Index
40/01 Verwaltungsverfahren;Norm
AVG §17a;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Graf und die Hofräte Dr. Händschke und Dr. Rosenmayr als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Gubesch, über die Beschwerde des S in B, vertreten durch Dr. Elisabeth Constanze Schaller, Rechtsanwältin in 1060 Wien, Loquaiplatz 1/7, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates im Land Niederösterreich vom 11. April 2002, Zl. Senat-MD-02-0015, betreffend Bestrafung nach dem AuslBG (weitere Parteien: Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit, Bundesminister für Finanzen), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.171,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Mödling vom 8. Oktober 1997 wurde der Beschwerdeführer einer Übertretung des AuslBG für schuldig erkannt und mit einer Geldstrafe in der Höhe von S 10.000,-- samt Kostenersatz bestraft, weil er eine namentlich bezeichnete jugoslawische Staatsangehörige vom Frühjahr 1996 bis 7. September 1997 in B beschäftigt habe, ohne dass für diese Ausländerin eine Beschäftigungsbewilligung, eine Anzeigebestätigung, eine Arbeitserlaubnis oder ein Befreiungsschein ausgestellt gewesen sei.
Gegen dieses Straferkenntnis erhob der - blinde - Beschwerdeführer Berufung, in welcher er u.a. die inhaltliche Richtigkeit des zur Grundlage des bekämpften Straferkenntnisses gemachten, von ihm unterfertigten Aktenvermerks vom 11. September 1997 mit der Behauptung bestritt, dieser enthalte nicht nur den ihm vorgelesenen, sondern auch einen zusätzlichen, von ihm als unrichtig bestrittenen Text. Ein Beschäftigungsverhältnis zur betretenen Ausländerin sei nicht vorgelegen, diese habe lediglich den Hausschlüssel erhalten, um in der Zeit von Ende August bis Anfang September 1997 in seinem Haus die Blumen zu gießen.
Mit dem vor dem Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Bescheid gab die belangte Behörde der Berufung des Beschwerdeführers nach Durchführung einer öffentlichen mündlichen Berufungsverhandlung in seiner Abwesenheit gemäß § 66 Abs. 4 AVG keine Folge und bestätigte das erstinstanzliche Straferkenntnis. Sie legte ihrer Entscheidung zu Grunde, sowohl der Beschwerdeführer als auch die angetroffene Ausländerin hätten anlässlich ihrer Befragung durch die Organe der Gendarmerie angegeben, die Ausländerin sei in dem im Straferkenntnis angegebenen Zeitraum drei Mal wöchentlich gegen einen Stundenlohn von S 80,-- beschäftigt gewesen. Eine zusätzliche Bestätigung finde sich im Aktenvermerk vom 11. September 1997, in welchem der Beschwerdeführer nicht nur die Rückgabe der Schlüssel zu seinem Anwesen, sondern auch die Beschäftigung der Ausländerin als Bedienerin schriftlich zugegeben habe. Diese Bestätigungen hätten sich auch mit den glaubwürdigen Angaben des Anzeigers in der Berufungsverhandlung gedeckt.
