld seine Familie unterstützen wolle.
"Zur Situation der albanischen Minderheit in Serbien und Montenegro" stellte die belangte Behörde fest, dass der Großteil der Bevölkerung, insbesondere die ethnischen Albaner - nach Entschärfung des lokalen Konflikts in Südserbien durch eine im Mai 2001 gefundene Verhandlungslösung -, in das südserbische Grenzgebiet zum Kosovo zurückgekehrt seien; es bestehe kein Anhaltspunkt für künftige Auseinandersetzungen. Im Juli 2002 sei zudem als vertrauensbildende Maßnahme ein Amnestiegesetz für Personen erlassen worden, die in Südserbien "Terrorakte" begangen oder staatsfeindliche Aktivitäten geplant hätten oder in Verdacht stünden, diese begangen oder geplant zu haben. Dieses Amnestiegesetz sei am 11. Juli 2002 in Kraft getreten, aus keinem der eingesehenen Berichte sei ableitbar, dass die Umsetzung dieses Amnestiegesetzes in der gerichtlichen oder behördlichen Praxis Möglichkeiten der Willkür offen lasse. Auch die albanischen Medien in Südserbien und dem Kosovo berichteten nicht von Verstößen gegen das Amnestiegesetz. Die vorgezogenen Kommunalwahlen vom 28. Juli 2002 hätten - so die belangte Behörde weiter - ein überwältigendes Wahlergebnis für die albanischen Parteien in Südserbien erbracht, die albanische Bevölkerungsgruppe stelle derzeit die Bürgermeister der größten Ortschaften der Region. Auch der ständige Koordinator der Vereinten Nationen habe den bemerkenswerten Fortschritt in den Friedensbemühungen in Südserbien bestätigt. Der Beschwerdeführer seinerseits sei im gesamten Verfahren nicht in der Lage gewesen, die Gültigkeit und die vollinhaltliche Umsetzung der geltenden Amnestiebestimmungen für ehemalige Kämpfer der UCPMB ernsthaft in Zweifel zu ziehen. Er habe einzig einen Meldezettel als "Gegenbeweis" vorgelegt und sich im Wesentlichen auf stereotype Antworten und Behauptungen beschränkt. Aus diesen "banalen Ausführungen" sei jedoch nicht ableitbar, dass die im Verfahren erörterten und eingesehenen Berichte nicht der Wirklichkeit entsprechen würden. Es könne daher nicht davon ausgegangen werden, dass gerade für den Beschwerdeführer die Umsetzung der Amnestieregelung nicht greifen würde, weshalb nicht erkannt werden könne, dass ihm zum heutigen Zeitpunkt der Vorwurf der Teilnahme an Kampfhandlungen auf Seiten der UCPMB gemacht werden könnte. Eine aktuelle Verfolgungsgefahr aus einem in der FlKonv angeführten Grund sei sohin nicht gegeben. Auf Basis des festgestellten Sachverhaltes liege auch keine Bedrohung im Sinne vom § 8 AsylG iVm § 57 Abs. 1 und 2 FrG vor. Die Zulässigkeit der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers sei jedoch nur bezüglich seines Herkunftsstaates Serbien und Montenegro auszusprechen gewesen, da nach ständiger Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes der Kosovo für Albaner aus Südserbien keine inländische Fluchtalternative bilde.
Über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof erwogen:
Die Entscheidung der belangten Behörde beruht darauf, dass dem Beschwerdeführer im Hinblick auf die "geltenden Amnestiebestimmungen" keine asylrelevante Verfolgung seitens der serbischen Behörden wegen seiner Tätigkeit bei der UCPMB drohe. Die hier in Frage kommenden "geltenden Amnestiebestimmungen" - ein näher erläutertes Amnestiegesetz vom 2. März 2001 hinsichtlich des "Kosovo-Konfliktes" kann gegenständlich nicht einschlägig sein - wurden im bekämpften Bescheid allerdings nur dahingehend umschrieben, dass ein am 11. Juli 2002 in Kraft getretenes Amnestiegesetz für Personen erlassen worden sei, die in Südserbien "Terrorakte" begangen oder staatsfeindliche Aktivitäten geplant haben oder in Verdacht stehen, diese begangen oder geplant zu haben. Damit fehlt es einerseits an einer exakten Darstellung sowohl des zeitlichen als auch des persönlichen Anwendungsbereiches der Amnestie und andererseits an einer präzisen Auflistung der von ihr erfassten Straftatbestände. Zwar ist in weiterer Folge davon die Rede, dass sich die Amnestieregelung auf die ehemaligen Kämpfer der UCPMB erstrecke, auch damit wird jedoch der genaue Anwendungsbereich des besagten Amnestiegesetzes nur sehr unscharf wiedergegeben. Jedenfalls im Hinblick darauf hätte sich die belangte Behörde mit der vom Beschwerdeführer vorgelegten "Ladung zur serbischen Polizei" auseinander setzen müssen, zumal angesichts der nicht erfolgten Übersetzung dieser Ladung nicht einmal ansatzweise erkennbar ist, welche Umstände dieser Ladung zugrunde liegen bzw. worauf sie sich bezieht. Fest steht nur, dass der Beschwerdeführer - der in der Berufungsverhandlung dem Vorhalt widersprach, er habe bei seiner Einvernahme vor dem Bundesasylamt angegeben, die Ladung sei von einem Rechtsanwalt ausgestellt worden - auch noch in der Beschwerde zwischen dieser Ladung und seiner Tätigkeit für die UCPMB einen Zusammenhang hergestellt hat, weshalb nicht ausgeschlossen werden kann, dass die belangte Behörde bei Beschäftigung mit dieser Ladung - sie findet im bekämpften Bescheid nur bei Wiedergabe des Vorbringens des Beschwerdeführers Erwähnung - zu einem anderen Ergebnis hätte gelangen können. Angesichts dessen ist der bekämpfte Bescheid mit Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften behaftet, weshalb er gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG aufzuheben war.
Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003.
Wien, am 29. Juni 2004
Schlagworte
Begründung BegründungsmangelEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2004:2004010087.X00Im RIS seit
29.07.2004