Abgesehen davon, dass der Beschwerdeführer in seinen Erstangaben gegenüber dem einschreitenden Gendarmeriebeamten (welche erfahrungsgemäß der Wahrheit am nächsten kämen) die im Gegenstand angelastete Verwaltungsstraftat eingestanden habe und ein späteres leugnendes Vorbringen lediglich als Schutzbehauptung betrachtet werden könne, sei in seiner Stellungnahme (Anm.: zur Rechtfertigung) vom 7. Oktober 1997 ausdrücklich festgehalten worden, dass "mehrere Damen" zu ihm "zum Kaffeetratsch" gekommen seien. Manche hätten ihm "vorgelesen", manche "den Kopf gewaschen und die Haare geschnitten", manche "Fuß- und Handpflege" betrieben und manche ihn "massiert". Es sei üblich gewesen, dass anschließend von diesen Besucherinnen das Kaffeegeschirr abgewaschen und dabei auch der restliche Abwasch gleich mitgewaschen worden sei und auch ein Wechsel der Bettwäsche erfolgt sei, wofür der Beschwerdeführer Barauslagen ersetzt und Geschenke gemacht habe. Auch das spätere (von der belangten Behörde allerdings als unglaubwürdig eingestufte) Vorbringen des Beschwerdeführers sei geeignet, seine Bestrafung herbeizuführen, da jegliche Beschäftigung dem AuslBG unterliege und keine Einschränkung nach der Art der Tätigkeit erfahre, zumal auch in der Darreichung von Geschenken und dem Ersatz von Barauslagen wenigstens ein so genannter "Naturallohn" zu erblicken sei. Wenn der Beschwerdeführer darzutun versuche, dass eine wesentlich kürzere Beschäftigung der Ausländerin als im erstinstanzlichen Straferkenntnis zur Last gelegt erfolgt sei, da diese "lediglich" Mitte August bis Anfang September1997 "Pflanzen in seinem Haus gegossen" habe, zu welchem Zwecke sie einen Schlüssel erhalten habe, sei dem entgegenzuhalten, dass selbst der behauptete Nichtbesitz eines Schlüssels für die Zeit "davor" keinen Beweis dafür liefere, dass die angelastete unerlaubte Beschäftigung vorher nicht stattgefunden habe, da es dem in seiner Wohnung anwesenden Beschwerdeführer in diesem Fall ja möglich gewesen sei, der Ausländerin die Tür zu öffnen. Die Behörde erster Rechtsstufe habe auf Grund der vorliegenden Gendarmerieanzeige das bekämpfte Straferkenntnis somit zu Recht erlassen; die Berufungsbehörde sei nicht verpflichtet, weitere Erhebungen - etwa die Einvernahme des Beschwerdeführers, welcher zur Berufungsverhandlung nicht erschienen sei - durchzuführen, da die vorliegende Sach- und Rechtslage vollständig klargestellt erscheine.
Im Übrigen legte die belangte Behörde ihre Strafbemessungsgründe dar.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, zunächst an den Verfassungsgerichtshof gerichtete, von diesem nach Ablehnung ihrer Behandlung mit Beschluss vom 30. September 2002, B 1023/02 - 11, dem Verwaltungsgerichtshof gemäß Art. 144 Abs. 3 B-VG abgetretene und auftragsgemäß ergänzte Beschwerde, in der Rechtswidrigkeit des Inhaltes sowie Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht wird.
Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor und beantragte in einer Gegenschrift die Abweisung der Beschwerde.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Das AuslBG regelt die Beschäftigung von Ausländern im Bundesgebiet.
Gemäß § 3 Abs. 1 des Ausländerbeschäftigungsgesetzes (AuslBG), BGBl. Nr. 218/1975, in der im Beschwerdefall noch anzuwendenden Fassung BGBl. Nr. 201/1996, darf ein Arbeitgeber, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, einen Ausländer nur beschäftigen, wenn ihm für diesen eine Beschäftigungsbewilligung oder Entsendebewilligung erteilt oder eine Anzeigebestätigung ausgestellt wurde oder wenn der Ausländer eine für diese Beschäftigung gültige Arbeitserlaubnis oder einen Befreiungsschein besitzt.
Nach § 2 Abs. 2 AuslBG, in seiner Fassung BGBl. Nr. 895/1995, gilt als Beschäftigung die Verwendung
a)
in einem Arbeitsverhältnis,
b)
in einem arbeitnehmerähnlichen Verhältnis, sofern die Tätigkeit nicht auf Grund gewerberechtlicher oder sonstiger Vorschriften ausgeübt wird,
c) in einem Ausbildungsverhältnis, einschließlich der Tätigkeiten nach § 3 Abs. 5,
d)
nach den Bestimmungen des § 18 oder
e)
überlassener Arbeitskräfte im Sinne des § 3 Abs. 4 des Arbeitskräfteüberlassungsgesetzes, BGBl. Nr. 196/1988.
Gemäß § 28 Abs. 1 Z. 1 lit. a AuslBG in der zuletzt genannten Fassung begeht, sofern die Tat nicht den Tatbestand einer in die Zuständigkeit der Gerichte fallenden strafbaren Handlung bildet, eine Verwaltungsübertretung und ist von der Bezirksverwaltungsbehörde zu bestrafen, wer entgegen dem § 3 einen Ausländer beschäftigt, für den weder eine Beschäftigungsbewilligung (§ 4) erteilt noch eine Anzeigebestätigung (§ 3 Abs. 5) oder eine Arbeitserlaubnis (§ 14a) oder ein Befreiungsschein (§ 15) ausgestellt wurde bei unberechtigter Beschäftigung von höchstens drei Ausländern für jeden unberechtigt beschäftigten Ausländer mit Geldstrafen von 10.000 S bis zu 60.000 S, im Falle der erstmaligen und weiteren Wiederholung von 20.000 S bis zu 120.000 S, bei unberechtigter Beschäftigung von mehr als drei Ausländern für jeden unberechtigt beschäftigten Ausländer mit Geldstrafe von 20.000 S bis zu 120.000 S, im Falle der erstmaligen und weiteren Wiederholung von 40.000 S bis zu 240.000 S.
Gemäß § 51e Abs. 6 VStG sind die Parteien so rechtzeitig zur Verhandlung zu laden, dass ihnen von der Zustellung der Ladung an mindestens zwei Wochen zur Vorbereitung zur Verfügung stehen.
Gemäß § 51f Abs. 2 VStG hindert es weder die Durchführung der Verhandlung noch die Fällung des Erkenntnisses, wenn eine Partei trotz ordnungsgemäßer Ladung nicht erschienen ist.
Nach § 51i VStG ist, wenn eine Verhandlung durchgeführt wurde, bei der Fällung des Erkenntnisses nur auf das Rücksicht zu nehmen, was in dieser Verhandlung vorgekommen ist. Auf Aktenstücke ist nur insoweit Rücksicht zu nehmen, als sie bei der Verhandlung verlesen wurden, es sei denn, der Beschuldigte hätte darauf verzichtet, oder als es sich um Beweiserhebungen handelt, deren Erörterung infolge des Verzichts auf eine fortgesetzte Verhandlung gemäß § 51e Abs. 5 entfallen ist.
Der Beschwerdeführer hält den angefochtenen Bescheid u. a. auch deswegen für rechtswidrig, weil die belangte Behörde ohne ihn oder seine Rechtsvertreterin zur Berufungsverhandlung zu laden oder ihm Gelegenheit zur Stellungnahme zu den in der Berufungsverhandlung aufgenommen Beweisen zu geben seiner Verantwortung, die konkrete Ausländerin habe die Hausschlüssel besessen, um lediglich von Mitte August bis Anfang September 1997 in seinem Haus (erg.: unentgeltlich) die Blumen zu gießen, es habe nie ein Beschäftigungsverhältnis - und schon gar nicht über den genannten Zeitraum vom 25. März 1996 bis zum 7. September 1997 - bestanden, nicht gefolgt sei.
Tatsächlich ergibt sich aus dem Inhalt der vorgelegten Verwaltungsakten, dass die Ladung des Beschwerdeführers zu Handen seiner ausgewiesenen Vertreterin zur mündlichen Berufungsverhandlung am 22. März 2002 zwar angeordnet wurde, der Nachweis einer postalischen Zustellung dieser Ladung (Rückschein) jedoch fehlt.
In der für den 22. März 2002 anberaumten mündlichen Berufungsverhandlung waren weder der Beschwerdeführer noch seine Rechtsvertreterin erschienen, eine Entschuldigung für das Fernbleiben war nicht erfolgt. Erhebungen über die tatsächliche Zustellung der angeordneten Ladungen hat die belangte Behörde nicht durchgeführt.
Auch die Ladung der - ebenfalls unentschuldigt nicht erschienenen - Ausländerin war unter ihrer inländischen Anschrift zwar durch Hinterlegung zugestellt (§ 17 Abs. 3 ZustG), jedoch von der Empfängerin nicht behoben worden. Dass sich die Ausländerin - möglicherweise infolge der Verhängung eines Aufenthaltsverbotes - nicht mehr im Bundesgebiet aufhält, ist ebenfalls nicht aktenkundig.
Unter diesen Umständen hätte die belangte Behörde aber nicht einfach von der neuerlichen Ladung der nicht erschienenen Personen absehen, das Ermittlungsverfahren schließen und den Berufungsbescheid erlassen dürfen, sondern hätte hinsichtlich des Beschwerdeführers und der Zeugin über die tatsächlich erfolgten (das heißt: rechtswirksam zugestellten) Ladungen zur Verhandlung Erhebungen pflegen und/oder eine neue Verhandlung anordnen bzw. hinsichtlich der unentschuldigt nicht erschienenen Zeugin die Vorführung veranlassen oder versuchen müssen, ihren Aufenthalt festzustellen.
Die persönliche Einvernahme des Beschwerdeführers wäre insbesondere auch aus dem Grund geboten gewesen, weil er unter Bezugnahme auf seine Blindheit die Identität jenes von ihm unterfertigten Textes des Aktenvermerks vom 11. September 1997 mit jenem ihm im Sinne des § 17a AVG vor Unterfertigung vorgelesenen bestritt, welches von der belangten Behörde jedoch dessen ungeachtet zur Begründung ihres Bescheides herangezogen wurde.
Die belangte Behörde hätte im Rahmen des Unmittelbarkeitsgrundsatzes auf alle sachverhaltsbezogenen Einwendungen Bedacht zu nehmen gehabt, die sich im Zuge einer ordnungsgemäß abgehaltenen Verhandlung hätten ergeben können. Sie durfte sich nicht darauf beschränken, - in antizipativer Beweiswürdigung - die resümierenden Angaben des Meldungslegers, die als unrichtig bestritten worden waren, in Verbindung mit einem Aktenvermerk, dessen Inhalt vom blinden Unterfertiger als von seiner Unterschrift nicht gedeckt bekämpft worden war, als ausreichend anzusehen und rechtlich zu beurteilen. Auch ist anzumerken, dass lediglich das vom Meldungsleger zusammengefasste Resümeeprotokoll, nicht aber die von der betroffenen Ausländerin unterfertigte Niederschrift über ihre Vernehmung durch die Gendarmerie vorliegt. Lediglich die in der Anzeige enthaltenen Angaben des - in der mündlichen Verhandlung vernommenen - Meldungslegers wurden zur Grundlage für den angefochtenen Bescheid gemacht. Auch erfolgte weder eine Verlesung noch sonstige Erörterung der angeforderten Fremdenpolizeiakten. Damit erweist sich jedenfalls die Basis für die von der belangten Behörde vorgenommene Beweiswürdigung als unvollständig.
Die belangte Behörde hat somit Verfahrensvorschriften, insbesondere jene die Unmittelbarkeit des Verfahrens regelnden, verletzt, bei deren Vermeidung sie zu einem anderen, für den Beschwerdeführer (was die Frage des Verschuldens (Unentgeltlichkeit), des inkriminierten Zeitraums als auch die Frage der Strafbemessung anbelangt) günstigeren Ergebnis hätte gelangen können.
Aus den aufgezeigten Gründen war der angefochtene Bescheid wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf §§ 47ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung BGBl. II Nr. 333/2003.
Wien, am 30. Juni 2004
Schlagworte
Sachverhalt Sachverhaltsfeststellung Freie Beweiswürdigung Vorweggenommene antizipative BeweiswürdigungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2004:2002090159.X00Im RIS seit
26.07.2004